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Full text of "Gedichte. Huttens letzte Tage. Engelberg. [Textrevision von Jonas Fränkel]"

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CONRAD D MEYER 
GEDICHTE 
HUTTENS LETZTE TAGE 
ENGELBERG 


Ex Libris 
PROFESSOR J. S. WILL 


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Digitized by the Internet Archive 
in 2010 with funding from 
University of Toronto 


http://www.archive.org/details/gedichtehuttensi00meye 


BEBICHENE 


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ENS LETZTE IAGE 


ENGELBERG 


Vollſtändige Ausgabe 


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Mit Genehmigung von H. Haeſſel Verlag, Leipzig 


Tertreviſion von Jonas Fränkel 
Druck der Spamerſchen Buchdruckerei in Leipzig 


Printed in Germany 


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Huttens letzte Tage 
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Inhalt und Regifter der 
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Inhalt zu „Huttens letzte 


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Zur neuen Auflage 


Mit dem Stifte les ich dieſe Dinge, 
Auf der Raſenbank im Freien ſitzend, 
Plötzlich zuckt mir einer Vogelſchwinge 
Schatten durch die Lettern freudig blitzend. 


Was da ſteht, ich hab es tief empfunden 

Und es bleibt ein Stück von meinem Leben — 
Meine Seele flattert ungebunden 

Und ergötzt ſich drüberhinzuſchweben. 


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Fülle 


Genug iſt nicht genug! Geprieſen werde 

Der Herbſt! Kein Aſt, der ſeiner Frucht entbehrte! 
Tief beugt ſich mancher allzureich beſchwerte, 

Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zur Erde. 


Genug iſt nicht genug! Es lacht im Laube! 

Die ſaft'ge Pfirſche winkt dem durſt'gen Munde! 
Die trunknen Weſpen ſummen in die Runde: 
„Genug iſt nicht genug!“ um eine Traube. 


Genug iſt nicht genug! Mit vollen Zügen 
Schlürft Dichtergeiſt am Borne des Genuſſes, 
Das Herz, auch es bedarf des Überfluſſes, 
Genug kann nie und nimmermehr genügen! 


Das heilige Feuer 


Auf das Feuer mit dem goldnen Strahle 
Heftet ſich in tiefer Mitternacht 
Schlummerlos das Auge der Veſtale, 
Die der Göttin ewig Licht bewacht. 


Wenn ſie ſchlummerte, wenn ſie entſchliefe, 
Wenn erſtürbe die verſäumte Glut, 
Eingeſargt in Gruft und Grabestiefe 
Würde ſie, wo Staub und Moder ruht. 


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Eine Flamme zittert mir im Buſen, 
Lodert warm zu jeder Zeit und Friſt, 

Die, entzündet durch den Hauch der Muſen, 
Ihnen ein beſtändig Opfer iſt. 


Und ich hüte ſie mit heil'ger Scheue, 
Daß ſie brenne rein und ungekränkt; 
Denn ich weiß, es wird der ungetreue 
Wächter lebend in die Gruft verſenkt. 


Schillers Beſtattung 


Ein ärmlich düſter brennend Fackelpaar, das Sturm 
Und Regen jeden Augenblick zu löſchen droht. 

Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannenſarg 

Mit keinem Kranz, dem kargſten nicht, und kein Geleit! 
Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab. 

Die Träger haſteten. Ein Unbekannter nur, 

Von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht, 
Schritt dieſer Bahre nach. Der Menſchheit Genius wars. 


Lie derſeelen 


In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt, 
Ward ich von ſüßen Geſpenſtern erſchreckt, 

Ein Reigen ſchwang im Garten ſich, 

Den ich mit leiſem Fuß beſchlich; 

Wie zarter Elfen Chor im Ring 

Ein weißer lebendiger Schimmer ging. 

Die Schemen hab ich keck befragt: 

Wer ſeid ihr, luftige Weſen? Sagt! 


„Ich bin ein Wölkchen, geſpiegelt im See.“ 
„Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee.“ 
„Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!“ 
„Ich bin ein Geheimnis, geflüſtert ins Ohr.“ 


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„Ich bin ein frommes, geſtorbenes Kind.“ 
„Ich bin ein üppiges Blumengewind —“ 
„Und die du wählſt, und ders beſchied 

Die Gunſt der Stunde, die wird ein Lied.“ 


Schwarzſchatten de Kaſtanie 


Schwarzſchattende Kaſtanie, 

Mein windgeregtes Sommerzelt, 

Du ſenkſt zur Flut dein weit Geäſt, 
Dein Laub, es durſtet und es trinkt, 
Schwarzſchattende Kaſtanie! 

Im Porte badet junge Brut 

Mit Hader oder Luſtgeſchrei, 

Und Kinder ſchwimmen leuchtend weiß 
Im Gitter deines Blätterwerks, 
Schwarzſchattende Kaſtanie! 

Und dämmern See und Ufer ein 

Und rauſcht vorbei das Abendboot, 

So zuckt aus roter Schiffslatern 

Ein Blitz und wandert auf dem Schwung 
Der Flut, gebrochnen Lettern gleich, 
Bis unter deinem Laub erliſcht 

Die rätſelhafte Flammenſchrift, 
Schwarzſchattende Kaſtanie! 


Nachtgeräuſche 


Melde mir die Nachtgeräuſche, Muſe, 

Die ans Ohr des Schlummerloſen fluten! 
Erſt das traute Wachtgebell der Hunde, 
Dann der abgezählte Schlag der Stunde, 
Dann ein Fiſcher-Zwiegeſpräch am Ufer, 
Dann? Nichts weiter als der ungewiſſe 
Geiſterlaut der ungebrochnen Stille, 

Wie das Atmen eines jungen Buſens, 

Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens, 


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Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders, 
Dann der ungehörte Tritt des Schlummers. 


Die toten Freunde 


Das Boot ſtößt ab von den Leuchten des Geſtads. 

Durch rollende Wellen dreht ſich der Schwung 
des Rads. 

Schwarz qualmt des Rohres Rauch ... Heut 
hab ich ſchlecht, 

Das heißt mit lauter jungem Volk gezecht — 


Du, der geſtürzt iſt mit zerſchoſſener Stirn, 
Und du, verſchwunden auf einer Gletſcherfirn, 
Und du, verlodert wie ſchwüler Blitzesſchein, 
Meine toten Freunde, ſaget, gedenkt ihr mein? 


Wogen ziſchen um Boot und Räderſchlag, 
Dazwiſchen jubelt ein dumpfes Zechgelag, 

In den Fluten brauſt ein ſturmgedämpfter Chor, 
Becher läuten aus tiefer Nacht empor. 


Der ſchöne Tag 


In kühler Tiefe ſpiegelt ſich 

Des Juli⸗Himmels warmes Blau, 
Libellen tanzen auf der Flut, 

Die nicht der kleinſte Hauch bewegt. 


Zwei Knaben und ein ledig Boot — 
Sie ſprangen jauchzend in das Bad. 
Der eine taucht gekühlt empor, 

Der andre ſteigt nicht wieder auf. 


Ein wilder Schrei: „Der Bruder ſank!“ 
Von Booten wimmelts ſchon. Man fiſcht. 


Den einen rudern fie ans Land, 
Der fahl wie ein Verbrecher ſitzt. 


Der andre Knabe ſinkt und ſinkt 
Gemach hinab, ein Schlummernder, 
Geſchmiegt das ſanfte Lockenhaupt 
An einer Nymphe weiße Bruſt. 


Über einem Grabe 


Blüten ſchweben über deinem Grabe. 
Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe, 
Den wir alle liebten, die dich kannten, 
Deſſen Augen wie zwei Sonnen brannten, 
Deſſen Blicke Seelen unterjochten, 
Deſſen Pulſe ſtark und feurig pochten, 
Deſſen Worte ſchon die Herzen lenkten, 
Den wir weinend geſtern hier verſenkten. 


Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen ... 
Dort! ich ſeh' es aus der Erde ſteigen! 
Unterm Raſen quillt hervor es leiſe, 
Flatterflammen drehen ſich im Kreiſe, 
Ungelebtes Leben zuckt und lodert 

Aus der Körperkraft, die hier vermodert, 
Abgemähter Jugend letztes Walten, 

Letzte Glut verrauſcht in Wunſchgeſtalten, 
Eine blaſſe Jagd: 


Voran ein Zecher, 
In der Fauſt den überfüllten Becher! 
Wehnde Locken will der Buhle faſſen, 
Die entflatternd nicht ſich haſchen laſſen, 
Luſtgeſtachelt raſt er hinter jenen, 
Ein verhülltes Mädchen folgt in Tränen. 


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Durch die Brandung mit verſtürmten Haaren 
Seh ich einen Fühnen Schiffer fahren. 

Einen jungen Krieger ſeh ich toben, 
Helmbedeckt, das lichte Schwert erhoben. 
Einer ſtürzt ſich auf die Rednerbühne, 

Weites Volksgetos beherrſcht der Kühne. 

Ein Gedräng, ein Kämpfen, Ringen, Streben! 
Arme ſtrecken ſich und Kränze ſchweben — 


Kränze, wenn du lebteſt, dir beſchieden, 
Nicht erreichte! 
Knabe, ſchlaf in Frieden! 


Der Marmorknabe 


In der Capuletti Vigna graben 
Gärtner, finden einen Marmorknaben, 
Meiſter Simon holen ſie herbei, 

Der entſcheide, welcher Gott es ſei. 


Wie den Fund man dem Gelehrten zeigte, 
Der die graue Wimper forſchend neigte, 
Kniet' ein Kind daneben: Julia, 

Die den Marmorknaben finden ſah. 


„Welches iſt dein ſüßer Name, Knabe? 
Steig ans Tageslicht aus deinem Grabe! 
Eine Fackel trägſt du? Biſt beſchwingt? 
Amor biſt du, der die Herzen zwingt?“ 


Meiſter Simon, ſtreng das Bild betrachtend, 
Eines Kindes Worte nicht beachtend, 
Spricht: „Er löſcht die Fackel. Sie verloht. 
Dieſer ſchöne Jüngling iſt der Tod.“ 


2 Meyer. I. 


Liebesflämmchen 


Die Mutter mahnt mich abends: 
„Trag Sorg' zur Ampel, Kind! 
Jüngſt träumte mir von Feuer — 
Auch weht ein wilder Wind.“ 


Das Flämmchen auf der Ampel, 
Ich löſch es mit Bedacht, 

Das Licht in meinem Herzen 
Brennt durch die ganze Nacht. 


Die Mutter ruft mich morgens: 
„Kind, hebe dich! 's iſt Tag!“ 
Sie pocht an meiner Türe 
Dreimal mit ſtarkem Schlag 


Und meint, ſie habe grauſam 
Mich aus dem Schlaf geſchreckt — 
Das Licht in meinem Herzen 
Hat längſt mich aufgeweckt. 


Brautgeleit 


Ich ſehe dich, den Kranz im Haar, 
Die zur Vermählung ſchreitet, 
Von einer jungen Genienſchar 
Umjubelt und begleitet. 


Ein kleines Heer, ein feines Heer, 
Sind alles deine Schweſtern. 

Du biſt ſie und biſt ſie nicht mehr 
Und wareſt ſie noch geſtern. 


Wer gibt Geleit mit Luſtgetön 
Dem ſtillen Hochzeitspaare? 


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Das find, bekränzt mit Roſen ſchön, 
All deine raſchen Jahre. 


Voran ein Kindlein weint und lacht, 
Vom Mutterarm getragen, 

Das zweite ſetzt die Füßchen ſacht 
Und ſchreitet noch mit Zagen. 


Es folgen Stufen mannigfalt 
Des jungen Menſchenbildes, 
Mit einem ſcheuen Kinde wallt 
Ein Mägdlein ſchon, ein wildes. 


Dann iſt ein friſches minniges 
Lenzangeſicht zu ſchauen, 

Und dann ein blaſſes inniges 
Antlitz mit ernſten Brauen. 


Nun eines noch, verſunken ganz 
In ſtill verklärten Zügen, 
Erfüllung in des Blickes Glanz 
Und ſeliges Genügen. 


Jetzt trittſt du durch das Kirchentor, 
Dich ewig zu verbinden, 

Die Mädchen bleiben all davor, 
Vergehen und verſchwinden. 


Hochzeitslied 


Aus der Eltern Macht und Haus 
Tritt die zücht'ge Braut heraus 
An des Lebens Scheide — 

Geh und lieb und leide! 


Freigeſprochen, unterjocht, 
Wie der junge Buſen pocht 


2% 


Im Gewand von Seide — 
Geh und lieb und leide! 


Frommer Augen helle Luſt 
Überſtrahlt an voller Bruſt 
Blitzendes Geſchmeide — 
Geh und lieb und leide! 


Merke dirs, du blondes Haar: 
Schmerz und Luſt Geſchwiſterpaar, 
Unzertrennlich beide — 

Geh und lieb und leide! 


Die Jungfrau 


Wo ſah ich, Mädchen, deine Züge, 
Die drohnden Augen lieblich wild, 
Noch rein von Eitelkeit und Lüge? 
Auf Buonarottis großem Bild: 


Der Schöpfer ſenkt ſich ſachten Fluges 
Zum Menſchen, welcher ſchlummernd liegt, 
Im Schoße ſeines Mantelbuges 

Ruht himmliſches Geſind geſchmiegt: 


Voran ein Weſen, nicht zu nennen, 
Von Gottes Mantel keuſch umwallt, 
Des Weibes Züge, zu erkennen 

In einer ſchlanken Traumgeſtalt 


Sie lauſcht, das Haupt hervorgewendet, 
Mit Augen ſchaut ſie, tief erſchreckt, 
Wie Adam Er den Funken ſpendet 

Und ſeine Rechte mahnend reckt. 


Sie ſieht den Schlummer ſich erheben, 
Der das bewußte Sein empfängt, 


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Auch fie ſehnt dunkel fich, zu leben, 
An Gottes Schulter ſtill gedrängt — 


So harrſt du vor des Lebens Schranke, 
Noch ungefeſſelt vom Geſchick, 

Ein unentweihter Gottgedanke, 

Und öffneſt ſtaunend deinen Blick. 


Die Fei 


Mondnacht und Flut. Sie hangt am Kiel, 
Umklammert mit den Armen ihn, 

Sie treibt ein grauſam lüſtern Spiel, 
Den Nachen in den Grund zu ziehn. 


Der Ferge ſtöhnt: „In Seegeſträuch 
Reißt nieder uns der blanke Leib! 

Raſch, Herr! Von Sünde reinigt Euch, 
Begehrt Ihr heim zu Kind und Weib!“ 


Der Ritter hält den Schwertesgriff 
Sich als das heil'ge Zeichen vor — 
Aus dunklen Haaren lauſcht am Schiff 
Ein ſchmerzlich bleiches Haupt empor. 


„Herr Chriſt! ich beichte Rittertat, 
Streit, Flammenſchein und ſtrömend Blut, 
Doch nichts von Frevel noch Verrat, 

Denn Treu und Glauben hielt ich gut.“ 


Er küßt das Kreuz. Gell ſchreit die Fee! 
Auflangen ſieht er eine Hand 

Am Steuer, blendend weiß wie Schnee, 
Und ſtarrt darauf, von Graun gebannt. 


„Herr Chriſt! ich beichte Miſſetat! 
Ich brach den Glauben und die Treu, 


Ich übt an meinem Lieb Verrat. 
Es ſtarb. Ich tue Leid und Reu!“ 


Sie löſt die Arme. Sie verſinkt. 

Das Ruder ſchlägt. Der Nachen fliegt. 
Vom Strand das Licht des Erkers winkt, 
Wo Weib und Kind ihm ſchlummernd liegt. 


Die Dryas 


O Liebe, wie ſchnell verrinneſt du 
Du fluͤchtige, ſchoͤne Stunde, 
Mit einer Wunde beginneſt du 
Und endeſt mit einer Wunde. 
Ein Jüngling irrt in Waldesraum, 
Umſpielt von goldnen Schimmern, 
Und ſpäht nach einem ſchönen Baum, 
Sich draus ein Boot zu zimmern. 


„Jungeiche mit dem ſtolzen Wuchs, 
Du biſt mir gleich die rechte, 

Dich zeichne ich mit dem Beils flugs, 
Dann ruf ich meine Knechte.“ 


Er führt den Streich. Ein ſchmerzlich Ach 
Macht jählings ihn erbleichen. 

„Ich ſterbe!“ ſtöhnts im Stamme ſchwach, 
„Die jüngſte dieſer Eichen!“ 


Ein Tröpfchen Blutes oder zwei 
Sieht er am Beile hangen 

Und ſchleuderts weg mit einem Schrei, 
Als hätt er Mord begangen. 


Schnell flüſterts aus dem Baume jetzt: 
„Der Mord iſt nicht vollendet! 


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Ich bin nur leicht am Arm verletzt. 
Ich hatt' mich umgewendet.“ 


„Komm, Göttin,“ fleht er, „Waldeskind, 
Daß ich Vergebung finde!“ 

Die Schultern ſchmiegend ſchlüpft geſchwind 
Die Dryas aus der Rinde. 


Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar, 
Ein Brüten und ein Weben, 

Von grünem Blätterſchatten war 

Der ſchlanke Wuchs umgeben. 


Er fing den Arm zu küſſen an, 
Die Stelle mit dem Hiebe, 
Und, der er viel zu Leid getan, 
Die tat ihm viel zu Liebe. 


„In meinem Baum — iſt lauter Traum“ .. 
Sie ſchlüpft zurück behende 

Und liſpelt in den Waldesraum: 

„Ich weiß, wen ich dir ſende!“ 


Der Botin Biene Dienſt iſt ſchwer, 
Sie muß ſich redlich plagen, 
Honig und Wermut hin und her, 
Waldaus, waldein zu tragen. 


Einmal kam Bienchen wild gebrummt, 
„Dryas, mich kanns entrüſten!“ 

Es ſetzt ſich an den Stamm und ſummt: 
„Ich ſahs, wie ſie ſich küßten! 


Sie iſt ein blühend Nachbarkind, 

Muß ihn beſtändig necken — 

Dich läßt er nun bei Wetter und Wind 
In deinem Baume ſtecken!“ 


Ein ſchmerzlich Ach, als wände ſich 
Ein ſchlanker Leib und ſtürbe! 
Das Laub vergilbt, die Krone blich, 
Die Rinde bröckelt mürbe 


Ein Lied Caſtelards 


Sehnſucht iſt Qual! 
Der Herrin wag ichs nicht zu ſagen, 
Ich wills den dunkeln Eichen klagen 
Im grünen Tal: 
Sehnſucht iſt Qual. 


Mein Leib vergeht 
Wie ſchmelzend Eis in bleichen Farben, 
Sie ſieht mich durſten, lechzen, darben, 
Bleibt unerfleht — 
Mein Leib vergeht. 


Doch mag es ſein, 
Daß ſie an ihrer Macht ſich weide! 
Ergetzt ſie grauſam ſich an meinem Leide, 
So denkt ſie mein — 
Drum mag es ſein. 


Sehnſucht iſt Qual! 
Dem Kühnſten macht die Folter bange, 
Ein Grab, darin ich nichts verlange, 
Gib mir, o Tal! 
Sehnſucht iſt Qual. 


Die kleine Blanche 


An dem kleinen Hofe von Navarra 
War das Leben eine loſe Fabel, 
Eine drohnde oder heitre Maske, 


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Eine überraſchende Novelle, 

Ein phantaſtiſch wahrheitloſes Schauſpiel. — 
Der am Hofe war auf kurzen Urlaub, 
Hauptmann Dupleſſis ſaß vor der Bühne. 
Drauf ein Mädchen an verratner Liebe 

Starb. Im letzten Akt lag ſie marmorn 

Auf dem Grabmal als ihr eigen Bildnis, 
Schluchzend rang die Hände der Verräter, 
Sieh! da hob ſie ſachte ſich und lebte. 
Andern Tages wandelte der Hauptmann 

In des Schloſſes irrſam dunkeln Gärten, 

An die zarte kleine Blanche denkend, 

Die er ſchnell geküßt und ſchnell verraten — 
Etwas ſieht er ſchimmern durch Zypreſſen: 
Auf dem Grabmal liegt die kleine Blanche 
Marmorn. An dem Sockel iſt zu leſen: 
„Blanche ſchlummert nach verratner Liebe.“ 
„Heb dich, kleine Blanche!“ ruft der Hauptmann. 
„Wickle dich aus deinen weißen Tüchern! 
Spiel nicht mit dem Tode, kleine Blanche!“ 
Doch der Marmor fühlte nichts. Es fühlte 
Nichts, die drunter ſchläft. Sie ſtarb im Ernſte. 


Die gelöſchten Kerzen 


Ein gewalt'ger Herd mit glühnden Kohlen 
Und zwei hellen Kerzen auf dem Simſe, 

Dran ein plaudernd Paar: ein narb'ger Feldherr 
In der Majeſtät des Greiſenalters 

Und ein unbefangnes Kind der Neuzeit, 

Ein geliebter und verzogner Neffe. 

Würdevoll erzählt der Greis von weiland, 
Von Verſchollnem oder halb Verſchollnem. 
„Damals warſt du noch ein Ungeborner, 
Neffe,“ jagt er, „oder in den Windeln”... 
Auf dem Herde zuckt ein blaues Flämmchen, 


Ein vergeßnes Flämmchen aus der Aſche, 

Und die beiden ſehn den Irrwiſch tanzen, 

Und der Irrwiſch unverſehens ſpringt er 

Auf des Jünglings blühend kecke Lippen: 

— „Ohm, wie war es denn mit der Camargo = 
Der Benarbte lächelt. „Wiſſen willſt du 

Das mit der Camargo?“ — Eine Kerze 

Haucht er aus und auch die andre Kerze. 

„Du erlaubſt? Nur daß ich nicht erröte! 
Alſo .. .“ Durch das Dunkel glühn die Kohlen. 
Und der Jüngling ſtreicht ein Holz, die eine 
Kerze flammt er an und dann die andre: 

„Ohm, wie wars denn mit dem Stürm auf Düppel?“ 


Fingerhütchen 


Liebe Kinder, wißt ihr, wo 
Fingerhut zu Hauſe? 
Tief im Tal von Acherloo 
Hat er Herd und Klauſe; 

Aber ſchon in jungen Tagen 

Muß er einen Höcker tragen; 
Geht er, wunderlicher nie 
Wallte man auf Erden! 
Sitzt er, ſtaunen Kinn und Knie, 
Daß ſie Nachbarn werden. 


Körbe flicht aus Binſen er, 
Früh und ſpät ſich regend, 
Trägt ſie zum Verkauf umher 
In der ganzen Gegend, 

Und er gäbe ſich zufrieden, 

Wär er nicht im Volk gemieden; 
Denn man ziſchelt mancherlei: 
Daß ein Hexenmeiſter, 


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Daß er kräuterkundig fei 
Und im Bund der Geiſter. 


Solches iſt die Wahrheit nicht, 
Iſt ein leeres Meinen, 
Doch das Volk im Dämmerlicht 
Schaudert vor dem Kleinen. 
So die Jungen wie die Alten 
Weichen aus dem Ungeſtalten — 
Doch vorüber wohlgemut 
Auf des Schuſters Räppchen 
Trabt er. Blauer Fingerhut 
Nickt von ſeinem Käppchen. 


Einmal geht er heim bei Nacht 
Nach des Tages Laſten, 
Hat den halben Weg gemacht, 
Darf ein bißchen raſten, 

Setzt ſich und den Korb daneben, 
Schimmernd hebt der Mond ſich eben: 
Fingerhut iſt gar nicht bang, 
Ihm iſt gar nicht ſchaurig, 
Nur daß noch der Weg ſo lang, 

Macht den Kleinen traurig. 


Etwas hört er klingen fein — 
Nicht mit rechten Dingen, 
Mitten aus dem grünen Rain 
Ein melodiſch Singen: 
„Silberfähre, gleiteſt leiſe“ — 
Schon verſtummt die kurze Weiſe. 
Fingerhütchen ſpähet ſcharf 
Und kann nichts entdecken, 
Aber was er hören darf, 
Iſt nicht zum Erſchrecken. 


Wieder hebt das Liedchen an 

Unter Buſch und Hecken, 

Doch es bleibt der Reimgeſpan 

Stets im Hügel ſtecken. 
„Silberfähre, gleiteſt leiſe“ — 
Wiederum verſtummt die Weiſe. 

Lieblich iſt, doch einerlei 

Der Geſang der Elfen, 

Fingerhütchen fällt es bei, 

Ihnen einzuhelfen. 


Fingerhütchen lauert ſtill 
Auf der Töne Leiter, 

Wie das Liedchen enden will, 
Führt er leicht es weiter: 

„Silberfähre, gleiteſt leiſe“ 

— „Ohne Ruder, ohne Gleiſe.“ 
Aus dem Hügel rufts empor: 
„Das iſt dir gelungen 7 
Unterm Boden kommt hervor 
Kleines Volk geſprungen. 


„Fingerhütchen, Fingerhut,“ 
Lärmt die tolle Runde, 
„Faß dir einen friſchen Mut! 
Günſtig iſt die Stunde! 
Silberfähre, gleiteſt leiſe 
Ohne Ruder, ohne Gleiſe! 
Dieſes haſt du brav gemacht, 
Lernet es, ihr Sänger! 
Wie du es zuſtand gebracht, 
Hübſcher iſts und länger! 


Zeig dich einmal, ſchöner Mann! 
Laß dich einmal ſehen: 


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Vorn zuerft und hinten dann! 
Laß dich einmal drehen! 


Weh! Was müſſen wir erblicken! 
Fingerhütchen, welch ein Rücken! 


Auf der Schulter, liebe Zeit, 
Trägſt du grauſe Bürde! 
Ohne hübſche Leiblichkeit 
Was iſt Geiſteswürde? 


Eine ganze Stirne voll 
Glücklicher Gedanken, 
Unter einem Höcker ſoll 
Länger nicht ſie ſchwanken! 


Strecket euch, verkrümmte Glieder! 
Garſt'ger Buckel, purzle nieder! 


Fingerhut, nun biſt du grad, 
Deines Fehls geneſen! 

Heil zum ſchlanken Rückengrat! 
Heil zum neuen Weſen!“ 


Plötzlich ſteckt der Elfenchor 
Wieder tief im Raine, 

Aus dem Hügelgrund empor 
Tönts im Mondenſcheine: 


„Silberfähre, gleiteſt leiſe 
Ohne Ruder, ohne Gleiſe.“ 


Fingerhütchen wird es ſatt, 
Wäre gern daheime, 

Er entſchlummert laß und matt 
An dem eignen Reime. 


Schlummert eine ganze Nacht 
Auf derſelben Stelle; 

Wie er endlich auferwacht, 
Scheint die Sonne helle: 


Kühe weiden, Schafe graſen 

Auf des Elfenhügels Raſen. 
Fingerhut iſt bald bekannt, 
Läßt die Blicke ſchweifen, 
Sachte dreht er dann die Hand, 
Hinter ſich zu greifen. 


Iſt ihm Heil im Traum geſchehn? 


Iſt das Heil die Wahrheit? 

Wird das Elfenwort beſtehn 

Vor des Tages Klarheit? 
Und er taſtet, taſtet, taſtet: 
Unbebürdet! Unbelaſtet! 


„Jetzt bin ich ein grader Mann!“ 


Jauchzt er ohne Ende, 
Wie ein Hirſchlein jagt er dann 
Über Feld behende. 


Fingerhut ſteht plötzlich ſtill, 
Taſtet leicht und leiſe, 
Ob er wieder wachſen will? 
Nein, in keiner Weiſe! 
Selig preiſt er Nacht und Stunde, 
Da er ſang im Geiſterbunde — 
Fingerhütchen wandelt ſchlank, 
Gleich als hätt er Flügel, 
Seit er ſchlummernd niederſank 
Nachts am Elfenhügel. 


Traumbeſitz 


„Fremdling, unter dieſem Schutte 
Wölbt ſich eine weite Halle, 

Blüht des Inka goldner Garten, 
Prangt der Seſſel meines Ahns! 


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Alles Laub und alle Früchte 

Und die Vögel auf den Alten 
Und die Fiſchlein in den Teichen 
Sind vom allerfeinſten Gold.“ 


— „Knabe, du biſt zart und dürftig, 
Deine greiſen Eltern darben — 
Warum gräbſt du nicht die nahen 
Schätze, die dein Erbe ſind?“ 


„Solches, Fremdling, wäre ſündlich! 
Nein, ich laſſe mir genügen 

An dem kleinen Weizenfelde, 

Das mir oben übrig blieb. 


Im Geheimen meines Herzens, 

Mit den Augen meines Geiſtes 
Schwelg ich in den lichten Wundern, 
In dem unermeßnen Hort: 


O des Glanzes! O der Fülle! 
Siehſt du dort die Büſchel Maiſes 
Mit den ſchöngeformten Kolben? 
Siehſt du dort den goldnen Thron?“ 


Die gefeſſelten Muſen 


Es herrſcht' ein König irgendwo 
In Dacien oder Thracien, 

Den ſuchten einſt die Muſen heim, 
Die Muſen mit den Grazien. 


Statt milden Nektars, Rebenblut 
Geruhten ſie zu nippen, 

Die Seele des Barbaren hing 
An ihren ſel'gen Lippen. 


Erſt fang ein jedes Himmelskind 
Im Tone, der ihm eigen, 

Dann ſchritt der ganze Chor im Takt 
Und trat den blühnden Reigen. 


Der König klatſchte: „Morgen will 
Ich wieder euch beſtaunen!“ 

Die Muſen ſchüttelten das Haupt: 
„Das hangt an unſern Launen.“ 


„An euren Launen? ...“ Der Deſpot 
Begann zu ſchmähn und läſtern. 

„Ihr Knechte,“ ſchrie er, „Feſſeln her!“ 
Und feſſelte die Schweſtern. 


Der König wacht', um Mitternacht 
Vernahm er leiſes Schreiten, 
Geflüſter: „Seid ihr alle da?“ 
Und Schüttern zarter Saiten. 


Er fuhr empor. „Den hellen Chor 
Ergreift, getreue Wächter!“ 
Die Schergen griffen in die Luft, 
Und ſilbern klang Gelächter. 


Am Morgen war der Kerker leer, 
Der Reigen über die Grenze — 
Drin hingen ſtatt der Ketten ſchwer 
Zerrißne Blumenkränze. 


31 


32 


II 
S T. UD 


Morgenlied 


Mit edeln Purpurröten 

Und hellem Amſelſchlag, 
Mit Roſen und mit Flöten 
Stolziert der junge Tag. 

Der Wanderſchritt des Lebens 
Iſt noch ein leichter Tanz, 
Ich gehe wie im Reigen 

Mit einem friſchen Kranz. 


Ihr taubenetzten Kränze 

Der neuen Morgenkraft, 
Geworfen aus den Lüften 
Und ſpielend aufgerafft — 
Wohl manchen ließ ich welken 
Noch vor der Mittagsglut; 
Zerriſſen hab ich manchen 
Aus reinem Übermut! 


Mit edeln Purpurröten 

Und hellem Amſelſchlag, 

Mit Roſen und mit Flöten 
Stolziert der junge Tag — 
Hinweg, du dunkle Klage, 
Aus all dem Licht und Glanz! 
Den Schmerz verlorner Tage 
Bedeckt ein friſcher Kranz. 


Eppid 


Eppich, mein alter Hausgeſell, 

Du biſt von jungen Blättern hell, 
Dein Wintergrün, ſo ſtill und ſtreng, 
Verträgt ſichs mit dem Lenzgedräng? 


— „Warum denn nicht? Wie meines hat 
Dein Leben alt und junges Blatt, 
Eins ſtreng und dunkel, eines licht 
Von Lenz und Luſt! Warum denn nicht?“ 


Das tote Kind 


Es hat den Garten ſich zum Freund gemacht, 
Dann welkten es und er im Herbſte ſacht, 
Die Sonne ging, und es und er entſchlief, 
Gehüllt in eine Decke weiß und tief. 


Jetzt iſt der Garten unverſehns erwacht, 

Die Kleine ſchlummert feſt in ihrer Nacht. 

„Wo ſteckſt du?“ ſummt es dort und ſummt es hier. 
Der ganze Garten frägt nach ihr, nach ihr. 


Die blaue Winde klettert ſchlank empor 

Und blickt ins Haus: „Komm hinterm Schrank hervor! 
Wo birgſt du dich? Du tuſt dirs ſelbſt zuleid! 

Was haſt du für ein neues Sommerkleid?“ 


Lenz Wanderer, Mörder, Triumphator 


Ich lag an einem Raine 

Mit meinem dürren Stab. 
Was lauf ich? Meine Beine 
Erlaufen nur das Grab... 


3 Meyer. I. 33 


34 


Ein Wandrer zog derenden, 
War noch ein Knabe faſt, 

Der hielt als Stab in Händen 
Den blütenreichſten Aſt. 


„Grüß Gott dich, ſchöner Wandrer! 
Biſt du es, Knabe Lenz?“ 

Er rief: „Ich bin kein andrer 

Und komme von Florenz!“ 


Das mußte mich erwecken. 
„Kind Lenz, ich wandre mit!“ 
Wir hoben unſre Stecken 

In einem Schritt und Tritt. 


Die beiden Stäbe hoben 
Kind Lenz und ich zugleich; 
Auch meiner ward von oben 
Bis unten blütenreich. 


II 


Nieder trägt der warme Föhn 

Der Lawine fern Getön, 

Hinter jenen hohen Föhren 

Kann den dumpfen Schlag ich hören. 


In des Lenzes blauen Schein 

Aus der Scholle dunkelm Schrein 
Drängt und drückt das neue Leben, 
Lüftet Kleid und Decken eben — 


Von derſelben Kraft und Luſt 
Wächſt das Herz mir in der Bruſt, 
Heute kann es noch ſich dehnen 

Mit den Liedern, mit den Tränen! 


Aber blauen wird ein Tag, 

Da ſichs nicht mehr dehnen mag — 
Mit den Veilchen, mit den Flöten 
Kommt mich dann der Lenz zu töten. 


III 


Frühling, der die Welt umblaut, 
Frühling mit der Vöglein Laut, 
Deine blühnden Siegespforten 
Allerenden, allerorten 

Haſt du niedrig aufgebaut! 


Ungebändigt, kreuz und quer, 
Über alle Pfade her 

Schießen blütenſchwere Zweige, 
Daß dir jedes Haupt ſich neige, 
Und die Demut iſt nicht ſchwer. 


Maientag 


Englein ſingen aus dem blauen Tag, 
Mägdlein ſingen hinterm Blütenhag, 
Jubelnd mit dem ganzen Lenzgeſind 
Singt mir in vernarbter Bruſt — ein Kind. 


Was treibſt du, Wind? 


Was treibſt du, Wind, 
Du himmliſches Kind? 
Du flügelſt und flügelſt umſonſt in der Luft! 
„Nicht Wanderſcherz! 
Ich nähre das Herz 
Mit Erdgeruch und Waldesduft!“ 


36 


Was bringſt du, Wind, 
Du himmliſches Kind? 
„Einen Morgengruß, einen Schrei der Luſt!“ 
Aus Vogelkehle nur? 
Aus Lerchenſeele nur? 
„Nein, nein! Aus voller Menſchenbruſt!“ 


Was trägſt du, Wind, 
Du himmliſches Kind? 
„Seeüber ein wallend, ein hallend Geläut!“ 
Senken ſie ein 
Den Totenſchrein? 
„Nein, nein! Sie halten Hochzeit heut!“ 


Lenz fahrt 


Am Himmel wächſt der Sonne Glut, 

Aufquillt der See, das Eis zerſprang, 
Das erſte Segel teilt die Flut, 

Mir ſchwillt das Herz wie Segeldrang. 


Zu wandern iſt das Herz verdammt, 
Das ſeinen Jugendtag verſäumt, 
Sobald die Lenzesſonne flammt, 
Sobald die Welle wieder ſchäumt. 


Verſcherzte Jugend iſt ein Schmerz 
Und einer ew'gen Sehnſucht Hort, 
Nach ſeinem Lenze ſucht das Herz 

In einem fort, in einem fort! 


Und ob die Locke dir ergraut 

Und bald das Herz wird ſtille ſtehn, 
Noch muß es, wann die Welle blaut, 
Nach ſeinem Lenze wandern gehn. 


Lenz, wer kann dir widerſtehn? 


Jedem, außer an die Toten, 
Sendet Frühling einen Boten, 
Ein Gezwitſcher aus den Lüften, 
Eines Wölkchens helles Wehn, 
Einer roten Knoſpe Springen, 
Irgendein verſtohlnes Düften 
Oder ein verlornes Singen — 
Lenz, wer kann dir widerſtehn? 


Durch das Wieſengrün, das linde, 
Wandr ich mit dem eignen Kinde 
Und es kann an Murmelbächen 
Nicht mit ſtummen Lippen gehn — 
Wann die Knoſpen alle brechen, 
Wollen Lippen ſich entfalten, 

Auf den jungen, auf den alten 
Will ein kleines Lied entſtehn. 


Lieb und Luſt und Leben ſaugen 
Will ich aus den Kinderaugen, 
In dem Blicke meiner Kleinen 
Will ich nach dem Himmel ſpähn, 
Ja, es iſt das gleiche Scheinen, 
Hier im Blauen, dort im Blauen, 
Und das ſelige Vertrauen — 
Lenz, wer kann dir widerſtehn? 


Kuckuck ruft! Willſt du erfahren 
Deine Jahre, gläub'ge Seele? 

Kuckuck ruft im Walde, zähle! 

Neun und zehn und mehr als zehn... 
Ei, das will ja gar nicht enden, 
Frühling ſchenkt aus vollen Händen — 
Soll auf dieſen blonden Haaren 

Noch den Myrtenkranz ich ſehn? ... 


37 


Der Lieblings baum 


Den ich pflanzte, junger Baum, 
Deſſen Wuchs mich freute, 

Zähl ich deine Lenze, kaum 

Sind es zwanzig heute. 


Oft im Geiſt ergötzt es mich, 
Über mir im Blauen, 
Schlankes Aſtgebilde, dich 
Mächtig auszubauen. 


Lichtdurchwirkten Schatten nur 
Legſt du auf die Matten, 

Eh du dunkel deckſt die Flur, 
Bin ich ſelbſt ein Schatten. 


Aber haſchen ſoll mich nicht 
Stygiſches Geſinde, 

Weichen werd ich aus dem Licht 
Unter deine Rinde. 


Friſche Säfte rieſeln laut, 
Rieſeln durch die Stille. 

Um mich, in mir webt und baut 
Ew'ger Lebenswille. 


Halb bewußt und halb im Traum 
Über mir im Lichten 

Werd ich, mein geliebter Baum, 
Dich zu Ende dichten. 


Der verwundete Baum 


Sie haben mit dem Beile dich zerſchnitten, 
Die Frevler — haſt du viel dabei gelitten? 
Ich ſelber habe ſorglich dich verbunden 

Und traue: Junger Baum, du wirſt geſunden! 


Auch ich erlitt zu ſchier derſelben Stunde 
Von ſchärferm Meſſer eine tiefre Wunde. 
Zu unterſuchen komm ich deine täglich, 

Und meine fühl ich brennen unerträglich. 
Du ſaugeſt gierig ein die Kraft der Erde, 
Mir iſt, als ob auch ich durchrieſelt werde! 
Der friſche Saft quillt aus zerſchnittner Rinde 
Heilſam. Mir iſt, als ob auch ichs empfinde! 
Indem ich deine ſich erfriſchen fühle, 

Iſt mir, als ob fih meine Wunde kühle! 
Natur beginnt zu wirken und zu weben, 
Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben! 
Wie viele, ſo verwundet, welkten, ſtarben! 
Wir beide prahlen noch mit unſern Narben! 


Das bittere Trünklein 


Ein betrogen Mägdlein irrt im Walde, 
Flieht den harten Tag und ſucht das Dunkel, 
Wirft auf eine Felſenbank ſich nieder 

Und beginnt zu weinen unerſättlich. 


In den wettermürben Stein des Felſens 
Iſt gegraben eine kleine Schale — 

Da das Mägdlein ſich erhebt zu wandern, 
Bleibt die Schale voller bittrer Zähren. 


Abends kommt ein Vöglein hergeflattert, 
Aus gewohntem Becherlein zu trinken, 
Wo ſich ihm das Himmelswaſſer ſammelt, 


Schluckt und ſchüttelt ſich und fliegt von hinnen. 


Abendrot im Walde 


In den Wald bin ich geflüchtet, 
Ein zu Tod gehetztes Wild, 


39 


40 


Da die letzte Glut der Sonne 
Längs den glatten Stämmen quillt. 


Keuchend lieg ich. Mir zu Seiten 
Blutet, ſiehe, Moos und Stein — 
Strömt das Blut aus meinen Wunden? 
Oder iſts der Abendſchein? 


Jetzt rede du! 


Du wareſt mir ein täglich Wanderziel, 
Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen, 
Ich hatte dir geträumten Glücks ſo viel 
Anzuvertraun, ſo wahren Schmerz zu klagen. 


Und wieder ſuch' ich dich, du dunkler Hort, 

Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauſchen — 
Jetzt rede du! Ich laſſe dir das Wort! 

Verſtummt iſt Klag und Jubel. Ich will lauſchen. 


Die Lautenſtimmer 


Schlummernd jüngſt in Waldesraum, 
Hatt ich einen hübſchen Traum: 
Etwas regt ſich in der Hecke, 

Etwas klimpert im Verſtecke. 


Das Geſträuch mit leiſer Hand 
Teilt ich, bis das Neſt ich fand: 
Kinder, rings im Graſe ſitzend, 
Mit den hellen Augen blitzend! 


Rutſchend auf dem nackten Knie, 
Stimmten eine Laute ſie — 

„Sagt, was lagert ihr im Runde? 
Sprecht, was ſchaffet ihr im Bunde?“ 


Auf das zarte Werk erpicht, 
Hörten ſie die Frage nicht 
„Seht, wie iſt ſie zugerichtet! 
Wundgeriſſen! Faſt vernichtet!“ 


Emſig ward geklopft, geſpäht, 
An den Saiten flink gedreht, 
Ließen eine tiefer klingen, 

Ließen eine hohe ſpringen — 


Endlich klang die Laute rein 
Und die Kinder ſpielten fein, 

Bis ich aus dem Traum erwachte 
Und mir ſeinen Sinn bedachte: 


Dumpf entſchlummert, jetzo hell, 
Ganz ein anderer Geſell! 

Was die Kinder ohne Fehle 
Stimmten, es war meine Seele! 


Sonntags 


Ich liebe, Nymphe, deine keuſche Flut, 

Die kühl im allertiefſten Walde ruht. 

Du ſpiegelſt weder Stadt noch Firneſchnee, 
Den Himmel ſchimmerſt du, mein kleiner See! 
Dein Antlitz ſagt mir alles, raſch erregt, 

Was dir das kindliche Gemüt bewegt, 

Und leicht erhellt, verdunkelt ohne Grund, 
Macht es mir alle deine Launen kund. 


Der Kahn, verborgen tief im Schilfe dort, 
Gefeſſelt iſt er durch ein Zauberwort. 
Nie hat gelöſt ihn eine trunkne Schar, 
Nie hat ſich eine Dirn im Flatterhaar, 


41 


Von rohen Buhlen durch den Wald gehetzt, 
Vor deinen Spiegel keuchend hingeſetzt. 
Nie hat ein unſtet zuckend Fackelrot 

Dir über deine kühle Stirn geloht! 


Horch! Stimmen durch den Wald! Ein Luftgefchrei! 
Gekreiſch! Gewieher! Freches Volk, vorbei! 

Den Gaſſenhauer, liederlich gejohlt 

— Schäme dich, Echo! — haſt du wiederholt! 
Verhülle, Nymphe, deiner Augen Schein, 

Verbirg dich tiefer in den Wald hinein! 

Und zürnend gegen den Tumult gewandt: 
„Hinweg!“ gebot ich mit erhobner Hand. 


„Nicht näher!“ Und im Walde ward es Ruh. 
Der Jubel zog ſich einer Schenke zu. 

Du bliebſt in deinem blauen Kleide rein, 

In deinem grünen Waldesdämmerſchein — 
Indeſſen hat die Sonne ſich geneigt. 

Wie ſüß in jedem Blatt die Stille ſchweigt! 
In Tannenduft und unter Himmelsruh, 
Bewacht von meinem Blick, entſchlummerſt du! 


Sch wüle 


Trüb verglomm der ſchwüle Sommertag, 
Dumpf und traurig tönt mein Ruderſchlag — 
Sterne, Sterne — Abend iſt es ja — 

Sterne, warum ſeid ihr noch nicht da? 


Bleich das Leben! Bleich der Felſenhang! 
Schilf, was flüſterſt du ſo frech und bang? 
Fern der Himmel und die Tiefe nah — 
Sterne, warum ſeid ihr noch nicht da? 


Eine liebe, liebe Stimme ruft 
Mich beſtändig aus der Waſſergruft — 


Weg, Geſpenſt, das oft ich winken ſah! 
Sterne, Sterne, ſeid ihr nicht mehr da? 


Endlich, endlich durch das Dunkel bricht 
— Es war Zeit! — ein ſchwaches Flimmerlicht — 
Denn ich wußte nicht, wie mir geſchah. 
Sterne, Sterne, bleibt mir immer nah! 


In Harmes nächten 


Die Rechte ſtreckt ich ſchmerzlich oft 
In Harmesnächten 

Und fühlt' gedrückt ſie unverhofft 
Von einer Rechten — 

Was Gott iſt, wird in Ewigkeit 
Kein Menſch ergründen, 

Doch will er treu ſich allezeit 
Mit uns verbünden. 


Votivtafel 


Mit kümmernden Gedanken ſchlief 
Ich ein auf meinem Krankenbett, 
Da kam ſie, da erſchien ſie mir 
In einem wunderklaren Traum. 


Sie war ein Mädchen groß und ſchlank 
Mit feurig blauem Augenlicht, 

Sie kam und nahm mich bei der Hand 
Und ſagte freundlich: „Wirb um mich! 


Vertraue! Habe Zuverſicht! 
Halt an und überleg es nicht! 
Halt an und überlaß es mir! 
Erbitte mich! Erbitte mich!“ — 


43 


44 


Da wacht ich auf im Morgenlicht 
Und hob die Hände hoch empor: 
Gebt ſie, verſaget ſie mir nicht, 
Ihr Götter, ſonſt bin ich dahin. 


Die Göttlichen erhörten mich 

Und wieder atm ich leichter ſchon, 
Denn, ſiehe, die Geneſung war's, 
Die mir erſchien im Morgentraum. 


Eingelegte Ruder 


Meine eingelegten Ruder triefen, 
Tropfen fallen langſam in die Tiefen. 


Nichts, das mich verdroß! Nichts, das mich freute! 
Niederrinnt ein ſchmerzenloſes Heute! 


Unter mir — ach, aus dem Licht verſchwunden — 
Träumen ſchon die ſchönern meiner Stunden. 


Aus der blauen Tiefe ruft das Geſtern: 
Sind im Licht noch manche meiner Schweſtern? 


Ein bißchen Freude 


Wie heilt ſich ein verlaſſen Herz, 

Der dunkeln Schwermut Beute? 

Mit Becher-Rundgeläute? 

Mit bitterm Spott? Mit frevlem Scherz? 
Nein. Mit ein bißchen Freude! 


Wie flicht ſich ein zerrißner Kranz, 
Den jach der Sturm zerſtreute? 

Wie knüpft ſich der erneute? 

Mit welchem Endchen bunten Bands? 
Mit nur ein bißchen Freude! 


Wie ſühnt ſich die verjährte Schuld, 
Die bitterlich bereute? 

Mit einem ſtrengen Heute? 

Mit Büßerhaſt und Ungeduld? 

Nein. Mit ein bißchen Freude! 


Im Spätboot 


Aus der Schiffsbank mach ich meinen Pfühl. 
Endlich wird die heiße Stirne kühl! 

O wie ſüß erkaltet mir das Herz! 

O wie weich verſtummen Luſt und Schmerz! 
Über mir des Rohres ſchwarzer Rauch 

Wiegt und biegt ſich in des Windes Hauch. 
Hüben hier und wieder drüben dort 

Hält das Boot an manchem kleinen Port: 
Bei der Schiffslaterne kargem Schein 
Steigt ein Schatten aus und niemand ein. 
Nur der Steurer noch, der wacht und ſteht! 
Nur der Wind, der mir im Haare weht! 
Schmerz und Luſt erleiden ſanften Tod. 
Einen Schlummrer trägt das dunkle Boot. 


Vor der Ernte 


An wolkenreinem Himmel geht 

Die blanke Sichel ſchön, 

Im Korne drunten wogt und weht 
Und rauſcht und wühlt der Föhn. 


Sie wandert voller Melodie 
Hochüber durch das Land, 
Frühmorgen ſchwingt die Schnittrin ſie 
Mit ſonnenbrauner Hand. 


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46 


Erntegewitter 


Ein jäher Blitz. Der Erntewagen ſchwankt. 
Aus ſeinen Garben fahren Dirnen auf 

Und ſpringen ſchreiend in die Nacht hinab. 
Ein Blitz. Auf einer goldnen Garbe thront 
Noch unvertrieben eine frevle Maid, 

Der das gelöſte Haar den Nacken peitſcht. 
Sie hebt das volle Glas mit nacktem Arm, 
Als brächte ſies der Glut, die ſie umflammt, 
Und leerts auf einen Zug. Ins Dunkel wirft 
Sies weit und gleitet ihrem Becher nach. 
Ein Blitz. Zwei ſchwarze Roſſe bäumen ſich. 
Die Peitſche knallt. Sie ziehen an. Vorbei. 


Schnitterlied 


Wir ſchnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen, 
Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen, 
Von donnernden dunkeln Gewittern bedroht — 
Gerettet das Korn! Und nicht Einer, der darbe! 
Von Garbe zu Garbe 
Iſt Raum für den Tod — 
Wie ſchwellen die Lippen des Lebens ſo rot! 


Hoch thronet ihr Schönen auf güldenen Sitzen, 
In ſtrotzenden Garben umflimmert von Blitzen — 
Nicht Eine, die darbe! Wir bringen das Brot! 
Zum Reigen! Zum Tanze! Zur toſenden Runde! 
Von Munde zu Munde 
Iſt Raum für den Tod — 
Wie ſchwellen die Lippen des Lebens ſo rot! 


Auf Goldgrund 


Ins Muſeum bin zu ſpäter 
Stunde heut ich noch gegangen, 


Mo die Heiligen, wo die Beter 
Auf den goldnen Gründen prangen. 


Dann durchs Feld bin ich geſchritten 
Heißer Abendglut entgegen, 

Sah, die heut das Korn geſchnitten, 
Garben auf die Wagen legen. 


Um die Laſten in den Armen, 
Um den Schnitter und die Garbe 
Floß der Abendglut, der warmen, 
Wunderbare Goldesfarbe. 


Auch des Tages letzte Bürde, 

Auch der Fleiß der Feierſtunde 

War umflammt von heil'ger Würde, 
Stand auf ſchimmernd goldnem Grunde. 


Requiem 


Bei der Abendſonne Wandern, 
Wann ein Dorf den Strahl verlor, 
Klagt ſein Dunkeln es den andern 
Mit vertrauten Tönen vor. 


Noch ein Glöcklein hat geſchwiegen 
Auf der Höhe bis zuletzt. 

Nun beginnt es ſich zu wiegen, 
Horch, mein Kilchberg läutet jetzt! 


Abendwolke 


So ſtille ruht im Hafen 
Das tiefe Waſſer dort, 

Die Ruder ſind entſchlafen, 
Die Schifflein ſind im Port. 


48 


Nur oben in dem Ather 
Der lauen Maiennacht, 
Dort ſegelt noch ein ſpäter 
Friedfert'ger Ferge ſacht. 


Die Barke ſtill und dunkel 
Fährt hin in Dämmerſchein 
Und leiſem Sterngefunkel 

Am Himmel und hinein. 


Mein Stern 


Oft in meinem Abendwandel hefte 

Ich auf einen ſchönen Stern den Blick, 
Zwar ſein Zeichen hat beſondre Kräfte, 
Doch beſtimmt und zwingt er kein Geſchick. 


Nicht geheime Winke will er geben, 
Er iſt wahr und rein und ohne Trug, 
Er beſeliget und ſtärkt das Leben 

Mit der tiefſten Sehnſucht ſtillem Zug. 


Nicht verſteht er Gottes dunkeln Willen 
Noch der Dinge letzten ew'gen Grund, 
Wunden heilt er, Schmerzen kann er ſtillen 
Wie das Wort aus eines Freundes Mund. 


In die Bangnis, die Bedrängnis funkelt 
Er mit ſeinem hellſten Strahle gern, 
Und je mehr die Erde mählich dunkelt, 
Deſto näher, ſtärker brennt mein Stern. 


Holder, einen Namen wirſt du tragen, 
Aber dieſen wiſſen will ich nicht, 

Keinen Weiſen werd ich darum fragen, 
Du mein tröſtliches, mein treues Licht! 


Mein Jahr 


Nicht vom letzten Schlittengleiſe 
Bis zum neuen Flockentraum 
Zähl ich auf der Lebensreiſe 
Den erfüllten Jahresraum. 


Nicht vom erſten friſchen Singen, 
Das im Wald geboren iſt, 

Bis die Zweige wieder klingen, 
Dauert mir die Jahresfriſt. 


Von der Kelter nicht zur Kelter 
Dreht ſich mir des Jahres Schwung, 
Nein, in Flammen werd ich älter 
Und in Flammen wieder jung. 


Von dem erſten Blitze heuer, 
Der aus dunkler Wolke ſprang, 
Bis zu neuem Himmelsfeuer 
Rechn ich meinen Jahresgang. 


Wanderfüße 


Ich bedacht es oft in dieſen Tagen, 
Meinem flücht'gen Wandel zu entſagen; 
Doch was fang ich an mit meinen Füßen, 
Die begehren ihre Luſt zu büßen? 

Von den ruheloſen Jugendtrieben 

Sind mir meine Füße noch geblieben, 
Schreitend mit dem Lenz und ſeinen Flöten, 
Schreitend durch die Sommerabendröten, 
Raſch vorüber den gefüllten Kufen, 
Gleitend auf des Winters weißen Stufen 
Über die verſchneite Jahreswende, 

Raſtlos ſchreitend ohne Ziel und Ende! 


4 Meyer. II. 49 


Längſt beſchrieb die Stirne ſich mit Falten, 
Doch die Füße wollen nicht veralten, 

Ihren Stapfen tritt auf Waldeswegen 
Meiner Jugend Wanderbild entgegen, 
Durch das leichte Paar, das ſtets entflammte, 
Bin ich der zum Reiſeſchritt Verdammte! 
Finden möcht ich ohne Sterbebette 

Meinen Füßen eine Ruheſtätte ... 


Die Veltlinertraube 


Brütend liegt ein heißes Schweigen 
Über Tal und Bergesjoch, 

Evoe und Winzerreigen 
Schlummern in der Traube noch. 


Purpurne Veltlinertraube, 
Kochend in der Sonne Schein, 
Heute möcht ich unterm Laube 
Deine vollſte Beere ſein! 


Mein unbändiges Geblüte, 

Strotzend von der Scholle Kraft, 
Trunken von des Himmels Güte, 
Sprengte ſchier der Hülſe Haft! 


Aus der Laube niederhangend, 
Glutdurchwogt und üppig rund, 
Schwebt ich dunkelpurpurprangend 
Über einem roten Mund! 


Weinſegen 


Heut atm ich mit den Sommerlüften 
Die allerfeinſten Würzen ein, 

Ich kenne dieſes ſeltne Düften: 
Heut blüht der echte Kloſterwein. 


4* 


Hier zog im Land die erſten Trauben 
Zum erſten Liebesmahl der Abt, 
Der mit dem teuern Chriſtenglauben 
Uns öde Heiden einſt begabt. 


Das Kloſter, längſt iſt's ſchon verſchwunden, 
Zerſtäubt mit Altar, Gruft und Chor, 

Doch ſteigt in dieſen Mittagsſtunden 

— So heißt's — der erſte Abt empor. 

Nicht will er zu der Leſe kommen, 

Wo wild die Kelter überſchäumt, 

Nein, wie ſich ziemt für einen Frommen, 
Wann myſtiſch ſüß die Blüte träumt. 


Was dort? Wer öffnet ſtill das Gatter? 
Berauſcht die ſtarke Würze mich? 

Ein wallend blankes Rockgeflatter 
Bewegt ſich ſacht und feierlich! 

Es iſt der Abt. Ich ſehe bücken 

Das edelgreiſe Haupt ihn dort, 

Die frechen Nachbarskinder drücken 
Sich ſchleunig durch die Hecke fort. 


Er prüft genau die zarte Blüte, 

Die jungen Schoſſe licht und grün, 
Sein Angeſicht iſt voller Güte 

Und voll von herzlichem Bemühn. 
Hochwürden blickt ſo hell und heiter, 
Dies Jahr gerät der Wein wie nie! 
Er wandelt zu den Stufen weiter 
Und geiſterleicht erſteigt er ſie. 


Schon auf des Weinbergs Höhe ſchreitet 
Er bei dem kleinen Winzerhaus. 

Er ſetzt ſich auf die Bank. Er breitet 
Die Geiſterhände mächtig aus. 


51 


52 


Er ſegnet feine Kloſterreben, 
Sein eigen, vielgeliebtes Kind, 
Uns Ketzer ſegnet er daneben, 
Die ſeines Weinbergs Erben ſind. 


Säerſpruch 


Bemeßt den Schritt! Bemeßt den Schwung! 
Die Erde bleibt noch lange jung! 

Dort fällt ein Korn, das ſtirbt und ruht. 
Die Ruh iſt ſüß. Es hat es gut. 

Hier eins, das durch die Scholle bricht. 

Es hat es gut. Süß iſt das Licht. 

Und keines fällt aus dieſer Welt 

Und jedes fällt, wie's Gott gefällt. 


Einem Tagelöhner 


Lange Jahre ſah ich dich 
Führen deinen Spaten, 
Und ein jeder Schaufelſtich 
Iſt dir wohlgeraten. 


Nie hat dir des Lebens Flucht 
Bang gemacht, ich glaube — 
Sorgteſt für die fremde Frucht, 
Für die fremde Traube. 


Nie gelodert hat die Glut 
Dir in eignem Herde, 

Doch du fußteſt feſt und gut 
Auf der Mutter Erde. 


Nun haſt du das Land erreicht, 
Das du fleißig grubeſt, 

Laſte dir die Scholle leicht, 
Die du täglich hubeſt! 


Ewig jung iſt nur die Sonne 


Heute fanden meine Schritte mein vergeßnes Jugendtal, 
Seine Sohle lag verödet, ſeine Berge ſtanden kahl. 

Meine Bäume, meine Träume, meine buchendunkeln Höhn — 
Ewig jung iſt nur die Sonne, ſie allein iſt ewig ſchön. 


Drüben dort in ſchilf'gem Grunde, wo die müde Lache liegt, 
Hat zu meiner Jugendſtunde ſich lebend'ge Flut gewiegt, 
Durch die Heiden, durch die Weiden ging ein wandernd Herd— 

getön — 
Ewig jung iſt nur die Sonne, ſie allein iſt ewig ſchön. 


Novemberſonne 


In den ächzenden Gewinden 
Hat die Kelter ſich gedreht, 
Unter meinen alten Linden 
Liegt das Laub hoch aufgeweht. 


Dieſer Erde Werke raſten, 
Schon beginnt die Winterruh — 
Sonne, noch mit unverblaßten, 
Goldnen Strahlen wanderſt du! 


Ehe ſich das Jahr entlaubte, 
Gingen, traun, ſie müßig nie, 
Nun an deinem lichten Haupte 
Flammen unbeſchäftigt ſie. 


Erſt ein Ackerknecht, ein Schnitter, 
Und ein Traubenkoch zuletzt, 

Biſt du nun der freie Ritter, 

Der ſich auf der Fahrt ergetzt. 


Und die Schüler zu den Bänken 
Kehrend, grüßen jubelvoll, 
Hingelagert vor den Schenken, 
Dich als Muſengott Apoll. 


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54 


Aus der Höhe 


Schreitend meinen Höhenpfad, 
Seh ich, ſtatt lebend'ger Flut, 
Unter mir des Eiſes Flur, 
Drauf der Wettlauf Tauſender 
Unermüdlich ſich ergötzt. 
Horch! Ein dunkel Geiſterlied, 
Wie des Bienenkorbs Geſumms: 
Dröhnend ſonder Unterbruch 
Durch die reine Winterluft 
Des geſtählten Schuhes Ton! 
Meiner Jugend einz'ge Luſt 
Läutet dumpf zu mir empor. 


Die Schlittſchuhe 


„Hör, Ohm! In deiner Trödelkammer hangt 
Ein Schlittſchuhpaar, danach mein Herz verlangt! 
Von London haſt du einſt es heimgebracht, 

Zwar iſt es nicht nach neuſter Art gemacht, 

Doch damasziert, verteufelt elegant! 

Dir roſtet ungebraucht es an der Wand, 

Du gibſt es mir!“ Hier, Junge, haſt du Geld, 
Kauf dir ein ſchmuckes Paar, wie dirs gefällt! 
„Ach was! Die damaszierten will ich, deine! 

Du läufſt ja nimmer auf dem Eis, ich meine?“ 
Der liebe Quälgeiſt läßt mir keine Ruh, 

Er zieht mich der verſchollnen Stube zu; 

Da lehnen Masken, Klingen kreuz und quer 

An Bayles ſtaubbedecktem Diktionär, 

Und ſeine Beute ſchon erblickt der Knabe 

In dunkelm Winkel hinter einer Truhe: 

„Da ſind ſie!“ Ich betrachte meine Habe, 

Die Jugendſchwingen, die geſtählten Schuhe. 
Mir um die Schläfen zieht ein leiſer Traum... 
„Du gibſt fie mir!“ ... In ihrem blonden Haar, 


Dem aufgewehten, wie fie lieblich war, 

Der Wangen edel Blaß gerötet kaum! ... 

In Nebel eingeſchleiert lag die Stadt, 

Der See, ein Boden ſpiegelhell und glatt, 
Drauf in die Wette flogen, Gleis an Gleis, 
Die Läufer; Wimpel flaggten auf dem Eis... 
Sie ſchwebte ſtill, zuerſt umkreiſt von vielen 
Geflügelten wettlaufenden Geſpielen — 

Dort ſtürmte wild die purpurne Bacchantin, 
Hier maß den Lauf die peinliche Pedantin — 
Sie aber wiegte ſich mit ſchlanker Kraft, 

Und leichten Fußes, luftig, elfenhaft 

Glitt ſie dahin, das Eis berührend kaum, 

Bis ſich die Bahn in einem weiten Raum 
Verlor und dann in ſchmalre Bahnen teilte. 
Da lockt' es ihren Fuß in Einſamkeiten, 

In blaue Dämmerung hinauszugleiten, 

Ins Märchenreich; ſie zagte nicht und eilte 
Und ſah, daß ich an ihrer Seite fuhr, 

Nahm meine Hand und eilte raſcher nur. 
Bald hinter uns verklang der Menge Schall, 
Die Winterſonne ſank, ein Feuerball; 

Doch nicht zu hemmen war das leichte Schweben, 
Der ſel'ge Reigen, die beſchwingte Flucht, 

Und warme Kreiſe zog das raſche Leben 

Auf harterſtarrter, geiſterhafter Bucht. 

An uns vorüber ſchoß ein Fackellauf, 

Ein glüh Phantom, den grauen See hinauf... 
In ſtiller Luft ein ungewiſſes Klingen, 

Wie Glockenlaut, des Eiſes ſurrend Singen ... 
Ein dumpf Getos, das aus der Tiefe droht — 
Sie lauſcht, erſchrickt, ihr graut, das iſt der Tod! 
Jäh wendet ſie den Lauf, ſie ſtrebt zurück, 

Ein ſcheuer Vogel, durch das Abenddunkel, 
Dem Lärm entgegen und dem Lichtgefunkel, 
Sie löſt gemach die Hand .. . o Märchenglück! .. 


Sie wendet ſich von mir und ſucht die Stadt, 

Dem Kinde gleich, das ſich verlaufen hat — 

„Ei, Ohm, du träumſt? Nicht wahr, du gibſt ſie mir, 
Bevor das Eis geſchmolzen?“ ... Junge, hier. 


Begegnung 


Mich führte durch den Tannenwald 
Ein ſtiller Pfad, ein tief verſchneiter, 
Da, ohne daß ein Huf gehallt, 
Erblickt ich plötzlich einen Reiter. 


Nicht zugewandt, nicht abgewandt, 
Kam er, den Mantel umgeſchlagen, 
Mir deuchte, daß ich ihn gekannt 
In alten, längſt verſchollnen Tagen. 


Der jungen Augen wilde Kraft, 

Des Mundes Trotz und herbes Schweigen, 
Ein Zug von Traum und Leidenſchaft 
Berührte mich ſo tief und eigen. 


Sein Rößlein zog auf weißer Bahn 

Vorbei mit ungehörten Hufen. 

Mich faßts mit Luſt und Grauen an, 
Ihm Gruß und Namen nachzurufen. 


Doch keinen Namen hab ich dann 

Als meinen eigenen gefunden, 

Da Roß und Reiter ſchon im Tann 

Und hinterm Schneegeflock verſchwunden. 


Neujahrsglocken 


In den Lüften ſchwellendes Gedröhne, 
Leicht wie Halme beugt der Wind die Töne: 


Leis verhallen, die zum erſten riefen, 
Neu Geläute hebt ſich aus den Tiefen. 


Große Heere, nicht ein einzler Rufer! 
Wohllaut flutet ohne Strand und Ufer. 


Das Heute 


Das Heut iſt einem jungen Weibe gleich. 
Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich. 
Es ſchaudert. Einen vollen Becher faßt 

Es gierig noch und ſchlürft in toller Haſt. 

Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt, 
Entfärbt ſich und verwelkt. Der Becher ſinkt. 
Langſam zieht es den Kranz ſich aus dem Haar. 
Das Haar ergraut, das eben braun noch war. 
Tief runzelt ſich das ſchöne ſchuld'ge Haupt. 
Zuſammenbricht das Knie, der Kraft beraubt. 
Die Horen kleiden dicht in Schleier ein 

Und führen weg ein greiſes Mütterlein. 


Unter den Sternen 


Wer in der Sonne kämpft, ein Sohn der Erde, 

Und feurig geißelt das Geſpann der Pferde, 

Wer brünſtig ringt nach eines Zieles Ferne, 

Von Staub umwölkt — wie glaubte der die Sterne? 


Doch das Geſpann erlahmt, die Pfade dunkeln, 

Die ew'gen Lichter fangen an zu funkeln, 

Die heiligen Geſetze werden ſichtbar. 

Das Kampfgeſchrei verſtummt. Der Tag iſt richtbar. 


57 


III 
LN O DPE N 


Schutzgeiſter ) 


Nahe wieder ſah ich glänzen 

Meiner Firne ſcharfe Grenzen, 
Meiner Alpen weiße Bünde, 
Wurzelnd tief im Kern der Schweiz; 
Wieder bin ich dort gegangen, 

Wo die graden Wände hangen 

In des Sees geheime Gründe 

Mit dem dunkelgrünen Reiz. 


Nimmer war ein Tag ſo helle, 
Niemals reiner meine Augen, 
Erd und Himmel einzuſaugen, 
Meine Schritte gingen ſacht; 
Schauend pilgert ich und lauſchte, 
Weil ein guter Weggeſelle 
Heimlich Worte mit mir tauſchte 
Von der Berge Herzensmacht. 


Traulich fühlt ich ſeine Nähe 

Und mir ward, ob ich ihn ſähe, 

Und er ſprach: „Vor manchen Jahren 
Bin ich rüſtig hier gereiſt, 

Hier geſchritten, dort gefahren!“ 
Und er lobte Land und Leute, 

Daß ſich meine Seele freute 

An dem liebevollen Geiſt. 


) Goethe-Jahrbuch 1887 
58 


Und er wies auf ein Gelände: 
„Hier an einem lichten Tage 
Fand ich eure ſchönſte Sage 

Und ich nahm ſie mit mir fort. 
Wandernd hab ich dran geſonnen; 
Was zu bilden ich begonnen, 

Legt in Schillers edle Hände 
Nieder ich als reichen Hort.“ 


Da er ſeinen Bruder nannte 

Und mir drob das Herz entbrannte, 
Wars, als ſchlügen weite Flügel 
Sauſend über mir die Luft, 
Schwingen, die den Raum beſiegen, 
Wie ſie nicht um niedre Hügel 
Flattern, Schwingen, die ſich wiegen, 
Herrſchend über Berg und Kluft. 


Selig war ich mit den beiden, 
Dämmerung verwob die Weiden 
Und ich ſah zwei treue Sterne 
Über meiner Heimat gehn. 

Leben wird mein Volk und dauern 
Zwiſchen ſeinen Felſenmauern, 
Wenn die Dioskuren gerne 
Segnend ihm zu Haupte ſtehn. 


Der Reiſebecher 


Geſtern fand ich, räumend eines langvergeßnen Schrankes 
Fächer, 

Den vom Vater mir vererbten, meinen erſten Reiſebecher. 

Währenddeß ich, leiſe ſingend, reinigt ihn vom Staub der 
Jahre, 

Wars, als höbe mir ein Bergwind aus der Stirn die grauen 
Haare, 


59 


Wars, als dufteten die Matten, drein ich ſchlummernd lag 
verſunken, 

Wars, als rauſchten alle Quelle, draus ich wandernd einſt ge— 
getrunken. 


Nach der erſten Bergfahrt 
(Einem jungen Maͤdchen) 


Liebes Kind, du biſt gemagert, biſt verbrannt von Mittags⸗ 
ſonnen, 

Deine Wangen blühen friſcher, wuſcheſt dich an kühlen Bron— 
nen, 

Wie du ſchreiteſt, ſchlank und kräftig, über deines Gärtchens 
Stufen! 

Deine Stimme wurde voller, die das Echo wachgerufen, 

In dem klaren Herdgeläute wurde deine Stimme heller, 

Deine wegeskund'gen Blicke kreiſen raſcher, ſtreifen ſchneller, 

Deine Lippen wurden ſtiller, edler wurde deine Stirne, 

Und dein Auge, großgeöffnet, es betrachtet noch die Firne. 


Das weiße Spitzchen 
Ein blendendes Spitzchen blickt über den Wald, 
Das ruft mich, das zieht mich, das tut mir Gewalt: 


„Was ſchaffſt du noch unten im Menſchengewühl? 
Hier oben iſts einſam! Hier oben iſts kühl! 


Der See mir zu Füßen hat heut ſich enteiſt, 
Er kräuſelt ſich, flutet, er wandert, er reiſt. 


Die Moosbank des Felſens iſt dir ſchon bereit, 
Von ihr iſts zum ewigen Schnee nicht mehr weit!“ 


Das Spitzchen, es ruft mich, ſobald ich erwacht, 
Am Mittag, am Abend, im Traum noch der Nacht. 


60 


So komm ich denn morgen! Nun laß mich in Ruh! 
Erſt ſchließ ich die Bücher, die Schreine noch zu. 


Leis wandelt in Lüften ein Herdegeläut: 
„Laß offen die Truhen! Komm lieber noch heut.“ 


Firnelicht 


Wie pocht' das Herz mir in der Bruſt 
Trotz meiner jungen Wanderluſt, 
Wann, heimgewendet, ich erſchaut 
Die Schneegebirge, ſüß umblaut, 

Das große ſtille Leuchten! 


Ich atmet eilig, wie auf Raub, 
Der Märkte Dunſt, der Städte Staub. 
Ich ſah den Kampf. Was ſageſt du, 
Mein reines Firnelicht, dazu, 

Du großes ſtilles Leuchten? 


Nie prahlt ich mit der Heimat noch 
Und liebe ſie von Herzen doch! 
In meinem Weſen und Gedicht 
Allüberall iſt Firnelicht, 

Das große ſtille Leuchten. 


Was kann ich für die Heimat tun, 

Bevor ich geh im Grabe ruhn? 

Was geb ich, das dem Tod entflieht? 

Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, 
Ein kleines ſtilles Leuchten! 


Himmelsnähe 


In meiner Firne feierlichem Kreis 
Lag' ich an ſchmalem Felſengrate hier, 


61 


62 


Aus einem grünerftarrten Meer von Eis 
Erhebt die Silberzacke ſich vor mir. 


Der Schnee, der am Geklüfte hing zerſtreut, 
In hundert Rinnen rieſelt er davon 

Und aus der ſchwarzen Feuchte ſchimmert heut 
Der Soldanelle zarte Glocke ſchon. 


Bald nahe toſt, bald fern der Waſſerfall, 

Er ſtäubt und ſtürzt, nun rechts, nun links verweht, 
Ein tiefes Schweigen und ein ſteter Schall, 

Ein Wind, ein Strom, ein Atem, ein Gebet! 


Nur neben mir des Murmeltieres Pfiff, 
Nur über mir des Geiers heiſrer Schrei, 
Ich bin allein auf meinem Felſenriff 

Und ich empfinde, daß Gott bei mir ſei. 


Aller barmen 


An dem Bauernhaus vorüber 
Schritt ich eilig, weil mir grauſte, 
Weil im dumpfen Hof ein trüber, 
Brütender Kretine hauſte. 


Schaudernd warf ich einen halben 
Blick in ſeinen feuchten Kerker — 
Eben war die Zeit der Schwalben, 
Wo ſie baun an Dach und Erker. 


Den Enterbten ſah ich kauern, 
Über ſeiner Lagerſtätte 

Blitzten Schwalben um die Mauern, 
Neſter bauend in die Wette. 


Der erloſchne Blick erfreute 
Sich, in einem kleinen blauen 


Raum das Werk der Schwalben heute, 
Dieſes kluge Werk zu ſchauen. 


Blitzend kreiſte das Geſchwirre 

An dem engen Horizonte, 

Und das Lachen klang, das irre, 
Drin ſich doch der Himmel ſonnte. 


Göttermahl 


Wo die Tannen finſtre Schatten werfen 
Über Hänge goldbeſonnt, 

Unverwundet von der Firne Schärfen 
Blaut der reine Horizont, 


Wo das Spiel den raſtlos wehnden Winden 
Kein Gebälk und keine Mauer wehrt, 

Wo, wie einer dunkeln Sorge Schwinden, 
Jede Wolke ſich verzehrt, 


Wo das braune Rind, wie Juno ſchauend, 
Weidet und mit heller Glocke tönt, 

Wo das Zicklein, lüſtern wiederkauend, 
Den bemooſten Felſen krönt, 


Schlürf ich kühle Luft und wilde Würzen, 

Mit den ſel'gen Göttern koſt ich da 

— Die mich nicht aus ihrem Himmel ſtürzen — 
Nektar und Ambroſia! 


Das Seen 


Ich lag im Gras auf einer Alp, 
In ſel'ge Bläuen ſtarrt ich auf — 
Mir war, als ob auf meiner Bruſt 
Mich etwas ſacht betaſtete. 


64 


Ich blickte ſchräg. Ein Falter ſaß 
Auf meinem grauen Wanderrock. 
Mein Seelchen wars, das flugbereit, 
Die Schwingen öffnend, zitterte. 
Wie ſind die Schwingen ihm gefärbt? 
Sie leuchten blank, betupft mit Blut. 


Das Glöcklein 


Er ſteht an ihrem Pfühl in herber Qual, 
Den jungen Buſen muß er keuchen ſehn — 
Er iſt ein Arzt. Er weiß, ſein traut Gemahl 
Erblaßt, ſobald die Morgenſchauer wehn. 


Sie hat geſchlummert: „Lieber, du bei mir? 
Mir träumte, daß ich auf der Alpe war. 

Wie ſchön mir träumte, das erzähl ich dir — 
Du ſchickſt mich wieder hin das nächſte Jahr! 


Dort vor dem Dorf — du weißt den mooſ'gen Stein — 
Saß ich, umhallt von lauter Herdgetön, 

An mir vorüber zogen mit Schalmein 

Die Herden nieder von den Sommerhöhn. 


Die Herden kehren alle heut nach Haus — 
Das iſt die letzte wohl? Nein, eine noch! 

Noch ein Geläut klingt an und eins klingt aus! 
Das endet nicht! Da kam das letzte doch! 


Mich überflutete das Abendrot, 

Die Matten dunkelten ſo grün und rein, 
Die Firne brannten aus und waren tot, 
Darüber glomm ein leiſer Sternenſchein — 


Da horch! ein Glöcklein läutet in der Schlucht, 
Verirrt, verſpätet, wanderts ohne Ruh, 


Ein armes Glöcklein, das die Herde ſucht — 
Aufwacht ich dann und bei mir wareſt du! 


O, bring mich wieder auf die lieben Höhn — 

Sie haben, ſagſt du, mich geſund gemacht... 

Dort war es ſchön! Dort war es wunderſchön! 

Das Glöcklein! Wieder! Hörſt du's? Gute Nacht...“ 


Spiel 


Denkſt, Freund, des wilden Knabenſpiels du noch, 
Das wir getrieben einſt am Bergesjoch, 
Wann unſer freud'ger Wandertag verglomm 
Und höher ſtets und immer höher klomm? 
Wir ſprangen jubelnd über Stock und Stein 
Bergan und wieder in das Licht hinein, 
Und noch einmal und noch einmal, 
Bis uns entſchlüpft' der letzte Sonnenſtrahl. 


Das Spiel, das wir im Alpentale dort 
Getrieben, Freund, wir ſpielens heut noch fort. 
Wann neben uns das ſüße Licht erbleicht, 
Wir ſteigen, bis von neuem wirs erreicht. 
Wir ſpringen rüſtig über Stock und Stein 
Und mitten wieder in den Tag hinein, 

Und noch einmal und noch einmal, 
Bis uns entſchlüpft der letzte Lebensſtrahl. 


Ich würd es hören 


Läg dort ich unterm Firneſchein 
Auf hoher Alp begraben, 

Ich ſchliefe mitten im Juchhein 
Der wilden Hirtenknaben. 


5 Meyer. II. 65 


66 


Wo ſonſt ich lag im ſüßen Tag, 

Läg ich in dunkeln Decken, 

Der Laue Krach und dumpfer Schlag, 
Er würde mich nicht wecken. 


Und käme ſchwarzer Sturm gerauſcht 
Und ſchüttelte die Tannen, 

Er führe, von mir unbelauſcht, 
Vorüber und von dannen. 


Doch klänge ſanfter Glockenchor, 
Ich ließe wohl mich ſtören 

Und lauſcht ein Weilchen gern empor, 
Das Herdgeläut zu hören. 


Die Bank des Alten 


Ich bin einmal in einem Tal gegangen, 

Das fern der Welt, dem Himmel nahe war, 
Durch das Gelände ſeiner Wieſen klangen 
Die Senſen rings der zweiten Mahd im Jahr. 


Ich ſchritt durch eines Dörfchens ſtille Gaſſen. 
Kein Laut. Vor einer Hütte ſaß allein 

Ein alter Mann, von ſeiner Kraft verlaſſen, 
Und ſchaute feiernd auf den Firneſchein. 


Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne, 
Seh ich den Himmel jenes Tales blaun, 
Den Müden ſeh ich wieder auf die Firne, 
Die nahen, ſelig klaren Firne ſchaun. 


's iſt nur ein Traum. Wohl iſt der Greis geſchieden 


Aus dieſer Sonne Licht, von Jahren ſchwer; 
Er ſchlummert wohl in ſeines Grabes Frieden 
Und ſeine Bank ſteht vor der Hütte leer. 


Noch pulſt mein Leben feurig. Wie den Andern 
Kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät; 
Dann will ich langſam in die Berge wandern 
Und ſuchen, wo die Bank des Alten ſteht. 


Die alte Brücke 


Dein Bogen, grauer Zeit entſtammt, 
Steht manch Jahrhundert außer Amt; 
Ein neuer Bau ragt über dir: 

Dort fahren ſie! Du feierſt hier. 


Die Straße, die getragen du, 

Deckt Wuchs und rote Blüte zu! 

Ein Nebel netzt und tränkt dein Moos, 
Er dampft aus dumpfem Reußgetos. 


Mit einem luftgewobnen Kleid 
Umſchleiert dich Vergangenheit, 

Und ſtatt des Lebens geht der Traum 
Auf deines Pfades engem Raum. 


Das Carmen, das der Schäler ſang, 
Träumt noch im Felſenwiderklang, 
Gewieher und Drommetenhall 

Träumt und verdröhnt im Wogenſchwall. 


Du warſt nach Rom der arge Weg, 
Der Kaiſer ritt auf deinem Steg, 
Und Parrieida, frevelblaß, 

Ward hier vom Staub der Welle naß! 


Du brachteſt nordwärts manchen Brief, 
Drin römiſche Verleumdung ſchlief, 
Auf dir mit Söldnern beuteſchwer 
Schlich Peſt und ſchwarzer Tod daher! 


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68 


Vorbei! Vorüber ohne Spur! 

Du fieleſt heim an die Natur, 

Die dich umwildert, dich umgrünt, 
Vom Tritt des Menſchen dich entſühnt! 


Der Kaiſer und das Fräulein 


Hoch am Septimer, dem Kaiſerpaſſe 

— Denn die Kaiſer pflegten nach Italien 
Über dieſes Bergesjoch zu reiten — 

Hielt ich unter ſteilen Sonnenſtrahlen 
Mittagsraſt. Mir gegenüber wand ſich 

Um den Felſen noch ein Stück des alten 
Saumwegs, ſchwebend über jähem Abgrund. 
Mittag iſt des Berges Geiſterſtunde. 

In die Sonne blinzelt ich. Ein Hornruf! 
Banner flattern. Schwert und Bügel klirren. 
Fraun und Ritter gleiten aus den Sätteln. 
Sorglich leiten Säumer ſcheue Roſſe. 

Die geſtrenge Kaiſ'rin ſeh ich ſchreiten, 

Ein verſteinert Weib mit harten Zügen. 
Hinter ihr die Fräulein. Einer Zarten 
Schwindelt plötzlich. Ihre Kniee wanken. 
Sich entfärbend lehnt fie an die Bergwand ... 
Raſch ein Held — er trägt das Kaiſerkrönlein 
Um die Kappe — fängt in ſeinen mächt'gen 
Armen auf das wanke Kind und trägt es 
An die Bruſt gedrückt. Das Mädchen ſchwebte 
Sicher überm Abgrund, und er raubt' ihr 


Einen flücht'gen Kuß. Da ſchwand das Blendwerk. 


Weiter pilgernd rätſelt ich ein Weilchen: 
War es einer der Ottonen oder 

Wars ein Heinrich oder wars ein Friedrich, 
Der die wehrlos Schwebende geküßt hat? 


Reiſephantaſie 


Mittagsruhe haltend auf den Matten 

In der morſchen Burg gezacktem Schatten, 

Vor dem Türmchen eppichüberſponnen, 

Hab ich einen Sommerwunſch geſonnen, 
Während ich ein Eidechsſchwänzchen blitzen 

Sah und, huſch, verſchwinden durch die Ritzen .. 


Wenn es lauſchte ... wenn es meiner harrte ... 
Wenn — das Pförtchen in der Mauer knarrte ... 
Dem Geräuſche folgend einer Schleppe, 

Fänd ich eine ſchmale Wendeltreppe 

Und, von leiſer Hand emporgeleitet, 

Droben einen Becher Mein bereitet... 

Dann im Erker ſäßen wir alleine, 

Plauderten von nichts im Dämmerſcheine, 

Bis ein Pendel ſtünde, der da tickte, 

Und ein blondes Haupt entſchlummernd nickte, 
Unter ſeines Lides dünner Hülle 

Regte ſich des blauen Quelles Fülle... 

Und das unbekannte Antlitz trüge 

Ahnlichkeiten und Geſchwiſterzüge 

Alles Schönen, was mir je entgegen 

Trat auf allen meinen Erdewegen ... 

Was ich Tiefſtes, Zarteſtes empfunden, 

Wär an dieſes blonde Haupt gebunden 

Und in eine Schlummernde vereinigt, 

Was mich je beſeligt und gepeinigt ... 
Dringend hätt es mich emporgerufen 

Dieſer Wendeltreppe Trümmerſtufen, 

Daß ich einem ganzen vollen Glücke 

Stillen Kuß auf ſtumme Lippen drücke ... 
Einmal nur in einem Menſchenleben — 

Aber nimmer wird es ſich begeben! 


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Der Rheinborn 


Ich bin den Rhein hinauf gezogen 
Durch manches ſchatt'ge Felſentor, 
Entlang die blauen, friſchen Wogen 
Zu ſeinem hohen Quell empor. 


Ich glaubte, daß der Rhein entſpringe, 
So liedervoll, ſo weinumlaubt, 
Aus eines Sees lichtem Ringe, 
Doch fand ich nicht, was ich geglaubt. 


Indem ich durch die Matten irrte 
Nach ſolchen Bornes Freudeſchein, 
Wies ſchweigend der befragte Hirte 
Empor mich zum Granitgeſtein. 


Ich klomm und klomm auf ſchroffen Stiegen, 
Verwognen Pfaden, öd und wild, 

Und ſah den Born im Dunkel liegen 

Wie einen erzgegoßnen Schild. 


Fernab von Herdgeläut und Matten 
Lag er in eine Schlucht verſenkt, 
Bedeckt von ſchweren Rieſenſchatten, 
Aus Eis und ew'gem Schnee getränkt. 


Ein Sturz! Ein Schlag! Und aus den Tiefen 
Und aus den Wänden brach es los: 
Heerwagen rollten! Stimmen riefen 

Befehle durch ein Schlachtgetos! 


Die Felswand 


Feindſelig, wildzerriſſen ſteigt die Felswand. 
Das Auge ſchrickt zurück. Dann irrt es unſtät 
Daran herum. Bang ſucht es, wo es hafte. 


Dort! über einem Abgrund ſchwebt ein Brücklein 
Wie Spinnweb. Höher um die ſcharfe Kante 
Sind Stapfen eingehaun, ein Wegesbruchſtück! 
Faſt oben ragt ein Tor mit blauer Füllung: 
Dort klimmt ein Wanderer zu Licht und Höhe! 
Das Aug verbindet Stiege, Stapfen, Stufen. 

Es ſucht. Es hat den ganzen Pfad gefunden, 
Und gaſtlich, ſiehe, wird die ſteile Felswand. 


Hohe Station 


Hoch an der Windung des Paſſes bewohn ich ein niedriges 
Berghaus — 

Heut iſt vorüber die Poſt, heut bin ich oben allein. 

Lehnend am Fenſter belauſch ich die Stille des dämmernden 
Abends. 

Rings kein Laut! Nur der Specht hämmert im harzigen Tann! 

Leicht aus dem Wald in den Wald hüpft über die Matte das 
Eichhorn, 

Spielend auf offenem Plan; denn es iſt Herr im Bezirk. 

Jammer! Was hör ich? Ein ſchrilles Geſurre: „Gemordet iſt 
Garfield!“ 

„Bismarck zürnt im Gezelt!“ „Väterlich ſegnet der Papſt!“ 

Schwirrt in der Luft ein Gerücht? Was gewahr ich? Ein 
ſchwärzliches Glöcklein! 

Unter dem Fenſtergeſims bebt der elektriſche Draht, 

Der, wie die Schläge des Pulſes beſeelend den Körper der 
Menſchheit, 

Durch das entlegenſte Tal trägt die Gebärde der Zeit. 


Viſion 


Als ich jüngſt vom Pfad verirrt war, 
Wo kein Jäger und kein Hirt war, 
Führt ein Licht aus dunkelm Tann 
Mich an eines Hüttleins Schwelle, 


71 


72 


Drin bei matter Ampelhelle 
Eine greiſe Parze ſpann. 


Draußen ſchlug der Wind die Schwingen, 


Und die Bergesſtröme ſingen 

Hört ich ihren dunkeln Sang ... 
Und ich ſah den Faden ſchweben, 
Und der Faden ſchien ein Leben — 
Meines? dacht ich zauberbang. 


Wage, Menſch, die höchſten Flüge, 
Deiner Parze ſtarre Züge 

Sehen längſt das nahe Ziel! 
Tummle dich, ein kühner Ringer: 
Ihre hagern, harten Finger 

Enden bald das edle Spiel... 


Eine Träne ſeh ich zittern, 
Einen Kranz mit Silberflittern 
Seh ich hangen an der Wand: 
In der Alpenhütte Kammer 
Spinnt an einem alten Jammer 
Einer Greiſin welke Hand. 


Der Hengert 


Vater Lucas ſprach beim Frühſtück: 
„Heute, Herr, iſt hier ein Hengert!“ 
Und ich fragte: „Was iſt Hengert?“ 
Mich belehrte Vater Lucas: 
„Hengert, Herr, bedeutet Reigen, 
Ball und Sprung und Fußgezappel 
In der Sprache der Griſonen, 

Und Ihr möchtet böſe ſchlummern, 
Sucht Ihr heut nicht ſtillre Ruhſtatt!“ 


„Vater Lucas, keine Sorge! 
Hab ich erſt mich müd gewandert, 
Schlief ich auch in einem Meerſturm!“ 


Freudig nahm ich meinen Bergſtock, 
Stieg hinan die ſaft'gen Weiden, 
Wo ſich tummeln braune Fohlen, 
Durch bewegliches Gerölle 

Klomm ich auf zum ſel'gen Gipfel, 
Den mit leichtem Kuß berühren 
Heimatloſe Wanderwolken. 


Müde kehrt ich heim ins Berghaus 

Um die Zeit der erſten Lichter. 

Vor der Pforte ſtand ein Häuflein, 

In der Mitte Muſikanten, 

Rechts die Burſche, links die Mädchen, 
Doch kein Scherzwort flog herüber, 

Und hinüber flog kein Trutzwort. 

Läſſig mit gekreuzten Armen 

Standen ſie geſchieden, feindlich 

Sich mit dunkeln Blicken meſſend. 


Und ich ſtieg in meine Kammer, 
Legte mich getroſt zur Ruhe. 

Bald erklang Muſik piano, 
Allgemach begann der Hengert, 
Sachte ſchritt er, ſchläfrig ſchleift er, 
Wie Geſchlurfe von Pantoffeln. 
Heimlich ſpottet ich der trägen 
Füße, der bequemen Herzen 

Im Gebirge der Griſonen 

Und verſank in ſüßen Schlummer ... 


Horch! Ein Ton, ein feurig greller, 
Schlägt empor wie eine Flamme! 


Jach erhitzen ſich die Bleche 

Und die Geige ſtreicht ein Dämon! 
Mir zur Rechten, mir zur Linken, 
Mir zu Häupten, mir zu Füßen, 
Ungezügelt, ungebändigt, 
Erderſchütternd ſtampft der Reigen, 
Immer lauter, wilder, toller 

Tobt und raſt und dröhnt und tritt er, 
Daß erbeben alle Balken. 

Toſend ſauſten durch die Lüfte 
Berghaus, Hengert, Folterkammer, 
Wie voreinſt die hochgelobte 

Caſa ſanta durch die Lüfte 

Fuhr von Iſtrien nach Loretto, 

Doch von Engeln ſie getragen, 

Ich von hölliſchen Gewalten 

An den Sabbat auf dem Blocksberg .. 


Alſo ging es bis zum Morgen, 
Da die heil'ge Frühe löſchte 
Stern an Stern am ew'gen Leuchter 
Über ſchwarzen Tannenbergen. 
Lechzend öffnet ich das Fenſter, 
Einzuſchlürfen Morgenlüfte, 
Abzukühlen die zertanzte, 
Fieberſchwüle Stirn im Winde ... 
Wagen rollten in die Ferne, 
Trugen fort die letzten Gäſte. 
Unterm Vordach ein Geflüſter 
Ein aus tiefſter Bruſt geſeufztes, 
Ein aus tiefſter Bruſt erwidert 
Leidenſchaftliches Addio ... 


Die zwei Reigen 


Ein Cherub ſchritt das Tal empor 
Und ſchlug das Volk mit Schwert und Peſt, 


Hinſank der halbe Jugendflor — 
Die Schwalbe kehrt und baut das Neſt. 


Brautführer will der Frühling ſein, 
Und wer das Lieb verloren hat, 

Dem gibt mit einem blühnden Mai'n 
Er eines an des toten ſtatt. 


Er führt auf ſchwellend grünen Plan 
Den Reſt der Jugend, neu gepaart, 
Und hebt ein mächtig Fiedeln an 
Von Liebesglück und Minnefahrt. 


Die Paare fliegen raſch daher, 

Ein Lenzgeſind, gejagt vom Wind, 
Dabei wird manches Herze ſchwer, 
Das an die alte Liebe ſinnt ... 


Doch Leben hat das Leben gern, 

Und leicht gewöhnt ſich Bruſt an Bruſt, 
Die Toten liegen tief und fern 

Und wiſſen nichts von unſrer Luft... 


Die Sonne ſchwand. Hell ſcheint ins Land 
Der Mond und ſtreut den Silberglanz, 

Der Reigen dreht ſich Hand in Hand 

Und Mund an Mund und Kranz an Kranz... 


Da ſteigt es aus der Wieſe leis 

Und beut ſich auch die Hände ſacht: 
Genüber ſchwebt ein ſtiller Kreis 
Im blauen Duft der Lenzesnacht. 


Es haucht ein ſanfter Flötenlaut, 
Und toter Jüngling, tote Maid 
Umſchlingen ſich im Reigen traut 
Und ohne Neid und ohne Leid. 


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Bacchus in Bünden 


Wo ſtürzend aus rätiſchen Klüften der Rhein 

Um ſilberne Hüften ſich gürtet den Wein, 

Ziehn paukende Masken mit Zimbelgeläut: 

„Du Traube von Trimmis, dich wimmeln wir heut!“ 


Sie treten den Reigen, ſie ſtampfen den Chor, 
Da dunkelts und lodern die Fackeln empor: 

Ein Kranz in den Lüften! Ein wirbelndes Paar! 
Ein brennender Nacken! Ein purpurnes Haar! 


Die Fackeln verlöſchen. Es hebt ſich der Glanz 
Des ſchimmernden Monds und vergeiſtert den Tanz — 
Ein adliger Jüngling von fremder Geſtalt 

Bemeiſtert den Reigen mit Herrſchergewalt. 


Er ſchwebt in der Mitte, bekränzt und allein, 
Mit leuchtenden Füßen in himmliſchem Schein, 
Die Schulter umflattert getigertes Fell, 

Er trägt einen Zepter, der kühne Geſell. 


Er neigt ihn vor Irma, der träumenden Maid: 
„In nachtdunkle Haare taugt blitzend Geſchmeid!“ 
Er greift in den Himmel mit mächtiger Hand, 
Er raubt aus den Sternen ein flimmerndes Band: 


Schön Irma ſchwebt hin mit dem Krönlein von Licht, 
Als feſſelte fürder die Erde ſie nicht, 

Er ſchwingt ihr zu Häupten den Thyrſus, umrankt 
Mit üppigem Laube, von Trauben umſchwankt ... 


Zwölf Schläge verkünden die Mitte der Nacht. 
Der Reigen ermüdet. Das Feſt iſt vollbracht! 
„Herunter die Masken! So will es der Brauch! 
Du Führer des Reigens, entlarve dich auch! 


Wir find unſer zwanzig, und voll iſt die Zahl! 

Wer biſt du, der frech in die Gilde ſich ſtahl? 

Ein Gaukler? Ein Zaubrer? Sprich, wie du dich nennſt! 
Sonſt fürcht unſre Meſſer, biſt du kein Geſpenſt!“ 


Ein Mönchlein, ein zechend entſchlafnes, wird reg: 
„Wer biſt du? Der Satan? Dir weis ich den Weg!“ 
Er zeichnet ein Kreuz. „Nun entmumme dich nur! 
Ich bin der gelehrte Pankrazi von Cur!“ 


Der Jüngling entlarvt ein von Eppich umlaubt, 
Ein hohes, ein mildes, ein gnädiges Haupt: 
„Zu Füßen dem Herrſcher, vermeſſen Geſind! 
Ich bin Dionyſos, des Donnerers Kind!“ 


Er lächelt dem Mönch in das feiſte Geſicht: 
„Silenos, Silenos, verleugne mich nicht! 
Mich hat ſeine Gnaden, der Biſchof, gebannt 
Und iſt doch mein treuſter Bekenner im Land. 


Weinfröhliche Räter, etruriſch Geſchlecht, 

Ihr habt ſchon am Reno ) gehörig gezecht, 
Doch hüben am Rhein in germaniſcher Mark 
Bezecht ihr euch doppelt und dreimal ſo ſtark!“ 


Fiebernacht 


„Berggeiſt, ich höre deine Ströme rauſchen — 
Gib mir Gehör! Wir wollen Rede tauſchen! 
Du von der Firn und aus der Gletſcher Kühle, 
Ich aus der engen Krankenkammer Schwüle! 
Du weißt es, Geiſt, ich liege hier gefangen 
Und laſſe den geknickten Flügel hangen, 

Ich ächz und ſtöhne, den gelähmten, wunden, 


1) ein italieniſcher Fluß 


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Gebrochnen Arm dicht an den Leib gebunden. 
Zwei kurzer Wandertage ſüßes Träumen — 
Und dich verdroß ein Gaſt in deinen Räumen. 
Von deinem Tiſche ſtießeſt du den Zecher, 
Entriſſeſt ihm den eisgewürzten Becher 

Und rollteſt ihn hohnlachend durch die Klüfte 
Hinunter in des Fieberlagers Grüfte. 

Verräter, ſchmählich haſt du mich betrogen! 
Haſt du mich leiſe rufend nicht gezogen? 
Warſt du mir lange Jahre nicht gewogen? 
Und wann in deinem Reich ich mich verirrte, 
Schritt nicht, wie Zufall, mir voran ein Hirte 
Und ließ mich — ungerufen, ungebeten — 
Bergab in ſeine ſichern Stapfen treten? 

Du biſt mir gram geworden? Laß dich fragen! 
Muß ich der führerloſen Fahrt entſagen? 

Des hohen Irreganges mich entwöhnen?“ 

Mir gab Beſcheid der Geiſt mit tiefen Tönen 
Im Flutenſturz und in der Laue Dröhnen, 

Es klang wie Drohn und wieder klangs wie Höhnen: 
„Ein junger Wandrer kam zu mir gefahren 

Mit haſt'gen Schritten und mit wehnden Haaren. 
Ein bleiches Bild, ſo iſt er ohne Bangen 

Auf meinen ſchmalen Gräten umgegangen, 

Und über Klüften, ſchwindelnd abgrundtiefen, 
Aus welchen jubelnd ihn die Wogen riefen, 
Iſt er gewandelt auf geſtürzten Föhren 

Und ſchien in meine Wildnis zu gehören, 

Ein dumpfer Ton in meinen dumpfen Chören — 
Du warſts !.. . Und gingſt an eines Abgrunds Saume, 
Unkundig der Gefahr, in wachem Traume. 

Doch mir gefiel der Kühne und der Blinde, 

Und Sorge trug ich dir als einem Kinde — 

Jetzt, lieber Herr, biſt leidlich du vernünftig, 
Haſt Weib und Hof, biſt in der Gilde zünftig, 
Verlaß dich nicht auf meine Flügel künftig!“ 


Noch einmal 


Noch einmal ein flüchtiger Wandergeſell — 
Wie jagen die ſchäumenden Bäche ſo hell, 
Wie leuchtet der Schnee an den Wänden ſo grell! 


Hier oben miſchet der himmliſche Schenk 
Aus Norden und Süden der Lüfte Getränk, 
Ich ſchlürf es und werde der Jugend gedenk. 


O Atem der Berge, beglückender Hauch! 
Ihr blutigen Roſen am hangenden Strauch, 
Ihr Hütten mit bläulich gekräuſeltem Rauch — 


Den eben noch ſchleiernder Nebel verwebt, 
Der Himmel, er öffnet ſich innig und lebt, 
Wie ruhig der Aar in dem ſtrahlenden ſchwebt! 


Und mein Herz, das er trägt in befiederter Bruſt, 
Es wird ſich der göttlichen Nähe bewußt, 
Es freut ſich des Himmels und zittert vor Luft — 


Ich ſehe dich, Jäger, ich ſeh dich genau, 
Den Felſen umſchleicheſt du grau auf dem Grau, 
Jetzt richteſt empor du das Rohr in das Blau — 


Zu Tale zu ſteigen, das wäre mir Schmerz — 
Entſende, du Schütze, entſende das Erz! 
Jetzt bin ich ein Seliger! Triff mich ins Herz! 


Burg „Fragmirnichtnach“ 


Wo weiß die Landquart durch die Tannen ſchäumt, 
Irrt unbekümmert ich um Weg und Zeit, 

Da ſtand ein grauer Turm, wie hingeträumt 

In ungebrochne Waldeseinſamkeit. 

Ich ſah mich um und frug: „Wie heißt das Schloß . 
Ein bucklig Mütterlein, das Kräuter brach; 


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Da murrte ſie, die jedes Wort verdroß: 
„Fragmirnichtnach.“ 


Ich ſchritt hinan; im Hof ein Brünnlein ſcholl, 
Durch den verwachſnen Torweg drang ich ein, 
Ein dünnes kühles Rieſeln überquoll 
Auf einer Gruft den ſchwarzbemooſten Stein. 
Ich beugte mich nach des Verſchollnen Spur, 
Entziffernd, was des Steines Inſchrift ſprach, 
Nicht Zahl, nicht Namen — ein Begehren nur: 
Frag mir nicht nach! 


Geſpenſter 


Am Horizonte glomm des Abends Feuer; 
Ich ſtieg, indes die Purpurglut verblich, 

Zum Römerturm empor und lehnte mich 
Randüber auf das dunkelnde Gemäuer — 


Und ſah, wie ſich am Hange ſcheu und ſcheuer 
Die Beerenleſerin vorüberſchlich. 

Das arme Weibchen drückt und duckte ſich 

Und ſchlug ein Kreuz: ihr war es nicht geheuer. 


Mich flog ein Lächeln an. Im Eppich neben 
Der Brüſtung flüſterts: „Freund, in deinem Leben 
Iſt auch ein Ort, wo die Geſpenſter ſchweben! 


Führt dich Erinnrung dem zerſtörten Ort 
Vorbei, du huſcheſt noch geſchwinder fort 
Als das von Graun gepackte Weibchen dort.“ 


Alte Schrift 


Jüngſt verlockt es mich im Abendglimmen, 
Zum Lombardenturm emporzuklimmen, 


Dem verſchollnen Herrſcher hier im Gaue, 
Der die Ferne noch beherrſcht, die blaue. 


In den Mauern bin ich lang geblieben: 
Alte Namen ſtanden rings geſchrieben 
Hoch im Raume, wo die Luken ſchimmern, 
Doch die Wendeltreppe lag in Trümmern. 


Die den Blick ins Weite dort gerichtet, 
Ihre Wanderſtäbe ſind vernichtet, 

Ihre leichten Mäntel ſind verſtoben, 
Ihre Sprüche blieben aufgehoben. 


Einer dichtet Anno fünfzehnhundert: 
„Gott hab ich in der Natur bewundert!“ 
„Gaudeamus!“ gräbt ein flotter Zecher 
Um den keck entworfnen Rieſenbecher. 


Dort ein Herz von einem Pfeil durchſchnitten: 
„Hedewig“ ſteht auf des Bolzes Mitten; 
Dicht daneben ſchrieb ein Fahrtgenoſſe 

Gut lateiniſch eine derbe Poſſe — 


Dann in des Kaſtelles tiefem Schatten 
Warfen ſich die Schüler auf die Matten, 
Leerten einen Humpen und von dannen 
Pilgerten ſie ſingend durch die Tannen. 


Das Gemälde 


Trüb brennt der Schenke Kerzenlicht, 
Der Wirtin junges Angeſicht, 
Ermüdet, ſchlummertrunken, 

Nickt auf die Bruſt geſunken, 

Denn ſchon iſt Mitternacht vorbei. 
Am Schiefertiſche ſpielen zwei, 


6 Meyer. II. 


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Die weißen Würfel ſchallen, 

Schlecht iſt der Wurf gefallen — 

Ein junges wildes Augenpaar 

Droht aus verworrnem Lockenhaar: 
„Das war mein letztes Silberſtück! 

Doch wenden muß ſich jetzt das Glück! 
Du, Alter, mußt mir borgen! 

Wir ſpielen bis zum Morgen!“ 

Mit grünen Katzenaugen blitzt 

Der Andre, der im Dunkel ſitzt: 

„Laß dich zu Bette legen, 

Die Mutter ſpricht den Segen!“ 

Des Jungen Fauſt zerdrückt das Glas 
Mit einem Fluch — „Kind, weißt du was? 
‚Ein Schlößlein ſteht auf grünem Plan’, 
So fängt ein altes Märchen an. 

Ich meine das im Walde, 

Hier oben an der Halde. 

Verſchloſſen ſind die Fenſter, 

Drin hauſen nur Geſpenſter 

Für den, der an Geſpenſter glaubt — 
Sobald das Jahr den Wald entlaubt, 
Macht ſich der Herr von hinnen 

Von dieſen luft'gen Zinnen — 

Schwelgt in der Stadt im Marmorſaal 
Und ſpielt bei luſt'gem Kerzenſtrahl. 
Kling, kling! Ich hör es klingen, 

Wie goldne Füchſe ſpringen ... 

Dein Vater — ward mir recht geſagt? — 
War Pächter und iſt ausgejagt... 

Da weißt du droben ein und aus, 

Du kennſt den Hund, du kennſt das Haus — 
Ich borgte mir mein Spielgeld friſch 
Von dieſes reichen Mannes Tiſch! 

Nimm, was da liegt, nimm, was da ſteht, 
Ein Prunkgeſchirr, ein Goldgerät, 


6* 


Mir darfit dus gleich verhandeln, 

Ich kanns in Münze wandeln. 

Von ſelber öffnet ſich der Schrein, 

Du müßteſt nicht ein Schloſſer fein...“ 
Der Burſche lauſcht mit dumpfem Hirn 
Dem hölliſchen Gemunkel, 

Ein Schatten ſteht auf ſeiner Stirn, 

Ein Schatten tief und dunkel: 

Und wieder leis und lüſtern 

Beginnt das grimme Flüſtern: 

„Kurt, ſieh den Lauf der Welt dir an! 
Was wohl gelingt, iſt wohl getan! 
Betrachte dir die Taten 

Der großen Diplomaten, 

Die klugen Herrn verſtehn den Pfiff, 
Ein leiſer Schritt, ein ſichrer Griff! 
Dann ſpielt man hübſch Verſtecken 

Und läßt ſich nicht entdecken — 

Du blickſt ſo wild, als wollt'ſt du mich 
Erſtechen, Kurt, beſinne dich! 

Wo ſuchſt du deine Schlüſſel, Kurt? 


Du trägſt den ganzen Bund am Gurt!“ ... 


Er ſtürzt hinaus, empört, betört, 

Die Wirtin, die ihn ſchreiten hört, 
Lallt halb im Traum, ſie weiß nicht wie: 
„Wie gehts der Mutter? Grüße ſie!“ 
Er taumelt in die Nacht hinaus, 

Um ſeine Stirn fliegt ein Gebraus 
Betrunkener Gedanken 

Und ſeine Schritte wanken. 

Er ſtürmt empor die Strecke 

Zum Schloß auf Schnees Decke, 

Das Gitter überſteigt er leis, 

Und kniſternd bricht das Tannenreis, 
Er ſchleicht und nach der Leiter langt 
Er, die am Dach der Scheune hangt, 


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84 


Er ſteht am Herrenhauſe ſchon, 

Er klettert über den Balkon, 

Sein Herz, er hört es pochen ... 

Und hat die Tür erbrochen. 

Raſch iſt ein Wachslicht angebrannt, 
Laut kracht es in der Täfelwand 
Ihm ſteigt das Haar, hin ſtarrt er wild 
Und ſieht ein farbenlieblich Bild, 
Von lichtem Reif umgeben, 

Sich aus dem Düſter heben: 

Den Schlummer eines Knaben ſieht 
Er, neben dem die Mutter kniet, 

Die blauen Augen ſtrahlen licht 

Von einer guten Zuverſicht. 

Nicht kann den Blick er wenden 

Von dieſen flehnden Händen... 

Da muß mit Tränenbächen 

Die harte Rinde brechen — 

Dumpf klirrend fällt der Schlüſſelbund. 
Die Mutter dankt mit frohem Mund. 
Er flüchtet über den Balkon, 

Die Leiter trägt er ſchnell davon, 

Als wandelt er auf Gluten — 

Und wendet ſich zum Guten. 


Die Rehe 


Fern von dem fürſtlichen keuſchen Gemahl 
Jubelt ein blühender Jüngling im Saal: 
„Hebet die Becher und ruft, daß es ſchallt: 
Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“ 
All die Genoſſen der waidlichen Luſt 
Bringen das Hoch aus erglühender Bruſt: 
„Lebe die Jugend und Bacchus' Gewalt! 
Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“ 


Schmetternde Hörner! Dann flüftern fie ſacht, 
Scherzen und locken die Elfen der Nacht 
Aus ihren Waldesverſtecken hervor — 
Angſtliche Schläge beſtürmen das Tor. 

„Setz dich ans Feuer, du herziges Kind!“ 
Lärmt im erleuchteten Hof das Geſind. 
„Fürſtlich bewirten mit Kuchen dich wir! 
Drinnen was ſuchſt du? Beſcheide dich hier!“ 


Raſch in den Saal, in den fürſtlichen, tritt 
Eine Geſcheuchte mit haſtigem Schritt, 

Über den Buſen, vom Laufe bewegt, 
Kreuzweis die flehenden Arme gelegt — 
Blätter am Röcklein, herbſtrötlich und falb! 
Krausdunkle Haare, noch flattern ſie halb, 
Süßbraune Augen und ſchmerzlich dabei, 
Blutende Füße — nicht die einer Fei! 


„Sage, wer biſt du, krauslockiges Haupt, 
Schimmernd von purpurnen Blättern umlaubt?“ 
— „Rehe, die Rehe, ſo heiß ich im Land 

Von meinem braunen Gelock und Gewand —“ 
„Mein iſt die Rehe! Des Herrn iſt die Jagd!“ 
Jubelt der Jüngling, es ſträubt ſich die Magd... 
„Halali!“ hetzt es und tobt es und hallt. 
Ringend entwindet ſie ſich der Gewalt. 


Lodernde Augen, wie Blitze der Nacht — 
Doch ſie beſinnt ſich. Dann redet ſie ſacht: 
„Rehe, die Rehe, ſo heiß ich im Land, 
Wilpert der Schütz iſt der Vater genannt — 
Auf eine Jagd, die dem Herrn nur gebührt, 
Hat ihn ein äſendes Rudel verführt. 

Siehe, da kniet er, da zielt er und knallt — 
Heut hat der Vater gefrevelt im Wald! 

Doch deine Förſter ergriffen ihn, weh, 


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Ihn und das ſündlich erbeutete Reh. 

Ich, von der Angſt und dem Jammer gejagt, 
Lief in den Wald, eine hilfloſe Magd. 

Da ſchier das Herz mir im Buſen zerſprang, 
Sah ich die Kerzen und hörte den Klang — 
Glaubte die gütige Herzogin hier, 

Und nun erzittr ich und ſteh ich vor dir. 

Gib mir den Vater und gib mir ihn bald, 
Daß ich getröſtet verlaſſe den Wald! 
Gnade!“ 


Der Herzog geſteht ſich verwirrt, 
Daß man ſich leichtlich im Walde verirrt, 
Und er bekennt, vom Gewiſſen gerührt, 
Daß eine Rehe vom Wege verführt. 
Murmelnd verlangt er ein Blatt, einen Stift, 
Schreibt eine Zeile mit ſchwankender Schrift: 
„Wilpert dem Schützen gewähr ich Pardon!“ 
Und ſie bedankt ſich und fort iſt ſie ſchon. 
Er tritt ans Fenſter und öffnet es ſacht: 
Leuchtende Sterne der ruhigen Nacht... 
Dort eine flüchtige dunkle Geſtalt! 
Und eine Rehe verſchwindet im Wald. 


Die Zwingburg 


Gebrochen iſt der alte Twing, 
Ringsum ergrünt ſein Mauerring, 
Der Eppich ſchwankt im Fenſter, 
Verſunken in der Erde Schoß 
Tief unter das beſonnte Moos 
Sind Ritter und Geſpenſter. 


Wo durch das tiefgewölbte Tor 
Die zorn'ge Fehde ſchritt hervor 
Und ließ die Hörner ſchmettern, 


Da hat ſich, duftig eingeengt, 
Ein Zicklein ans Geſträuch gehängt 
Und naſcht von jungen Blättern. 


Wo wildverträumt Frau Minne ſtund, 
Zerrann auf blauem Himmelsgrund 
Der kecke Bau des Erkers; 

Wo im Verlies der Haß gegrollt, 
Iſt in das weiche Gras gerollt 

Ein Quaderſtein des Kerkers. 


Und wo den Teich vom Hügelhang 
Herab die trotz'ge Feſte zwang, 
Ein finſter Bild zu ſpiegeln, 

Da rudert, von der Flut benetzt, 
Der Burg zerſtörtes Wappen jetzt: 
Ein Schwan mit Silberflügeln. 


* 


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„Tag, ſchein hereinl und Leben, fliehhinaus!“ 


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R NN 


Tag, ſchein herein! Die Kammer ſteht dir offen! 
Holdſel'ger Lenzesmorgen, ſchein herein! 
Schon glitzert, von der Sonne Strahl getroffen, 
Das Tintenfaß, der eichne Bücherſchrein. 
Vogt Winter muß dem Lenze Rechnung geben, 
Dem ſchönen Erben, über Hof und Haus — 
Auch mir zugut geſchrieben iſt ein Leben — 
Tag, ſchein herein! und Leben, flieh hinaus! 


Ich war von einem ſchweren Bann gebunden. 
Ich lebte nicht. Ich lag im Traum erſtarrt. 
Von vielen tauſend unverbrauchten Stunden 
Schwillt ungeſtüm mir nun die Gegenwart. 
Aus dunkelm Grunde grüne Saat zu wecken, 
Bedarf es Sonnenſtrahles nur und Taus, 
Ich fühle, wie ſich tauſend Keime ſtrecken. 
Tag, ſchein herein! und Leben, flieh hinaus! 


Ein Segel zieht auf wunderkühlen Pfaden, 
In Flutendunkel ſpiegelt ſich der Tag. 

Was hat die Barke dort für mich geladen? 
Vielleicht iſts etwas, das mich freuen mag! 
Entgegen ihr! Was wird die Barke bringen 
Durch blauer Wellen freudiges Gebraus? 
Entgegen ihr! Mit weitgeſtreckten Schwingen! 
Tag, ſchein herein! und Leben, flieh hinaus! 


Na ROTE 


Als der Bernina Felſentor 
Durchdonnerte der Wagen 

Und wir im Süden ſahn empor 

Die Muſchelberge ragen, 

Blies ſchmetternd auf dem Rößlein vorn 
Der in der Lederhoſe — 

„Wen grüßeſt du mit deinem Horn 2 
„Die Roſe, Herr, die Roſe!“ 


Mit flachem Dach ein Säulenhaus, 
Das erſte welſche Bildnis, 
Schaut Röſe weinumwunden aus 
Erſtarrter Felſenwildnis — 

Es iſt, als ob das Waſſer da 

In weichern Lauten toſe, 

Hinunter nach Italia 

Blickt der Balkon der Roſe. 


Nun, Herz, beginnt die Wonnezeit 
Auf Wegen und auf Stegen! 

Mir ſtrömt ein Hauch von Üppigfeit 
Und ew'gem Lenz entgegen — 

Es ſuchen ſich um meine Stirn 
Zwei Falter mit Gekoſe — 

Den Wein bringt eine junge Dirn 
Mit einer jungen Roſe. 


Noch einmal darf in ſüdlich Land 
Ich Nordgeborner wallen, 
Vertauſchen meine Felſenwand 
Mit weißen Marmorhallen 
Gegrüßt, Italia, Licht und Luſt! 
Ich preiſe meine Loſe! 


1) Erſte Station auf der Suͤdſeite des Berninapaſſes 


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Du biſt an unſrer Erde Bruſt 
Die Roſe, ja die Roſe! 


Die Schlacht der Bäume 


Hier am Sarazenenturme, 

Der die Straße hielt geſchloſſen, 
Iſt in manchem wilden Sturme 
Deutſch und welſches Blut gefloſſen. 


Nun ſich in des Tales Räumen 
Länger nicht die Völker morden, 
Ringen noch mit ihren Bäumen 
Hier der Süden und der Norden. 


Arvbaum iſt der deutſchen Bande 
Bannerherr, der düſterkühne, 
Üppig Volk der Sonnenlande, 
Rebe führts, die ſonniggrüne. 


Ohne Schild- und Schwertgeklirre, 
Ohne der Drommete Schmettern 
Kämpfen in der Felſenirre 

Hier die Nadeln mit den Blättern. 


Der Triumphbogen 


Ein leuchtend blauer Tag. Ein wogend Ahrenfeld, 
Daraus ein wetterſchwarzer Mauerbogen ſteigt. 

In ſeinem kurzen Schatten ſchläft das Schnittervolk. 
Allein emporgerichtet ſitzt die ſchönſte Maid, 

Des Landes Kind, doch welchen Lands? Italiens! 

Ein ſtrenggeſchnittnes, muſenhaftes Angeſicht, 

Am halbzerſtörten Sims des Bogens hangt der Blick, 
Als müht er zu enträtſeln dort die Inſchrift ſich. 
(Wenn nicht des Auges Dunkel von dem Liebſten träumt!) 


Sie hebt die erſte fich, erweckt die Schnitterſchar, 
Ergreift die blanke Sichel, die im Schatten lag, 

Und ſchreitet herrlich durch das Goldgewog des Korns, 
Umblaut vom Himmel, als ein göttliches Gebild. 

's iſt Klio, die das Altertum enträtſelnde, 

Vergilbten Pergaments und der Archive müd 

Gelockt vom Rauſchen einer überreifen Saat, 

Wird ſie zur ſtarken Schnitterin. Die Sichel klingt. 


Venedigs erſter Tag 


Eine glückgefüllte Gondel gleitet auf dem Canal grande, 

An Giorgione lehnt die Blonde mit dem roten Samtgewande. 
„Giorgio, deiner Laute Saiten hör ich leiſe, leiſe klingen —“ 
„Julia Vendramin, Erlauchte, was befiehlſt du mir zu ſingen?“ 


„Nichts von ſchönen Augen, Giorgio! Solches Thema ſollſt 
| du laſſen! 

Singe, wie dem Meer entſtiegen dieſe wunderbaren Gaſſen! 

Feßle kränzend keine Locken, die ſich ringeln los und ledig! 

Giorgio, ſinge mir von meinem unvergleichlichen Venedig!“ 


„Meine ſüße Muſe will es! Es geſchieht!“ Er präludierte. 

„Weiland, eh des heil'gen Markus Flagge dieſes Meer regierte, 
Drüben dort, wo duftverſchleiert Iſtriens ſchöne Berge blauen, 
Sank vor ungezählten Jahren eine Dämmrung voller Grauen. 


Durch das Dunkel huſchen Larven, angſtgeſchreckte Hunde 
winſeln, 

Schreie gellen, Stimmen warnen: ‚Löft die Böte! Nach den 
Inſeln!“ 

In den Lüften haucht ein Odem, wie es in den Gräbern modert — 

Schaurig tagen Meer und Himmel! Aquileja brennt und 
lodert! 


91 


Von der Stätte, wo die ſtillen, ungezähmten Flammen wogen, 

Kommt ein dumpfes Menſchenbrauſen nach dem freien Strand 
gezogen: 

Attila, die Gottesgeißel, jagt auf blutbeſprengten Pfaden 

Krieger mit zerbrochnen Schwertern, Fraun mit Schätzen 
ſchwer beladen. 


Wie zum Hades Schatten wandern, ziehn zum Meere die Ge— 
ſcheuchten, 

Das die purpurrot gefärbten Wolken weit hinaus beleuchten, 

Witwen, Waiſen ſchreiten jammernd, ſchweigend ſtürzen wunde 
Männer, 

Mitten im Gewühle bäumen Wagen ſich und ſcheue Renner. 


Kniee wanken, Füße gleiten, Käſtchen brechen, draus die hellen 
Goldnen Reife rollend ſpringen und die weißen Perlen quellen. 
Nackte Küſtenkinder ſtarren gierig auf das rings zerſtreute 

Gold, und doch betaftets keines — Etzels iſt die ganze Beute! 


Schiffer rüſten dunkle Nachen, drüber Wogen ſchäumend 
ſchlagen, 

Durch die weiße Brandung werden bleiche Fraun an Bord ge— 
tragen — 

Mit der Rechten an die phryg'ſche Mütze langt der Meer— 
plebejer, 

Beut zum Sprung ins Boot die Linke dem behelmten Aquilejer. 


Schon entflieht ein Schiff mit wehnden Segeln, flatternden 
Gewanden, 

Drin ſich weitgetrennte Loſe ſonder Wahl zuſammenfanden, 

Unbekannte Hände drücken ſich in angſtbeklommnem Traume, 

Aquilejas Überbleibſel ſchmiegen ſich in engem Raume. 


Letzte Scheideblicke wendend, ſehn ſie noch den Himmel bluten, 
Aber tiefer ſtets und ferner brennen die geſunknen Gluten. 


92 


Still verglimmt der Heimat müde Todesfackel. Auf die Ruder 
Beugt ſich Unglück neben Unglück, Bruder ſeufzend neben 
Bruder. 


Eine Fürſtin küßt ein Knäblein, ein dem Edelblute fremdes, 

Eine Sklavin wärmt ein fürſtlich Kind im Schoß des Wollen— 
hemdes — 

Unter ihnen eine Tiefe, über ihnen eine Wolke — 

Liebe taut vom Himmel, Liebe wächſt in dieſem neuen Volke. 


Über eines Mantels Flattern, ſturmverwehten greiſen Haaren 
Will das Schweben einer Glorie einen Heil'gen offenbaren, 

Dieſes iſt der heil'ge Markus, rüſtig rudernd wie ein andrer — 
Nach den nahenden Lagunen lenkt die Fahrt der ſel'ge Wandrer. 


Neben ihm der Jugendſchlanke ſchlägt die Wellen, daß fie 
ſchallen, 

Wirren Locken ſind die Kränze ſchwelgeriſcher Luſt entfallen. 

Der Bacchant wird zum Aneas. Niederbrannte Trojas Feuer. 

Mit den rudernden Genoſſen ſucht er edles Abenteuer. 


Mählich lichtet ſich der Oſten. In der erſten Helle ſchauen 

Kecke Männer tief ins Antlitz morgenbleicher ſchöner Frauen — 

Lieblich Haupt, das blonde Flechten wie mit lichtem Ring um— 
winden, 

Bald an einem tapfern Herzen wirſt du deine Heimat finden! 


Scharfgezeichnet neigt ſich eines Helden narb'ge Stirne denkend, 

In das göttliche Geheimnis ew'gen Werdens ſich verſenkend; 

Rings in Stücke ſprang zerſchmettert Romas roſt'ge Rieſen— 
kette, 

Neue Weltgeſchicke gönnen junger Freiheit eine Stätte... 


Wie geworfen aus dem Himmel heiter ſpielend von Auroren, 
Schwimmt ein lichter Kranz von Inſeln in die blaue Flut ver— 
loren, 


93 


Durch die Brandung gehn die Kähne mit befeelten Ruder— 
ſchlägen, 
Fiſcher ſtehen, ſchaumgebadet, und ſie rufen ſich entgegen: 


„Flehnde kommen wir, Veneter! Drüben flammt ein weit Ver— 
derben! 

Unſre Seelen find entronnen einem ungeheuern Sterben!‘ 

„Freuet euch! Ihr lebt und atmet! Hier iſt euch Aſyl gegeben! 

Friede jet mit euren Toten! Freude denen, die da leben!‘ 


Machtvoll, Schwert und Ruder tragend, wallen Genien vor 
den Böten; 

Auch ein Schwarm von Liebesgöttern flügelt durch die jungen 
Röten — 

Über das Geſtein der Inſeln geht ein Hauch von Luſt und 
Wonne, 

Ahnungsvollem Meer entſteigend, prangt Venedigs erſte Sonne. 


Blonde Julia, deiner Heimat Urſprung hab ich dir verkündet, 
Liebe hat die Stadt Venedig, Liebe hat die Welt gegründet — 
Deiner Augen ſtrahlend blauer Himmel würde bleichen ohne 
Liebesfeuer und verſtummen, wie die Laute des Giorgione.“ 


Venedig 


Venedig, einen Winter lebt ich dort — 
Paläſte, Brücken, der Lagune Duft! 

Doch hier im harten Licht der Gegenwart 
Verdämmert mählich mir die Märchenwelt. 
Vielleicht vergaß ich einen Tizian. 

Ein Frevel! Jenen doch vergaß ich nicht, 

Wo über einem Sturm von Armen ſich 

Die Jungfrau feurig in die Himmel hebt, 

So wenig als den andern Tizian — 

Doch kein gemalter wars — die Wirklichkeit: 
Am Kai, dem nächt'gen, der Slavonen wars. 


94 


Im Dunkel ſtand ich. Fenſter ſchimmerten. 
Zwei dürft'ge Frauen kamen hergerannt. 
Hart an die Scheibe preßt' das junge Weib 
Die bleiche Stirn. Was drinnen ſie erblickt, 
Das ſie erſtarren machte, weiß ich nicht. 
(Vielleicht den Herzgeliebten, welcher ſie 
An eines andern Weibes Bruſt verriet.) 

Ich aber ſah den feinſten Mädchenkopf 

Vom Tod entfärbt! Ein Antlitz voller Tod! 
Die Mutter führte weg die Schwankende ... 
Die beiden Tiziane blieben mir 

Stets gegenwärtig; löſchen ſie, ſo liſcht 

Die Göttin vor dem armen Menſchenkind. 


Auf dem Canal grande 


Auf dem Canal grande betten 
Tief ſich ein die Abendſchatten, 
Hundert dunkle Gondeln gleiten 
Als ein flüſterndes Geheimnis. 


Aber zwiſchen zwei Paläſten 

Glüht herein die Abendſonne, 
Flammend wirft ſie einen grellen 
Breiten Streifen auf die Gondeln. 


In dem purpurroten Lichte 
Laute Stimmen, hell Gelächter, 
Überredende Gebärden 

Und das frevle Spiel der Augen. 


Eine kurze, kleine Strecke 
Treibt das Leben leidenſchaftlich 
Und erliſcht im Schatten drüben 
Als ein unverſtändlich Murmeln. 


95 


96 


Die Narde 


(Nach einem venezianiſchen Bilde) 


Die brave Marthe tat, was ſie vermocht', 

Sie rupfte, ſpickte, briet und ſott und kocht', 
Sie ſchob dem Herrn die braunſten Kuchen zu, 
Und: „Dieſen,“ ſagt' ſie, „Herr, verſuche du!“ 


Maria nahte, die den ſchlanken Krug, 

Gefüllt mit einer ſeltnen Narde trug. 

Sie neigt' das Knie, den Krug. Die Narde floß. 
Sie neigt' das Herz, das ſtrömend ſich ergoß. 


In der beſeelten Hand Mariens ruht' 

Der edle Fuß. Drauf quoll der Narde Flut. 
Ihn abzutrocknen, löſte ſie des Haars 
Geſchlungnen Knoten. Blond und ſeiden wars. 


Ein ſpitz Geflüſter regte ſich am Tiſch, 

Wie der getretnen Viper ſcharf Geziſch: 
„Das duftet! Tauſend oder mehr Denar 
Verduften mit! Ich wollt', wir hättens bar! 


Bei Levi legten wirs auf Zins geſchwind 

Und draus erzögen wir ein Waiſenkind —“ 
„Still,“ ſagt' der Göttliche, „laß unentweiht, 
Judas! Wer liebt, verſchwendet allezeit.“ 


Nach einem Niederländer 


Der Meiſter malt ein kleines zartes Bild, 
Zurückgelehnt beſchaut ers liebevoll. 

Es pocht. „Herein.“ Ein flämiſcher Junker iſts 
Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn, 

Der vor Geſundheit faſt die Wange birſt. 

Sie rauſcht von Seide, flimmert von Geſchmeid. 


„Wir habens eilig, lieber Meiſter. Wißt, 

Ein wackrer Schelm ſtiehlt mir das Töchterlein. 

Morgen iſt Hochzeit. Malet mir mein Kind!“ 

„Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinſelſtrich!“ 

Sie treten luſtig vor die Staffelei: 

Auf einem blanken Kiſſen ſchlummernd liegt 

Ein feiner Mädchenkopf. Der Meiſter ſetzt 

Des Blumenkranzes tiefſte Knoſpe noch 

Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand. 

— „Nach der Natur?“ — „Nach der Natur. Mein 
Kind. 

Geſtern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienſt.“ 


J a 
(Nach einer alten Skizze) 


Als der Herr mit mächt'ger Schwinge 
Durch die neue Schöpfung fuhr, 
Folgten in gedrängtem Ringe 
Geiſter ſeiner Flammenſpur. 


Seine ſchönſten Engel wallten 
Ihm zu Häupten ſelig leis, 
Rieſenhafte Nachtgeſtalten 
Schloſſen unterhalb den Kreis. 


„Eh ich euern Reigen löſe,“ 
Sprach der Allgewalt'ge nun, 
„Schwöret, Gute, ſchwöret, Böſe, 
Meinen Willen nur zu tun!“ 


Freudig jubelten die Lichten: 
„Dir zu dienen, ſind wir da!“ 
Die zerſtören, die vernichten, 

Die Dämonen, knirſchten: „Ja.“ 


7 Meyer. II. 97 


Die Kapelle der unſchuldigen Kindlein 


Aus Henkerfäuſten flogen zum Himmel ſie empor, 
Sie treten zwei und zweie hinein ins ſel'ge Tor, 
Einand am Händchen haltend und ſingend wohlgemut, 
Sie tragen in den Locken ein leuchtend Mal von Blut. 


„Wir kommen in den Himmel — und ſolches iſt uns 
lieb — 

Weil das gelobte Kindlein ſtatt unſer unten blieb! 

Wir litten für das Büblein den herben Todeskuß, 

Den es am bittern Kreuze ſtatt unſer leiden muß!“ 


Die Engel alle kommen heran in hellem Flug, 

Sie bringen ſchönes Spielzeug und Blumenluſt genug. 
Jetzt führen fie den Reigen mit Fiedel und Schalmei ... 
Es klagt aus ferner Tiefe der Mütter Wehgeſchrei. 


Die Kartäuſer 


Ich ſehe ſie auf Sacchis ſüßem Bilde 
Beſchreiten ihrer toten Brüder Grüfte, 
Gegürtet mit dem Knotenſtrick die Hüfte, 

In weißen Kleidern, feſtlich, göttlich, milde — 


Manch einer ſchleppte ſich mit Schwert und Schilde, 
Gepanzert ſauſt' zu Roß er durch die Lüfte, 

Bevor er ſuchte die verlornen Klüfte 

Und weltentſagend trat in dieſe Gilde. 


Sie alle wollen hier in öder Wildnis 
Vergeſſen ein verführeriſches Bildnis, 
Sie alle wollen hier ein Stündlein büßen, 


Um mit den Reinen rein ſich zu begrüßen, 
Sie alle wollen hier ein Stündlein beten, 
Bevor ſie vor den ſtrengen Richter treten. 


98 


Derrömifde Brunnen 


Aufſteigt der Strahl und fallend gießt 

Er voll der Marmorſchale Rund, 

Die, ſich verſchleiernd, überfließt 

In einer zweiten Schale Grund; 

Die zweite gibt, ſie wird zu reich, 

Der dritten wallend ihre Flut, 

Und jede nimmt und gibt zugleich 
Und ſtrömt und ruht. 


Tarpeja 


Am Brunnen überflutet im Dämmerlicht 

Der volle Krug, und die Mägde merkens nicht, 
Denn Nina plaudert: „Freundinnen, wißt ihr wohl, 
Daß Eine ſitzt im Geſtein am Kapitol? 


Mein Schatz, der Beppo, hat ſie unlängſt geſehn 
Vor ihrem runden Silberſpiegel ſtehn, 

Die ſich zu Haupt das güldne Krönlein hub — 
Mein Schatz, der Beppo, da er nach Münzen grub. 


Er ſchlüpfte durch einen ſchmalen Felſengang, 
Er tappte ſich einen finſtern Pfad entlang — 
Sie glomm im Höllenlicht! Er rief: ‚Wie ſchön!“ 
Die Treppe brach mit donnerndem Getön. 


Sie war des römiſchen Kaſtellanes Kind 

Und ſie verriet die Burg und das Burggeſind! 
Mit Fingerdeut bedang ſich die ſchlaue Maid 
Des Feindes Helmgekrön und Schildgeſchmeid! 


Die Krönlein all und die Stein' und die goldnen Ring' 
Beäugelt' ſie, die in Feindes Lager ging! 


99 


100 


Sie öffnet’ ihm ein Tor mit ſünd'gem Mut 
Und ſah des Vaters Haupt, es ſchwamm in Blut. 


Doch da am Feinde ſie die Löhnung ſucht', 

Ward ſie mit Hohn erdrückt und mit Schildeswucht, 
Sie ſtürzte, von ihrem eigenen Hort entſeelt, 

Erſtickt vom Lohne, den ſie ſelbſt gewählt. 


Dann grub die Zeit ſie tief und tiefer ein, 
Sie ſank hinunter, hinab ins Felsgeſtein, 
Hinab, hinunter viel hundert Klafter tief 
Mit ihrem gleißenden Hort, darin ſie ſchlief. 


Da ſitzt die arme Seele nun in Pein 

Und putzt, die eitle, ſich mutterſeelallein — 
Tarpeja, gib heraus der Kettlein drei! 

Wir tragens den Knaben zu Luſt in Lüften frei! 


Tarpeja, gleite durch den Felſenſpalt 

Drei Kettlein und drei goldene Ringlein bald! 
Tarpeja lieb! Wir ſind zufrieden, gibſt 

Du nur, was du verächtlich beiſeite ſchiebſt. 


Der Beppo ſagt: Weil du begingſt Verrat, 
Biſt du verdammt für deine Miſſetat! 

Behüt mich Gott! In Ewigkeit verdammt! 
Weil dir nach rotem Gold das Herz geflammt. 


Man hört es oft — ſo ſagt er — wie du lachſt, 
Wann du dich ſchön vor deinem Spiegel machſt! 
Man hört es oft — ſo ſagt er — wie du weinſt, 
Weil nicht du kommſt in den ſchönen Himmel einſt! 


Tarpeja lieb, entſage der böſen Luſt! 

Tarpeja, gib die Kettlein um Hals und Bruſt! 
Wir beten, Arge, für dich den Roſenkranz, 

Du ſteigſt empor, empor in den Himmelsglanz!“ 


Die gegeißelte Pſyche 


Wo von alter Schönheit Trümmern 
Marmorhell die Säle ſchimmern, 
Windet blaß und lieblich eine 
Pſyche ſich im Marmelſteine. 


Unſichtbarem Geißelhiebe 

Beugt ſie ſich in Qual und Liebe, 
Auf den zarten Knieen liegend, 
Enge ſich zuſammenſchmiegend. 


Flehend halb und halb geduldig 

Trägt ſie Schmach und weiß ſich ſchuldig, 
Ihre Schmerzensblicke fragen: 

Liebſt du mich? und kannſt mich ſchlagen? 


Soll dich der Olymp begrüßen, 
Arme Pſyche, mußt du büßen! 
Eros, der dich ſucht und peinigt, 
Will dich ſelig und gereinigt. 


Der tote Achill 


Im Vatikan vor dem vergilbten Marmorſarg 
Dem ringsum bildgeſchmückten, träumt ich heute lang, 
Betrachtend ſeines feinen Zierats üpp'gen Kranz: 


Thetis entführt den Sohn, den Rufer in der Schlacht, 
Den Renner, dem die Knie erſchlafften, welchem ſchwer 


Die Lider ſanken — von Delphinen rings umtanzt, 
Im Muſchelwagen durch des Meers erregte Flut. 
Tritonen, bis zum Schuppengurt umbrandete, 
Bärt'ge Geſellen, ſchilfbekränztes, ſtumpfes Volk, 
Gebärden ſich als Pferdelenker. Es bedarf 


Der mut'gen Roſſe Paar, das, Haupt an kühnem Haupt, 


Die weite Flur durchrudert mit dem Schlag des Hufs, 
Des Zügels nicht! In des Peliden Waffen hat 


Sich ſchäkernd ein leichtſinniges Geſind geteilt: 

Die Nereiden. Eine hebt das Schwert und ziehts 

Und lacht und haut und ſticht und wundet Licht und Luft. 
Ein ſchlankes Mädchen zielt mit rückgebognem Arm, 

In ſchwachgeballter Fauſt den unbeſiegten Speer, 

Der auf und nieder, wie der Wage Balken, ſchwankt. 

Die dritte ſchiebt der blanken Schulter feinen Bug 

Dem Erzſchild unter, ganz als zöge ſie zu Feld, 

Dann deckt damit den ſanften Buſen gaukelnd ſie, 

Als ſchirmt' das Eiſen eines Kriegers tapfre Bruſt. 

Die vierte — Held, du zürnteſt, ſchlummerteſt du nicht! — 
Setzt jubelnd ſich den Helm, den wildumflatterten, 

Auf das gedankenloſe Haupt und nickt damit. 

Scherzt Kinder! Nur mit dir ein Wort, Vollendeter! 
(Denn mit der Mutter, die dein ſchlummerſchweres Haupt 
Im Schoß gebettet hält, der dir das Leben gab, 

Der ſchmerzverſunknen Mutter, plaudert es ſich nicht.) 
Pelide, ſprich! Was iſt der Tod? Wohin die Fahrt? 
Wozu die Waffen? Zu erneutem Lauf und Kampf? 

Zu deines Grabes Schmuck und düſtern Ehren nur? 

Was blitzt auf deinem Schwerte? Deine letzte Tat, 
Verglimmend wie der Abend eines heißen Schlachtentags? 
Die Morgenſonnen eines neuen Kampfgefilds? 

Bedarfſt du deines Schwertes noch, du Schlummernder? 
Wohin der Lauf? Zum Hades? Nein, es lügt Homer! 

Den Odem neiden einem kleinen Ackerknecht 

Sieht nicht dir ähnlich, Heros! Eher fährſt 

Du einer Geiſterinſel bleichem Frieden zu 

Und trägſt den Myrtenkranz, beſeligt und geſtillt, 

Mit den Geweihten. Doch auch ſolches ziemt dir nicht! 
Was einzig dir geziemt, iſt Kampf und Kampfespreis — 
Pelide! ein Erwachen ſchwebt vor deinem Boot 

Und ſchimmert unter deinem mächt'gen Augenlid! 

Du lebſt, Achill? Gib Antwort! Wohin wanderſt du? 

Er ſchweigt! Er ſchweigt. Der Wagen rollt. Ein Triton bläſt 
Sein Muſchelhorn, daß leis und dumpf der Marmor ſchallt. 


102 


Der Muſenſaal 


Jüngſt trug ein Traum auf dunkler Schwinge mich 
Nach Rom, der ew'gen Stadt. Den Vatikan 
Betrat ich. Ich betrat den Muſenſaal 

Verwundert, denn er war ein andrer heut 

Als ich geſchaut mit jungen Augen ihn, 

Da Pio Nono höchſter Prieſter war. 
Verſchwunden aus dem edlen Oktogon, 

Dem kuppelhellen, war der Muſaget, 

Apollo, der die Zither zierlich ſchlug, 
Voranzugehn dem Chor tanzmeiſterlich. 

Die Neune ſaßen oder ſtanden nicht, 

Umher verteilt, in ſchönen Stellungen — 

In wilder Gruppe ſchritten eilig ſie, 

Wie Schnitterinnen, die auf blachem Feld 

Ein flammendes Gewitter überraſcht! 

Voran die blutige Melpomene, 

Die an den Söhnen rächt der Väter Schuld. 

Sie trägt das Schwert und auch den Kranz von Wein. 
Wer ſchreitet, ſchlicht gewandet, neben ihr? 
Kalliope, die keuſch und kindlich blickt, 

Die den erblindeten Homer geführt, 

Die tapfre Helden liebt und Schildgetos 

Und Roßgeſtampf und dann abſeits der Schlacht 
Im jugendzarten Buſen Loſe wägt. 

Weithallend redet dort ein mächtig Paar, 
Terpſichore und Polyhymnia: 

„Der Tag iſt fern und er erfüllt ſich doch: 

Die Völker ſchreiten einen Reigen einſt, 

Sich an den Händen haltend, freigeſellt, 
Vieltauſendſtimmig dröhnt der Chorgeſang!“ 

— „Dann weicht das Leid! Nicht alles, aber doch 
Das meiſte Leid!“ Euterpe flötet es, 

Das liebliche Geſchöpf, die Schmeichlerin! 

— „Dann füllt,“ Erato lachts mit blühndem Mund, 


103 


Die Schöne Schelmin, die das Liebeslied, 

Das Zechlied für allein unſterblich hält, 
„Dann füllt ein jeder ſeine Schale ſich 

Mit duft'gem Wein und ſchlürft und keiner darbt!“ 
— „Törinnen!“ gellt ein ſcharfgeſchnittner Mund, 
„Verſpotte fie, mein Ariſtophanes! ... 

Doch eure Kampfgeſellin bin ich auch! 

Ich morde lachend, was nicht ſterben kann, 

In trunkner Luſt, wie die Bacchante jach 

Ein Zicklein oder Reh in Stücke reißt. 
Mordluſt'ger bin ich noch und tragiſcher 

Als du, mein Schweſterchen Melpomene, 
Denn du erhelleſt unter Zähren dich, 

Doch mein Gelächter, Tränen ſchluchzen drin!“ 
Thalia riefs, und unterm Efeukranz 

Verlarote mit der Satyrmaske ſie 

Die wehmutvoll ergriffnen Züge ſich 

Und hob mit nerv'gem Arm das Tympanum. 
Die letzte wandelt noch Urania, 

Die Gläubige, mit dem gehobnen Blick 

(Die andern nennen ſie die Schwärmerin), 

Doch trennt ſie ſich von den Geſchwiſtern nicht. 
Sie ſieht den Sturm der Erdendinge ruhn 

In friedevollen Händen immerdar — 
Aufflattert das Gewand! Die Locken wehn! 
Die Kuppel weicht! In leuchtend tiefem Blau 
Entfeſſelt ſchwebt der Muſenchor einher. 


Alte Schweizer) 

Sie kommen mit dröhnenden Schritten entlang 

Den von Raphaels Fresken verherrlichten Gang 

In der puffigen alten geſchichtlichen Tracht, 

Als riefe das Horn ſie zur Murtener Schlacht: 

1) Bei der Thronbeſteigung Leos XIII. brach im Vatikan eine kleine 

Palaſtrevolte aus, weil der ſparſame Papſt den Schweizern das uͤbliche 
Donativ zuruͤckhielt. 


104 


„Herr Heiliger Vater, der Gläubigen Hort, 


So kann es nicht gehn und ſo geht es nicht fort! 


Du ſparſt an den Kohlen, du knickerſt am Licht — 


An deinen Helvetiern knauſre du nicht! 


Wann den Himmel ein Heiliger Vater gewann, 
Ergibt es elf Taler für jeglichen Mann! 


So galts und ſo gilts von Geſchlecht zu Geſchlecht, 


Wir pochen auf unſer hiſtoriſches Recht! 


Herr Heiliger Vater, du weißt, wer wir ſind! 
Beſcheidene Leute von Ahne zu Kind! 

Doch werden wir an den Moneten gekürzt, 
Wir kommen wie brüllende Löwen geſtürzt! 


Herr Heiliger Vater, die Taler heraus! 


Sonſt räumen wir Kiſten und Kaſten im Haus .. 


Potz Donner und Hagel und hölliſcher Pfuhl! 
Wir verſteigern dir den apoſtoliſchen Stuhl!“ 


Der Heilige Vater bekreuzt ſich entſetzt 
Und zaudert und langt in die Taſche zuletzt — 
Da werden die Löwen zu Lämmern im Nu: 
„Herr Heiliger Vater, jetzt ſegne uns du 1 


Abſchied von Korſika 


Olbaumſilber, Myrte, Lorbeer, Pinie, 

Bald im Schnee der Heimat denk ich euer — 
Sanfte Buchten, blaue Meereslinie, 

Auf dem Abend dunkelnd Burggemäuer! 
Aus der Schlucht erſtrahlend Hirtenfeuer! 


Lebet, Korſen, wohl, mir lieb geworden! 
Vor den Kirchen lüpft ihr leicht die Hüte! 
Gerne knallt ihr und ein bißchen Morden 


+ 


Steckt feit alter Zeit euch im Geblüte — 
Daß die heil'ge Jungfrau euch behüte! 


Klimmend am Geſtein des Inſellandes, 
Lebet wohl, ihr hitz'gen kleinen Pferde! 
Wallend um die Krümmungen des Strandes, 
Lebet, Schafe, wohl! Gedrängte Herde 

Mit den weichſten Vließen auf der Erde! 


Lebet wohl, ihr grellen Hirtenflöten, 

Um die Gunſt der jungen Korſin werbend! 
Lebet wohl, ihr warmen Abendröten, 

In den weiten Himmeln ſelig ſterbend, 
Erſt die Wolken, dann die Fluten färbend. 


Märchen, aus dem Tageslicht verſchollen, 
An Ajaccios nächt'ger Hafenſtiege 

Töne fort im dumpfen Wogenrollen! 
Ehernes Gedröhn der hundert Siege 
Um des toten Welterobrers Wiege! 


Schwer entſagt das Aug der offnen Ferne, 
Schwer das Ohr dem Meereswellenſchlage — 
Unter kältre Sonnen, blaßre Sterne 

Folget mir, ihr Inſelwandertage, 

Und umklingt mich dort, wie eine Sage... 


Napoleon im Kreml 


Er nickt mit ſeinem großen Haupt 
Am Feuer eines fremden Herds: 

Im Traum erblickt er einen Geiſt, 
Der ſeines Purpurs Spange löſt. 


Der Dämon ſchreit mit wilder Gier: 
„Mich lüſtet nach dem roten Kleid! 


106 


In ungezählter Menſchen Blut 


Getaucht, verfärbt der Purpur nicht!“ 


Die beiden rangen Leib an Leib. 


„Gib her!“ „Gib her!“ Der Dämon fleucht 


Mit ſpitzen Flügen durch die Nacht 
Und ſchleift den Purpur hinter ſich. 


Und wo der Purpur flatternd fliegt, 


Sprühn Funken, lodern Flammen auf! 


Der Korſe fährt aus ſeinem Traum 


Und ſtarrt in Moskaus weiten Brand. 


Die Korſin 


Als das Mütterlein erkrankt, 
Zog es ächzend aus die Schuh, 
Iſt dem Bettlein zugewankt, 
Bettet' ſich zur ew'gen Ruh, 
Seine Haare weiß wie Flachs, 
Seine Füße gelb wie Wachs — 
Statt wie Mütterlein zu tun, 


Sterb ich ſtracks in meinen Schuhn! 


Heute war ich in der Stadt 

Mit dem letzten Silberling, 
Schaute, was der Krämer hat, 
Kramte weder Kreuz noch Ring, 
Kaufte Mehl von Weizenkorn 

Und ein volles Pulverhorn — 

In die freien Berge nun 

Lauf ich ſtracks in meinen Schuhn! 


Reiten juſt die Blauen!) aus, 
Trinken beim Battiſta Wein, 


1) Die Gendarmerie. 


107 


Laden ſcharf am Zollerhaus, 
Sprengen ins Gebirg hinein... 
Raſch zur Linken abgeſchweift! 
Pſſſ. .. Die erſte Kugel pfeift — 
Nächtens bei dem Liebſten ruhn 
Werd ich ſtracks in meinen Schuhn! 


Der Geſang des Meeres 


Wolken, meine Kinder, wandern gehen 

Wollt ihr? Fahret wohl! Auf Wiederſehen! 
Eure wandelluſtigen Geſtalten 

Kann ich nicht in Mutterbanden halten. 


Ihr langweilet euch auf meinen Wogen, 
Dort die Erde hat euch angezogen: 
Küſten, Klippen und des Leuchtturms Feuer! 
Ziehet, Kinder! Geht auf Abenteuer! 


Segelt, kühne Schiffer, in den Lüften! 
Sucht die Gipfel! Ruhet über Klüften! 
Brauet Stürme! Blitzet! Liefert Schlachten! 
Traget glühnden Kampfes Purpurtrachten! 


Rauſcht im Regen! Murmelt in den Quellen! 
Füllt die Brunnen! Rieſelt in die Wellen! 
Brauſt in Strömen durch die Lande nieder — 
Kommet, meine Kinder, kommet wieder! 


Das Strandkloſter 


Bollwerk und Mauer trutzen 

Dem Wellenwurf ſchon ein Jahrtauſend ja, 
Wir ſingen, elf Kapuzen, 

Ein kräftig ſchallend Deo Gloria! 


Die Kutten, ſtark gewoben, 
Umhingen uns in braunen Lappen lang, 

Sie ſind gemach verſtoben, 
Die Stäubchen irren durch den Kloſtergang. 


Die Orgel im Empore 

Spielt unſer zwölftes totes Brüderlein, 
Hier rieſelt uns im Chore 

Der morſche Kalk ſanft ins Geripp herein. 


Es glitt vor tauſend Jahren 
Dem Strand ein Sarazenenſegel nah, 

Sobalds vorbeigefahren, 
Anſtimmten wir ein kräftig Gloria. 


Ergötzt von unſerm Singen, 
Nahm der Pirat zu uns zurück den Lauf, 
Zwölf Köpfe ließ er ſpringen, 


Das Blut ſchoß wie aus Brunnenröhren auf. 


Wir ſingen ohne Kehlen, 
Wir ſitzen fröhlich ohne Schädel da, 

Wir ſingen mit den Seelen 
Ein kräftig ſchallend Deo Gloria! 


Der Morgenſtrahl, der ſchiefe, 
Durchs rechte Fenſter äugelt er herein, 
Vergoldend in der Tiefe 
Ein luſtiglich pſallierend Totenbein. 


Der Abendſtrahl, der ſchräge, 
Durchs linke Fenſter blinzelt er herein 
Und zählt, ob allerwege 
Wir richtig unſer elf Geſpenſter ſein. 


Oft übertäubt das Dröhnen 
Des Meers die Noten unſrer Litanei, 


109 


110 


Aus unſern Orgeltönen 
Erhebt ſich oft ein ſchriller Möwenſchrei — 


Bollwerk und Mauer trutzen 
Dem Wellenwurf noch tauſend Jahre ja, 
Wir ſingen, elf Kapuzen, 
Ein kräftig ſchallend Deo Gloria! 


Nicola Pesce 


Ein halbes Jährchen hab ich nun geſchwommen 
Und noch behagt mir dieſes kühle Gleiten, 
Der Arme läſſig Auseinanderbreiten — 

Die Faſtenſpeiſe mag der Seele frommen! 


Halb ſchlummernd lieg ich ſtundenlang, umglommen 
Von Wetterleuchten, bis auf allen Seiten 

Sich Wogen türmen. Männlich gilts zu ſtreiten. 
Ich freue mich. Stets bin ich durchgekommen. 


Was machte mich zum Fiſch? Ein Mißverſtändnis 
Mit meinem Weib. Vermehrte Menſchenkenntnis, 
Mein Wanderdrang und meine Farbenluſt. 


Die Furcht verlernt ich über Todestiefen, 
Faſt bis zum Frieren kühlt ich mir die Bruſt — 
Ich bleib ein Fiſch und meine Haare triefen! 


Zwiegeſpräch 
Sonne: 
Meine Strahlen ſind geknickte Speere, 
Ich verſank in blut'ger Heldenehre — 


Abendröte: 
Wie der Ruhm, will ich mit lichten Händen 
In das nahe Dunkel Grüße ſpenden. 


Sonne: 
Folge deiner Sonne! Längs dem Strande 
Schleppe nicht die dammernden Gewande! 


Abendröte: 
Darf ich nicht ans Sterben mich gewöhnen 
Mit den ſanften, mit den grünen Tönen? 


| Sonne: 
Eile dich! Bevor den jungen Helden 
Eines neuen Tages Fackeln melden! 


Abendröte: 
Ich bin dein, dir folg ich unaufhaltſam! 
Ich bin dein, doch zieh mich nicht gewaltſam ... 


Flut und Ebbe 


In einem fernen, umbrandeten Land 

Spielen die Mädchen ein Spiel an dem Strand, 
Schreiten im Reigen, heiter geſinnt, 

Wann zu ſteigen die Flut beginnt, 

Weichen zurück in gemeßner Flucht 

Aus der ſchwellenden Meeresbucht. 

In den Gewäſſern ruhigklar 

Werden ſie krauſe Geſtalten gewahr, 

Rollt eine Woge, ſie ſehen ein Roß, 

Sehn einen Reiter, bis er zerfloß. 

„Schauet den Meermann! Garſtig Geſicht! 
Grinzende Larve, du haſcheſt mich nicht!“ 

Aber das Meer es wächſt und naht — 

„Fliehet, ihr Schweſtern! Sonſt wirds zu ſpat!“ 
Alle ſie ſtürzen in haſtigem Lauf, 

Gleiten und reißen die Strauchelnden auf 

Bis zu der Bank, wo die Ebbe beginnt, 

Wo, wie ſie wiſſen, das Waſſer zerrinnt. 


311 


Dort iſt gelagert der flüchtige Chor, 

Zieht an dem Felſen die Füße empor, 

Fleht in den Himmel mit brünſtigem Schrein: 
„Götter! ihr laſſet die Unſchuld allein?“ 

Aber die Flut, da den Raub ſie berührt, 

Hat das Verhängnis des Ebbens geſpürt, 
Und, wie erſchreckt durch das maidliche Ach, 
Gleitet ſie nieder und fällt gemach! — 

Gegen die Ziehnde mit drohendem Arm 

Hebt ſich verfolgend der blühende Schwarm: 
„Höhnet die Feigen! Sie fliehn aus dem Krieg! 
Kränzet die Locken und feiert den Sieg!“ 


Alſo vergnügt ſich das ſterbliche Heer 
Mit dem gelaßnen, dem ewigen Meer. 


Möwenflug 


Möwen ſah um einen Felſen kreiſen 

Ich in unermüdlich gleichen Gleiſen, 

Auf geſpannter Schwinge ſchweben bleibend, 
Eine ſchimmernd weiße Bahn beſchreibend, 
Und zugleich in grünem Meeresſpiegel 

Sah ich um dieſelben Felſenſpitzen 

Eine helle Jagd geſtreckter Flügel 
Unermüdlich durch die Tiefe blitzen. 

Und der Spiegel hatte ſolche Klarheit, 

Daß ſich anders nicht die Flügel hoben 

Tief im Meer als hoch in Lüften oben, 

Daß ſich völlig glichen Trug und Wahrheit. 


Allgemach beſchlich es mich wie Grauen, 
Schein und Weſen ſo verwandt zu ſchauen, 
Und ich fragte mich, am Strand verharrend, 
Ins geſpenſtiſche Geflatter ſtarrend: 

Und du ſelber? Biſt du echt beflügelt? 


Oder nur gemalt und abgejpiegelt ? 
Gaukelſt du im Kreis mit Fabeldingen? 
Oder haſt du Blut in deinen Schwingen? 


Das Ende des Feſtes 


Da mit Sokrates die Freunde tranken 

Und die Häupter auf die Polſter ſanken, 
Kam ein Jüngling, kann ich mich entſinnen, 
Mit zwei ſchlanken Flötenbläſerinnen. 


Aus den Kelchen ſchütten wir die Neigen, 
Die geſprächesmüden Lippen ſchweigen, 

Um die welken Kränze zieht ein Singen... 
Still! Des Todes Schlummerflöten klingen! 


8 Meyer. II. 113 


114 


LEBE 


Alles war ein Spiel 


In dieſen Liedern ſuche du 

Nach keinem ernſten Ziel! 

Ein wenig Schmerz, ein wenig Luſt, 
Und alles war ein Spiel. 


Beſonders forſche nicht danach, 
Welch Antlitz mir gefiel, 

Wohl leuchten Augen viele drin, 
Doch alles war ein Spiel. 


Und ob verſtohlen auf ein Blatt 
Auch eine Träne fiel, 
Getrocknet iſt die Träne längſt, 
Und alles war ein Spiel. 


Zwei Segel 


Zwei Segel erhellend 

Die tiefblaue Bucht! 
Zwei Segel ſich ſchwellend 
Zu ruhiger Flucht! 


Wie eins in den Winden 
Sich wölbt und bewegt, 
Wird auch das Empfinden 
Des andern erregt. 


8 * 


Begehrt eins zu haſten, 
Das andre geht ſchnell, 
Verlangt eins zu raſten, 
Ruht auch ſein Geſell. 


Heſperos 


Über ſchwarzem Tannenhange 
Schimmerſt mir zum Abendgange, 
Eine Liebe fühl ich neigen 

Sich in deinem Niederſteigen, 
Unbemerkt biſt du gekommen, 

Aus der blaſſen Luft entglommen. 
So mit ungehörten Tritten 

Durch die Dämmrung hergeglitten, 
Kam die Mutter, die mir legte 
Auf die Schulter die bewegte 
Hand, daß ich ihr nicht verhehle, 
Was ich leide, was mich quäle, 
Und warum ich ohne Klage 

Mich verzehre, mich zernage. 

Und ich ſchwieg, und unter Zähren 
Ließ ſie meinen Trotz gewähren. 
Hat ſie Wohnung jetzt, die Milde, 
Dort in deinem Lichtgefilde? 
Deiner Strahlen ſaug ich jeden, 
Durch das Dunkel hör ich reden, 
— Und mir iſt, als ob die kühle 
Hand ich auf der Schulter fühle — 
Reden nicht von Seligkeiten, 

Nur Erinnrung alter Zeiten! 

Jetzt verſteht ſie ohne Kunde, 

Wer ich bin im Herzensgrunde. 
Dies und jenes muß ſie ſchelten, 
Andres läßt ſie heiter gelten, 

Und ſie meint, wie ſichs entſchieden, 


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116 


Gebe fie ſich auch zufrieden... 
Abendſtern, du eilſt geſchwinde! 

Laß ſie plaudern mit dem Kinde! 
Freundlich zitternd gehſt du nieder... 
Mutter, Mutter, komme wieder! 


Das begrabene Herz 


Mich denkt es eines alten Traums. 
Es war in meiner dumpfen Zeit, 
Da junge Wildheit in mir gor. 
Bekümmert war die Mutter oft. 
Da kam einmal ein ſchlimmer Brief 
— Was er enthielt, erriet ich nie — 
Die Mutter fuhr ſich mit der Hand 
Zum Herzen, faſt als ſtürb es ihr. 
Die Nacht darauf hatt ich den Traum: 
Die Mutter ſah verſtohlen ich 

Nach unſerm Tannenwinkel gehn, 
Den Spaten in der zarten Hand, 
Sie grub ein Grab und legt ein Herz 
Hinunter ſacht. Sie ebnete 

Die Erde dann und ſchlich davon. 


Ohne Datum 
(An meine Schweſter) 


Du ſcherzeſt, daß ein Datum ich vergaß, 

Und meinſt, ich dürfte bei dem Stundenmaß 
Mit einem Federſtriche mich verweilen. 

Du ſchreibſt: „Datiere künftig deine Zeilen!“ 
Doch war das Zählen meine Sache nie, 

Nach dem Wievielten ſuch ich ſtets vergebens, 
Auch dieſe Zeilen, wie datier ich ſie? 

„Aus allen Augenblicken meines Lebens!“ 


Kurz ift und eilig eines Menſchen Tag, 

Er drängt, er pulſt, er flutet Schlag um Schlag, 
Wie eines Herzens ungeſtümes Klopfen ... 

Wer teilt die Jagd des Bluts und ſeiner Tropfen? 
Es iſt der Sturm, der nie zur Rüſte geht, 

Die Wechſelglut des Nehmens und des Gebens, 
Und meine Haare flattern windverweht 

In allen Augenblicken meines Lebens. 


Zu ruhn iſt mir verſagt, es treibt mich fort, 
Die Stunde rennt — doch hab ich einen Hort, 
Den keiner mir entführt, in deiner Treue! 

Sie iſt die alte wie die ewig neue, 

Sie iſt die Raſt in dieſer Flucht und Flut, 
Ein fromm Geleite leiſen Flügelſchwebens, 
Sie iſt der Segen, der beſtändig ruht 

Auf allen Augenblicken meines Lebens. 


Ich hemme die beſchwingten Roſſe nicht, 

Ich freue mich, mit jedem neuen Licht 

Das Feld geſtreckten Laufes zu durchmeſſen, 

Ein fernes, dunkles Geſtern zu vergeſſen, 

Ich fliege — hinter mir verſinkt die Zeit — 

Im Morgenſonnenſtrahl verjüngten Strebens! ... 
Vorbei! ... Nur du allein weißt noch Beſcheid 
Von allen Augenblicken meines Lebens. 


Die Ampel 


An des Jahres Wende ſprach ich: Muſe, 
Keiner Mutter Hand beſchert mich! Gib mir 
Du mein Angebinde, Muſe! fleht ich. 

In die Kammer, lauſchend von dem Lager, 
Sah ich bald der Schweſtern eine ſchreiten. 
Auf mein Tiſchchen ſetzt' ſie einer Ampel 
Zarte Form mit ſchlankgeſchweiften Henkeln, 


Aber die mir keineswegs antik ſchien. 

Ich erſchrak. Was meinſt du, Muſe? Rätſt du 
Nächtlich auszufeilen meine Verſe? 

Schon entſchwebend, wandte ſie das Antlitz 
Halb. Ich ſah des Muſenhauptes edeln 

Umriß mit den ſpottend feinen Lippen ... 

Als ich dann in neuem Jahr erwachte, 

Keine Ampel! Doch ich fand ſie wieder 

— Und erkannte gleich ſie an der zarten 
Form und an den ſchlankgeſchweiften Henkeln — 
In des Liebchens Hand, das mir die Treppe 
Nächtlich hellt' mit ſtillen Ampelſtrahlen. 
Scheidend auf die letzte Stufe ſetzt' ſie 

Das Geſchenk der Muſe ſacht und küßt' mich. 


Unruhige Nacht 


Heut ward mir bis zum jungen Tag 
Der Schlummer abgebrochen, 

Im Herzen ging es Schlag auf Schlag 
Mit Hämmern und mit Pochen. 


Als trieb ſich eine Bubenſchar 
Wild um in beiden Kammern, 
Gewährt hat, bis es Morgen war, 
Das Klopfen und das Hammern. 


Nun weiſt es ſich bei Tagesſchein, 
Was drin geſchafft die Rangen: 
Sie haben mir im Herzensſchrein 
Dein Bildnis aufgehangen! 


Der Kamerad 


Mit dem Tode ſchloß ich Kameradſchaft. 
Über einem vollen Humpen ſaßen 


Oft wir nächtens und philoſophierten. 

Auch zuſammen gingen wir ſpazieren, 
Lauſchten mit elegiſchen Gefühlen 

Nach dem Pilgerruf der Abendglocke. 

Aber männlich auch an meiner Seite 

Stand der Kamerad und ſekundierte, 

Oder wann ich im Gebirg verirrt war, 
Hangend über ſchwindelnd tiefem Abgrund, 
Sprach er: „Blick mir in das Auge ruhig!“ 
Und ich tat es und ich war gerettet — 
Lange ſtanden wir auf gutem Fuße, 

Bis mich volles Leben überſtrömte 

Glühend warm mit unbekannter Fülle, 

Und mir ſchauderte vor meinem Freunde... 
Als das Liebchen heute mir am Hals hing, 
Über ſeine Schulter weg erblickt ich 

Meines Kameraden leichten Umriß 

Auf dem Abendhimmel und er grollte: 
„Bin ich dir verleidet? Deine feigen 

Lippen meiden meinen ſchlichten Namen? 
Iſt das hübſch von einem Kameraden?“ 
In demſelben Augenblick umarmte 

Liebchen mich und rief: „So möcht ich ſterben! 
Komme, Tod, und raub mich, Tod, im Kuſſe!“ 
Und der Tod, von ſchwellend jungen Lippen 
Heiß und leidenſchaftlich angerufen, 

Hörte ſeinen Namen mit Vergnügen. 

Über ſein geheimnisvolles Antlitz 

Glitt ein Leuchten und er ſchied in Minne. 


Spielzeug 


Liebchen fand ich ſpielend. Einen Kaſten 
Hatte ſie entdeckt voll längſtvergeßnen, 
Staub'gen Kinderſpielzeugs: Mauern, Tore, 
Rathaus, Häuſer, Häuſerchen und Kirche... 


119 


Sie erbaut das Städtchen mit gelenken 
Händen, ſtellt den Kirchturm in die Mitte. 
Doch ein Häuschen hat ſie vorbehalten, 
Vorbehalten ſieben grüne Pappeln 

Für ein allerliebſtes kleines Landgut. 

Nicht zu nah! Im Städtchen klatſcht man ſündlich, 
Nicht zu ferne! Man bedarf der Menſchen. 
„Eben ſind wir eingezogen!“ jubelt 

Sie und klatſcht in ihre kleinen Hände. 
In der Wonne des erworbnen Heimes 

Riß ich Liebchen an mich ſo gewaltſam, 
Daß den Arm ſie ſtreckte wie ertrinkend .. 
Was erwiſchte ſie mit ſchnellen Fingern, 
Eng an meine Bruſt gepreßt? Die Kirche, 
Ja die Kirche mit dem roten Dach wars. 
Und ſie ſtellt' ſie dicht vor unſer Landhaus. 


Weihgeſchenk 


Heute deiner zu gedenken, 
Deren Grab die Nacht betaut, 
Nahen wir mit Weihgeſchenken 
Und gedämpftem Klagelaut! 
Warum war dirs nicht gegeben, 
Mutig deinen Tag zu leben? 

Chor: 
Warum ſchwandſt du vor dem Ziel, 
Allerlieblichſtes Geſpiel? 


Braune, ſchwermutvolle Augen, 
Offnet euch ein letztes Mal! 
Laßt aus euren Tiefen ſaugen 
Mich noch einen ſüßen Strahl! 
O wie hatt ich euch ſo gerne, 
Traute, träumeriſche Sterne — 


Chor: 
Sanften Schlummer, gute Ruh! 
Tu die Augen wieder zu! 


Wie das Schüttern zarter Saiten 
Schlichen ſich in jedes Herz 
Deine ſtillen Lieblichkeiten, 
Deiner Züge leiſer Schmerz! 
Feuchte Waldesſchatten lagen 
Über dir in Lenzestagen — 

Chor: 
Schwermut, Königin der Nacht, 
Hat ihr Mägdlein umgebracht! 


Wie ein Reh dem Wald entronnen, 

Das ein üppig Tal entdeckt, 

Nahteſt ſchüchtern du dem Bronnen, 

Bebſt, vom eignen Bild erſchreckt! 

Angſtlich, wo ſich Wege teilen, 

Seh ich zweifeln dich und weilen — 
Chor: 

Ohne Glauben an das Glück, 

Flohſt ins Dunkel du zurück! 


Zeigte jung ein arger Spiegel 

Dir den Wurm in jeder Frucht? 

Schwebte nahen Todes Flügel 

Über dir mit Eiferſucht? 

Nie hat dich ein Arm umſchloſſen, 

Liebe haft du nie genoſſen — 
Chor: 

In der Sel'gen keuſchen Hain 

Trateſt unvermählt du ein. 


Willig ſtiegeſt du die Stufen 
Nieder in dein frühes Grab, 


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122 


Wandteſt dich, von uns gerufen, 

Lächelnd um — und ſtiegſt hinab! 

Mit gelaſſener Gebärde 

Schiedeſt du vom Grün der Erde — 
Chor: 

Ließeſt du das ſüße Licht, 

Doch vergeſſen biſt du nicht! 


Der Blutstropfen 


Zur Zeit der Leſe wars im Winzerhaus. 

Des Herdes goldne Flamme praſſelte, 

Die Fenſterſcheiben überhauchten ſich 

Und draußen ſcholl das Evoe geiſterhaft 

Aus Nebeldämmer. Becher klangen. Jung 

Und alt empfand die bacchiſche Gewalt. 

Mit einem zarten Schimmer röteten 

Selbſt ihr die Wangen ſich, die unſer Gaſt 

Und dieſer Erde Gaſt nicht lange war, 

Ein ſtilles, ſcheues, ungezähmtes Kind. 

Zum Reigen rief Lyäus. Jene ſchlich 

Sich weg. Ins Freie blickte ſie hinaus 

Durchs Fenſter. Dann beſchrieb ſie träumeriſch, 
Die ganz ſich unbeachtet Wähnende, 

Die Scheibe mit dem Finger. Weh! umſtellt, 
Belauert wurde ſie von einem Schwarm 

Und überfallen. Raſch in Trümmer ſchlug, 
Das Antlitz glutbedeckt, die Scheibe ſie, 

Sich ſelbſt verwundend. Dieſes Tüchlein hier, 
Das als Reliquie mir im Schreine liegt, 

Fing, über die verletzte Hand gelegt, 

Das Quellen eines Tropfen Blutes auf, 

Der warm ihr eben erſt im Herzen rann. 

Jung ſchwand ſie hin, und kein Lebend'ger weiß, 
Was dort geſchrieben auf der Scheibe ſtand — 
Als dieſer bleiche Tropfen Bluts vielleicht. 


Stapfen 


In jungen Jahren wars. Ich brachte dich 
Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gaſt, 
Durch das Gehölz. Der Nebel rieſelte, 

Du zogſt des Reiſekleids Kapuze vor 

Und blickteſt traulich mit verhüllter Stirn. 
Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten ſich 
Dem feuchten Waldesboden deutlich ein, 

Die wandernden. Du ſchritteſt auf dem Bord, 
Von deiner Reiſe ſprechend. Eine noch, 

Die längre, folge drauf, ſo ſagteſt du. 

Dann ſcherzten wir, der nahen Trennung klug 
Das Angeſicht verhüllend, und du ſchiedſt, 
Dort wo der Firſt ſich über Ulmen hebt. 
Ich ging denſelben Pfad gemach zurück, 

Leis ſchwelgend noch in deiner Lieblichkeit, 
In deiner wilden Scheu, und wohlgemut 
Vertrauend auf ein baldig Wiederſehn. 
Vergnüglich ſchlendernd, ſah ich auf dem Rain 
Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch 

Dem feuchten Waldesboden eingeprägt, 

Die kleinſte Spur von dir, die flüchtigſte, 

Und doch dein Weſen: wandernd, reiſehaft, 
Schlank, rein, walddunkel, aber o wie ſüß! 
Die Stapfen ſchritten jetzt entgegen dem 
Zurück dieſelbe Strecke Wandernden: 

Aus deinen Stapfen hobſt du dich empor 

Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs 
Erblickt ich mit des Buſens zartem Bug. 
Vorüber gingſt du, eine Traumgeſtalt. 

Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher, 

Vom Regen halb gelöſcht, der ſtärker fiel. 
Da überſchlich mich eine Traurigkeit: 

Faſt unter meinem Blick verwiſchten ſich 

Die Spuren deines letzten Gangs mit mir. 


Wetterleuchten 


Im Garten ſchritt ich durch die Lenzesnacht. 
Des Jahres erſte Blitze loderten. 

Die jungen Blüten glommen feuerrot 

Und blichen wieder dann. Ein ſchönes Spiel, 
Davor ich ſtille hielt. Da ſah ich dich! 

Mit einem Blütenzweige ſpielteſt du, 

Die junggebliebne Tote! Durch die Haſt 
Und Flucht der Zeit zurück erkannt ich dich, 
Die juſt des Himmels Feuer überglomm. 
Erglühend ſtandeſt du, wie dazumal, 

Da dich das erſte Liebeswort erſchreckt, 

Du Ungebändigte, du Flüchtende! 

Dann mit den Blüten wieder blicheſt du. 


Lethe 


Jüngſt im Traume ſah ich auf den Fluten 
Einen Nachen ohne Ruder ziehn. 

Strom und Himmel ſtand in matten Gluten 
Wie bei Tages Nahen oder Fliehn. 


Saßen Knaben drin mit Lotoskränzen, 
Mädchen beugten über Bord ſich ſchlank, 
Kreiſend durch die Reihe ſah ich glänzen 
Eine Schale, draus ein jedes trank. 


Jetzt erſcholl ein Lied voll ſüßer Wehmut, 
Das die Schar der Kranzgenoſſen ſang — 
Ich erkannte deines Nackens Demut, 
Deine Stimme, die den Chor durchdrang. 


In die Welle taucht ich. Bis zum Marke 
Schaudert ich, wie ſeltſam kühl ſie war. 
Ich erreicht' die leiſe ziehnde Barke, 
Drängte mich in die geweihte Schar. 


Und die Reihe war an dir zu trinken, 

Und die volle Schale hobeſt du, 

Sprachſt zu mir mit trautem Augenwinken: 
„Herz, ich trinke dir Vergeſſen zu 15 


Dir entriß in trotz'gem Liebesdrange 
Ich die Schale, warf ſie in die Flut, 
Sie verſank, und ſiehe, deine Wange 
Färbte ſich mit einem Schein von Blut. 


Flehend küßt ich dich in wildem Harme, 
Die den bleichen Mund mir willig bot, 
Da zerrannſt du lächelnd mir im Arme 
Und ich wußt es wieder — du biſt tot. 


Einer Toten 


Wie fühl ich heute deine Macht, 

Als ob ſich deine Wimper ſchatte 

Vor mir auf dieſem ampelhellen Blatte 
Um Mitternacht! 

Dein Auge ſieht 

Begierig mein entſtehend Lied. 


Dein Weſen neigt ſich meinem zu, 

Du biſts! Doch deine Lippen ſchweigen, 
Und lieſeſt du ein Wort, das zart und eigen, 
Biſts wieder du, 

Dein Herzensblut, 

Indes dein Staub im Grabe ruht. 


Mir iſt, wann mich dein Atem ſtreift, 
Der ich erſtarkt an Kampf und Wunden, 
Als ſeiſt in deinen ſtillen Grabesſtunden 
Auch du gereift 

An Liebeskraft, 

An Willen und an Leidenſchaft. 


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Die Marmorurne ſetzten dir 

Die Deinen — um dich zu vergeſſen, 
Sie erbten, bauten, freiten unterdeſſen, 
Du lebſt in mir! 

Wozu beweint? 

Du lebſt und fühlſt mit mir vereint! 


Ihr Heim 


Lang vorüber ging ich den Gehegen, 

Drin der Giebel deines Heimes ragt, 

Dieſer Pforte, dieſen Schattenwegen: 

Wer da wohne, hab ich nicht gefragt. 
Wer da wohne 

Hinter einer dunkeln Lindenkrone, 

Hat das Herz mir nicht vorausgeſagt. 


Pfade liefen durch die feuchte Wieſe, 
Kleine Sohlen ſah ich hier und dort 
Eingezeichnet auf dem weichen Kieſe, 
Aber meines Weges zog ich fort. 

Ich begehrte 
Zu verfolgen nicht die flücht'ge Fährte, 
Zu betreten nicht den ſtummen Ort. 


Auch ein Rauſchen hört ich aus der Linde, 
Die der Hauch der Abendlüfte bog; 
„Komme, Wandrer,“ rief es, „komm und finde!“ 
Während raſcher ich des Weges zog. 
Ich vertraute 
Dem Verſprechen nicht der Geiſterlaute, 
Deren Wehn mir oft das Herz betrog. 


Und den Stern der Liebe ſah ich eilen 
Dort zum dunkelſcharfen Bergesrand, 


Auf dem ſchlanken Giebel blitzend weilen 
Wie ein zitternd Feuer, eh er ſchwand. 

Im Entweichen 
Gab der Freund am Himmel mir ein Zeichen, 
Wann er über meinem Glücke ſtand. 


Längſt verſunken glaubt ichs in die Ferne, 

Das ſo nahe mir verborgen lag! 

Wer verſteht den ſtillen Wink der Sterne 

Vor dem rechten, dem beſtimmten Tag? 
Vor der Stunde, 

Die ihn zieht zu dem erſehnten Bunde, 

Den nicht Tod noch Leben trennen mag? 


Lang vorüber ging ich deiner Liebe 

Durch den Staub des Lebens unbewußt, 

Daß zur Wonne mir die Klage bliebe 

Und ein leiſer Schmerz in ſel'ger Bruſt — 
Schmerz und Klage 

Über ohne dich verdarbte Tage, 

Die mit deinem Kuß du ſtillen mußt. 


Liebesjahr 
Hat ſich die Kelter gedreht? Tanzt dort mit dem Laub eine 
Flocke? 
Zuckte der Blitz im Auguſt? Blühten die Kirſchen im Mai? 
Blüten und Ahren und Trauben erblickt ich in ſchwellendem 
Kranz nur 
Um das geliebteſte Haupt, und ich erblicke ſie noch. 


Weihnacht in Ajaccio 


Reife Goldorangen fallen ſahn wir heute, Myrte blühte, 
Eidechs glitt entlang der Mauer, die von Sonne glühte. 


Uns zu Häupten neben einem morſchen Laube flog ein Falter — 
Keine herbe Grenze ſcheidet Jugend hier und Alter. 


127 


Eh das welke Blatt verweht iſt, wird die Knoſpe neu ges 
boren — 
Eine liebliche Verwirrung, ſchwebt der Zug der Horen. 


Sprich, was träumen deine Blicke? Fehlt ein Winter dir, ein 
bleicher? 
Teures Weib, du biſt um einen lichten Frühling reicher! 


Liebſt du doch die langen Sonnen und die Kraft und Glut 
der Farben! 
Und du ſehnſt dich nach der Heimat, wo ſie längſt erſtarben? 


Horch! durch paradieſeswarme Lüfte tönen Weihnächtsglocken! 
Sprich, was träumen deine Blicke? Von den weißen Flocken? 


Schneewittchen 


Schneewittchen haſt im Scherz du dich genannt, 
Da plaudernd einſt zuſammen wir geſeſſen, 

Der Augen tiefes Blau, die Elfenhand, 

Des Nackens Blondgekraus, wer kanns vergeſſen? 


Noch jüngſt — ich ſchritt ein hohes Tal entlang, 
Es war gekrönt mit ſieben Silberſpitzen, 

Die von dem himmelnahen Felſenhang 
Herunter auf die grünen Pfade blitzen — 


„Schneewittchen!“ rief ich laut und unbewußt, 
„Schneewittchen hinter deinen ſieben Bergen! 
Führſt droben pünktlich du mit kühler Bruſt 
Den kleinen Haushalt deinen ſieben Zwergen?“ 


Ein ſpottend Echo nur antwortet' mir, 

Die Felsſtirn rümpfte lachend ihre Falten; 

Und doch, und doch, mir wars, ich hätt von dir, 
Schneewittchen! einen lieben Gruß erhalten. 


128 


Hirtenfeuer 
Ließeſt unter uns dich nieder, 
Liebe, liebenswerte Frau, 

Aber heute ziehſt du wieder, 
Wie die Sterne ziehn im Blau. 


Siehſt den Abendſtern du blinken 
Dort vor ſeinem Untergang? 
Einen Augenblick im Sinken 
Ruht er auf dem Bergeshang. 


In der flüchtigen Minute, 
In dem eilenden Moment 
Iſts, als ob er gaſtlich ruhte, 
Wie ein Hirtenfeuer brennt. 


Aber nur die kleinſte Weile 
Bringt er auf der Erde zu, 
Sieh — er zittert ja vor Eile 
Und verſchwindet, Frau, wie du. 


Laß ſcharren deiner Roſſe Dufl 


9 Meyer. II. 


Geh nicht, die Gott für mich erſchuf! 
Laß ſcharren deiner Roſſe Huf 
Den Reiſeruf! 


Du willſt von meinem Herde fliehn? 
Und weißt ja nicht, wohin, wohin 
Dich deine Roſſe ziehn! 


Die Stunde rinnt! das Leben jagt! 
Wir haben uns noch nichts geſagt — 
Bleib, bis es tagt! 


Du darfſt aus meinen Armen fliehn? 
Und weißt ia nicht, wohin, wohin 
Dich deine Roſſe ziehn ... 


130 


Dämmergang 


Du lebſt meerüber 
In blauer Ferne 

Und du beſuchſt mich 
Beim erſten Sterne. 


Ich mach im Felde 
Die Dämmerrunde, 
Umbellt, umſprungen 
Von meinem Hunde. 


Es rauſcht im Dickicht, 
Es webt im Düſter, 
Auf meine Wange 
Haucht warm Geflüſter. 


Das Weggeleite 

Wird trauter, trauter, 
Du ſchmiegſt dich näher, 
Du plauderſt lauter. 


Da gibts zu ſchelten, 
Da gibts zu fragen 
Und hell zu lachen 
Und leis zu klagen. 


Was wedelt Barry 

So glückverloren? 

Du krauſt dem Liebling 
Die weichen Ohren . .. 


Die tote Liebe 


Entgegen wandeln wir 
Dem Dorf im Sonnenkuß, 
Faſt wie das Jüngerpaar 
Nach Emmaus, 


Dazwiſchen leiſe 

Redend ſchritt 

Der Meiſter, dem ſie folgten 
Und der den Tod erlitt. 

So wandelt zwiſchen uns 
Im Abendlicht 

Unſre tote Liebe, 

Die leiſe ſpricht. 

Sie weiß für das Geheimnis 
Ein heimlich Wort, 

Sie kennt der Seelen 
Allertiefſten Hort. 

Sie deutet und erläutert 

Uns jedes Ding, 

Sie ſagt: So iſts gekommen, 
Daß ich am Holze hing. 

Ihr habet mich verleugnet 
Und ſchlimm verhöhnt, 

Ich ſaß im Purpur, 

Blutig, dorngekrönt, 

Ich habe Tod erlitten, 

Den Tod bezwang ich bald, 
Und geh in eurer Mitten 

Als himmliſche Geſtalt — 
Da ward die Weggeſellin 
Von uns erkannt, 

Da hat uns wie den Jüngern 
Das Herz gebrannt. 


Mit einem Jugendbildnis 
Hier — doch keinem darfſt dus zeigen, 
Solche Sanftmut war mir eigen, 
Durfte ſie nicht lang behalten, 

Sie verſchwand in harten Falten, 
Sichtbar iſt ſie nur geblieben 
Dir und denen, die mich lieben. 


131 


VI 


G. GO 


Die Schule des Silen 


In der ſchattendunkeln Laube gab Silen, der weiſe, Stunde, 
Der ihm weich ans Knie geſchmiegte Bacchus hing an ſeinem 
Munde, 
Lieblich lauſchend. 


Unter ſeinem krauſen Barte lachte ſchelmiſch der Ergraute, 
Da er in das milde Feuer junger Götteraugen ſchaute. 
Dann begann er: 


„Kind, betrachte dieſes Antlitz, die gedankenſchweren Lider! 
Kind, in jedem greiſen Zecher ehre du die Züge wieder 
Deines Lehrers. 


Oft, wo die Veliten wankten, jene prahleriſchen Knaben, 
Sind es die Triarier, Liebling, die das Feld behauptet haben 
Unerſchüttert! 


Wenn auf Chios mit dem Mädchen teilt den Becher der Ephebe, 
Laß ſie nippen, laß ſie koſen — mit der vollſten Schale ſchwebe 
Du vorüber. 


Lenke deine götterleichten Schritte zu Homer, dem alten, 
Netze ſeine heil'gen Lippen, glätte ſeiner Stirne Falten, 
Wundertäter! 


Lös ihm jeder Erdenſchwere Feſſel mit der Hand, der milden, 
Fülle du des Blinden Auge mit unſterblichen Gebilden, 
Ewig ſchönen!“ 


132 


Pentheus 


Sie ſchreitet in bacchiſch bevölkertem Raum, 

Mit wehenden Haaren ein glühender Traum, 
Von Faunen umhüpft, 

Um die Hüfte den Gürtel der Natter geknüpft. 


Melodiſch gewiegt und von Eppich umlaubt, 

Ein flüſterndes, rücklings geworfenes Haupt — 
„Ich opfre mich dir. 

Verzehre, Lyäus, was menſchlich in mir!“ 


„Agave!“ rufts, und der bacchiſche Schwarm 
Zerſtiebt und der Vater ergreift ſie am Arm. 
„Weg, trunken Geſind! 

Erwach und erröte, verlorenes Kind! 


Du dienſt einem Gaukler!“ Im Schutz des Gewands 

Verhüllt er den Buſen, entreißt ihr den Kranz — 
Wild hebt ſie den Stab. 

Sie ſchlug! Aufſtöhnt, der das Leben ihr gab. 


„Ich glaube den Gott! Ich empfinde die Macht! 
Ich ſtrafe den Frevler, der Götter verlacht! 

Wer biſt du, Geſicht? 
Ich bin die Bacchantin! Ich kenne dich nicht!“ 


Er betrachtet ſein Kind. Er erſtaunt. Er erblaßt. 

Er entſpringt, von entſetzlichem Grauen erfaßt. 
Er flieht im Gefild, 

Ein rennender Läufer, ein haſtendes Wild. 


„Herbei alle Schweſtern! Mänaden, herbei!“ 

Erhebt ſie den Waidruf, das helle Geſchrei. 
„Zur Jagd! Zur Jagd!“ 

— „Wir folgen dir, blonde, begeiſterte Magd!“ 


Sie jagen den König, Agave vorauf, 

Er ſtürzt in den Strom und erneuert den Lauf 
Am andern Geſtad. 

Aufſpritzen die Waſſer, ſie ſpringen ins Bad. 


Er wirbelt mit bebenden Füßen den Staub, 

Es dämmert — die Bacchen verfolgen den Raub — 
Es dämmert empor 

Ein Fels ohne Pfad, eine Wand ohne Tor. 


Er ſteht und er ſtarrt an die grauſige Wand, 

Da trifft ihn der Thyrſus in raſender Hand — 
Nacht ſchwebt heran 

Und erſchrickt und verhüllt, was Agave getan. 


Vor einer Büſte 


Biſt du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichſte 


biſt du! 


Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grauſamer 


Zug. 


Die ſterbende Meduſe 


Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten, 
Belauert Perſeus bang in ſeinem Schild 

Der ſchlummernden Meduſe Spiegelbild, 

Das ſüße Haupt mit müden Schlangenflechten. 
Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der Erde 
Des jungen Wuchſes atmende Gebärde — 
„Raub ich das arge Haupt mit raſchem Hiebe, 
Verderblich der Verderberin genaht? 

Wenn nur die blonde Wimper ſchlummern bliebe! 
Der Blick verſteint! Gefährlich iſt die Tat. 

Die Mörderin! Sie ſchließt vielleicht aus Liſt 
Die wachen Augen! Sie, die grauſam iſt! 


Durch weiße Lider ſchimmert blaues Licht 
Und — ziſchte dort der Kopf der Natter nicht?“ 


Meduſen träumt, daß einen Kranz ſie winde, 
Der Menſchen ſchöner Liebling, der ſie war, 
Bevor die Stirn der Göttin Angebinde 
Verſchattet ihr mit wirrem Schlangenhaar. 

Mit den Geſpielen glaubt ſie noch zu wandern 
Und ſpendet ihnen lockenſchüttelnd Grüße, 

In blühndem Reigen regt ſie mit den andern 
Die freudehellen, die beſchwingten Füße. 

Ihr Antlitz hat vergeſſen, daß es töte, 

Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge Lüge 
Des Traums. Es lauſcht dem Hauch der Hirtenflöte, 
Der weichmelodiſch zieht durch ſeine Züge. 

Es lächelt ſtill, von ſchwerem Bann befreit, 
In unverlorner erſter Lieblichkeit. 


Der Mörder tritt an ihre Seite dicht 
Und dunkler träumt Meduſens Angeſicht. 


Ihr iſt, ſie habe Haß empfunden ſchon, 

Vor ſich geſchaudert, dumpf und bang gelitten, 
Die Menſchen habe ſcheu ſie erſt geflohn, 

Dann ihnen nachgeſtellt mit Meuchlerſchritten — 
Sie ſinnt, was Unheilbares ſie gequält, 

Daß ſie dem eignen Leben feind geworden 

Und andres Leben ſich ergötzt zu morden — 

Sie ſinnt umſonſt. Ihr hälts der Traum verhehlt, 
Die grauſe Larve, die ſie lang geſchreckt, 

Iſt wie mit einem Purpurtuch bedeckt. 

Das Graun iſt aufgelöſt in Seligkeit, 

Begonnen hat der Seele Feierzeit. 

Der Dämmer herrſcht. Das harte Licht verblich. 
Als eine der Erlöſten fühlt ſie ſich. 

Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr, 


13 


Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr, 
Nein, nimmermehr, und nun iſt alles gut! 


Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Raſen, 
Sie hört die Hirtenflöte wieder blaſen 
Und lauſcht. Sie zuckt. Sie windet ſich. Sie ruht. 


Nächtliche Fahrt 
Ein Schiff befuhr das Meer. Aufrauſchend quoll 
Die Flut am Kiel. Er ſuchte Pylos' Strand. 
Das Steuer führt ein Jüngling kummervoll, 
Dem früh des Vaters Rat und Hilfe ſchwand. 


Der Glückbedürft'ge hieß Telemachos 
Und ſchaute nach des Segels nächt'gem Flug, 
Dicht neben ihm der hohe Fahrtgenoß, 
Athene wars, die Mentors Züge trug. 


Unendlich brach hervor der Sterne Heer, 

Die lichten Waller wußten ihre Bahn... 

Da ſprach die Tochter Zeus' auf dunkelm Meer: 
„Zuſammen rufen wir die Götter an!“ 


Die Hände, wie der Staubgeborne fleht, 
Erhob ſie ausgebreitet in die Nacht — 
Und ſie erhörte ſelber das Gebet, 

Von ihr für den Verlaßnen dargebracht. 


Der Stromgott 


Morgengraun. Die Karawane windet ſich dem Nil zur Seite, 
Eine Rede dröhnt und murmelt über dunkler Stromesbreite. 


Längs dem Ufer nippen durſtig ſilbergraugeperlte Tauben, 
Trinken Ibiſſe mit blankem Flügelpaar und ſchwarzen Hauben. 


136 


Nil, der ſegenreiche Vater, ſorgt für alle feine Kinder, 
Speiſt und tränkt aus ſeiner Fülle keines mehr und keines 
minder — 


Neben einem braunen Reiter ein gebundner Knabe wandelt, 
Joſeph iſts, von ſeinen Brüdern in die Sklaverei verhandelt. 


Taub' und Ibis flattern nur um wenig Flügelſchläge weiter. 
Joſeph lauſcht des Stromes Worten. Ruhig ſitzt der ſtumme 
Reiter. 


„Knabe, deine Blicke trauern! Jüngling, deine Füße bluten! 
Dich verkauften deine Brüder... Sei willkomm an meinen 
Fluten! 


Joſeph, fremder Knabe Joſeph, du gefeſſelter, du müder, 
Biſt du einſt der Herr der Ernten, ſpeiſe deine ſchlimmen 
Brüder! 


Knabe Joſeph!“ rauſcht es dumpfer. Das erſtaunte Kind in 
Banden 

Tröſtet ſich des güt'gen Grußes, bleibt er auch ihm unver— 
ſtanden. 


Auf des Niles weiten Waſſern iſt des Stromgotts Wort 
verſchollen, 

Nur ein Antlitz ſchwimmt und ſchimmert, deſſen Haare lockig 
rollen... 


Jetzt beleben ſich die Pfade. Schiffe blähen ihre Flügel. 
Kleebeladene Kamele wandern, ſanftbewegte Hügel. 


Frauen kommen mit dem ſchlanken Kruge, die gemeſſen 
ſchreiten 
In verhülltem, ſtillem Zuge, wie die Jahre, wie die Zeiten... 


137 


Aus der ahnungsvollen Ferne ragen Spitzen, hell beſonnte, 
Steigen wie beſchneite Gipfel weiß am reinen Horizonte — 


Joſeph ſchaut empor zum Reiter: „Mit dir meiner Väter 
Frieden! 

Herr, wie nennſt du dort die Berge?“ „Kind, du ſchauſt die 
Pyramiden!“ 


Theſpeſius 


Zwei Greiſe ruhten unter einer Pinie, 

Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut, 

Wo wandernd ſie begegnet ſich von ungefähr. 

Sie führten Zwiegeſpräch und ſie behagten ſich. 

— „Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, biſt 
du?“ 

— „Mich nannten Aridäus lange Jahre ſie, 

Seit langen Jahren bin ich nun Theſpeſius.“ 

— „Zwei Namen trugſt du?“ — „Beide Namen, Eukrates. 

Hör an! Ein Jüngling, peitſcht ich raſend das Geſpann. 

Die Roſſe flogen. Becher, Buhlen, Würfelſpiel, 

Wut, Zorn, vergoſſen Blut — verklagend Blut! 

Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir. 

Sie folgten meiner raſchen Füße ſchnellſtem Lauf, 

Ich warf mich in den Fluß, ſie ſprangen jauchzend nach 

Und hoben ſchwimmend ihrer Fackeln düſtre Glut. 

Ich klomm bergan — verirrt ſtürzt ich von einer Wand — 

Die Sinne ſchwanden mir. Dann lebt ich wieder — wars 

Im Traum? — und ſchritt auf einem weichen Wieſengrün, 

Wo Sel'ge, ſolche ſchienen fie, luſtwandelten 

In ſtill bewegten Scharen. Kränze trugen ſie. 

Den einen kannt ich wohl und ward von ihm erkannt: 

Mein Blutsverwandter, welcher jüngſt geſchwunden war 

Aus dieſer Erde Staub nach einem reinen Lauf. 

Der ſprach mich an: ‚Sch grüße dich, Theſpeſius!“ 

„Wozu der neue Name, wunderſamer Ohm? 


138 


Wie nennſt du mich? Dein Aridäus bin ich ja!! 

Die Locken ſchüttelt' leis er, die ambroſiſchen, 

Und abermals: „Ich grüße dich, Theſpeſius! ... 

Jetzt wacht ich wirklich auf. Am Hange lag 

Ich blutbefleckt, von gier'gen Raben ſchon umſchwärmt. 
Was mehr? Ich ward ein Andrer. Nicht mit kleinem Kampf! 
Der Kampf iſt groß! Mein neuer Name ſtärkte mich, 

Der makelloſe, der ſo rein und göttlich klang! 

Hab gute Fahrt!“ — „Fahr wohl auch du, Theſpeſius!“ 


Der trunkene Gott 


Weiße Marmorſtufen ſteigen 
Durch der Gärten laub'ge Nacht, 
Schlanke Palmenfächer neigen 

In des Himmels blaue Pracht. 
Über Tempeln, Hainen, Grüften 
Zecht in abendweichen Lüften 
Alexanders Lieblingsſchar; 
Knieend bietet ihm ein Knabe, 
Daß der Erde Herr ſich labe, 

Wein in edler Schale dar. 


Herrlich iſts, den Wein zu ſchlürfen, 
Lagernd in der Götter Rat, 

Zwiſchen ſchwelgenden Entwürfen 
Und der wundergleichen Tat! 
Goldne Becher überquellen, 
Ruhmesgeiſter mit den hellen 
Helmen tauchen aus der Flut — 
Goldne Schalen überſchäumen, 
Geiſter, die gebunden träumen, 
Steigen auf in Zornesglut. 


Kleitos neben Philipps Sohne 
Furcht die Stirne kummervoll, 


139 


140 


Der benarbte Mazedone 

Schlürft im Weine Gram und Groll: 
Er gedenkt der Heergenoſſen, 

Die die erſte Phalanx ſchloſſen 

In den Bergen kühl und fern — 
Seinen dunkeln Mut zu kränken, 
Lüſtet es den ſchönen Schenken, 
Lagernd an dem Knie des Herrn. 


Die erhabne Stirn und Braue 
Träumt den Zug ins Inderland, 
Lauſchend lieſt den Traum das ſchlaue 
Kind, den Blick emporgewandt: 
„Bacchus biſt du, der belaubte, 

Mit dem ſchwärmeriſchen Haupte, 
Der ins Land der Sonne zieht! 

Ohne Heer kannſt du bezwingen, 

Nur den Thyrſus darfſt du ſchwingen, 
Winke nur und Indien kniet!“ 


Finſter grollt der alte Streiter: 
„Durch der Wüſte heißen Sand? 
Immer ferner, immer weiter? 
Nach des Indus Fabelſtrand? 
Kann ein Wink dir Sieg erwerben, 
Warum bluten, warum ſterben 

Wir für dich? Zu deinem Spott? 
Lebende kannſt du belohnen, 

Deine toten Mazedonen, 

Wecke ſie, biſt du ein Gott!“ — 


— „Welchen dampfenden Altares 
Freuſt du auf der Erde dich? 
Biſt du die Gewalt des Ares, 
Helmumflattert, fürchterlich? 
Herr, bevor den niedern Talen 
Du dich nahteſt ohne Strahlen, 


Welches war dein himmliſch Amt? 
Biſt du Zeus? Biſt du ein Andrer? 
Biſt du Helios, der Wandrer, 
Deſſen Stirne ſonnig flammt?“ 


Grimmig neigt der graue Fechter 
Sich zum Ohr des Gottes hin, 

Mit unſeligem Gelächter 

Rührt er an der Schulter ihn: 

„Gaſt des Himmels, warum ſinken 
Haupt und Schulter dir zur Linken?) 
Laſtet dir der Erde Raub? 

Mit den Göttern willſt du zechen? 
Spotten hör ich dein Gebrechen: 
Alexander, du biſt Staub!“ 


Eine zürnende Gebärde! 

Blitz und Sturz! Ein Gott in Wut! 
Ein Erdolchter an der Erde 

Windet ſich in feinem Blut... 

In den Abendlüften Schauer, 

Ein verhülltes Haupt in Trauer, 
Ausgeraſt und ausgegrollt! 
Marmorgleich verſteinte Zecher, 

Und ein herrenloſer Becher, 

Der hinab die Stufen rollt. 


Der Botenlauf 


Blicke gen Himmel gewandt, gebreitete flehende Arme! 
Murmeln und ſchallender Ruf knieender Mädchen und 
Fraun: 
„Götter, beflügelt den Boten! Entſcheidung lieber als Bangnis! 
Seit ſich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin. 


1) Alexander war ſchief, ſeine rechte Schulter etwas hoͤher als die 
ſchwaͤchere linke. 


141 


Siehe, die Sonne verſinkt! Mitkämpfer, Kaſtor und Pollur, 
Denkt der verlaſſenen Fraun, ſendet den Boten geſchwind!“ 
Horch! Achthufig Geklirr bergan. Zwei befreundete Reiter! 
Schon am heiligen Quell ſpülen die Waffen ſie rein. 
Dann, zwei gewaltige Jünglinge, ſtehn auf der ragenden Burg 
ſie, 
Gegen die ſchauernden Fraun hat ſich der eine gekehrt: 
„Freude, knoſpendes Mädchen! Entſchloſſene Römerin, Freude! 
Herrlicher Sieg iſt erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?“ 
Einer ſprichts, und der andere lauſcht, zu dem Bruder ge— 
wendet. 
Jetzt in das bleichende Licht ſpringen die Roſſe empor. 
Einer der Jünglinge ſchwindet im Abend, es ſchwindet der 
andre, 
Denn wie ein liebendes Paar laſſen die Brüder ſich nicht. 
Über der römiſchen Feſte gewaltigem, dunkelndem Umriß 
Hebt ſich in dämmernder Nacht ſeliges Doppelgeſtirn. 


Der Geſang der Parze 


In der Wiege ſchlummert ein ſchönes Römerkind, 
Die graue Parze ſitzt daneben und ſpinnt. 

Sie ſchweigt und ſpinnt. Doch iſt die Mutter fort, 
So ſingt die Parze murmelnd ein dunkles Wort: 


„Jetzt liegſt du, Kindlein, noch in der Traumesruh. 
Bald, kleine Claudia, ſpinneſt am Rocken du — 
Du wachſeſt raſch und entwächſt den Kleidlein bald! 
Du wachſeſt ſchlank! Du wirſt eine Wohlgeſtalt! 


Die Fackel lodert und wirft einen grellen Schein, 
Sie kleiden dich mit dem Hochzeitsſchleier ein! 
Die Knaben hüpfen empor am Feſtgelag 

Und ſcherzen ausgelaſſen zum ernſten Tag. 


Eine Herrin wandelt in ihrem eignen Raum, 
Und ihre Mägd und die Sklaven atmen kaum. 


142 


Ihr ziemt, daß all die Hände geflügelt find. 
Ihr ziemt, daß all die Lippen gezügelt ſind. 


Die blühenden Horen ſchwingen im Reigen ſich: 

Dir ward ein Knabe, Julier, freue dich! 

Doch wann die Freude ſchwebt und die Flöte ſchallt, 
Dann“ — ſingt die Parze — „kommt der Jammer bald. 


Der Tiber flutet und überſchwemmt den Strand, 
Das bleiche Fieber ſteigt empor ans Land, 

Der Rufer ruft und kündet von Haus zu Haus: 
„Vernehmt! Den Julier tragen fie heut hinaus!“ 


Jetzt, kleine Claudia, trägſt du unträglich Leid! 
In ſtrenge Falten legſt du dein Witwenkleid — 
Dein Römerknabe ſpringt dir behend vom Schoß 
Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß... 


Die Tuben blaſen Schlacht und fie blaſen Sieg... 
Da nahts. Da kommts, was empor die Stufen ſtieg: 
Vier Männer und die Bahre, Claudia, ſinds 

Mit der bekränzten Leiche deines Kinds! 


Jetzt, kleine Claudia, biſt du zu Tode wund“ — 
Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüſſelbund. 
Die Mutter tritt beſorgt in die Kammer ein 

Und die Parze bleicht im goldenen Morgenſchein. 


Dei „ In Dem San 


„Greif aus, du mein junges, mein feuriges Tier! 
Noch einmal verwachs ich zentauriſch mit dir! 


Umſchmettert mich, Tuben! Erhebet den Ton! 
Den Latiner beſiegte des Manlius Sohn! 


143 


144 


Voran die Trophän! Der latiniſche Speer! 
Der eroberte Helm! Die erbeutete Wehr! 


Duell iſt bei Strafe des Beiles verpönt. .. 
Doch er liegt, der die römiſche Wölfin gehöhnt! 


Liktoren, erfüllet des Vaters Gebot! 
Ich beſitze den Kranz und verdiene den Tod — 


Bevor es ſich rollend im Sande beſtaubt, 
Erheb ich in ewigem Jubel das Haupt!“ 


Das Joch am Leman 


„Die Einen liegen tot mit ihren Wunden, 

Die Andern treiben wir daher gebunden! 

Den Römeraar der Zwillingslegion, 

Im Männerkampf, im Roßgeſtampf entriſſen 

Der eingegarnten Wölfin ſcharfen Biſſen, 
Schwingt Divico, der Berge Sohn!“ 


Weit blaut die Seeflut. Scheltend jagen Treiber 
Am Ufer einen Haufen Menſchenleiber, 
Die nackte Schmach umjauchzt Triumphgeſang, 
Ein Jüngling kreiſt auf einem falben Pferde 
Um die zu zwein gepaarte Römerherde 

Die Krümmen des Geſtads entlang. 


Er ſchleudert auf den Aar mit ſtolzem Schreie, 

Er ſchickt den Ruf empor zur Firnenreihe 

— Die Grät und Wände blicken groß und bleich —: 

„Hebt, Ahnen, euch vom Silberſitz, zu ſchauen 

Die Pforte, die wir für den Räuber bauen, 
Der ſich verſtieg in euer Reich! 


Wir bauen nicht mit Mörtel noch mit Steinen, 
Zwei Speere pflanzt! Querüber bindet einen! 


Zwei Römerköpfe drauf! Es iſt getan!“ — 
Das Joch umſtehn verwogne Kriegsgeſellen 
Mit Auerhörnern und mit Bärenfellen 

Und ſchauen ſich das Bauwerk an. 


Die Hörner dröhnen. Zu der blut'gen Pforte 
Strömt her das Volk aus jedem Tal und Orte, 
Groß wundert ſich am Joch die Kinderſchar, 
Ein Mädelreigen ſpringt in heller Freude 
Um das von Schande triefende Gebäude, 

Den blühnden Veilchenkranz im Haar. 


Der Manlierſtirn verzogne Brauen grollen, 

Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen — 

Der Hirtenknabe geißelt wie ein Rind 

Den Brutusenkel. Sich durchs Joch zu bücken, 

Krümmt jetzt das erſte Römerpaar den Rücken, 
Und gellend lacht das Alpenkind. 


Mit ſtarren Zügen blickt, als ob er ſpotte, 
Ein Felſenblock, der eigen iſt dem Gotte, 
Drauf hoch des Landes Prieſterinnen ſtehn: 
Ein hell Geſchöpf in ſonnenlichten Flechten 
Und eine Drude mit geballter Rechten 

Und rabenſchwarzer Haare Wehn. 


Die Dunkle höhnt: „Geht, Römer! Schneidet 
Stecken! 
Mit Lumpen gürtet euch und Bettelſäcken! 


Euch peitſch ein wildes Wetter durch die Schlucht! 


Verflucht der Steg, darüber ihr gekommen, 
Und wen ihr euch zum Führer habt genommen, 
Er ſei am ganzen Leib verflucht!“ 


Die Lichte fleht: „Du blitzeſt in den Lüften, 
Umſchwebſt die Spitzen, hauſeſt in den Klüften, 


10 Meyer. II. 


145 


Behüte, Geiſt der Firn, uns lange noch!“ 

Die beiden ſingen ſtarke Zauberlieder — 

Ein Geier hangt im Blau und ſtößt danieder 
Und ſetzt ſich ſchreiend auf das Joch. 


Das Geiſterroß 


Durch den dreigeteilten Bogen, 
Des Triumphes prangend Tor, 
Durch die lauten Menſchenwogen 
Dort zum Kapitol empor 

Lenkt den Tanz der weißen Pferde 
Cäſars läſſige Gebärde. 


Hinter des Triumphes Wagen 
Duldend oder grollend gehn 
Überwundne. Ketten tragen 

Cäſars lebende Trophän. 

„Dieſer!“ höhnt es im Gedränge, 
„Dieſer Trotz'ge!“ ziſcht die Menge. 


Unberührt vom Hohn der Stunde, 
Starren, traumgefüllten Blicks, 
Geht, ein Singen auf dem Munde, 
Ruhig Vereingetorir — 

Fremde Weiſe, fremde Worte, 
Mit dem Geiſt an fremdem Orte: 


„Cäſar, blendend weiße Roſſe 

Hat Hiſpanien dir gebracht! 

Ellid, edler Ahnen Sproſſe, 

Dunkel iſt er wie die Nacht — 

Deine Schimmel, deine viere, 

Tauſcht ich nicht mit meinem Tiere... 


Ellid heißt der wackre Jager, 
Stark von Wuchs und feſt im Bug, 


10* 


Welcher mich ins Römerlager 
Mit gewalt'gen Sprüngen trug... 
Der zum Opfer ich gegeben 

Mich für meines Volkes Leben! 


Dreimal flog ich um im Kreiſe, 
In der Fauſt des Schwertes Blitz, 
Noch im Lauf, nach Gallier Weiſe, 
Sprang ich ab vor Cäſars Sitz... 
Schwarzer Ellid, zu den Toten 
Send ich dich als meinen Boten! 


Wie er mir ins Antlitz ſchnaubte, 
Stieß ich, Blick verſenkt in Blick, 
Hinter ſeinem mächt'gen Haupte 


Stracks das Schwert ihm durchs Genick ... 


Daß mir eines Roſſes Ehre 
Mangle nicht im Geiſterheere. 


Ellid ſprengt ſeit langen Jahren 
Mitten in der bleichen Jagd, 

Wann daheim die Toten fahren 
Durch die Wälder, bis es tagt... 
Sehn ſie meinen led'gen Renner, 
Wundern ſich die ſtillen Männer... 


Lange Jahre lag gebunden 

Ich in feuchter Kerkergruft 

— Kettenſchwere, dumpfe Stunden — 
Endlich wieder Tag und Luft — 

Ellid, ſchwarzer Ellid, ſpute 

Dich! Du witterſt, wo ich blute! 


Heute endlich! Endlich heute! 
Wann der Kahle ſchwelgt am Mahl, 
Würgt er ſeine Siegesbeute. 


147 


148 


Mit dem letzten müden Strahl, 
Wann die Sonne niedergleitet, 
Wird mir Block und Beil bereitet. 


Henker, nimm das Beil zu Händen! 

Nicht das Beil? ... So nimm den Strang! 
Droßle mich! Nur enden, enden! 

Letzte Schmach! Sie währt nicht lang ... 
Ellids kurzes Hufgeſtampfe 

Dröhnt in meinem Todeskampfe! 


Sterbend pack ich Ellids Haare, 

Ein Befreiter ſpring ich auf, 

Fahre, ſchwarzer Ellid, fahre! 

Nach der Heimat nimm den Lauf! 

Wogen toſen! Rhodans Stimme! 

In den Strom, mein Tier, und ſchwimme!“ 


Cäſars Schimmel blähn die Nüſtern. 
„Ave Triumphator!“ ſchallt. 

Des Gebundnen Lippen flüſtern: 

„In der Heimat bin ich bald! 

Ellid mit geſtrecktem Jagen 

Wird mich nach der Heimat tragen!“ 


Das verlorene Schwert 


Der Gallier letzte Burg und Stadt erlag 
Nach einem letzten durchgekämpften Tag, 
Und Julius Cäſar tritt in ihren Hain, 

In ihren ſtillen Göttertempel ein. 

Die Weihgeſchenke ſieht gehäuft er dort, 

Von Gold und Silber manchen lichten Hort 
Und edeln Raub. Doch über Hort und Schatz 
Hangt ein erbeutet Schwert am Ehrenplatz. 
Es iſt die Römerklinge kurz und ſchlicht — 
Des Juliers ſcharfer Blick verläßt ſie nicht, 


Er haftet auf der Waffe wie gebannt, 

Sie deucht dem Sieger wunderlich bekannt! 

Mit einem Lächeln deutet er empor: 

„Ein armer Fechter, der ſein Schwert verlor!“ 
Da ruft ein junger Gallier aufgebracht: 

„Du ſelbſt verloreſts im Gedräng der Schlacht!“ 
Mit zorn'ger Fauſt ergreifts ein Legionar — 
„Nein, tapfrer Strabo, laß es dem Altar! 
Verloren gings in ſteilem Siegeslauf 

Und heißem Ringen. Götter hobens auf.“ 


Das Heiligtum 


Waldnacht. Urmächt'ge Eichen, unter die 

Des Blitzes greller Strahl geleuchtet nie! 
Dämmernde Wölbung, Aſt in Aſt verwebt, 

Von keines Vogels Luſtgeſchrei belebt! 

Ein brütend Schweigen, nie vom Sturm geſtört, 
Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört, 
Darin, umblinkt von Schädel und Gebein, 

Sich ungewiß erhebt ein Opferſtein .. 

Es rauſcht. Es raſchelt. Schritte durch den Wald! 
Das kurze römiſche Kommando ſchallt. 

Geleucht von Helmen! Eine Kriegerſchar! 
Vorauf ein Gallier und ein Legionar: 

„Die Stämme können dienen. Beil in Schwung! 
Cäſar braucht Widder zur Belagerung!“ ) 
Erbleichend ſpricht der Gallier ein Gebet, 

Den Römer ſelbſt ergreift die Majeſtät 

Des Orts, doch hebt gehorchend er die Art — 
Der Gallier flüſtert: „Weißt du, was du wagſt? 
Die Stämme — dieſe Rieſen — ſind gefeit, 
Hier wohnt ein mächt'ger Gott ſeit alter Zeit, 
In deſſen Nähe nur der Prieſter tritt, 


1) von Maſſilia. 


150 


Ein totenblaſſes Opfer ſchleppt er mit. 

Verſehrteſt nur ein Blatt du freventlich, 

Stracks kehrte ſich die Waffe wider dich!“... 

Die heil'gen Eichen drohen Baum an Baum, 

Die Römer lauſchen bang und atmen kaum, 

Schwer, ſchwerer wird der Hand des Beiles Wucht, 

Und ihr entſinkts. Sie ſtürzen auf die Flucht. 

„Steht!“ Und ſie ſtehn. Denn es iſt Cäſars Ruf, 

Der ihre Seelen ſich zu Willen ſchuf! 

Er iſt bei ſeiner Schar. Er deutet hin 

Auf eine Eiche. Sie umſchlingen ihn, 

Sie decken ihn wie im Gedräng der Schlacht, 

Sie flehn. Er ringt. Er hat ſich losgemacht, 

Er ſchreitet vor. Sie folgen. Er ergreift 

Ein Beil, hebts, führt den Schlag, der ſauſt und 
pfeift... 

Sank er verwundet von dem frevlen Beil? 

Er lächelt: „Schauet, Kinder, ich bin heil!“ 

Erſtaunen! Jubel! Hohngelächter! Spott! 

Soldatenwitz: „Verendet hat der Gott!“ 

Die Rinde fliegt! Des Stammes Stärke kracht! 

Vom Laub zu dunklerm Laube flieht die Nacht. 

Die Beile tun ihr Werk. Die Wölbung bricht, 

Und Rieſentrümmer überſtrömt das Licht. 


Die wunderbare Rede 


Auf der Appierſtraße zieht ein Heer 
Schnellen Schrittes, weit umwölkt von Staub. 
Weiß am Horizont das Häuſermeer — 
„Rom iſt morgen euer!“ zeigt Sever. 
„Flieget, Adler! Stoßt auf euren Raub!“ 


Morgen? Rom ſorgt ſich um morgen nicht. 
„Die Gladiatoren ſpielen heut!“ 
Weiber ſchmücken ſich. Oreſtes ficht! 


Manch unheimlich brennend Augenlicht 
Blitzt im Spiegel, den die Sklavin beut. 


Sänften haſten zum Theater ſchon, 

Von Gewitterwolken überjagt, 
Schwüle Blicke, die wie Fackeln lohn! 
Ungeduldig finſtre Brauen drohn: 
„Eilet, Sklaven!“ Spiel iſt angeſagt! 


über Dach und Zinne ragt empor 
Himmelhoch ein rieſenſtarker Bau, 

Der ein Volk empfängt durch manches Tor. 
Hinter ſeinem Mauerkranz hervor 

Steigt es ſchwarz und ſchwärzer auf im Blau. 


Drinnen drängen ſie ſich Sitz an Sitz, 

Jede Stufe ſtrotzt und wogt und ſchwillt. 

Auf der Bühne züngeln hell und ſpitz 

Kurze Schwerter. Schimmernd flirrt ein Blitz, 
Und ein erſter Sprudel Blutes quillt. 


Starren Blickes, blaß vor Leidenſchaft, 
Lauert vorgeneigt die Römerin 

Auf die Sterbewunde — eine gafft 
Lüſtern, eine ſinnt dämonenhaft, 

Eine lauſcht mit hartem Mörderſinn. 


An der raſch gedrehten Klingen Spiel 
Haften Seelen gierig, ohne Zahl — 
Traf der Stoß? Er ſaß. Ein Fechter fiel, 
Wälzt ſich um im Sand und iſt am Ziel 
Nach der kurz empfundnen Sterbequal. 


Mark und Herz erſchütternd gellt ein Schrei! 
Dort auf dem Balkon ein Weib im Traum! 
Um die Schultern wehn die Haare frei, 


Und als ob fie die Sibylle ſei, 
Ruft fie ehern durch den vollen Raum: 


„Wehe morgen! Fechter, du biſt tot! 
Gute Fahrt! Dir tun ſie nichts zuleid! 
Morgen wehe! Horch! Die Tuba droht! 
Eine weite Flamme weht und loht! 
Wehe! Sie zerreißen mir das Kleid!“ 


In das Morgen blickt ſie voller Graun, 
Schaudernd wie vor Blutes tiefem Strom, 
Denn ihr Auge kann das Künft'ge ſchaun — 
Es iſt keine von den ird'ſchen Fraun! 

Es iſt Rom! Es iſt die Göttin Rom! 


Vor dem Volk auf hoher Stufe ragt 
Rom die Herrin in verſteintem Schmerz, 
Rom, vor welcher einſt die Welt gezagt, 
Jetzt die wunde, die geſchlagne Magd! 
Leid und Mitleid füllen jedes Herz. 


Durch die Menge geht ein Flüſtern leis, 

Eine Rede ſchwirrt und irrt und rauſcht, 
Flutet höher, höher ſtufenweis, 

Brauſt wie Meeresbrandung, füllt den Kreis, 
Jeder ſpricht ſie mit und jeder lauſcht: 


„Schande! Brandmal! Striemen! Sklavenjoch! 
Wehe! Sie zerreißen dir das Kleid! 

Ach wie lange noch, wie lange noch? 

Stürbeſt, Göttin Roma, ſtürbſt du doch! 

Aber du biſt voll Unſterblichkeit!“ 


In einer Sturmnacht 


Es fährt der Wind gewaltig durch die Nacht, 
In ſeine gellen Pfeifen bläſt der Föhn. 


152 


Prophetiſch kämpft am Himmel eine Schlacht 
Und überſchreit ein wimmernd Sterbgeſtöhn. 


Was jetzt dämonenhaft in Lüften zieht, 

Eh das Jahrhundert ſchließt, erfüllts die Zeit — 
In Sturmespauſen klingt das Friedelied 

Aus einer fernen, fernen Seligkeit. 


Die Ampel, die in leichten Ketten hangt, 

Hellt meiner Kammer weite Dämmerung. 
Und wann die Decke bebt, die Diele bangt, 
Bewegt ſie leiſe ſich in ſachtem Schwung. 


Mir redet dieſe Flamme wunderbar 
Von einer windbewegten Ampel Licht, 
Die einſt geglommen für ein nächtlich Paar, 
Ein greiſes und ein göttlich Angeſicht. 


Es ſprach der Friedeſtifter, den du weißt, 
In einer ſolchen wilden Nacht wie heut: 
„Hörſt, Nikodeme, du den Schöpfer Geiſt, 
Der mächtig weht und ſeine Welt erneut?“ 


Alle 


Es ſprach der Geiſt: Sieh auf! Es war im Traume. 
Ich hob den Blick. In lichtem Wolkenraume 

Sah ich den Herrn das Brot den Zwölfen brechen 
Und ahnungsvolle Liebesworte ſprechen. 

Weit über ihre Häupter lud die Erde 

Er ein mit allumarmender Gebärde. 


Es ſprach der Geiſt: Sieh auf! Ein Linnen ſchweben 
Sah ich und vielen ſchon das Mahl gegeben, 

Da breiteten ſich unter tauſend Händen 

Die Tiſche, doch verdämmerten die Enden 


nn 


154 


In grauen Nebel, drin auf bleichen Stufen 
Kummergeſtalten ſaßen ungerufen. 


Es ſprach der Geiſt: Sieh auf! Die Luft umblaute 
Ein unermeßlich Mahl, ſoweit ich ſchaute, 

Da ſprangen reich die Brunnen auf des Lebens, 

Da ſtreckte keine Schale ſich vergebens, 

Da lag das ganze Volk auf vollen Garben, 

Kein Platz war leer, und keiner durfte darben. 


VII 


e N D FEN. 


Friede auf Erden 


Da die Hirten ihre Herde 

Ließen und des Engels Worte 
Trugen durch die niedre Pforte 

Zu der Mutter und dem Kind, 
Fuhr das himmliſche Geſind 

Fort im Sternenraum zu ſingen, 
Fuhr der Himmel fort zu klingen: 
„Friede, Friede! auf der Erde!“ 


Seit die Engel ſo geraten, 

O wie viele blut'ge Taten 

Hat der Streit auf wildem Pferde, 
Der geharniſchte, vollbracht! 

In wie mancher heil'gen Nacht 
Sang der Chor der Geiſter zagend, 
Dringlich flehend, leis verklagend: 
„Friede, Friede ... auf der Erde!“ 


Doch es iſt ein ew'ger Glaube, 

Daß der Schwache nicht zum Raube 
Jeder frechen Mordgebärde 

Werde fallen allezeit: 

Etwas wie Gerechtigkeit 

Webt und wirkt in Mord und Grauen, 
Und ein Reich will ſich erbauen, 

Das den Frieden ſucht der Erde. 


Mählig wird es ſich geſtalten, 
Seines heil'gen Amtes walten, 
Waffen ſchmieden ohne Fährde, 
Flammenſchwerter für das Recht, 
Und ein königlich Geſchlecht 

Wird erblühn mit ſtarken Söhnen, 
Deſſen helle Tuben dröhnen: 
Friede, Friede auf der Erde! 


König Etzels Schwert 


Der Kaiſer ſpricht zu Ritter Hug: 

„Du haſt für mich dein Schwert verſpellt. 
Des Eiſens iſt bei mir genug, 

Geh, wähl dir eins, das dir gefällt!“ 


Hug ſchreitet durch den Waffenſaal, 
Wo ſtets der graue Schaffner ſitzt. 
„Der Kaiſer gibt mir freie Wahl 
Aus allem, was da hangt und blitzt!“ 


Er prüft und wägt. Von ihrem Ort 
Langt er die Schwerter mannigfalt — 
„Sprich, weſſen iſt das große dort, 
Gewaltig, heidniſch, ungeſtalt?“ 


„Des Würgers Etzel!“ flüſtert ſcheu 
Der Graue, der es hält in Hut. 

„Des Hunnenkönigs! Meiner Treu, 
So lechzt und dürſtet es nach Blut!“ 


„Laß ruhn. Es hat genug gewürgt! 
Die tote Wut erwecke nicht!“ 

„Gib her! Dem iſt der Sieg verbürgt, 
Der mit dem Schwert des Hunnen ficht!“ 


Und wieder ſprengt er in den Kampf. 
„Du haſt dich lange nicht geletzt, 
Schwert Etzels, an des Blutes Dampf! 
Drum freue dich und trinke jetzt!“ 


Er ſchwingt es weit, er mäht und mäht, 
Und Etzels Schwert, es ſchwelgt und trinkt, 
Bis müd die Sonne niedergeht 

Und hinter rote Wolken ſinkt. 


Als längſt er ſchon im Mondlicht brauſt, 
Wird ihm der Arm vom Schlagen matt. 
Er frägt das Schwert in ſeiner Fauſt: 

„Schwert Etzels, biſt noch nicht du ſatt? 


Laß ab! Heut iſt genug getan!“ 
Doch weh, es weiß von keiner Raſt, 
Es hebt ein neues Morden an 

Und trifft und frißt, was es erfaßt. 


„Laß ab!“ Es zuckt in grauſer Luſt, 
Der Ritter ſtürzt mit ſeinem Pferd 
Und jubelnd ſticht ihn durch die Bruſt 
Des Hunnen unerſättlich Schwert. 


Galaſwinte 


Im Saale jubelt Hochzeit — 

Die Arme vor dem Buſen 

Kreuzt Fredegund in Demut, 

Des Königs liſt'ge Buhlin: 

„Ich bin die Magd und leuchte 
Dem Bräutchen auf die Kammer!“ 
Die Alabaſterampel 

Mit römiſchen Skulpturen, 

Die ſchwebend einſt geſchimmert 


157 


In ſtillem Grabesdunkel, 
Trägt Fredegund in Demut 
Und hellt die Hochzeitskammer, 
Sie ſetzt die Ampel nieder 

Und geht und lächelt tückiſch. 
Die zarte Galaſwinte 

Blickt in die wehnde Flamme, 
Die Flamme loht und flackert, 
Die Ampel ſpringt in Scherben, 
Die Fürſtin weint im Dunkel: 
„Die mich gebracht aus Spanien, 
Dein Kind dem Frankenkönig, 
Jetzt drehſt du auf dem Roſſe 
Im Schein der Wanderfackel 
Noch einmal dich und breiteſt 
Nach mir die Arme, Mutter!“ 


Bettlerballade 


Prinz Bertarit bewirtet Veronas Bettlerſchaft 

Mit Weizenbrot und Kuchen und edlem Traubenſaft. 
Gebeten iſt ein jeder, der ſich mit Lumpen deckt, 

Der, heiſchend auf den Brücken der Etſch, die Rechte reckt. 


Auf edlen Marmorſeſſeln im Saale thronen ſie, 

Durch Riß und Löcher gucken Ellbogen, Zeh und Knie. 
Nicht nach Geburt und Würden, ſie ſitzen grell gemiſcht, 
Jetzt werden noch die Haſen und Hühner aufgetiſcht. 


Der taſtet nach dem Becher. Er durſtet und iſt blind. 

Den Krüppel ohne Arme bedient ein frommes Kind. 

Ein reizend ſtumpfes Näschen geckt unter ſtrupp'gem Schopf, 
Mit wildem Moſesbarte prahlt ein Charakterkopf. 


Die Herzen ſind geſättigt. Beginne, Muſica! 
Ein Dudelſack, ein Hackbrett und Geig und Harf iſt da. 


158 


Der Prinz, noch ſchier ein Knabe, wie Gottes Engel ſchön, 
Erhebt den vollen Becher und ſingt durch das Getön: 


„Mit friſch gepflückten Roſen bekrön ich mir das Haupt, 
Des Reiches ehrne Krone hat mir der Ohm geraubt. 

Er ließ mir Tag und Sonne! Mein übrig Gut iſt klein! 
So will ich mit den Armen als Armer fröhlich ſein!“ 


Ein Bettler ſtürzt ins immer. „Grumell, wo kommſt du her?“ 

Der Schreckensbleiche ſtammelt: „Ich lauſcht' von ungefähr, 

Gebettet an der Hofburg... Dein Ohm ſchickt Mörder aus, 

Nimm meinen braunen Mantel!“ Erzſchritt umdröhnt das 
Haus. 


„Drück in die Stirn den Hut dir! Er ſchattet tief! Geſchwind! 
Da haſt du meinen Stecken! Entſpring, geliebtes Kind!“ 
Die Mörder nahen klirrend. Ein Bettler ſchleicht davon. 
— „Wer biſt du? Zeig das Antlitz!“ Gehobne Dolche drohn. 


— „Laß ihn! Es iſt Grumello! Ich kenn das Loch im Hut! 
Ich kenn den Riß im Armel! Wir opfern edler Blut!“ 
Sie ſpähen durch die Hallen und ſuchen Bertarit, 

Der unter dunkelm Mantel dem dunkeln Tod entflieht. 


Er fuhr in fremde Länder und ward darob zum Mann. 
Er kehrte heim gepanzert. Den Ohm erſchlug er dann. 
Verona nahm er ſtürmend in rotem Feuerſchein. 

Am Abend lud der König Veronas Bettler ein. 


Die Söhne Haruns 


Harun ſprach zu ſeinen Kindern Aſſur, Aſſad, Scheherban: 

„Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muts begann? 

Seit ich Bagdads Thron beſtiegen, bin von Feinden ich um— 
geben! 

Wie befeſtigt ihr die Herrſchaft? Wie verteidigt ihr mein 
Leben?“ 


159 


Aſſur ruft, der feurig ſchlanke: „Schleunig werb ich dir ein 
Heer, 

Zimmre Maſten, webe Segel! Ich bevölkre dir das Meer! 

Roſſe ſchul ich. Säbel ſchmied ich. Ich erbaue dir Kaſtelle. 

Dir gehören Stadt und Wüſte! Dir gehorchen Strand und 
Welle!“ 


Aſſad mit der ſchlauen Miene ſinnt und äußert ſich bedächtig: 

„Sicher ſchaff ich deinen Schlummer, Sorgen machen über— 
nächtig. 

Daß du dich des Lebens freueſt, bleibe, Vater, meine Sache! 

Über jedem deiner Schritte halten hundert Augen Wache! 


Wirte, Kuppler und Barbiere, jedem ſetz ich einen Sold, 

Daß ſie alle mir berichten, wer dich liebt und wer dir grollt.“ 

Harun lächelt. Zu dem Jüngſten, ſeinem Liebling, ſagt er: 
„Ruhſt du? 

Wie beſchämſt du deine Brüder? Zarter Scheherban, was 
tuſt du?“ 


„Vater,“ redet jetzt der Jüngſte, keuſch errötend, „es iſt gut, 

Daß ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus deinem 
Blut! 

Über ungezählte Loſe biſt allmächtig du auf Erden, 

Das iſt Raub an deinen Brüdern — und du wirſt gerichtet 
werden! 


Dein erhaben Los zu ſühnen, das ſich türmt den Blitzen zu, 

Laß mich in des Lebens dunkle Tiefe niedertauchen du! 

Such mich nicht! Ich ging verloren! Sende weder Kleid noch 
Spende! 

Wie der Armſte will ich leben von der Arbeit meiner Hände! 


Mit dem Hammer, mit der Kelle laß mich, Herr, ein Maurer 
ſein! 
Selber maur ich mich in deines Glückes Grund und Boden ein! 


160 


Jedem Haufe wird ein Zauber, daß es unzerſtörlich dauert, 
Etwas Liebes und Lebend'ges in den Grundſtein eingemauert! 


Höreſt du die Straße rauſchen unter deinem Marmorſchloß? 
Morgen bin ich dieſer Menge namenloſer Tiſchgenoß — 
Blickſt du nieder auf die vielen Unbekannten, die dir dienen, 
Einer ſegnet dich vom Morgen bis zum Abend unter ihnen!“ 


Ser Derg der Seligkeſſen 


Ein Bergesrücken ſtillbeſonnt, 

Allum der duft'ge Horizont — 

Hier ſaß der Chriſt und rings im Kreis 
Die Galiläer, ſtufenweis 

Gelagert auf den ſteilen Triften — 
Der Meiſter lobt' der Lilie Kleid, 
Hieß göttlich Werk das Friedeſtiften 
Und rühmte die Barmherzigkeit. 

Er ließ die Segensſchwingen breiten 
All ſeines Reiches Seligkeiten. 
Dann iſt er ſacht hinabgegangen ... 
Und hat am Kreuzesſtamm gehangen. 


Am Berg der Seligkeiten irrten 

Der Hirtin Stapfen und des Hirten. 
Wie Wolken ſtill, wie Stürme brauſend, 
Zog dran vorüber ein Jahrtauſend. 

Die Lilie blieb des Lobes froh, 

Sie kleide ſich wie Salomo, 

Die Luft, drin nie das Erz erſcholl, 

Iſt noch von Friedeworten voll. 


Drommetenſtoß! Jach klimmt empor 

Ein Heer, das Schlacht und Raum verlor. 
Kreuzritter ſinds, von Saladin 
Verſprengt, die wild zur Höhe fliehn! 


11 Meyer. II. 161 


Heiß unter ihren Schritten her 
Entflammt den dürren Raſen er, 

In ſchwarzen Wolken wallt der Qualm. 
Schlachtroſſe ſchnauben auf der Alm. 
Scharf pfeifen Sarazenenpfeile 

Durch dieſes Fluchtgedränges Eile. 
Fort! Ein verfärbter Purpur weht, 

Ein junger König wankt entkräftet, 
Doch dieſes Reiches Majeſtät 

Iſt König Chriſt, ans Kreuz geheftet. 
Drum tragen ſie das Kreuz voran, 

Der Welterbarmer ſchwebte dran, 

Das bittre Kreuz, davon herab 

Er ſeines Mordes Schuld vergab. 

Sie wuſchens dann mit roten Bächen, 
Um des Erbarmers Tod zu rächen ... 
Das Wüten, Morden, Bluten, Streiten 
Erſteigt den Berg der Seligkeiten. 
Erklommen iſt der Gipfel jetzt, 

Und hinter ihm erbrauſt das Meer. 

Der Kurdenſchleuder ausgeſetzt, 

Steht auf dem Kulm das Chriſtenheer. 


Drommetenſtoß! „Der Heiland lebt! 
Chriſtus regiert!“ Der Berg erbebt. 
„Hilf, König, der gekreuzigt wurde!“ — 
„Zielt auf das Kreuz!“ befiehlt der Kurde. 
„Wie blöde Falter um die Flamme, 

So flattern ſie am Kreuzesſtamme!“ 

Es ſauſt. Steilnieder zu der Bucht 

Stürzt Roß und Reiter in die Schlucht. 
Das Kreuz, mit Glut und brünſt'ger Haſt 
Umfängts ein Mönch und hälts umfaßt: 
„Hörſt, König, du der Heiden Spott? 
Vernichte ſie, verhöhnter Gott! 

In heller Rüſtung komm gefahren 


Mit deines Vaters Engelſcharen! 

Lebſt du, regierſt du, Chriſte, nicht?“ 

Kein Engelſchwert erblitzt im Licht. 

Die Luft verfinſtert Pfeilgeſaus — 
„Komm!“ ſchreit der Mönch und atmet aus. 


Des Himmels innigtiefer Schein 

Umfließt ein menſchenleer Geſtein. 

Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerſtört, 
Dies Reich hat nicht dem Chriſt gehört. 


Die Gaukler 


Am Strande des gelobten Lands 

Im glühem Stich des Sonnenbrands 
Kämpft Ludowig der Fromme; 

Er trägt in ſich des Todes Keim, 
Ihm ahnt es, daß er nimmer heim 
Ins ſchöne Frankreich komme. 


Scheu lauſcht in Zeltes Dämmerſchein 
Ein junger Edelknecht herein 

Und hinter ihm die andern: 

„Herr König, es ſind Gaukler da, 
Drei Brüder aus Armenia, 

Die nach dem Grabe wandern. 


Es heißt, ſie ſpielen wunderſchön! 
Erlaubt ein friſches Horngetön 

Uns allen anzuhören!“ 

Der König ſeufzt: „Betrug der Welt! 
Bringt mir die Gaukler in das Zelt, 
Daß ſie euch nicht betören!“ 


Jetzt heben an den Mund die drei 
Das Horn und ſpielen frank und frei, 


163 


Als ging es aus zum Jagen. 

Dann wie ein Quell im Walde quillt, 
So rieſelt ſanft und wächſt und ſchwillt 
Ein Jubeln und ein Klagen. 


Gemach vertönt der Hörner Schall, 
Laut ruft Renaud von Reineval: 
„Du Herzenstroſt der Minne! 
Lucinden, die ſich um mich kränkt, 
In Treuen ihres Pilgers denkt, 
Sah ich auf ſtiller Zinne!“ 


„Ich ſchaute“, fällt Jung Walter ein, 
„In meinem Teich den Widerſchein 
Von Eichen kühl und düſter, 

Ich ſah mein Boot, der Ruder bar, 
Das halb ans Land gezogen war, 
Umneigt von Schilfgeflüſter!“ 


Ein jeder hat im Horneslaut 

Sein Herz belauſcht, ſein Lieb geſchaut, 
Sein Minnen und ſein Sehnen. 

— „Herr König, ſagt, was ſinnet Ihr? 
Was ſehnet Ihr? Was minnet Ihr? 
Was rinnen Euch die Tränen?“ 


Herr Ludwig flüſtert: „Sel'ger Traum! 
Mich hoben durch den Himmelsraum 
Angeliſche Geſtalten. 

„Getreuer Knecht, willkomm! erſcholl 
Ein Ruf — ich konnte wonnevoll 

Die Tränen nicht verhalten.“ 


Thibaut von Champagne 


„Heim bin ich aus dem Morgenland an Seel und Leib geſund, 
Mich durſtet' in der Wüſte Sand nach Euerm friſchen Mund. 


164 


Ihr bliebet mir ein treues Weib, da fteht mein Glaube feſt, 
Drum bring ich Euch das Schönſte mit, was ſich beſcheren 
läßt!“ 


Die Gräfin wandelt auf und ab in einem ſachten Schritt. 

Sie las den Brief und las den Brief. „Was bringt der Graf 
mir mit? 

Iſts wohl ein Span vom echten Kreuz? Den küßt ich voller 
Scheu! 

Iſts in den Zwinger ein Getier? Ein Pardel oder Leu? 


Iſts dünnen Schleiers Spinneweb, das Werk der Feienhand? 
Ein Perſerteppich, wie der Fuß noch keinen weichern fand? 
Iſts denn ein lichter Edelſtein? Iſts ein Geſchirr von Gold, 
Daraus ſich feiner Rauch empor in blauen Wölklein rollt?“ 


Der Türmer ruft. Das Tor erfüllt der freud'ge Pilgerzug: 
Barhaupt der Graf in ſeinem Helm wohl hundert Roſen trug, 
Auf manchem Wagen ſchwankte dann manch tönernes Geſchirr, 
Darüber blüht ein Roſenhain in würzigem Gewirr. 


Der Gräfin Näschen ſog den Duft, das Mündchen zeigt Ver— 
druß, 

Dann lächelts zu dem leichten Hort und bietet ſich dem Kuß — 

„Wie ſelig bin ich, liebe Frau, daß Euch der Flor gefällt! 

Die Roſen von Damaskus ſind die vollſten auf der Welt! 


In hundert Kübeln ſchleppten wir den Roſenwald an Bord, 
Er wär mir in der Sonnenglut verdorben und verdorrt, 
Neun Tage ſtürzte Regenguß, der ſchier das Schiff verſenkt — 
Ich dachte nur, ich lachte nur: wie der die Roſen tränkt! 


Entpanzert, Knappen, mir die Bruſt, noch bin ich erzumſchient! 

Ich habe meinen Himmel hier und einen dort verdient! 

Mit Roſen will ich drum zu Tiſch, mit Roſen ſchlummern 
gehn, 

Mit Roſen ſteigen in die Gruft, mit Roſen auferſtehn!“ 


165 


Der Pilger und die Sarazenin 


Jüngſt am Libanon in einem Kloſter, 
Drin ich eine kurze Reiſeraſt hielt, 
Langſam durch die kühlen Hallen wandelnd, 
Blieb ich ſtehn vor einem alten Bilde, 
Wohlbewahrt in eigener Kapelle. 

Es berührte mich mit leiſem Zauber 
Trotz der byzantiniſchen Geſtalten, 

Denn darüber lag ein Glanz der Liebe: 
Durch das Tor des Paradieſes ſchritten 
Eine Sarazenin und ein Pilger, 

Hand in Hand verſenkt und Blick in Blick auch. 
„Was bedeutet dieſes ſüße Märchen?“ 
Frug ich Anaklet, den Kloſterbruder, 
Der mich ſchleichend überall begleitet. 
Mit geſenkten Augen gab er Antwort: 
„Guter Herr, kein ſüßes Märchen iſt es, 
Sondern eine tröſtliche Legende, 

Auf ein altes Pergament verzeichnet 

Zur Erbauung aller gläub'gen Chriſten. 
Dieſer Pilger iſt ein heil'ger Märtrer, 
Eine Märtrin iſt die Sarazenin, 

Er verſchied, geſteinigt und gepeinigt, 

Sie verblich, umarmend eine Schwelle!“ 


Märchenluſtig bin ich wie Scheherban, 
Wie die plaudernde Scheherezade! 

Und ich bat den Mönch: „Erzähle, Vater, 
Deinem Sohn die tröſtliche Legende.“ 
Bruder Anaklet willfahrte, ſprechend: 


„Einſt, vor ungezählten vielen Jahren 

— Alſo ſtehts im Pergament verzeichnet, 
Das ich gründlich lernte ſchon als Knabe — 
Zogen Pilger nach dem Grab vorüber 


166 


Ohne Raſt und ohne Trunk und Speiſe 
Scheuen Fußes an der Stadt Damaskus, 

Denn verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus! 

Vor der Stadt Damaskus rauſcht ein Brunnen, 
Wo ein Löwenkopf aus ſeines Maules 
Tiefherabgezognen Winkeln ſprudelt 

Ein begehrtes, köſtlich kühles Waſſer. 

Dort am Brunnen ſtand die Sarazenin. 


Schleierlos, die jungen warmen Augen 
Fünfzehnjährig oder ſechzehnjährig, 
Stand am Brunnen eine Sarazenin, 
Die den ſchlanken Krug gelaſſen füllte. 
Alle Pilger zogen ihr vorüber, 

Mit geſenktem Haupte niederblickend, 
Denn die Moslemweiber treiben Künſte. 
(Aber überwunden hat ſie Chriſtus!) 


Rur ein zarter Jüngling, faſt ein Knabe 
Noch, entwich der Pilgerreihe durſtig, 
Nahte ſich der jungen Sarazenin 

Flehend, forderte von ihr zu trinken. 
Langſam ſenkte ſie den Krug. Er ſchlürfte. 
Langſam hob den Krug zu Haupt ſie wieder, 
Heimwärts wandelnd. Vor des Tores Wölbung 
Wandte ſie das Haupt mitſamt dem Kruge, 
Schritte fühlend hinter ihren Sohlen: 
‚Pilger, hüte dich vor dieſem Tore! 

Denn es würde dir zum Tor des Todes! 
Meine dunkeln Augen ſind verderblich 

Und verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus * 


Und ſie wandelt durch des Tores Wölbung, 
Und ſie wandelt durch die dunkeln Gaſſen, 
Schritte fühlend hinter ihren Sohlen. 

Ihre Türe öffnet ſie und ſchließt ſie, 

Und empor zum innern Söller ſteigend, 


167 


Sieht fie mit den Sinnen ihres Geiſtes 
Einen Pilger liegen auf der Schwelle, 
Auf der Schwelle vor des Hauſes Pforte. 


In der erſten Morgenhelle ſtand ſie 

Vor dem Pilger, heftig ihn zu ſchelten: 
‚Pilger, hebe dich von dieſer Schwelle, 
Die zur Schwelle würde dir des Todes! 
Will nicht ſchuldig ſein an deinem Tode! 
Meine dunkeln Augen ſind verderblich! 
Alle ſchlügen heute dich mit Stäben, 

Alle würfen heute dich mit Steinen 

Und du lägeſt tot in deinem Blute! 
Denn verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus! 
Weiche, Pilger! Heb dich, läſt'ger Bettler! 
Fremdling! Abergläub'ſcher! Götzendiener! 
Dieſen Lippen einen Kuß! Entweiche!' 
Doch er weigerte ſich mit dem Haupte, 
Zornig wich von ihm die Sarazenin. 


In der letzten Abendhelle ſtand ſie 

Vor dem Pilger, dem das Blut aus vielen 
Wunden ſtrömte, heftig ihn zu ſchelten: 
„Weiche, Pilger! Heb dich, läſt'ger Bettler! 
Fremdling! Abergläub'ſcher! Götzendiener! 
Meine dunkeln Augen ſind verderblich 

Und verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus! 
Will nicht ſchuldig ſein an deinem Tode! 
Waſchen will ich deine roten Striemen, 
Küſſen will ich deine blut'gen Wunden, 
Leugneſt du den bleichen Mann am Holze!“ 
Doch er weigerte ſich mit dem Haupte, 
Weinend wich von ihm die Sarazenin, 

Und empor zum innern Söller ſteigend, 
Hört ſie mit den Sinnen ihres Geiſtes 
Leiſe ſtöhnen einen Todeswunden 


Auf der Schwelle vor des Hauſes Pforte. 
Ferne blieb der Schlummer ihren Lidern, 
Endlich kam der Schlummer und ein Traum kam. 


Rings empor an eines Gipfels Abhang 
Klommen unter heiligen Geſängen 

Pilger auf zum Tor des Paradieſes. 

Einer klomm voran, ein junger Märtrer, 
Den die andern grüßten ehrerbietig. 

In des Tores Wölbung ſtand der Heiland: 
„Tritt herein! Du haft für mich geblutet!‘ 
Doch der Pilger weigerte ſich ſtandhaft: 
„Heiland, laß mich liegen auf der Schwelle, 
Bis ſie kommt, die ſtündlich ich erwarte! 
Hand in Hand verſenkt und Blick in Blick auch, 
Tritt ſie, mir geſellt, in deine Freude, 
Keine Sarazenin, eine Chriftin.‘ 


Solches träumend, ſtürzten ihr die Tränen 
So gewaltig, daß ſie drob erwachte. 
Jählings ſpringt ſie auf von ihrem Lager, 
Fliegt hinab des Hauſes hundert Stufen: 
Leer und blutbegoſſen lag die Schwelle 

In des ungebornen Tages Frühlicht. 

Auf die harte Schwelle kniet ſie nieder, 
Badet ſie mit unerſchöpften Tränen, 
Drängt den warmen Buſen ihr entgegen, 
Preßt ſie feſt, als klopft ein Herz im Steine. 
Keines klopft, doch ihres zum Zerſpringen. 


Als die Füße derer wiederkehrten, 

Die den Toten vor das Tor getragen, 
Eilten ſie der Schwelle ſcheu vorüber. 
Auf der Schwelle ſahn ſie eine Tote, 
Auf der Schwelle lag die Sarazenin. 
Keine Sarazenin, eine Chriſtin!“ 
Endet' Bruder Anaklet erbaulich. 


169 


Am Himmelstor 


Mir träumt’, ich komm ans Himmelstor 
Und finde dich, die Süße! 

Du ſaßeſt bei dem Quell davor 

Und wuſcheſt dir die Füße. 


Du wuſcheſt, wuſcheſt ohne Raſt 
Den blendend weißen Schimmer, 
Begannſt mit wunderlicher Haſt 
Dein Werk von neuem immer. 


Ich frug: „Was badeſt du dich hier 
Mit tränennaſſen Wangen?“ 

Du ſprachſt: „Weil ich im Staub mit dir, 
So tief im Staub gegangen.“ 


Mit zwei Worten 


Am Geſtade Paläſtinas, auf und nieder, Tag um Tag, 
„London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag. 
„London!“ bat ſie lang vergebens, nimmer müde, nimmer zag, 
Bis zuletzt an Bord ſie brachte eines Bootes Ruderſchlag. 


Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt. 

Meer und Himmel. „London?“ frug ſie, von der Heimat 
abgekehrt, 

Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgeſtreckte Hand belehrt, 

Nach den Küften, wo die Sonne ſich in Abendglut verzehrt... 


„Gilbert?“ fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt, 

Und die Menge lacht und ſpottet, bis ſie dann Erbarmen hat. 

„Tauſend Gilbert gibts in London!“ Doch ſie ſucht und wird 
nicht matt. 

„Labe dich mit Trank und Speiſe!“ Doch ſie wird von Tränen 


170 


„Gilbert!“ „Nichts als Gilbert? Weißt du Feine andern Worte? 
Nein?“ 

„Gilbert!“ ... „Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert 
Becket ſein — 

Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüſte Sonnenſchein — 

Dem die Bande löſte heimlich eines Emirs Töchterlein — 


Pilgrim Gilbert Becket!“ dröhnt es, brauſt es längs der 
Themſe Strand. 

Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund ge— 
nannt, 

Über ſeine Schwelle führt er, die das Ziel der Reiſe fand. 

Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land. 


Das kaiſerliche Schreiben 


Petrus, ſchreib — zu ſeinem Kanzler 

ſprachs der gramverſtörte Staufen —: 
Satteln ſollen meine Boten, 

hundert Roſſe ſollen laufen! 
Meinen Eignen, meinen Städtern, 

meinen Pfaffen und Baronen! 
Dem Geringſten wie dem Höchſten! 

allen, die das Reich bewohnen! 
Klage! Klage! Totenklage! 

Meinen Sohn hab ich verloren ... 
Heinrich mit den finſtern Locken ... 

Den Konſtanze mir geboren! ... 
Der das Reich verriet ... dem eignen 

Vater brach das Lehnsverſprechen ... 
Den ich beugen, beugen mußte, 

deſſen Trotz ich mußte brechen ... 


1) Dieſer Koͤnig Heinrich iſt der Sohn des genialen Kaiſers Friedrich II., 
gegen den er ſich empoͤrte. Er ſtarb im Kerker und man ſprach von 
Selbſtmord. 


171 


172 


Lange brütet’ er im Kerker — 

endlich hat er mich gerufen — 
Da ich kam, flog er vorüber, 

flog empor die Wendelſtufen — 
Wieder wars, als ob, verzweifelnd, 

er vom höchſten Söller riefe — 
Da! Der Knabe ſpringt vor meinen 

Augen in die Todestiefe! 
Jammeranblick ohne gleichen! 

Kommt, daß wir zuſammen klagen! 
Helft mir meine ſchlimmen Träume, 

meine Nachtgedanken tragen! — 
Könnt ich ihn erwecken, nimmer 

würd ich aus dem Arm ihn laſſen! 
Saget, iſt es nicht entſetzlich, 

Daß mein Kind mich mußte haſſen? .. 
Petrus, zeig mir, was du ſchreibeſt! 

Willſt du mir den Mund verhalten? 
Über meine Qualen wirfſt du 

würdevolle Purpurfalten? 
Meines Knaben Schrei erſtickſt du? 

Meine Tränen ſind verboten? 
Kanzler Petrus ſchreibe Wahrheit 

über mich und meinen Toten! 
Reden will ich zu den Vätern: 

Sagt mir, würdet ihr nicht einen 
Knaben, der euch Not und dunkeln 

Kummer brachte, doch beweinen? 
Den ihr in der Wiege küßtet 

— ob er auch ein Arger wäre — 
Wenn er ginge zu den Schatten, 

weigertet ihr ihm die Zähre? 
Prüfet eure Herzen, Väter! 

Was wir von den Kindern dulden, 
Iſt es nicht gerechte Sühne, 

nicht das eigene Verſchulden? ... 


Petrus, du erſchrickſt? So ende! 
Ende mit dem kurzgefaßten 

Reichsbefehl: Wir ordnen Trauer 
an für dieſen Frühverblaßten. 


Kaiſer Friedrich der Zweite 


In den Armen ſeines Jüngſten 
Phantaſiert der ſieche Kaiſer, 
An dem treuen Herzen Manfreds 
Kämpft er ſeinen Todeskampf. 


Mit den geiſterhaften blauen 
Augen ſtarrt er in die Weite, 
Während ſeine fieberheiße 
Rechte preßt des Sohnes Hand: 


„Manfred, lauſche meinen Worten! 
Drüben auf dem Marmortiſche 
Mit den Greifen liegt mein gültig 
Unterſchrieben Teſtament. 


Eine Kutte, drin zu ſterben, 
Schenkten mir die braven Mönche, 
Daß ich meine Seele rette 

Trotz dem Bann des heil'gen Stuhls. 


Manfred, meines Herzens Liebling, 
Laß den Herold auf den Söller 
Treten und der Erde melden, 

Daß der Hohenſtaufe ſchied. 


Manfred mit den blonden Locken, 
Sarge prächtig ein die Kutte, 
Führe ſie mit Schaugepränge 
Nach dem Dome von Palerm! 


173 


Weißt du, Liebling, das Geheimnis? 
Dieſe Nacht in einer Sänfte 

Tragen meine Sarazenen 

Sacht mich an den Strand des Meers. 


Meiner harrt ein ſchwellend Segel: 
Auf des Schiffes Deck gelagert, 
Fahr entgegen ich dem Morgen 
Und dem neugebornen Strahl. 


Fern auf einem Vorgebirge, 

Das in blaue Flut hinausragt, 
Steht ein halb zertrümmert Kloſter 
Und ein ſchlanker Tempelbau. 


Zwiſchen Kloſter und Rotunde 

Schlagen wir das Zelt im Freien. 
Selig atm ich Meer und Himmel, 
Bis mich Schlummer übermannt.“ 


Konradins Knappe 


„Auf dieſem kurzen Bergesraſen hier, 

Nur wen'ge Monde ſind es, zechten wir, 
Er und das Edelvolk, in hohem Raum — 
Und drüben war Italien wie ein Traum. 


In dieſem Paſſe lagen wir geſtreckt, 

Der Staufe hat mich minniglich geneckt: 

Nicht blöde, Hans! Sprich! Was begehrſt du gleich? 
Ich geb es dir in meinem Königreich! 


Dann klomm die Fahrt an Wänden ſchwarz und kahl, 
Wo ich der Mutter Gottes mich empfahl. 

Noch eh ich Amen ſagte, glitt mein Tier — 

Der Staufen und die Sinne ſchwanden mir. 


Dann lag ich im Hoſpize fieberbang, 

Wo ich verzweifelnd mit den Mönchen rang, 
Ich focht und ſchrie: Dem jungen Staufen nach! 
Hie Napoli! Bis ich zuſammenbrach. 


Jetzt ſchlepp ich jeden Tag mich hier empor, 
Wo ich den Staufen aus dem Blick verlor. 
Geneſen iſt der Leib, die Seele ſchmerzt, 

Denn all mein Erdenglück hab ich verſcherzt. 


Und zög ich heut, ich käme doch zu ſpät, 
Schon krönte ſich die junge Majeſtät, 
Das Edelblut empfing den Ritterſchlag, 
Ich aber fluche meinem Unglückstag.“ — 


Ein Knechtlein kommt bergüber. „Gib Beſcheid! 
Der Staufenknabe thront in Herrlichkeit?“ — 
„Ja, Herr. Er litt gemach den Todesſtreich 
Und thront getröſtet nun im Himmelreich.“ 


Die gezeichnete Stirne 


„Weib, verrate mir, von wem gerufen 
Du zur Leidgeſellin dich gegeben? 
Wer herunter dieſes Kerkers Stufen 
Dich gezogen, du mein ſüßes Leben?“ 


— König Enzio, keine Menſchen haben 
Mich vermocht im Kerker zu verbleichen! 
Nein, ein Schickſal war mir eingegraben, 
Meine junge Stirne trug ein Zeichen. 


Unſre Väter nahmen dich gefangen 

Und wir Kinder hattens bald erfahren, 
Daß du nimmer wirſt ans Licht gelangen, 
König Enzio mit den Ringelhaaren! 


176 


Daß du nimmer tragen eine helle 

Rüſtung wirſt, wo die Drommeten klingen, 
Daß du nimmer rauſchen Wald und Quelle 
Hörſt noch einen freien Vogel ſingen! 


Und wir Kinder lauſchten ſachte, ſachte 
Durch das Gitter in des Kerkers Tiefe, 
Leis und heftig ſtreitend, ob Er wachte 
Schwerbekümmert oder ob Er ſchliefe — 


Meine Stirne drückt ich an das Eiſen, 

Drinnen lagſt du ſchlummernd, wie mir deuchte, 
Blickte ... blickte, war nicht wegzuweiſen, 

Bis der Wächter drohend mich verſcheuchte. 


Mütterlein erſah mich und wehklagte, 


Schlug die Hände jammervoll zuſammen: 


„Kind, wer hat dir in die Stirne“ — fragte 
Sie — „gezeichnet dieſes Kreuz von Flammen?“ 


Hieß mich dann in ihren Spiegel ſchauen — 
Teuerwerter Herr, ſo wahr ich lebe, 
Eingezeichnet über meinen Brauen 

Waren deines Kerkers Eiſenſtäbe! 


Außen wich das Zeichen; aber innen 

Bliebs, da ich zur Maid erwuchs, geſchrieben — 
Herr, ſeit jenem Tag war all mein Sinnen, 
Dich und deinen Kerker nur zu lieben. 


Der Tod und Frau Laura 


Es war in Avignon am Karneval, 

Daß ſich ein Mörder in den Reigen ſtahl 

Und daß die Peſt verlarvt ſich ſchwang im Tanz 
Mit einem ſchlotterichten Mummenſchanz. 


12 


In einer nahen Villa täufchen fie 

Die Angſt mit Wohllaut und mit Phantaſie, 
Frau Laura war und auch Petrarca da, 
Als an das Tor ein dumpfer Schlag geſchah. 


Die blaſſen Lippen ſchaudern vor dem Wein, 
Es tritt ein Weißgewandeter herein, 

Der eine Maske mit dem Sterbezug 

Und einen friſch gepflückten Lorbeer trug. 


Der Dämon hebt den Lorbeer voller Ruh 
Und ſinnt und ſchreitet auf Petrarca zu: 
„Ich grüße, Freund, und komme prieſterlich. 
Das iſt der Sel'gen Lorbeer! Neige dich!“ 


Der Lorbeer ſchwebt. Da raubt ihn eine Hand. 
Frau Laura war es, die daneben ſtand. 

Sie ſchmiegt ihn um die blonden Haare leicht, 
Sie ſteht bekränzt. Sie ſchaudert. Sie erbleicht. 


Die Gedanken des Königs Rene 


Der fromme Lautenſchläger Herr René 


Trug braune Locken — ſie ſind weiß wie Schnee. 


An ſeiner Stirn verglomm der Kronen Glanz, 
Da haftet nichts als nur ein Lorbeerkranz. 


Schloß Tarascon — er bietets zum Verkauf — 
Dran ſpritzt die blaue Rhone ſcherzend auf, 
Von hoher Warte wandert rings der Blick — 
Der König wägt als Henker ſein Geſchick: 


„'s iſt eigen, daß man immer mich vertreibt! 
's iſt eigen, daß mir nichts in Händen bleibt! 
Lothringen erbt ich, wo die Trift ſich ſonnt, 
Das nahm mir weg Anton von Vaudemont. 


Meyer. II. 


177 


178 


Dann erbt ich flugs das Fürſtentum Anjou 
Und noch das nette Ländlein Bar dazu — 

Herr König Ludwig trat in mein Gelaß 

Als Gaſt und ſchrieb mir meinen Wanderpaß. 


Reich Napel wars, das dann zu Erb mir fiel, 
Dort miſchte ſich der Aragon ins Spiel — 
Das ſchöne Napel! Richtig werd ich ſchlemm! 
Mir bleibt das himmliſche Jeruſalem! 


Da ſchimmert unvergänglich Dach und Fach — 
Ich erb es ſchon. Das Erben iſt mein Sach! 

Doch geht mein Sach, wie hier, ſo droben dort, 
Holt aus dem Himmel mich der Teufel fort.“ 


Der Mars von Florenz 


Die Türme von Florenz umblaut 
Der ſüße Lenz, der junge Lenz, 
Die Frauen ſingen leis und laut 
In allen Gaſſen von Florenz. 


Am Rand der Arnobrücke ſteht 

Ein ſchwarzverwittert Marmorbild 

Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät, 

Gott Mars, und lächelt falſch und wild. 


— „Gott Mars, wohl magſt du finſter ſchaun, 
Drommete dröhnt im Lenze nie, 

Raub eine dir von unſern Fraun! 

Hoch über Venus preis ich ſie!“ 


Ein Jüngling rufts dem Gott empor 
Mit lachend ausgeſtreckter Hand — 
Ihm dringt ein Erzgedröhn ans Ohr, 
Er eilt und ſteht am andern Strand. 


Raſch tritt aus einem Haus hervor 
Ein Edelweib, das höhnt und lacht: 
„Zur Amidei? Junger Tor! 

Dir war das Schönre zugedacht! 


Nach Gottes Ratſchluß iſts geſchehn! 

Heut wirſt du — heißts — mit ihr getraut — 
Jetzt ſollſt du die Donati ſehn: 

Blick her! Vergleich mit deiner Braut!“ 


Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht, 
Es kämpft ins dunkle Haus zurück, 
Im jungen bangen Angeſicht 
Errät er aller Himmel Glück. 


„Hinweg! Die Amidei harrt! 

Hinweg! Mein Kind iſt keine Dirn! 
Ihr blicket frech!“ Der Jüngling ſtarrt 
Auf die geſenkte Mädchenſtirn. 


Der Wunſch iſt Glut! Die Scham iſt Glut! 
Die hohe Doppelflamme loht! 

Er ſtreckt die Hand. Das höchſte Gut 
Ergreift er und ergreift den Tod. 


„Frau, ſtrafet mich nicht allzu ſchwer! 
Das ſüße Haupt! Das blonde Haar! 
Gewähret ſie mir!“ ſtammelt er. 

„Ich führe ſtracks ſie zum Altar!“ 


Den Ring, der ihm die Hand bereift, 
Der Amidei Trauungsring, 

Hat raſend er ſich abgeſtreift 

Und ſchleudert ihn. Da rollt er. Kling... 


Jetzt kniet er im Kapellenraum, 
An Freveln und an Wonnen reich, 


179 


Zur Linken kniet fein ſünd'ger Traum, 
Wie Engel ſchön, wie Tote bleich. 


Dem Paar zu Häupten murmelt leer 
Und ſchnell ein feiles Prieſterwort — 
„Die Roſſe her! Die Roſſe her! 

Zum Tor hinaus! Ins Freie fort! 


Du lieb Geſchöpf! Du bebſt wie Laub! 
Verlarve dir das Angeſicht! 

Faß Mut! Ich bringe meinen Raub 
In eine Burg, die keiner bricht!“ 


Am Rand der Arnobrücke ſteht 

Ein ſchwarzverwittert Marmelbild 

Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät, 

Gott Mars, und lächelt falſch und wild. 


Das Schwert des Gottes ſchüttert leis. 
Da ſpringt hervor mit Erzeslaut 
Ein Hinterhalt, ein Mörderkreis, 
Die Sippe der verratnen Braut. 


„Verdammter, ſtirb!“ — „Geliebte, flieh!“ 
Wild ringend ſtürzt er umgebracht, 

An ſeinen Buſen gleitet ſie 

Und ſinkt mit ihm in eine Nacht. 


Herab von aller Türme Hang 

Verkündet gellend Sturmgeläut 

Den Bürgerkampf. Das Schwert erklang 
Dem Gott, der ſich des Mordes freut. 


Die Ketzerin 


Fra Dolein, der Ketzer, der von Dante 
In den achten Höllenkreis Gebannte, 


180 


Hat ein Weib geliebt, von dem fie jagen, 
Daß kein ſchönres lebt in jenen Tagen. 
Kamen ſeine Jünger ihn zu grüßen, 

Saß die Blonde ſchon zu ſeinen Füßen, 
Segnet er das Volk mit frevler Rechten, 
Neigte ſie zuerſt die goldnen Flechten; 
Dem Verfehmten folgte ſie, dem Fliehnden, 
Durch die Schluchten des Gebirges Ziehnden — 
Da er von den Schergen ward gefangen, 
Iſt ſie ſeinen Feſſeln nachgegangen; 

Wo er in der Flamme ſich gewunden, 
Steht auch ſie am Marterpfahl gebunden. 


Lieblich iſt, die Fra Dolein verführte, 
Wie noch nie ein Weib die Herzen rührte; 
Augen, unergründlich wunderbare, 
Schaun, als ob ſie zu den Sel'gen fahre. 
Die ſie richten, fragen ſich mit Grauen: 
Kann die Hölle wie der Himmel ſchauen? 
Und es zittern vor dem unſchuldvollen 
Engelsantlitz, die ſie martern wollen. 


Selbſt der Prieſter ſpricht mit ihr gelinde, 

Als mit einem irrgegangnen Kinde: 
„Schwaches Weib, der dich verleitet hatte, 
Weder Bruder war er dir noch Gatte! 

Seine Aſche treibt im Wind! Verflogen 

Sind die Stapfen, die dich nachgezogen! 
Büße! Folge reuig den Geboten 

Unſrer heil'gen Kirche! Laß den Toten!“ 

In den Banden kann ſich nicht bewegen 
Margherita, nur die Lippen regen: 

„Leiden muß ich, was Dolein gelitten... 
Horch, er ruft! Ich folge ſeinen Schritten“ — 
Und die warmen, tiefen Blicke ſtrahlen — 
Durch die Martern folg ich, durch die Qualen!“ 


181 


— „HKetzerin, dich ſtärken finſtre Mächte! 
Brände her!“ ... Es rühren ſich die Knechte. 


Siehe da! Wie flammendes Gewitter 

Unter die Geſcheuchten fährt ein Ritter, 

Will den ſchönen Dämon ſich erſtreiten; 

Er bemächtigt ſich der Maledeiten, 

Ihre Kniee faßt er mit der Linken, 

In der Rechten droht des Schwertes Blinken: 
„Tretet aus die Glut! Bei Gottes Leibe, 
Löſcht die Fackeln! Weg von meinem Weibe! 
Sage Ja .... mit einem Wink der Lider ... 
Und vom Scheiterhaufen ſteigſt du nieder! 
Keiner wird auf meiner Burg es wagen, 
Dich um deinen Glauben zu befragen!“ 


— „Laß mich ziehn! . .. Ich darf mich nicht verweilen... 
Horch, Doleino ruft! ... Ich muß mich eilen ... 

Gib mich frei!“ Er weicht mit einem herben 
Hohngelächter: „Mag die Törin ſterben!“ 


Über ihrem blonden Haupt zuſammen 
Schlagen Todesflammen, Liebesflammen. 


Der Mönch von Bonifazio 
„Korſen, löſt des Portes Ketten! Jede Hoffnung iſt ver— 
ſchwunden! 
Nirgend weht ein rettend Segel! Gebt euch! Pfleget eure 
Wunden! 


Genua, euer hats vergeſſen! Spähet aus von eurem Riffe! 

Sucht im Meere! Schärft die Augen! Nirgend, nirgend Genuas 
Schiffe! 

Eure Kinder hör ich wimmern, eure Fraun, die hungermatten, 


Blicken hohl wie Nachtgeſpenſter und ihr ſelber wankt wie 
Schatten!“ 


182 


Vom Verdeck des Schiffes rufts empor zu Bonifazios Walle 
König Alfons milden Sinnes, aber droben ſchweigen alle. 


Nimmer würden ſich dem Dränger dieſe tapfern Korſen 
geben, 
Gölt es nur das eigne, gölt es nicht der Knaben junges Leben! 


Finſter vor ſich niederſtarrend, treten flüſternd ſie zuſammen — 
Eines Mönchs empörte Augen ſchießen Blitze, ſchleudern 
Flammen: 


„Feige Hunde! Keine Korſen! In die Hölle der Verräter!“ 
— „Schweige, Mönch! Wir haben Herzen. Wir ſind Gatten, 
wir ſind Väter.“ 


Auf dem preisgegebnen Felſen kniet der Mönch in wildem 
arme: 
„Leihe, Gott, mir deine Hände! Gib mir deine ſtarken Arme! 


Heute komm ich Lohn zu fordern. Alles gab ich. Nichts geblieben 
Iſt mir außer meinem Felſen. Aber etwas muß ich lieben. 


Gott, du kannſt mit deinen Kräften eines Menſchen Kräfte 
ſteigern! 

Was du tatſt für deine Juden, darfſt du keinem Korſen 
weigern! 


Genuas Schiffe will ich ſuchen! Will ſie bei den Schnäbeln 
faſſen! 
Spannen will ich weite Segel und ſie nicht ermatten laſſen!“ 


Alle ſeine Muskeln ſchwellen, alle ſeine Pulſe beben, 
Schiffe durch das Meer zu ſchleppen, Segel aus der Flut zu 
heben. 


Aufgeſprungen, überwindend Raum und Zeit mit ſeinem Gotte, 
Deutet er ins Meer gewaltig: „Dort! ich ſehe dort die Flotte!“ 


183 


Aber keine Segel blinken aus des Meeres farb'ger Weite, 
Unbevölkert flutet eine ſchrankenloſe Waſſerbreite. 


Nur die Sonne wandert höher, ihre Strahlen brennen wärmer. 
Nichts als Meer und nichts als Himmel. Alfons lächelt: „Ar⸗ 
mer Schwärmer!“ 


Dort! Am Saum des Meers das Pünktchen ... Sichtbar 

kaum ... Der zweit und dritte 

Punkt und jetzt ein viert und fünfter und ein ſechſter in der 
Mitte! 


Winde blaſen, Wellen ſtoßen. Meer und Himmel ſind im 
Bunde. 
Segel, immer neue Segel ſteigen aus dem blauen Grunde. 


Wende deine Schiffe, König! Sonſt verlierſt du Ruhm und 
Ehre! 
Woge, Fürſtin Genua, woge, du Beherrſcherin der Meere! 


Alle Glocken Bonifazios ſchlagen ſchütternd an und ſtürmen, 
Jubel wiegt ſich in den Lüften über den zerſchoßnen Türmen. 


Und der Mönch, der mit der Allmacht ſeinen ird'ſchen Arm be— 
wehrte? 
An der Erde liegt er ſterbend, der von ihrem Hauch Verzehrte. 


Jung Tirel 


„Jung Tirel, fuhreſt über See? 
Jung Tirel, mir willkommen hie! 
Sahſt du ſo dunkle Forſte je? 
So ſtolze Forſte ſahſt du nie! 


Ein engliſch Wild erſt umgebracht! 
Dann geb ich dir ein engliſch Lehn!“ 


184 


Jung Tirel, dem das Herze lacht, 
Läßt ſeine blanken Zähne ſehn. 


„Wer heut den beſten Schuß mir tut, 
Den Achtzehnender mir erlegt, 

Der nehme ſich als Lehensgut 

Den Königsforſt, der ihn gehegt! 


Zuſchwör ich dirs auf dieſen Bart, 

Der feuerrot die Bruſt mir deckt! 

Zu Wald! Zu Wald! Der Rappe ſcharrt! 
Die Bracke ſpürt! Der Rüde bleckt!“ 


Herr Wilhelm ſtößt ins Jägerhorn, 

Ein Geier krächzt in ſeinem Horſt, 

Die Wipfel peitſcht ein dunkler Zorn, 

Es brauſt und toſt. Dann ſchweigt der Forſt. 


Herr Wilhelm ſchlägt mit Tirel Rat: 

„Ich links, du rechts! Fort! Gute Birſch!“ 
Es knirſcht das Laub, darauf er trat. 

In heller Lichtung äſt ein Hirſch: 


Ein Rothirſch, der vier Ellen mißt, 
Daß ſich ein Jägerherze freut, 
Der dieſes Forſtes König iſt, 
Mit weit veräſtetem Geſtäud. 


Her raunts aus Waldesfinſternis 

Zu Tirel, der ſich duckt ins Moos: 
„Verdammt, daß mir die Sehne riß! 
Drück du in Teufels Namen los!“ 


Herr Tirel lauſcht. „Wer ſprach das Wort 27“ 
Ein Weilchen ſchweigts im Laubesdach. 
„Schieß, Tirel!“ raunts von anderm Ort. 
Er ſchießt. Genüber ſtöhnt ein Ach. 


186 


Herr Tirel, das war ſchlimme Birch! 
Im Dickicht rinnt ein Bächlein rot. 
Ihr fehltet Englands größten Hirſch 
Und ſchoſſet Englands König tot. 


La Blanche Nef 


„Herr König, ich bin Steffens Kind, 
Der den Erobrer einſt geführt! 

Es iſt ein Lehn, daß mein Geſind, 
Mein Schiff allein den König führt! 


Voraus den ſchnellſten Seglern fliegt 
Mein Boot, La Blanche Nef genannt, 
Es weiß, wo ſichre Tiefe liegt, 


Es furcht das Meer, es kennt den Strand!“ 


— „Nicht mich, doch meinen beſten Hort, 
Vier Königskinder, führeſt du | 
— Sie knoſpen, weil mein Leben dorrt — 
Die junge Normandie dazu! 


Gelobe mir dein himmlliſch Teil, 
Gelobe mir dein männlich Wort: 

Du bringſt an Leib und Seele heil 
Die Kinder mir nach England dort!“ 


— Ich ſchwöre dir mein himmliſch Teil, 
Ich ſchwöre dir mein männlich Wort: 
An Leib und Seele bring ich heil 

Die Kinder dir nach England dort!“ 


Des Schiffers geller Pfiff erſcholl, 
In See das Boot des Königs ſtach — 
Ein Korb von friſchen Blumen voll, 
Glitt Blanche Nef, la Belle, nach. 


So leichtbeſchwingt wie nie zuvor, 
Durchfurchte Blanche Nef die See 

Mit ihrem kräft' gen Knabenflor 

Und Mägdlein ſchlank wie Hirſch und Reh. 


Die Königskinder hell und zart, 
Erhöht inmitten ſaßen ſie, 
Ringsum gepaart in Zucht und Art 
Das Edelblut der Normandie. 


Vier Stimmen ſangen friſch und ſchön 
Und hundertſtimmig ſcholl der Chor, 
Es zog das junge Luſtgetön 

Die Nixen aus der Flut empor. 


* 
— „Ich warne junge Herrlichkeit 
Und dich, normänniſch Edelblut, 
Das Singen ſchafft der Nixe Leid, 
Dem freudeloſen Kind der Flut!“ 


— „und ſchaffen dem Gezücht wir Leid 
Und quälen wir das Halbgeſchlecht 

Und reizen wir der Nixe Neid, 

Das, Steffen, iſt uns eben recht!“ 


Gemach verloſch das Abendrot, 

Des Tages Gluten ſchliefen ein, 
Ausbreitet über Meer und Boot 
Der Mond den bleichen Geiſterſchein. 


Die See iſt wunderlich erregt. 
Was wandert um des Kieles Lauf? 
Von Armen wird die Flut bewegt, 
Beglänzte Nacken tauchen auf. 


Der Steffen ernſt am Steuer ſtand: 
„Das Meer iſt klar ... doch droht Gefahr ...“ 


187 


183 


Er deutet mit geſtreckter Hand: 
„Da naht fie ſchon, die Nixenſchar!“ 


Umklammert hält den ſchrägen Maſt 
Ein blanker Leib als Schiffsfigur, 
Daß Blanche Nef, von Graun erfaßt, 
In wilder Flucht von dannen fuhr. 


— „Ich warne junge Herrlichkeit, 
Vergeßt die Nachtgebete nicht!“ 

— „Ei, Steffen, Kind der alten Zeit, 
Süß herzt es ſich im Mondenlicht ...“ 


Es klimmt und überklimmt das Bord, 
Es läßt ſich nieder aus den Taun, 
Es kichert wie ein freches Wort, 

Es ſchaudert wie ein lüſtern Graun ... 


Es reizt, es quält, es ſchlüpft, es ſchmiegt 
Sich zwiſchen Edelknecht und Maid, 

Bis ſich das Paar in Armen liegt 

Zu früher Luft, zu Tod und Leid ... 


Dem Steffen ſteigt das Haar. Er ſtarrt 
Auf ein geſpenſtig Bacchanal: 

Die Königskinder, hell und zart, 
Verblühen all im Mondenſtrahl. 


„Verloren geht mein himmliſch Teil, 
Gebrochen iſt mein männlich Wort: 
Nicht bring an Leib und Seele heil 
Die Kinder ich nach England dort! 


Stirb, Blanche Nef! Bevor es tagt! 
Im Waſſer weiß ich hier ein Riff ...“ 
Er dreht das Steuer ſtracks und jagt 
Der Klippe zu das Sündenſchiff. 


Der König lauſcht zurück: „Das ſcholl 
Wie Sterbeſchrei!“ Klar iſt der Sund. 
Ein Korb von welken Blumen voll, 

Sinkt Blanche Nef zum Meeresgrund. 


Der ſchwarze Prinz 


Schwarzer Prinz und König Hans 
Maßen ſich in raſchem Waffentanz, 
Bis der Prinz den König überwand 

Mit der erzgeſchienten Hand. 


Ins Gezelt nahm er den Raub, 


Wuſch den Wunden rein von Blut und Staub, 


Bog das Knie und bot den Labetrank 
Ihm, der tief in Gram verſank. 


Frankreichs armer König träumt 
Alſo ſchwer, daß er den Wein verſäumt, 
Ihn ermahnt der Prinz, wie ers vermag: 

„Herr, es iſt des Schickſals Tag! 


Manchen hattet Ihr geſtreckt. 
Da Ihr ſanket, Herr, mich hats erſchreckt, 
Doch man lebt, und blieb nur Ehre heil, 
Duldet man ſein menſchlich Teil! 


Morgen als des Friedens Pfand 
Send ich Euch nach meinem Engelland. 
Zeit iſt mächtig! Jede Feſſel fällt! 

Nur die Erde ſchließt und hält!“ 


König Hans, aus ſeinem Traum 
Blickt er auf und ſieht des Zeltes Raum, 
Und in geiſterbleichem Angeſicht 

Zweier ſchwarzer Augen Licht. 


190 


Er beſchaut das edle Haupt, 
Das ein unſichtbarer Kranz umlaubt, 
Argert ſich und murmelt: „Worte ſinds. 
Deine Augen ſpotten, Prinz! 


Heuchle! Streichle meinen Schmerz! 
Leis im Panzer jubelt dir das Herz. 
Horch! Es triumphiert!“ Der Sieger ſpricht: 
„König, nein. Es jubelt nicht. 


Ich bin eine kurze Kraft, 
Heut geharniſcht, morgen weggerafft! 
Frühe Stunde loſt ich wie Achill, 
Meinem Loſe halt ich ſtill.“ 


Der gleitende Purpur 


„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“ 
Schallt im Münſterchor der Pſalm der Knaben. 
Kaiſer Otto lauſcht der Mette, 
Diener hinter ſich mit Spend und Gaben. 


Eia Weihnacht! Eia Weihnacht! 
Heute, da die Himmel niederſchweben, 

Wird dem Elend und der Blöße 
Mäntel er und warme Röcke geben. 


Hundert Bettler ſtehn erwartend — 
Einer hält des Kaiſers Knie umfangen 

Mit den wundgeriebnen Armen, 
Dran zerrißner Feſſeln Enden hangen. 


— „Schalk! Was zerrſt du mir den Purpur? 
Harr und bete! Kennſt du mich als Kargen?“ 
Doch der Bettler hält den Mantel 
Feſt und jammert: „Kennſt du mich, den Argen? 


Du Geſalbter und Erlauchter ! 
Kennſt du mich? ... Du haft mit mir gelegen, 
Mit dem Siechen, mit dem Wunden, 
Unter eines Mutterherzens Schlägen. 


Aus demſelben Wollentuche 

Schnitt man uns die Kappen und die Kleider! 
Aus demſelben Pſalmenbuche 

Sang das friſche Jugendantlitz beider! 


Heinz, wo biſt du? Heinz, wo bleibſt du? 
Haſt zum Spiele du mich oft gerufen 

Durch die Säle, durch die Gänge, 
Auf und ab der Wendeltreppe Stufen... 


Wehe mir! Da du dich krönteſt, 
Hat des Neides Natter mich gebiſſen! 

Mit dem Lügengeiſt im Bunde 
Hab ich dieſes deutſche Reich zerriſſen! 


Als den ungetreuen Bruder 
Und Verräter haſt du mich erfunden! 

Du ergrimmteſt und du warfeſt 
In die Kerkertiefe mich gebunden ... 


In der Tiefe meines Kerkers 
Hab ich ohne Mantel heut gefroren ... 
Eia Weihnacht! Eia Weihnacht! 
Heute wird der Welt das Heil geboren!“ 


„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“ 
Hundert Bettler ſtrecken jetzt die Hände: 

„Gib uns Mäntel! Gib uns Röcke! 
Sei barmherzig! Gib uns deine Spende!“ 


Eine Spange löſt der Kaiſer 
Sacht. Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitet 


192 


Über feinen ſünd'gen Bruder, 
Und der erſte Bettler ſteht bekleidet ... 


Eia Weihnacht! Eia Weihnacht! 

Jubelt Erd und Himmelreich mit Schallen. 
Glorie! Glorie! Friede! Freude! 

Und am Menſchenkind ein Wohlgefallen! 


Das Goldtuch 


„Ihr Mägde, ſchaut, was ihr im Schreine habt! 
Nicht darfſt du mir von hinnen unbegabt, 

Mein blondgelockter Enkel, der mir bot 

Mit prieſterlichen Händen Gott im Brot!“ 


Mathilde ſprachs, die Fürſtin, ſterbeſchwach. 
Richburg, die Schaffnerin, ſeufzt': „Weh und Ach! 
Hin gabſt den Armen alles du! Allein 

Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!“ 


— „Die goldne Decke! Gebt dem Biſchof die! 
Bahrtuch und Totenhemd, das mangelt nie!“ 
Der Biſchof zaudert ... „Nimm die Dede! Kränk 


Mich nicht!“ Der Jüngling zieht mit dem Geſchenk ... 


Sie atmet aus. Es läutet lang und ſchön 
Mit allen Glocken von des Münſters Höhn... 
Fern in der Ebne gleißts wie Sonnenblick: 
Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück. 


Abſpringt ein Reiter, der den Turm erſteigt. 
„Den Biſchof warf das Roß. Ein Toter ſchweigt. 
Wir bringen ihn! Verdoppelt das Geläut! 

Ihr Glöckner, zwier bekommt ihr Löhnung heut!“ 


Frau Agnes und ihre Nonnen 


Ein Kloſterhof, ein Lenzestag! 
Ein ſchwarzer Lindenſchatten, 
Wo der gekrönte Habsburg lag 
Erſtochen auf den Matten. 


Frau Agnes, die geſtrenge Frau, 

Des Vaters Blut zu rächen, 

Rief mordend aus: „Ich bad in Tau!“ 
Und ſchritt in roten Bächen. 


Sie freute ſich, in warmes Blut 
Die Knöchel einzutauchen, 

Sie warf in ſtille Dörfer Glut, 
Sie ließ die Burgen rauchen. 


Nachdem Gericht gehalten war, 
Vollbracht die Totenfeier, 
Verbarg ſie das Meduſenhaar 
Mit einem Nonnenſchleier. 


Sie ſchuf ein Kloſter, wo hervor 
Aus Grüften Geiſter ſchweben, 
Sie füllt mit Blumen an den Chor, 
Mit lauter jungem Leben: 


Sie raubt das krauſe Blondgelock 
Manch einem Edelkinde, 

Beſchert ihm einen ſchwarzen Rock 
Und eine blanke Binde. 


Sie geißelt ſich den weißen Leib, 
Bis rote Tropfen rinnen. 

Sie will, das unbarmherz'ge Weib, 
Den zarten Heiland minnen. 


13 Meyer. II. 193 


Dort ſitzt fie unter Lindennacht 
Am kühlen Kloſterbronnen, 
Sie hat die Bibel mitgebracht 
Zur Andacht ihrer Nonnen. 


Am Gatter lauſchen Kinder ſcheu 
Mit friſch gepflückten Veilchen, 
Ein Weiblein hinkt mit Holz vorbei, 
Bückt tief ſich vor der Heil'gen. 


Dem jüngſten Nönnchen gibt das Buch 
Sie jetzt, der lieblich Bleichen: 

„Wir blieben bei Sankt Pauli Spruch. 
Sieh her! Da ſteckt das Zeichen!“ 


Die Zarte, die das Buch empfing, 
Beſchaut Sankt Paulum denkend. 

Sie lieſt. Ihr lauſcht der Schweſtern Ring, 
Die Wimper züchtig ſenkend — 


„Was frommte mir die Faſtenzeit, 
Was frommten Geißelhiebe, 

Was frommt es, trüg ich hären Kleid 
Und mangelte der Liebe?“ 


Da ſchwellt ein Seufzer manche Bruſt 
Im Nonnenrock erbaulich, 

Und manche kecke Lebensluſt 

Blickt traurig und beſchaulich ... 


Kaiſer Sigmunds Ende 


„Licht und lauter Bläue! Recht ein Wandertag! 
Weit hinaus ins Freie! Weg aus dieſem Prag! 
Holt mir eine Sänfte, macht es mir zu Dank: 
Vorn ein Rößlein, hinten eins, und beide blank! 


194 


Fröhlich will ich fahren tief ins Abendrot, 

Sei mein ſchlanker Läufer, ſpring, Gevatter Tod! 
Trabe, Läufer, trabe! Flugs beſtelle mir 

Ein geruhig Bettlein und das Nachtquartier!“ 


Durch die Gaſſen ging es, wo die Menge ſtand, 
Statt des Purpurs trug er ſchlichtes Reiſ'gewand, 
Von dem Lorbeerzweige das Gelock umlaubt, 


Nickt' ins Volk er freundlich, zitternd mit dem Haupt. 


Als er vor dem Tore blaches Feld gewann, 
Pries er Erd und Himmel: „O ich ſel'ger Mann! 
Herden ſeh ich gerne, auch den Pflüger gern: 
Sei geſegnet, Nähe! Sei geſegnet, Fern'!“ 


Wie die wandermüde Sonne niederſank, 
Offnet er die Lippen als zum Abendtrank, 
Dann iſt er entſchlummert in der dunkeln Flur, 
Drauf mit weißen Rößlein ſeine Sänfte fuhr. 


Die drei gemalten Ritter 


„Frau Berte, hört: Ihr dürftet nun 
Mir einmal einen Gefallen tun!“ 


— „Was denkt Ihr, Graf? Wohin denket Ihr? 
Vor den drei gemalten Rittern hier?“ 


Drei Ritter prahlen auf der Wand 
Mit rollenden Augen, am Dolch die Hand. 


„Wer, Frau, iſt dieſe Ritterſchaft?“ 
— „Drei Vettern und alle drei tugendhaft! 


Gelobt Ihr, Graf, die Ehe mir 
Bei den drei gemalten Rittern hier, 


Will ich — Ihr laßt es doch nicht ruhn — 
Euch einmal einen Gefallen tun.“ 


13 * 


195 


196 


Das Gräflein zwinkert den Rittern zu: 
Frau Berte, welch eine Gans biſt du! 


Das Gräflein hebt die Finger flink: 
Frau Berte, du biſt ein dummes Ding! 


„Trautlieb, ich ſchwör und beſchwör es dir 
Bei den drei gemalten Rittern hier!“ 


Jetzt rufen aus einem Mund die drei: 
„Es iſt geredet und bleibt dabei!“ 


Die Wand verſinkt: dahinter ſtehn 
Drei gült'ge Zeugen. So iſts geſchehn. 


Einſiedel 


„Was pocht mir an das Fenſter? 
Was klopft an meine Tür ſo laut?“ 
— „Ich bin ein junger Wildfang 
Und naß bis auf die Haut. 


Ich bin der Gerold Wendel, 

Wir ziehen an den Hof zu zwein, 
Der andre iſt ein Konrad 

Und nennt ſich Lützelſtein. 


Der duckt ſich etwo anders 

Vor Blitzgezuck und Wetterzorn 
Und bläſt mich morgen munter 
Mit ſeinem Jägerhorn. 


Einſiedel, frommer Bruder, 

Ihr ſehet, wie es um mich ſteht! 
Gewährt mir Euer Lager 

Und ſprecht mein Nachtgebet!“ 


Er lallt es, halb entſchlummert, 
Und ſtreckt die Glieder aus zur Ruh, 
Einſiedel deckt ſein Lämpchen 

Mit beiden Händen zu. 


„Wie lieblich iſt die Jugend! 

Hätt ich ein Füllhorn voller Glück, 
Ich leert es dir zu Häupten, 

Es bliebe nichts zurück.“ 


Der Schlummrer wird zum Träumer, 
In haſt' gen Worten redet er, 

Lacht, weint in einem Atem 

Und wirft ſich hin und her. 


— „Ich habe Blut vergoſſen!“ 
Einſiedel faßt beſorgt ihn an. 
„Du träumſt nicht gut. Erwache! 
Die Augen aufgetan!“ 


Er ſtarrt mit wilden Blicken. 


„Mein Kind, wie haſt du mich erſchreckt > 


— „Einſiedel, frommer Bruder, 
Ich bin mit Blut bedeckt. 


Wir ſaßen unter Linden, 

Ich und der Konrad Lützelſtein, 
Ein Fräulein von dem Hofe 
Bot lachend uns den Wein. 


Sie ſtreift' mich mit dem Armel, 
Die binſenſchlank gewachſen war, 
Sie hatte ſchnelle Augen 
Und aſchenblondes Haar. 


Sie ſtreift mich mit der Achſel 
Und liſpelt mir ins Ohr hinein: 


197 


Wilt, junger Edelknabe, 
Mein Trautgeſelle ſein?' 


Da ſchwang man einen Reigen, 
Sie reigte mit dem Lützelſtein — 
„Wilt, junger Edelknabe, 
Mein Trautgeſelle fein? 


Mir ſchwoll die Bruſt vor Eifer, 
Ein Hader reißt die Klingen bloß — 
Herzbruder, mein Herzbruder, 
Gabſt mir den Todesſtoß!““ 


Einſiedel mahnt: „Erwache!“ 

Und ſchiebt zurück ſein Fenſterlein. 
Da ſtrömt mit Tannendüften 

Ein Erdgeruch herein. 


Und horch, ein Hifthorn ſchmettert 
Und eine friſche Stimme ſchallt: 
„Wo ſteckt der Gerold Wendel? 
Den ſuch ich durch den Wald!“ 


Das Münſter 


Des Meiſters hohle Wange brennt, 
Sie bringen ihm das Sakrament, 

Er ißt des ew'gen Lebens Brot, 

Im Stubenwinkel grinſt der Tod. 

Fort trägt der Pfaffe die Monſtranz. 
Mit Augen ſcharf von Fieberglanz 
Winkt weg der Meiſter ſeinem Weibe, 
Dem Sohn, dem einz'gen, winkt er: Bleibe! 
Und deutet auf den Eichenſchrein: 
Was mag da Köſtlichs drinnen ſein? 
Der Jüngling hebt ein Pergament 

Aus einer Lade, die er kennt, 

Er breitet auf die Lagerſtatt 


Ein langſam aufgerolltes Blatt: 

Da dehnt ſich feierlich-gewaltig 

Ein Münſter eins und mannigfaltig 
Vom obern bis zum untern Rand — 
Ein Riß von jugendkühner Hand. 

Der Meiſter ſieht am Brett ſich ſtehn 
Und ſeine Zeichenkohle gehn, 

Sieht über blühendfriſche Wangen 
Verworrne Haare niederhangen — 
Und vor dem erſten ſeiner Pläne 
Erſtaunt er und zerdrückt die Träne. 
Auflodern ſeine Lebensgeiſter, 

Mit raſchen Pulſen ſpricht der Meiſter: 
„Dies Blatt erweckt den Tag mir wieder, 
Wo in der Vaterſtadt ich nieder 

Gelegt den Stab der Wanderſchaft — 
Ich ſchritt in voller Jugendkraft. 
Daheim war ein begeiſtert Leben, 

Ein Münſter wollten ſie erheben 

Mit andern Ländern um die Wette 
Und höher noch als andre Städte, 

Gott und den Heil'gen all zum Ruhm, 
Zur Ehre deutſchem Bürgertum. 

Mich ließ auf ſeine Stube kommen 
Der Rat. Laß, junger Meiſter, frommen, 
Was du erwandert haſt! Wohlan! 
Entwirf uns eines Münſters Plan!’ 


Da ſaß ich auf in langen Nächten, 
Zur Linken ſtanden mir und Rechten 
Der Chriſt mit ſeiner Märtrerſchar, 
Die Kaiſer mit den Kronen gar, 
Viel reine Fraun und Helden gut, 
Sie nahmen mich in Zucht und Hut. 
Wollt ich in ſchwelgendes Verzieren, 
In üppig Blattwerk mich verlieren 


199 


200 


Und opferts nicht mit keuſchem Sinn 
Dem Ganzen ſtreng ich zu Gewinn, 
Gleich ſchlug ein altes Heldenbild 
Erzürnt an ſeinen ehrnen Schild, 
Den Finger hob, das Haupt von Licht 
Umrahmt, ein Heil'ger: Tändle nicht! 
Das Amt, das dir zu Lehen fiel, 
Das iſt ein Werk und iſt kein Spiel! 


Da wars, als ich die Kohle führte, 

Daß Gott der Geiſt das Werk berührte: 
Gemach begann der Dom zu ſchweben 
Und regte ſich aus eignem Leben, 

Mich riß es über mich empor. 

Mit ſchlanken Stämmen wuchs der Chor, 
Gen Himmel blüht in Laub und Ranke 
Der menſchlich-göttliche Gedanke — 
Das Münſter ſtand auf meinem Blatte, 
Ich wußte, wers vollendet hatte. 


Im Flur auf unſerm ſtädt'ſchen Haus 
Stellt ich das Blatt den Blicken aus, 
Und wie die Bürger nahe traten 
Sprach Aller Mund: Du haſts erraten! 
So und nicht anders ſoll es fein!‘ 

Ich legte meinen erſten Stein. 

Aus allen Herzen, allen Händen 

In freud'ger Fülle quollen Spenden. 
Beſchattend ſchon die Häuſermaſſe 
Entſtieg der Dom dem Lärm der Gaſſe 
Und wuchs mit abgemeßnen Schritten. 
Die Wolken und die Jahre glitten, 
Doch karger werdend mit den Jahren, 
Begannen Herz und Hand zu ſparen, 
Die Flamme der Begeiſtrung fiel 

In müde Aſche vor dem Ziel. 

Erſt ſprach der Rat von kurzen Friſten, 


Und ftiller wards auf den Gerüſten, 
Dann ſetzten neue Friſt ſie wieder, 

Das Baugeſtelle faulte nieder. 

Laut feilſchte rings der Markt und ſummte, 
Sobald der Hammerſchlag verſtummte, 
Mit ekeln Buden ward verklebt 

Der Pfeiler, der nach oben ſtrebt. 

Ich aber ging dem Brote nach, 

Baut Erkerlein und Giebeldach, 

Ein wackrer Lohnknecht wie die andern. 
Doch abends im Nachhauſewandern 

Bei trauter Dämmerglocke Klang 

Stand ich vor meinem Münſter lang. 
Die Glut erklomm den höchſten Trümmer, 
Verglomm in letztem Tagesſchimmer, 
Noch ging das Knabenſpiel im Braus 
Rings um das dunkelnd hohe Haus, 
Oft hemmt ein Junge kurz den Lauf 
Und ſchaut am Münſter trotzig auf — 
Dann runzelt ich die weißen Braun 
Und dachte: Werdens dieſe baun? 


Inzwiſchen ſchoſſen auf die Reiſer, 

Sie wurden faft’ger und ich greiſer — 
Jüngſt irrt ich traurig und allein 

Um meinen Dom im Abendſchein, 

Da ſtand das junge Volk beiſammen, 
Die kräft'gen Augen ſprühten Flammen, 
Sie ſchienen warm ſich zu verſchwören 
Und redend nur auf ſich zu hören. 

Ich ſchlich in ihre Nähe leis, 

Aus einem Munde ſchwur der Kreis: 
„Bei Gottes Haupte! Wir vollenden 
Den Dom mit dieſen unſern Händen! ... 
Ob ſie den erſten Meiſter kennen 

Des Werks, das ſie zu enden brennen? 


201 


Nach den Geſichtern keck und neu 
Blickt ich hinüber ſtill und ſcheu ... 
Mit einem Male rief ein dreiſter 
Geſell: Begrüßt den alten Meiſter!“ 
Und riß die Kappe ſich vom Haar, 
Da grüßte mich die ganze Schar. 


Habt Dank und Gottes Lohn, Geſellen! 

Ihr wollet die Gerüſte ſtellen? 

Nicht ich — habt Dank und Gottes Lohn — 
Geht hin und rufet meinen Sohn! 

Wie wird mir? ... Schallt im Dom das Amt? 
Die Glocken dröhnen alleſamt ...“ 

Er faßt des Sohnes Rechte ... „Schau! 

Es ſteigt ... Mein Münſter ſteigt im Blau!“ 
Er ſtarrt, den Blick emporgewendet. 

Er neigt das Haupt. Er ſeufzt: „Vollendet!“ 


5 Die Krypte 


Baut, junge Meiſter, bauet hell und weit 

Der Macht, dem Mut, der Tat, der Gunſt der Stunde, 
Der Dinge wahr und tief geſchöpfter Kunde, 

Dem ganzen Genienkreis der neuen Zeit! 


Des Lebens unerſchöpften Kräften weiht 

Die freud'ge, lichtdurchflutete Rotunde — 
Baut auch die Krypte drunter, wo das wunde 
Gemüt ſich flüchten darf in Einſamkeit: 


Vergeßt die Krypte nicht! Dort ſoll ſich neigen 
Das heil'ge Haupt, das Dornen ſcharf umwinden! 
Ich glaube: Ein'ge werden niederſteigen. 


Dort unten werden Ein'ge Troſt empfinden. 
Wir mögen, wenn die Leiden uns umnachten, 
Nicht Glück noch Ruhm, nur größern Schmerz betrachten. 


202 


VIII 
E Nan 


Camoèns 


Camoöns, der Muſen Liebling, 
Lag erkrankt im Hoſpitale. 

In derſelben armen Kammer 
Lag ein Schüler aus Coimbra, 
Ihm des Tages Stunden kürzend 
Mit unendlichem Geplauder. 


„Edler Herr und großer Dichter, 

Was ſie melden, iſt es Wahrheit? 
Daß geſcheitert eines Tages 

Am Geſtad von Coromandel 

Sei das undankbare Fahrzeug, 

Das beehrt war, Euch zu tragen? 
Daß Ihr, kämpfend in der Brandung, 
Mit der Rechten kühn gerudert, 

Doch in ausgeſtreckter Linken, 
Unerreicht vom Wellenwurfe, 

Hieltet Eures Liedes Handſchrift? 
Schwer wird ſolches mir zu glauben. 
Herr, auch mir, wann ich verliebt bin, 
Sind Apollos Schweſtern günſtig: 
Aber ging es mir ans Leben, 

Flattern meine ſchönſten Verſe 

Ließ ich wahrlich mit dem Winde, 
Brauchte meine beiden Arme!“ 


Antwort gab der Dichter lächelnd: 
„Solches tat ich, Freund, in Wahrheit, 


203 


204 


Ningend auf dem Meer des Lebens! 
Wider Bosheit, Neid, Verleumdung 
Kämpft ich um des Tages Notdurft 
Mit dem einen dieſer Arme. 

Mit dem andern dieſer Arme 

Hielt ich über Tod und Abgrund 
In des Sonnengottes Strahlen 
Mein Gedicht, die Luſiaden, 

Bis ſie wurden, was ſie bleiben.“ 


Michelangelo und ſeine Statuen 


Du öffneſt, Sklave, deinen Mund, 
Doch ſtöhnſt du nicht. Die Lippe ſchweigt. 
Nicht drückt, Gedankenvoller, dich 

Die Bürde der behelmten Stirn. 

Du packſt mit nerv'ger Hand den Bart, 
Doch ſpringſt du, Moſes, nicht empor. 
Maria mit dem toten Sohn, 

Du weinſt, doch rinnt die Träne nicht. 
Ihr ſtellt des Leids Gebärde dar, 

Ihr meine Kinder, ohne Leid! 

So ſieht der freigewordne Geiſt 

Des Lebens überwundne Qual. 

Was martert die lebend'ge Bruſt, 
Beſeligt und ergötzt im Stein. 

Den Augenblick verewigt ihr, 

Und ſterbt ihr, ſterbt ihr ohne Tod. 

Im Schilfe wartet Charon mein, 

Der pfeifend ſich die Zeit vertreibt. 


Il Penſieroſo 


In einem Winkel ſeiner Werkſtatt las 
Buonarotti, da es dämmerte; 

Allmählich vor dem Blicke ſchwand die Schrift ... 
Da ſchlich ſich Julianus ein, der Träumer, 


Der einzige der heitern Medici, 

Der Schwermut kannte. Dieſer glaubte ſich 
Allein. Er ſetzte ſich und in der Hand 

Barg er das Kinn und hielt geſenkt das Haupt. 
So ſaß er ſchweigend bei den Marmorbildern, 
Die durch das Dunkel leiſe ſchimmerten, 

Und kam mit ihnen murmelnd ins Geſpräch, 
Geheim belauſcht von Michelangelo: 

„Feigheit iſts nicht und ſtammt von Feigheit nicht, 
Wenn einer ſeinem Erdenlos mißtraut, 

Sich ſehnend nach dem letzten Atemzug, 

Denn auch ein Glücklicher weiß nicht, was kommt 
Und völlig unerträglich werden kann — 
Leidloſe Steine, wie beneid ich euch 1717 

Er ging, und aus dem Leben ſchwand er dann 
Faſt unbemerkt. Nach einem Zeitverlauf 
Beſtellten ſie bei Michelangelo 

Das Grabbild ihm und brachten emſig her, 
Was noch in Schilderein vorhanden war 

Von ſchwachen Spuren ſeines Angeſichts. 

So waren ſeine Züge, ſagten ſie. 

Der Meiſter ſchob es mit der Hand zurück: 
„Nehmt weg! Ich ſehe, wie er ſitzt und ſinnt 
Und kenne ſeine Seele. Das genügt.“ 


Conquiſtadores 
Zwei edle Spanier halten Wacht 
Und einer ſpricht zum andern: 
„Señor, mir deucht, der Teufel lacht, 
Wie wir ins Leere wandern! 
Das Segel bauſcht, es rauſcht der Kiel, 
Noch keines Strandes Boten — 
Die Hölle treibt mit uns ihr Spiel, 
Wir fahren zu den Toten! 


1) Eigene Worte Julians in einem von ihm vorhandenen Sonett. 


205 


Wer einem Genueſen traut, 

Hat den Verſtand verloren! 

Die Klugen hat er ſchlecht erbaut, 
Doch lockt' er alle Toren — 

Rund ſei die Erde, log er mir, 
Wie Pomeranzenbälle, 

Doch unermeßlich flutet hier 

Nur Welle hinter Welle!“ 


Der andre blickt ins Meer hinaus 
Und runzelt finſtre Brauen: 
„Sehor, mich zog Columb ins Haus, 
Ließ mich die Karten ſchauen, 

Was er doziert', verſtand ich nicht, 
Ich ließ es alles gelten — 

Sein übermächtig Angeſicht 

Verhieß mir neue Welten! 


Iſt er ein Narr und haben wir 

Uns in das Nichts verlaufen, 

Ein räud'ger Hund, Senor, wie Ihr, 
Darf fröhlich mit erſaufen!“ 

— „Sesor, da betet Ihr nicht gut! 
Zurück Euch in den Rachen 

Den räud'gen Hund! Ihr raucht von Blut 
Und riſſet aus den Wachen!“ 


„Señor, ich dolcht ein falſches Weib, 
Bekenn ich unverhohlen! 

Nicht hab dem Bäcker einen Laib 
Vom Brett ich weggeſtohlen! 
Senor, Ihr ſeid ein Galgenſtrick!“ 
— „Sesßor, Ihr ſeid nicht beſſer!“ 
Sie ziehen mit entflammtem Blick 
Und kreuzen blanke Meſſer .. 


Da zwiſchen ihre Meſſer walzt 

In tollem Freudenſprunge, 

Mit ölgetränkten Fingern ſchnalzt 
Miguel, der Küchenjunge. 

Er drückt die Lider blinzelnd ein 

Mit ſchlauem Wimperzwinken, 

Bald hüpft er auf dem rechten Bein, 
Bald hopſt er auf dem linken. 


In Lüften bläht ſich ſein Gewand, 
Es puffen ihm die Hoſen — 
Neugierig kommen hergerannt 
Soldaten und Matroſen. 

Der Junge redet kunterbunt, 

Als obs im Kopf ihm fehle, 
Dann öffnet er den großen Mund 
Und ſingt aus voller Kehle: 


„Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt, 
Stimmt Laudes an und Pſalmen! 

Und wenns mir nicht vor Freude ſtirbt, 
Bald weidets unter Halmen! 

Ich ſchwör es euch bei Gottes Haupt: 
Es atmet duft’ge Weiden, 

Es wittert Wälder dichtbelaubt 

Und unermeßne Haiden! 


Erlauchte Herren, gebet acht, 

In meinem engen Räumchen 

Hat unſre Meerfahrt mitgemacht 

Ein andaluſiſch Heimchen — 
Mitnahm ichs aus dem Vaterland, 
Mich ſcheidend zu beſchenken, 

Ich fings mit flinkem Griff der Hand 
Zu einem Angedenken. 


207 


Da wir zu Schiffe ſtiegen dort, 
Die Zierden aller Lande, 

Zirpt' Heimchen mir im Buſen fort, 
Als weidets noch am Strande. 

Das grüne Vorgebirg verſchwand, 
Dem Heimchen ward es ſchaurig, 
Beklommen ſaß es an der Wand 
Und wurde faul und traurig. 


So darbts und dämmerts lange Zeit, 
Schon gab ich es verloren, 

Und nun, bei meiner Seligkeit, 

Iſt Heimchen neugeboren! 

Bedenkt, es hockte gram und lahm 
An Dielen und an Wänden, 

Jetzt jubelts wie ein Bräutigam 
Und kann nur gar nicht enden!“ 


Miguel iſt fort und wieder da, 

Die Fingerſpitze zeigend: 

Da ſitzt es ja! da ſingt es ja! 

Die Spanier lauſchen ſchweigend — 
Dann ſinnen ſie der Sache nach, 
Den Luſtgeſang im Ohre, 

Sie ſchütteln ſich die Hände jach 
Und ſchrein in wildem Chore: 


„Das Heimchen zirpt! Das Heimchen zirpt! 
Bald ſchwelgen wir in Beute! 

Wer ſpielt, gewinnt! Wer wagt, erwirbt! 
Wir ſind gemachte Leute! 

Die Küſte winkt! Das Gold erblinkt, 

Davon die Sagen melden! 

Das Morgen ſteigt! Das Geſtern ſinkt! 
Wir ſind berühmte Helden!“ 


208 


Don Fadrique 


Don Fadrique bringt ein Ständchen 
Der poſſierlichen Pepita: 

„Liebchen, ſtrecke durch die Türe 
Deines Füßchens Spitze nur!“ 


Und die drollige Pepita 

Streckt durch eine ſchmale Spalte 
Eines allerliebſten Fußes 

Weißes Spitzchen in die Luft. 


Don Fadrique krümmt den Rücken, 
Will das weiße Spitzchen küſſen, 
Knabe Amor ſteht beiſeite, 

Der den Bogen lachend ſpannt. 


Nach dem ewigjungen Herzen 

Zielt er; doch wer lacht, der zielt ſchlecht: 
In des Ritters alten Rücken 

Schießt er einen Hexenſchuß. 


Don Fadriques Knochen raſſeln, 
Don Fadrique ſtürzt zuſammen, 
Figaro holt eine Sänfte, 

Figaro bringt ihn zu Bett. 


„Frommer Bruder Agoſtino, 
Exorziere mir das frevle 
Allerliebſte weiße Füßchen, 

Das durch meine Beichte tanzt!“ 


Don Fadrique ſucht den Hades, 
Zierlich ſchreitend wie ein Stutzer, 
Tänzelnd leuchtet ihm ein weißes 
Füßchen durch die Unterwelt. 


14 Meyer. II. 209 


Die Schweizer des Herrn von Tremouille 


210 


Herr Karl war verdroſſen, 
Sein Pulver verſchoſſen: 
„O Gunſt der Bellona, du wandelndes Glück! 
Umſtarrt allerenden 
Von Felſen und Wänden, 
Laß ich meine herrlichen Büchſen zurück?“ 


Da kam aus der Pouille 
Herr Ludwig Tremouille 
Und ſprach: „Ich bezwinge die ſchwindelnde Bahn! 
Nicht Roſſe, nicht Farren 
Vor Büchſen und Karren! 
Ich ſpanne mich ſelbſt und die Schweizer daran. 


Die kennen die Berge! 
Das ſind keine Zwerge 
Wie deine Gascogner, die zapplige Brut! 
Die haben dir Arme, 
So harte, ſo warme! 
Herr König, ich ſteh für die Büchſen dir gut! 


Ihr Herrn aus den Bünden, 
Bedenkt eure Sünden: 
Den rollenden Würfel, den Becher, die Dirn! 
Die wollen wir fegen 
Auf brennenden Wegen, 
Die büßen wir heute mit triefender Stirn!“ 


Weg warf er die Jacke, 
Daß feſter er packe 
Das Seil, um die erſte Kanone geknüpft — 
Da jauchzten die Buben 
Und ſchoben und huben, 
Im Nu aus den puffigen Wämſern geſchlüpft. 


14* 


Der ſtämmige Berner, 
Der luſt'ge Luzerner, 
Sie ſtreiften die nervigen Arme ſich nackt; 
Die Kinder der Rhone, 
Der braune Griſone, 
Sie zogen die raſſelnden Büchſen im Takt. 


Ein knarrendes Stöhnen, 
Metallenes Dröhnen! 

Sie fuhren zu Berg mit der Herde von Erz, 
Vorüber den Schründen, 
Die Herrn aus den Bünden, 


Als ging es zum Reigen mit Jubel und Scherz. 


Ein prächtiges Wetter! 
Drommetengeſchmetter 

Erſchüttert die blaue, die ſtrahlende Luft. 
Ihr ſchollt, Apenninen, 
Von hellen Klarinen 

Und klangt bis in eure verborgenſte Schluft! 


Doch hartes Bedenken! 
Da gabs keine Schenken 
Für durſtige Gaumen und ſiedendes Blut. 
Herr Ludwig ruft munter: 
„Bald geht es bergunter!“ 


Und reißt an dem Seil in der ſengenden Glut. 


Wie kicherte Flore, 
Wie höhnte Aurore, 
Erblickten hemdärmlig den Ritter ſie hier! 
Mit keuchender Lunge, 
Mit lechzender Zunge 
Den zierlichen Helden an Feſt und Turnier! 


Noch einmal geſchoben, 
Und jetzt ſind ſie oben! 
Sie raſten, auf glühende Felſen geſtreckt, 


211 


212 


Und ſehen mit Weiden 
Und goldnen Getreiden 


Die fette lombardiſche Fläche bedeckt. 


Der Liebling der Frauen 
Nahm, ſich zu beſchauen. 


In Züchten ſein ſilbernes Spieglein hervor, 


Beſah in der Wildnis 
Sein ſchreckliches Bildnis 


Und fluchte: „Potz Blitz! Ich bin Ludwig der Mohr!“ 


Die Seiten wunde 


Über ihre Tore ſtatt der Muſe 

Meißeln die Baglioni die Meduſe, 

Und an ihren grauſen Hochzeitsfeſten 
Kämpft der Bräutigam mit ſeinen Gäſten. 


Heute liegen wieder ſie wie Garben: 
Blutsgenoſſen, die, ſich würgend, ſtarben! 
Wo des Bruderhaſſes Fackel brannte, 
Sucht das Kind und findets Atalante. 


Niederſtarrend, auf das Knie geſunken, 
Hebt des Sohnes Haupt ſie jammertrunken, 
Drüber hebt ſie die geballte Rechte, 

Daß Sie fluche dieſem Mordgeſchlechte ... 


Ihres Knaben Haupt, ein blondes iſt es, 
Wie das dorngekrönte Haupt des Chriſtes! 
Wie des Chriſtes Haupt iſts ein erbleichtes, 
Auf die Schulter friedevoll geneigtes! 


Ihrem Knaben ſteht die Seite offen, 

Wo der Speer Longins den Herrn getroffen... 
Haß und Fluch erliſcht auf ihrem Munde, 
Sie verehrt die heil'ge Seitenwunde ... 


Cäſar Borjas Ohnmacht 


Wer bin ich? Einer, welcher unterging, 

Den Kranz im Haar, den Becher in der Fauſt, 

Mit einem herkulaniſchen Gelag 

Von einem ungeheuren Sturz bedeckt? 

Ich weiß den Becher nur und meinen Sturz ... 
Im Belvedere ... Geſtern . Am Bankett... 
Den Becher, ihn kredenzte ſchlürfend mir 

Der Papſt, der ewig heiter lächelnde, 

Denn Cäſar Borja bin ich, Sohn des Papſts! 


Die Ampel über meinem Lager kämpft 

Mit eines neuen Tages fahlem Schein... 
Obs geſtern oder ehegeſtern war, 

Ich weiß es nicht, doch eines weiß ich wohl: 
In jenem Becher gor der Borja Gift. 

Er galt dem Gaſt, dem Biſchof. Selbſt gewürzt 
Hat ſich der Vater ew'gen Schlummers Trunk! 
Ein Becher ward verwechſelt. Warum nicht? 
Verrat des Schenken? Zufall? ... Es geſchah. 
Ich lebe. Meine Drachenkraft bezwang 

Das Drachengift. Die Stunde ruft. Zur Tat! 
Leer ſteht ein Thron und eine Krone rollt. 
Verbraucht iſt das Apoſtelmärchen. Weg 
Damit! Der Vater war der letzte Papſt! 

Ein König folgt ihm nach, und der bin ich. 
Entſcheidungsſtunde, nicht erſchreckſt du mich, 
Ich habe lange dich voraus bedacht: 

Entlarve mir dein kühnes Angeſicht! 

Du heißeſt Heute! Kämmrer, gib das Schwert! 
Reif ſtehn die Ernten und die Sichel blitzt. 
Marſch, meine Banden! Richtet das Geſchütz 
Auf des Konklave Kammern! Suchſt du mich, 
Hauptmann? Im Borgo, ſagſt du, wird gekämpft? 
Ich komme! Ich vertauſendfache mich! 

Ich ſteige mordend auf das Kapitol 


213 


214 


Und mit Italiens Krone krön ich mir 
Dies Haupt, das ſeine Frevel überragt! 


Ich träume nur und komme nicht vom Platz. 
Sturmlaufend bleib ich eingewurzelt ſtehn. 
Gelähmte Sehnen! Meuchleriſches Gift! 

Auf einem Krankenlager krümm ich mich. 
Kein Diener hier! Kein Arzt an meinem Pfühl! 
Mietlinge! Meine Stunde ſchwebt vorbei, 

Mit fliehndem Fuß berührt ſie ſpottend mir 

Die Fauſt, die ein erdichtet Schwert umkrampft. 
Verweile, Schickſalsſtunde! ... Doch ſie ſchwebt. 
Ich fühle meiner Feinde heimlich Werk: 

Sie ſchaufeln, ſie minieren, während ich, 
Geſchleudert aus der Schranke, liege ... Dort! 
Die grüne Feuerkugel! Ein Signal 

Von meinen Banden? Nein, ein Meteor 

Zuckt flüchtig durch die ſchwüle Sommernacht. 
Hier über Romas Kuppeln loht es auf: 

Nahn fackelſchwingend meine Banden ſich? 
Nein, es iſt Borjas Glück, das flammt und brennt, 
Und ſeine Zinnen ſtürzen! Wehe mir! 

Dem Valentino netzt die Wimper ſich ... 
Pfui! Iſt das eines Weibes Augenlid? 


Verzweiflung! Göttin! Stähle meinen Leib! 
Ich winde mich von meinem Lager auf, 

Ich ſchreite ... qualvoll ... doch ich ſchreite. Bei 
Der nackten Hölle, Sehnen, ſtrammet euch! ... 
Verdammnis! ... Wieder lieg ich hingeſtreckt ... 
Und ein erdolchter Knabe feſſelt mich 

Mit Ringen an den Stein ... Dort gafft ein Weib, 
Die Haare triefend, mit geſchwollnem Hals... 
Blutloſe Brut! Weg in des Tibers Grab! ... 
Aus allen Wänden quillt es ſchwarz hervor 

Und dunkelt über mir ... Unſagbar Graun .. 


Bapft Julius 


Halb vom Hades ſchon bezwungen, 
Von Lemuren ſchon umſchwebt, 

Hat er doch ſich losgerungen — 

Sieh, er atmet! Sieh, er lebt! 

Hinter ſeinen greiſen Brauen 

Flammts! Jetzt langt er nach dem Bart, 
Zürnt und ſchilt den Tod mit rauhen, 
Ungeſtümen Worten hart: 


„Weg mir aus dem Angeſichte, 
Larven, die mir bleich gedroht! 
Charon, aus dem Sonnenlichte 
Weg ins Schilf mit deinem Boot! 
Keine Macht iſt dir gegeben, 

Bis ich ſelbſt dich rufen mag! 
Heute hab ich noch zu leben 

Einen vollgedrängten Tag! 


Arzt, ſtatt deiner faden Tropfen 
Gib mir des Falerners Glut! 
Laſſe meine Pulſe klopfen, 
Wirf mir Feuer in das Blut! 
Auf die Türen! Weg die Kiſſen! 
Meine Feldherrn, tretet ein! 
Meine Meiſter, laßt ſie wiſſen, 
Daß ſie dreifach emſig ſein! 


Regſt, Bramante, die geſchickten 
Hände du? Vollende doch! 

Dieſe Augen, ſie erblickten 

Gerne deine Kuppel noch! 
Michelangelo, willkommen! 
Warum ſchauſt du wieder ſcheel? 
Dort erblick ich meinen frommen, 
Meinen ſüßen Raphael! 


216 


Als den Hirten nicht des Lammes, 
Bildet mich als Moſen ab, 

Der den Dränger ſeines Stammes 
Niederſchlug mit wucht'gem Stab — 
Wo die Waſſerſtürze toſen 

In die Brunnenſchale jach, 

Setzet, Meiſter, mich als Moſen, 
Der die Felſenwand zerbrach! 


Moſes bin ich in dem Blitze 

Sinais, in Rauch und Dampf: 
Meine donnernden Geſchütze 

Enden flammend jeden Kampf! 
Mit den neugegoßnen Stücken 
Bring ich Burg und Stadt zu Fall, 
Schmettre Breſchen, breche Lücken 
In den ſtärkſten Mauerwall! 


Falkner, ſprich, was macht mein Sperber, 
Der die Klaue ſich zerſtieß? 

Marſchalk, ſag, wie lebt mein Berber, 
Den zu ſcharf ich jagen ließ? 

Tummelt, Diener, zum Ergötzen 

Mir im Hof ein feurig Tier! 

Laßt es ſpringen, laßt es ſetzen 

Vor den alten Augen mir! 


Helmt mir die gefurchte Stirne! 
Harniſcht mir die welke Hand! 

Der Italien macht zur Dirne, 

Jagd den Fremdling aus dem Land! 
Reicht ein Schwert! Ich will es retten! 
Ruft, Drommeten, ruft zur Schlacht! 
In der Fauſt zerrißne Ketten, 

Schreit ich durch des Hades Nacht!“ 


In der Siſtina 


In der Siſtine däammerhohem Raum, 
Das Bibelbuch in ſeiner nerv'gen Hand, 
Sitzt Michelangelo in wachem Traum, 
Umhellt von einer kleinen Ampel Brand. 


Laut ſpricht hinein er in die Mitternacht, 

Als lauſcht ein Gaſt ihm gegenüber hier, 
Bald wie mit einer allgewalt'gen Macht, 
Bald wieder wie mit ſeinesgleichen ſchier: 


„Umfaßt, umgrenzt hab ich dich, ewig Sein, 
Mit meinen großen Linien fünfmal dort! 

Ich hüllte dich in lichte Mäntel ein 

Und gab dir Leib, wie dieſes Bibelwort. 


Mit wehnden Haaren ſtürmſt du feurigwild 
Von Sonnen immer neuen Sonnen zu, 

Für deinen Menſchen biſt in meinem Bild 
Entgegenſchwebend und barmherzig du! 


So ſchuf ich dich mit meiner nicht'gen Kraft: 
Damit ich nicht der größre Künſtler ſei, 

Schaff mich — ich bin ein Knecht der Leidenſchaft — 
Nach deinem Bilde ſchaff mich rein und frei! 


Den erſten Menſchen formteſt du aus Ton, 
Ich werde ſchon von härterm Stoffe ſein, 
Da, Meiſter, brauchſt du deinen Hammer ſchon. 
Bildhauer Gott, ſchlag zu! Ich bin der Stein.“ 


Der Schreckliche 


Benvenuto, ſprich, was ſchmiedeſt 
Du wie raſend in der Werkſtatt? 
Welches ungeheure Kunſtwerk? 

— „Meſſer! Scharfe, feine Meſſer!“ 


217 


1 


(0 


Benvenuto, ſprich, was prahlſt du? 
Welche ungeheure Lüge 

Tiſcheſt auf du den Geſellen? 

— „Ich bin ſtummer als ein Fiſchchen.“ 


Benvenuto, ſprich, was drohſt du? 
Welche ungeheure Mordtat, 
Die vor Abend du begehn wirſt? 


— „Ich bin frömmer als ein Lämmlein.“ 


Benvenuto bringt die Eiſen 

Meiſter Jakob von Perugia, 

Der den kranken Finger ſchneidet 

Dem geduld'gen Kind des Goldſchmieds. 


Benvenutos glühnde Blicke 

Folgen jedem Schnitt des Stahles. 
„Raffaella, ſchmerzt mein Meſſer?“ 
„Nein, es ſchmerzt nicht, Benvenuto.“ 


Pergoleſes Ständchen 


Nina, laß den Schlummer fahren 
Biſt du denn geſtorben? ach! 
Biſt du tot in jungen Jahren? 
Horch, die Liebe ruft! Erwach! 


Aus dem Schlummer ſie zu wecken, 
Der vor Tod und Sterben graut, 
Miſcht der Meiſter einen Schrecken 
In den ſüßen Liebeslaut. 


Willſt du ſchweigen! hauchts im Düſter. 
Ich bin blühend, bin geſund! 

Küſſe mich, ſagt das Geflüſter, 

Fühle meinen friſchen Mund! 


Und der Wohllaut des Geſanges 
Ward von Stadt und Land belobt, 
Und die Macht des Liebeszwanges 
Ward vom jungen Volk erprobt: 


Nina, laß den Schlummer fahren! 
Biſt du denn geſtorben? ach! 

Biſt du tot in jungen Jahren? 
Horch, die Liebe ruft! Erwach! 


Da geſchahs, daß eine ſchwarze 
Wolke über Napel glitt 

Und der Tod ſich eine volle 
Garbe blühnder Jugend ſchnitt. 


Sant Agneſe flammt von Kerzen, 
Nina ſchlummert am Altar, 
Pergoleſe ſpielt das Requiem 

Auf der Orgel wunderbar. 


In das Hallen der Poſaunen, 
In das Rufen, in das Drohn, 
In das Zürnen miſcht der Meiſter 
Einen ſüßen Liebeston: 


Nina, laß den Schlummer fahren! 
Biſt du denn geſtorben? ach! 

Biſt du tot in jungen Jahren? 
Horch, die Liebe ruft! Erwach! 


Auf Ponte Siſto 


Süß iſt das Dunkel nach Gluten des Tags! Auf dämmernder 
Brücke 
Schau ich die Ufer entlang dieſer unſterblichen Stadt. 
Burgen und Tempel verwachſen zu einer gewaltigen Sage! 
Unter mir hütet der Strom manchen verſchollenen Hort. 


219 


Dort in der Flut eines Nachens Geſpenſt! Iſts ein flüchtiger 


Kaiſer? 


Sit es der „Jakob vom Kahn“ !, der Buonarotti geführt? 
Gellend erhebt ſich Geſang in dem Boot zum Ruhme des 


Liebchens. 


Horch! Ein lebendiger Mund fordert lebendiges Glück. 


Chor der Toten 


Wir Toten, wir Toten ſind größere Heere 

Als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere! 
Wir pflügten das Feld mit geduldigen Taten, 
Ihr ſchwinget die Sicheln und ſchneidet die Saaten, 
Und was wir vollendet und was wir begonnen, 
Das füllt noch dort oben die rauſchenden Bronnen, 
Und all unſer Lieben und Haſſen und Hadern, 
Das klopft noch dort oben in ſterblichen Adern, 
Und was wir an gültigen Sätzen gefunden, 

Dran bleibt aller irdiſche Wandel gebunden, 

Und unſere Töne, Gebilde, Gedichte 

Erkämpfen den Lorbeer im ſtrahlenden Lichte, 
Wir ſuchen noch immer die menſchlichen Ziele — 
Drum ehret und opfert! Denn unſer ſind viele! 


1) In den dreißiger Jahren des ſechzehnten Jahrhunderts ſetzte Meiſter 
„Jakob vom Kahn“ zwiſchen Ponte Siſto und S. Angelo die Leute uͤber 
den Tiber. 


220 


IX 


X N. NE 


Lutherlied 


Ein Knabe wandert über Land 

In einem ſchlichten Volksgewand, 
Gewölke quillt am Himmel auf, 

Er blickt empor, er eilt den Lauf, 

Stracks fährt ein Blitz mit jähem Licht 
Und raucht an ſeiner Ferſe dicht — 

So ward getauft an jenem Tag 

Des Bergmanns Sohn vom Wetterſchlag. 


Schmal iſt der Kloſterzelle Raum, 

Drin lebt ein Jüngling dumpfen Traum, 
Er fleißigt ſich der Möncherei, 

Daß er durch Werke ſelig ſei. 

Ein Vöglein blickt zu ihm ins Grab, 
„Luthere,“ ſingts, „wirf ab, wirf ab! 
Ich flattre durch die lichte Welt, 
Derweil mich Gottes Gnade hält.“ 


In Augsburg wars, daß der Legat 

Ein Mönchlein auf die Stube bat, 

Er war ein grundgelehrtes Haus, 
Doch kannt er nicht die Geiſter aus. 
Des Mönchleins Augen brannten tief, 
Daß er: „Es iſt der Dämon!“ rief — 
Du bebſt vor dieſem ſcharfen Strahl? 
So blickt die Wahrheit, Kardinal! 


221 


222 


Jetzt tritt am Wittenberger Tor 

Ein Mönch aus allem Volk hervor: 

Die Flamme ſteigt auf ſeinen Wink, 
Die Bulle ſchmeißt hinein er flink, 

Wie Paulus ſchlenkert' in den Brand 
Den Wurm, der ihm den Arm umwand, 
Und über Deutſchland einen Schein 
Wie Nordlicht wirft das Feuerlein. 


In Worms ſprach Martin Luther frank 
Zum Kaiſer und zur Fürſtenbank: 
„Such, Menſchenherz, wo du dich labſt! 
Das lehrt dich nicht Konzil noch Papſt! 
Die Quelle ſtrömt an tiefrem Ort: 

Der lautre Born, das reine Wort 

Stillt unſrer Seelen Heilsbegier — 
Hier ſteh ich und Gott helfe mir!“ 


Herr Kaiſer Karl, du warſt zu fein, 
Den Luther fandeſt du gemein — 
Gemein wie Lieb und Zorn und Pflicht, 
Wie unſrer Kinder Angeſicht, 

Wie Hof und Heim, wie Salz und Brot, 
Wie die Geburt und wie der Tod — 

Er atmet tief in unſrer Bruſt, 

Und du begrubft dich in Sankt Juſt. 


„Ein feſte Burg“ — im Lande ſteht, 
Drin wacht der Luther früh und ſpät, 
Bis redlich er und Spruch um Spruch 
Verdeutſcht das liebe Bibelbuch. 

Herr Doktor, ſprecht! Wo nahmt Ihr her 
Das deutſche Wort ſo voll und ſchwer? 
„Das ſchöpft ich von des Volkes Mund, 
Das ſchlürft ich aus dem Herzensgrund.“ 


Herr Luther, gut iſt Eure Lehr, 

Ein friſcher Quell, ein ſtarker Speer: 

Der Glaube, der den Zweifel bricht, 

Der ew'gen Dinge Zuverſicht, 

Des Heuchelwerkes Nichtigkeit! 

Ein blankes Schwert in offnem Streit! — 
Ihr bleibt getreu trotz Not und Bann 

Und jeder Zoll ein deutſcher Mann. 


Mit Freudepulſen hüpft das Herz, 

Mit Jubelſchlägen dröhnt das Erz, 

Kein Tal zu fern, kein Dorf zu klein, 

Es fällt mit ſeinen Glocken ein — 

„Ein feſte Burg“ — ſingt jung und alt, 

Der Kaiſer mit der Volksgewalt: 

„Ein feſte Burg iſt unſer Gott, 

Dran wird der Feind zu Schand und Spott!“ 


Huſſens Kerker 


Es geht mit mir zu Ende, 

Mein Sach und Spruch iſt ſchon 
Hoch über Menſchenhände 

Gerückt vor Gottes Thron, 

Schon ſchwebt auf einer Wolke, 
Umringt von ſeinem Volke, 
Entgegen mir des Menſchen Sohn. 


Den Kerker will ich preiſen, 
Der Kerker, der iſt gut! 

Das Fenſterkreuz von Eiſen 
Blickt auf die friſche Flut, 

Und zwiſchen ſeinen Stäben 
Seh ich ein Segel ſchweben, 
Darob im Blau die Firne ruht. 


DD 
12 
2 


Wie nah die Flut ich fühle, 

Als läg ich drein verſenkt, 

Mit wunderſamer Kühle 

Wird mir der Leib getränkt — 
Auch ſeh ich eine Traube 

Mit einem roten Laube, 

Die tief herab ins Fenſter hängt. 


Es iſt die Zeit zu feiern! 

Es kommt die große Ruh! 

Dort lenkt ein Zug von Reihern 
Dem ew'gen Lenze zu, 

Sie wiſſen Pfad und Stege, 
Sie kennen ihre Wege — 

Was, meine Seele, fürchteſt du? 


Der Landgraf 


Mir ſitzt zu Hauſe jung gezähmt 
Und leicht gelähmt 

Ein Steinaar im Verließe, 

Der martert ſich den Hals zu drehn, 
Ins Blau zu ſehn, 

Aus dem er gerne ſtieße. 


So ſtreck ich Landgraf ebenfalls 
Den Kopf und Hals 

Wohl durch das Kerkergitter, 
Ob etwas auf der Straße zieht 
Für mein Gemüt, 

Ein Schüler oder Ritter. 


Der Kaiſer, der vergichtet iſt, 

Drum gerne mißt 

Die Koſt der harſchen Lüfte, 

Vergaß, wie ſchwer ein ganzer Mann 


Entraten kann 
Das Jagdhorn an der Hüfte. 


Ich wurde hinterrücks gefällt, 
Ein Netz geſtellt 

Ward mir mit falſchen Schriften! 
Wer mir mit lächelndem Geſicht 
Die Treue bricht, 

Der kann mich auch vergiften! 


Wär ich ein römiſch blöder Mann, 

Ich wähnte dann: 

Damit hätt ichs verbrochen, 

Daß triumphierend ich hinaus 

Zum Gotteshaus 

Schmiß Mühmchen Lisbeths Knochen !! 


Jüngſt warf ich auf den Feſtungsrain 
Ein Stüberlein 

Dem Bettler hin, dem lahmen: 

Den ſchlug der Spanier bis aufs Blut — 
Mich fraß die Wut — 

Der Teufel hol ihn! Amen! 


Wohl läg ich beſſer auf dem Feld 
— Ade, du Welt! — 

Gewundet und erſtochen! 

Wie Meiſter Ulrich Zwingli lag 
Am grünen Hag, 

Den hellen Blick gebrochen! 


Nur tröſtet mich das Eine doch: 
Das päpſtlich Joch 
Iſt in den Dreck getreten! 


) Die Reliquien der heiligen Eliſabeth 
15 Meyer. II. 22 


226 


Wir dürfen ohne Kleriſei 
Und Heuchelei 
Getroſt zum Herrgott beten! 


Der Rappe des Komturs 


Herr Konrad Schmid legt' um die Wehr, 
Man führt' ihm ſeinen Rappen her: 
„Den Zwingli laß ich nicht im Stich, 

Und kommt ihr mit, ſo freut es mich.“ 
Da griffen mit dem Herren wert 

Von Küßnach dreißig friſch zum Schwert: 
Mit Mann und Roß im Morgenrot 

Stieß ab das kriegbeladne Boot. 

Träg ſchlich der Tag; dann durch die Nacht 
Flog Kunde von verlorner Schlacht. 

Von drüben rief der Horgnerturm, 

Bald ſtöhnten alle Glocken Sturm, 

Und was geblieben war zu Haus, 

Das ſtand am See, lugt angſtvoll aus. 
Am Himmel kämpfte lichter Schein 

Mit ſchwarzgeballten Wolkenreihn. 

„Hilf Gott, ein Nachtgeſpenſt!“ Sie ſahn 
Es drohend durch die Fluten nahn. 

Wo breit des Mondes Silber floß, 

Da rang und rauſcht ein mächtig Roß, 
Und wilder ſchnaubts und näher fuhrs ... 
„Hilf Gott, der Rappe des Komturs!“ 
Nun trat das Schlachtroß feſten Grund, 
Die bleiche Menge ſtand im Rund. 

Zur Erde ſtarrt' ſein Augenſtern, 

Als ſucht es dort den toten Herrn... 

Ein Knabe hub dem edeln Tier 

Die Mähne lind: „Du bluteſt hier!“ 

Die Wunde badete die Flut, 

Jetzt überquillt ſie neu von Blut, 


15* 


Und jeder Tropfen ſchwer und rot 
Verkündet eines Mannes Tod. 

Die Komturei mit Turm und Tor 

Ragt weiß im Mondenglanz empor. 
Heim ſchritt der Rapp das Dorf entlang, 
Sein Huf wie über Grüften klang, 

Und Alter, Witwe, Kind und Maid 

Zog ſchluchzend nach wie Grabgeleit. 


Die ſpaniſchen Brüder 


„Da find ich dich! In Wintergraus 
Hält dich ein deutſches Donauneſt, 
Ein ſchneebelaſtet Giebelhaus, 

Kind einer heißen Sonne, feſt. 


Was treibſt du hier? Mit toller Brunſt 
Bohrſt du dich in Folianten ein? 

Vom Teufel kommt die ſchwarze Kunſt! 
Griechiſch? Die Kirche ſpricht Latein! 


Darüber ſitzeſt, Nacht um Nacht, 

Du auf? Noch qualmt der Lampe Docht! 
Auch ſiehſt du bleich und überwacht, 
Der ſonſt ſo weidlich ritt und focht! 


Du darbſt? Du meideſt jede Luſt? 
Von allem Denken mach dich frei! 
Verbrenn an einer warmen Bruſt, 
Ertränk in Wein die Ketzerei! 


Ergreife Schwert und Eiſenhut! 

Dem Spanier ward die Welt zum Raub! 
Nach Flandern! Eh dein Edelblut 
Verſiegt in ekelm Bücherſtaub! 


228 


Mein Bruder Juan, komm mit mir, 
Beflecke nicht der Diaz Ruhm! 
Erſäuf im Guadalquivir 

Das gottverdammte Luthertum! 


In Wittenberg haſt du — abſurd! — 
Auf einer Schule Bank gehockt! 

Bei dieſem Dolch an meinem Gurt, 
Ich morde den, der dich verlockt! 


Der Vater iſt ein alter Chriſt 

Und ſähe lieber dich im Grab! 

Die Mutter, welche gläubig iſt — 
Der Mutter drückſt das Herz du ab! 


Nie hat ein Diaz falſch geglaubt! 

Nicht wahr? Uns tuſt du nicht die Schmach, 
Geliebter Bruder, teures Haupt! 

Ich eilte deinen Schritten nach! 


Juan, ich reiße dich heraus 

Mit dieſer meiner Arme Kraft! 
Die Roſſe ſtampfen vor dem Haus, 
Geführt von meiner Dienerſchaft. 


Du ſchweigſt? Bekenn mir, obs geſchah! 
Tatſt du den Schritt? Du ſchüttelſt: Nein! 
Wirſt du ihn tun? Ja? Du nickſt: Ja? .. 
Juan, es muß geſchieden ſein!“ 


Eng hält den Bruder er umfaßt, 

Bang ſtöhnend ſenkt er Blick in Blick, 
Küßt, küßt ihn noch einmal in Haſt — 
Und ſtößt den Dolch ihm durchs Genick. 


Er hält den Bruder lang im Arm, 
Mit unerſchöpften Tränen netzt 


Und badet er den Toten warm: 
„Noch ſtarbeſt als ein Chriſt du jetzt!“ 


Das Auge des Blinden 


Durch das Marktgedräng von Namur 
Stelzt ein narb'ger armer Krüppel. 
„Leute, bringt mich zu Don Juan!“ 
„Schweigſt du wohl! Da iſt Don Juan!“ 


„Schweigſt du wohl, blick auf! da iſt er!“ 
In des Volkes Gaſſe reitet 

Ein Geſpenſt am hellen Tage: 

Don Juan der Oſterreicher — 


Don Juan der Oſterreicher, 

Der im Wein das Gift getrunken 

König Philipps, ſeines Bruders, 

Und Don Juan weiß den Mörder. 


Seinen Mörder kennt Don Juan, 
Auch den armen Krüppel kennt er, 
Der den Bügel ihm betaſtet, 

Der die Hand ihm deckt mit Küſſen — 


Der ihm deckt die Hand mit Küſſen: 
„Bin zerfetzt wie eine Fahne! 
Wohne jetzt in Barcelona — 

Braves Volk, bei meiner Ehre! 


Braves Volk! es ſpeiſt und tränkt mich: 
Alter, leere dieſes Glas mir! 

‚Alter, kannteſt du Don Juan? 

‚Sprich uns immer von Don Juan!“ 


Immer ſprech ich von Don Juan! 
In den Schenken, an dem Hafen 


229 


230 


Gab ich taufendmal zum beiten 
Bei Lepanto die Viktorie! 


Die Viktorie von Lepanto 

Gab ich tauſendmal zum beiten... 
Hergeſtelzt bin ich nach Flandern 
Zu dem Abgott meines Lebens! 


Helle Freude meines Lebens! 

Sohn des Kaiſers! Kind des Glückes! 
Deines Volkes Held und Liebling! 
Ruhmgekrönter junger Feldherr! 


Junger Feldherr mit dem Lorbeer 
In den goldnen Ringelhaaren, 
Mit dem Himmel in den Augen, 
Sonnig wie ein Engel Gottes! 


Eia, ſchöner Engel Gottes! ...“ 
Durch die Menge, die des Todes 
Bild betrachtet, geht ein Schauder. 
Juan, der geſpenſtig bleiche, 


Juan mit des Grabes Antlitz 

Sucht erſtaunt das Aug des Krüppels — 
Iſt es trunken? Lohts im Wahnſinn? 
Es iſt leer. Es iſt erloſchen! 


Iſt dem Tageslicht erloſchen. 
Don Juans zerſtörte Jugend 
Blüht in eines Blinden Auge 
Fort in unverſehrter Schönheit. 


Die verſtummte Laute 


Sie mochte gern an ſeiner Schulter lehnen 
In einem weichen Abenddämmerlicht, 


Sie barg vor ihm das Rieſeln ihrer Tränen, 
Den halbenthüllten Reiz der Seele nicht: 
„Freund, einz'ger Freund auf dieſem düſtern Eiland, 
Ich welke! Chaſtelard, auch du biſt bleich! 
Schlag deine Laute! Singe mir von weiland! 
Von meinem erſten Königreich!“ 


Er ſtürmte durch die Saiten: „Jener Tage 
Ins Meer geſunkne Sonnen ſind verblaßt! 
Maria Stuart! Ich erhebe Klage, 
Daß du geſchluchzt an meinem Herzen haſt! 
Mit deinen Tränen bade hier dem reinen, 
Entſeelten Gott die Marmorfüße bleich — 
Weib, ſündlich iſts vor einem Menſchen weinen 
Mit dieſen Augen warm und weich! 


Was war ich dir? Der nichtige Vertraute! 
Ein Echo, das von deinen Seufzern ſcholl! 
Ein Spiegel, drin ſie eitel ſich beſchaute, 
Die Zähre, die dir an der Wimper quoll! 
War dir die Laute nur, darauf zu breiten 
Die Fingerſpitzen, und ich hallte ſchön — 
Ich haſſe dich!“ Er riß entzwei die Saiten 
Mit einem gellen Mißgetön. 


Er floh davon, hinaus in Wald und Wildnis, 
Doch wo er lechzend ſchlürft aus einem Quell, 
Sah er im Brunnen ein geliebtes Bildnis 

Aus naher Tiefe ſchimmern dunkelhell, 

Sah er ein blaſſes Angeſicht in Zähren, 

Es ſchwand und blickte wiederum empor, 

Von Sehnen und Erfüllen und Gewähren 

Rauſchts um den Born in Schilf und Rohr. 


„Maria!“ ſo beginnt in ihrer Kammer 
Am Lager knieend ſie das Nachtgebet. 


231 


„Maria!“ wiederholt voll Glut und Jammer 

Ein Mund, der neben ihr im Dunkel fleht. 

Sie ſchreit. Man kommt. Von Fackelglut gerötet 

Bebt ſie vor Zorn: „Ein Mörder! Feſſelt ihn!“ 

Er lächelt: „Iſt ſie ſchön! Auch wenn ſie tötet!“ 
Und gibt den Schergen ſich dahin. 


Er ſchreitet ſeinem Blutgerüſt entgegen 

In einem klaren kühlen Morgenrot, 

Mit hohlen Blicken flüſtert angelegen 

Als hagrer Pater der vermummte Tod: 

„Freund, du bekommſt es gut! Du wirſt entlaſtet! 

Ich abſolviere dich von Luſt und Pein! 

Von keiner weichen, weißen Hand betaſtet, 
Wirſt du die ſtumme Laute ſein!“ 


Das Weib des Admirals 


Auf mondenhellem Lager wälzt ein Weib, 

Ein ſchlummerloſes, ſich: „O banger Pfühl! 

Auch du, mein ſorgender Gemahl, du wachſt! 

Wer dürfte ſchlafen? Horch, die Folter ſtöhnt ... 
Erwürgte modern ohne Leichentuch, 

Sieh unſer Linnen, Chatillon, wie fein! 

Gen Himmel ſchreit der Märtrer frommes Blut, 
Ich ſchreie, Herr, in deinen Armen mit! 

Mein Held, ich rede Zeugnis gegen dich 

Vor Gott, entrolleſt du dein Banner nicht!“ 

Sie ſchweigt in düſtrer Glut. Er ſinnt und ſagt: 
„Erwäge, Weib, die Schrecken, die du wählſt! 
Dies Haus in Rauch und Trümmern! Dies mein Haupt 
Verfemt, dem Meuchelmord gezeigt — geraubt! 
Entehrt dies Wappen von des Henkers Hand! 

Du mit den Knaben bettelnd auf der Flucht! 
Wählſt du dir ſolches? Nimm drei Tage Friſt!“ 
— „Drei Tage Friſt? Sie ſind vorbei. Brich auf!“ 


232 


Hugenottenlied 


In die Schule bin ich gangen 
Bei dem Meiſter Hans Calvin, 
Lehre hab ich dort empfangen: 
Vorbeſtimmt iſt alles ewighin! 
Jeder volle Wurf im Würfelſpiele, 
Jeder Diebestritt auf Liebchens Diele, 
Jeder Kuß — 
Schickſalsſchluß! 


Dann bin ich zu Roß geſtiegen 

Mit dem Hauptmann Des Adrets, 

Der das Kindlein in der Wiegen 
Würgt und ſich ergötzt an Qual und Weh! 


Jeder Firſt, der raucht und dampft und lodert, 


Jeder Tote, der im Graben modert, 
Jeder Schuß — 
Schickſalsſchluß! 


Die Karyatide 


Im Hof des Louvre trägt ein Weib 
Die Zinne mit dem Marmorhaupt, 
Mit einem allerliebſten Haupt. 

Als Meiſter Goujon ſie geformt 
In feinen Linien, überſchlank, 

Und ſtehend auf dem Baugerüſt 
Die letzte Locke meißelte, 

Erſchoß den Meiſter hinterrücks 
(Am Tag der Saint-Barthélemy) 
Ein überzeugter Katholik. 
gen überflutet er 

Den feinen Buſen ganz mit Blut, 
Dann ſank er rücklings in den Hof. 
Die Marmormagd entſchlummerte 
Und ſchlief dreihundert Jahre lang, 


233 


234 


Ein Feuerſchein erwärmte fie 

(Am Tag, da die Commüne focht), 
Sie gähnt und blickte rings ſich um: 
Wo bin ich denn? In welcher Stadt? 
Sie morden ſich. Es iſt Paris. 


Mour ir ou parveni f! 


Herr Heinrich Guiſe ſchrieb. Da rauſcht' Gewand — 
Es war ſein Lieb, das aus der Kirche kam, 

Sein zärtlich Lieb, dem ſchäkernd aus der Hand 

Er das mit Gold beſchlagne Meßbuch nahm. 

Er blättert' drin. Hell wars von Farbenglut 

Und keck verſchlungner Arabeskenzier — 

„Geliebter, dich verdirbt dein Übermut! 

Hinweg! Entflieh von hier! 


Du biſt zu hoch! Der König, feig und ſchlau, 

Bebt wie ein Kind vor deinen mächt'gen Braun! 
Dich haßt er tödlich — glaub es einer Frau! 

Ihn ſah ich lächeln jüngſt — mich ſchüttelt Graun!“ 
Zur Feder griff er. „Flora, ſchlanke Fei! 

Wie könnt ich leben,“ ſeufzt er, „fern von dir?“ 
Und ſchrieb ins Meßbuch, wo die Zeile frei: 


Mourir — 


„Verſuche Gott nicht! Das Verderben reift! 
Hinweg aus Blois! Mein Alles, Schmerz und Luſt! 
Ich weiß: in dieſem Augenblicke ſchleift 

Der Meuchelmord ein Schwert für deine Bruſt!“ 
In ihrem Büchlein ſchrieb er ruhig fort, 

Soviel ihm Raum gewährte das Papier, 

Als wärs ein auferbaulich Bibelwort: 

— Ou parvenir| 


„Mich ſo zu quälen! Schlimm hat mir geträumt! 
Mein Gott! Du wandeſt dich in Todesſchmerz! 


Hinweg! Jetzt! Heute! Hörſt du? Nicht geſäumt!“ 
Die Bange zog er koſend an das Herz, 

Sie ſenkte des betränten Auges Glanz — 

In kühnen Zügen ſtand der Spruch vor ihr, 
Umrankt von einem üpp'gen Blumenkranz: 
Mourir ou parvenir! 


Das Reiterlein 


Das Bächlein nimmt nach der Loire den Gang, 
An beiden Seiten 

Auf und ab, die Ufer entlang 

Spähn ſie und reiten. 

Sie ſind ſich ſo nahe! Sie ſind ſich ſo fern! 
„Bon jour, meine Herrn!“ 

Grüßt keck eine Stimme. 


Ein feurig, unbändig Reiterlein 

Springt ab behende, 

Setzt rechts ein Bein und links ein Bein 
In beide Gelände: 

„Groß iſt der Sonne Glut — 

Herrn, meint Ihrs gut, 

Schafft eins zu trinken!“ 


Rechts kommt ein Pokal und links ein Pokal 
Von verſchiedener Helle, 

Der: ſchäumender Champagnerſtrahl, 

Der andre: Purpurwelle — 

„Katholik? Calviniſt? 

Hier ein Chriſt! Dort ein Chriſt!“ 

Er ſchlürft aus beiden Bechern. 


„Mit ſtreitender Theologie 
Mach ich mir nichts zu ſchaffen, 
Den Guiſen überlaß ich ſie, 


236 


Den Weibern und den Pfaffen! 
Pred'gerrock? Meßgewand? 

Stich und Schuß! Mord und Brand! 
Ins Meer geſchwemmte Leichen! 


Bekennt mir, Herren, frei und frank: 
Wie tut Ihr, wann Ihr dürſtet? 

Ihr ſetzt Euch rittlings auf die Bank 
Und ruft nach Wein und bürſtet! 

Zug und Schluck! Schluck und Zug! 

Noch ein Trunk! Nie genug! 


Die Einen wie die Andern. 


Genießt Ihr wonn'ge Minneluſt 
Nach Dogmen oder Schulen? 

Koft alle nicht Ihr Bruſt an Bruſt 
Mit Euren trauten Buhlen? 

Tört Ihr nicht? Trügt Ihr nicht? 
Schwört Ihr nicht? Lügt Ihr nicht? 
Die Einen wie die Andern. 


Drum laſſen wir auf ſich beſtehn 
Die Lehren, die uns trennten, 
Da wir erbaulich einig gehn 

In allen Elementen: 

Erntefeſt! Winzertanz! 
Ahrenkranz! Traubenkranz! 
Feldruhm und edle Waffen!“ 


Sprichts und es fährt ein elektriſcher Schlag 
Rundum und ſetzt alles in Flammen: 
Frankreich hoch! Freudetag! 

Heut wächſt es zuſammen! 

Sie ſpringen ins Waſſer, ſie waten im Fluß, 
Sie ſpitzen die bärtigen Lippen zum Kuß, 

Sie fallen ſich all in die Arme. 


Der Kleine drückt und küßt und herzt 
Sie alle wie alte Bekannte. 

„Wie aber, Herren, ſteht es“, ſcherzt 
Er, „mit dem Proviante? 

Alles her! Fleiſch oder Fiſch! 

Ihr ſeid geladen heut zu Tiſch 

Bei Heinrich von Navarra.“ 


Die Füße im Feuer 


Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte ſteht ein Turm. 

Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit ſeinem Roß, 
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel ſauſt 
Im Wind. Er hält den ſcheuen Fuchs am Zügel feſt. 

Ein ſchmales Gitterfenſter ſchimmert goldenhell 

Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann... 


— „Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geſchickt 

Nach Nimes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!“ 

— Es ſtürmt. Mein Gaſt biſt du. Dein Kleid, was küm⸗ 
merts mich? 

Tritt ein und wärme dich! Ich ſorge für dein Tier!“ 

Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnenſaal, 

Von eines weiten Herdes Feuer ſchwach erhellt, 

Und je nach ſeines Flackerns launenhaftem Licht 

Droht hier ein Hugenott im Harniſch, dort ein Weib, 

Ein ſtolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild ... 

Der Reiter wirft ſich in den Seſſel vor dem Herd 

Und ſtarrt in den lebend'gen Brand. Er brütet, gafft 

Leis ſträubt ſich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal... 

Die Flamme ziſcht. Zwei Füße zucken in der Glut. 

Den Abendtiſch beſtellt die greife Schaffnerin 

Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft. 

Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick 

Hangt ſchreckensſtarr am Gaſt und hangt am Herd entſetzt .. 

Die Flamme ziſcht. Zwei Füße zucken in der Glut. 


237 


— „Verdammt! Dasſelbe Wappen! Diefer ſelbe Saal! 

Drei Jahre finds... Auf einer Hugenottenjagd ... 

Ein fein, halsſtarrig Weib... „Wo ſteckt der Junker? Sprich!‘ 

Sie ſchweigt. Bekenn!' Sie ſchweigt. Gib ihn heraus! Sie 
ſchweigt. 

Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geſchöpf ... 

Die nackten Füße pack ich ihr und ſtrecke ſie 

Tief mitten in die Glut... ‚Gib ihn heraus!! ... Sie 
ſchweigt ... 

Sie windet ſich .. . Sahſt du das Wappen nicht am Tor? 

Wer hieß dich hier zu Gaſte gehen, dummer Narr? 

Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.“ — 

Eintritt der Edelmann. „Du träumſt! Zu Tiſche, Gaſt ...“ 


Da ſitzen ſie. Die Drei in ihrer ſchwarzen Tracht 

Und er. Doch keins der Kinder ſpricht das Tiſchgebet. 
Ihn ſtarren ſie mit aufgerißnen Augen an — 

Den Becher füllt und übergießt er, ſtürzt den Trunk, 
Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerſtatt! 
Müd bin ich wie ein Hund!“ Ein Diener leuchtet ihm, 
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück 

Und Sieht den Knaben flüſtern in des Vaters Ohr... 
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach. 


Feſt riegelt er die Tür. Er prüft Piſtol und Schwert. 

Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke ſtöhnt. 

Die Treppe kracht ... Dröhnt hier ein Tritt? Schleicht dort 
ein Schritt? ... 

Ihn täuſcht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht. 

Auf ſeinen Lidern laſtet Blei und ſchlummernd ſinkt 

Er auf das Lager. Draußen plätſchert Regenflut. 


Er träumt. „Geſteh!“ Sie ſchweigt. „Gib ihn heraus!“ Sie 
ſchweigt. 

Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut. 

Aufſprüht und ziſcht ein Feuermeer, das ihn verſchlingt ... 


238 


— Erwach! Du ſollteſt längſt von hinnen ſein! Es tagt!“ 
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt, 

Vor ſeinem Lager ſteht des Schloſſes Herr — ergraut, 
Dem geſtern dunkelbraun ſich noch gekrauſt das Haar. 


Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt ſich heut. 
Zerſplittert liegen Aſtetrümmer quer im Pfad. 

Die frühſten Vöglein zwitſchern, halb im Traume noch. 
Friedſel'ge Wolken ſchwimmen durch die klare Luft, 

Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht. 

Die dunkeln Schollen atmen kräft'gen Erdgeruch. 

Die Ebne öffnet ſich. Im Felde geht ein Pflug. 

Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr, 

Ihr ſeid ein kluger Mann und voll Beſonnenheit 

Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin. 

Lebt wohl. Auf Nimmerwiederſehn!“ Der Andre ſpricht: 
„Du ſagſts! Dem größten König eigen! Heute ward 

Sein Dienſt mir ſchwer ... Gemordet haſt du teufliſch mir 
Mein Weib! Und lebſt! ... Mein iſt die Rache, redet Gott.“ 


Die Roſe von Newport 


Sprengende Reiter und flatternde Blüten, 
Einer voraus mit geſcheitelten Locken — 

Iſt es der Lenz auf geflügeltem Renner? 
Karl iſts, der Jüngling, der Erbe von England, 
Und die ſich nähern in goldener Mailuft, 

Das ſind die Giebel und Tore von Newport, 
Drüber das Wappen der Stadt: eine Roſe! 
Jubelnde Gaſſen und jubelnde Wimpel 

Und ein von treibender Jugend geſchwelltes, 
Jubelndes Herz in dem Buſen des Stuart... 
Unter den blühenden Linden des Marktes 
Schreitet ein Reigen von blühnden Geſtalten, 
Und eine Schönſte mit herzlichem Beben 
Bietet dem Prinzen die Roſe von Newport: 


239 


240 


„Seliges Geſtern und Morgen und Heute, 
Herr, dir die Roſe von Newport bedeute!“ 


Morgen erzählen die Linden das Märchen 
Von der entblätterten Roſe von Newport. 


Sprengende Reiter und wirbelnde Flocken, 
Einer voraus mit verwilderten Haaren — 
Iſt es der Winter, der finſtre Geſelle? 


Karl iſts, der Flüchtling, der König von England. 


Seit er das Blut ſeines Volkes vergoſſen, 
Reitet er neben zerſchmetterndem Abgrund... 
Und die ſich nähern in weißem Geſtöber, 

Das ſind die Giebel und Tore von Newport, 
Drüber das Wappen der Stadt: eine Roſe! 
Nirgend ein Jubel und nirgend ein Wimpel, 
Polternde Hämmer und kreiſchende Feilen — 
Und ein von eiſernen Fäuſten gepreßtes, 
Achzendes Herz in dem Buſen des Stuart 
Unter den frierenden Linden des Marktes 
Bettelt ein Kind mit verſchatteten Augen, 
Bietet dem König ein dorrendes Röschen: 
„Seliges Geſtern und Morgen und Heute, 
Herr, dir die Roſe von Newport bedeute!“ 
Karl, der die Züge des Kindes betrachtet, 
Schmal und geſpenſtig im Spiegel des Elends 
Sieht er das eigene Antlitz und ſchaudert. 


Morgen erzählen die Linden das Märchen 
Von dem enthaupteten König in England. 


Der ſterbende Cromwell 


Vor der Königsburg in nächt'ger Stunde 
Knickt der Tod die Eichen in die Runde, 
Drinnen ſucht er dann ein zäher Leben 

Aus den Wurzeln allgemach zu heben — 


Whitehall iſt Cromwells Sterbeftätte, 

Ein Waldenſer kniet an ſeinem Bette! 
„Herr, ich komm, ein Kind des welſchen Tales, 
Wo du biſt der Schutzgott jedes Mahles, 
Unſern Dank auf deine Knie zu legen, 
Leben, Cromwell, mußt du unſertwegen! 
Rom befehdet uns mit ſeinen Pfaffen, 
Unſer Herzog rüſtet frevle Waffen 

Gegen unſer Tal, den lautern Glauben 

Will er oder uns das Leben rauben! 

Doch du ſahſt in deinen Schmerzensnächten 
Uns gefoltert ſchon von Henkersknechten 

Und du hobeſt dich in Fieberſchwüle, 

Auf den Arm geſtützt, empor vom Pfühle 
Und du drohteſt, über Meer gewendet — 
Pfaffen, Henker blieben ungeſendet. 

Wenn wir, Cromwell, deine Söhne wären, 
Herber könnten wir dich nicht entbehren! 
Deine bangen Atemzüge geben 

Uns den Odem, friſten uns das Leben. 
Dennoch — wie du leideſt, Herr — unſäglich — 
Deine Qualen werden unerträglich? — 
Dennoch — ob uns Hartes ſei beſchieden — 
Friedeſtifter, fahre hin in Frieden!“ 


Miltons Rache 


Am Grab der Republik iſt er geſtanden, 
Doch ſah er nicht des Stuart Schiffe landen, 
Ihn hüllt in Dunkel eine güt'ge Macht: 
Er iſt erblindet! Herrlich füllt mit lichten 
Gebilden und dämoniſchen Geſichten 

Die Muſe feines Auges Nacht. .. 


Ein eifrig Mädchenantlitz neigt ſich neben 
Der müden Ampel, feine Finger ſchweben, 


16 Meyer. II. 241 


242 


Auf leichte Blätter ſchreibt des Dichters Kind 

Mit eines Stiftes ungehörtem Gleiten 

Die Wucht der Worte, die für alle Zeiten 
In Marmelſtein gehauen find... 


Er ſpricht: „Zur Stunde, da“ — Hohnrufe gellen, 

Das Haupt, das blinde, bleiche, zuckt in grellen, 

Lodernden Fackelgluten, zürnt und lauſcht ... 

Durch Londons Gaſſen wandern um die Horden 

Der Kavaliere, Schlaf und Scham zu morden, 
Von Wein und Übermut berauſcht: 


„Schaut auf! Das iſt des Puritaners Erker! 
Der Schreiber hält ein blühend Kind im Kerker! 
Der Schuhu hütet einen duft'gen Kranz! 
Wir ſchreiten ſchlank und jung, wir ſind die Sünden 
Und kommen ihr das Herzchen zu entzünden 
Mit Saitenſpiel und Reigentanz! 


Vertreibt den Kauz vom Neſt! Umarmt die Dirne! ... 


Geklirr! Ein Stein! ... Still blutet eine Stirne, 

Den Vater ſchirmt das Mädchen mit dem Leib, 

Die Bleiche drückt er auf den Schemel nieder, 

Ein Richter, kehrt zu ſeinem Lied er wieder: 
„Nimm deinen Stift, mein Kind, und ſchreib! 


Zur Stunde, da des Laſterkönigs Knechte 

Umwandern, die Entheiliger der Nächte... 

Zur Stunde, da die Hölle frechen Schalls 

Aufſchreit, empor zu den erhabnen Türmen... 

Zur Stunde, da die Rieſenſtadt durchſtürmen, 
Die blut'gen Söhne Belials ...“ 


So ſang mit wunder Stirn der geiſterblaſſe 
Poet. Verſchollen iſt der Lärm der Gaſſe, 
Doch ob Jahrhundert um Jahrhundert flieht, 


dd 


Von einem bangen Mädchen aufgeschrieben, 
Sind Miltons Rächerverſe ſtehn geblieben, 
Verwoben in ſein ewig Lied. 


Der Daxelhofen 


Den Hauptmann Darelbofen 
Beſtaunten in der Stadt Paris 

Die Kinder und die Zofen 

Um ſeines blonden Bartes Vließ — 
Prinz Condé zog zu Felde, 

Der Hauptmann Danxelhofen auch, 
Da fuhr am Bord der Schelde 

Der Blitz und quoll der Pulverrauch. 


Die Lilienbanner hoben 

Sich ſachte weg aus Niederland 

Und ſchoben ſich und ſchoben 

Tout doucement zum Rheinesſtrand. 
„Herr Prinz, welch köſtlich Düften! 

So duftet nur am Rhein der Wein! 

Und dort der Turm in Lüften, 

Herr Prinz, das iſt doch Mainz am Rhein? 


In meinem Pakt geſchrieben 

Steht: Ewig nimmer gegen 's Reich! 
So ſtehts und iſt geblieben 

Und bleibt ſich unverbrüchlich gleich! 
Ich bin von Schwabenſtamme, 

Bin auch ein Eidgenoſſe gut, 

Und daß mich Gott verdamme, 
Vergieß ich Deutſcher deutſches Blut! 


In Mainz als Feind zu rücken 

Reißt mich kein Höllenteufel fort. 

Betret ich dort die Brücken, 

So ſei mir Hand und Schlund verdorrt! 


244 


Nicht dürft ich mich bezechen 
Mit frommen Chriſtenleuten mehr! 
Mein Waffen lieber brechen 
Als brechen Eid und Mannesehr!“ 


„La la,“ kirrt Condé, „ferner 

Dient Ihr um Doppel⸗Tripellohn.“ 
Da bricht vorm Knie der Berner 

In Stücke krachend ſein Sponton, 
Dem Prinzen wirft zu Füßen 

Die beiden Trümmer er und ſpricht: 
„Den König laß ich grüßen, 

Das Deutſche Reich befehd ich nicht!“ 


Ein Pilgrim 
(Epilog) 

's iſt im Sabinerland ein Kirchentor 

— Mir war ein Reiſejugendtag erfüllt — 
Ich ſaß auf einer Bank von Stein davor, 
In einen langen Mantel eingehüllt, 

Aus dem Gebirge blies ein harſcher Wind — 
Vorüber ſchritt ein Weib mit einem Kind, 
Das, zu der Mutter flüſternd, ſcheu begann: 
Da ſitzt ein Pilgerim und Wandersmann! 


Mir blieb das Wort des Kindes eingeprägt, 
Und wo ich neues Land und Meer erſchaut, 
Den Wanderſtecken neben mich gelegt, 

Wo das Geheimnis einer Ferne blaut, 
Ergriff mich unerſättlich Lebensluſt 

Und füllte mir die Augen und die Bruſt, 
Hell in die Lüfte jubelnd rief ich dann: 

Ich bin ein Pilgerim und Wandersmann! 


Es war am Comer⸗- oder Langenſee, 
Auf lichter Tiefe trug das Boot mich hin 


Entgegen meinem ew'gen ftillen Schnee 

Mit einer andern lieben Pilgerin — 

Raſch zog mir meine Schweſter aus dem Haar, 
Dem braungelockten, eins, das ſilbern war, 
Und es betrachtend, ſeufzt ich leis und ſann: 
Du biſt ein Pilgerim und Wandersmann! 


Mit Weib und Kind an meinem eignen Herd 
In einer häuslich trauten Flamme Schein 
Dünkt keine Ferne mir begehrenswert. 

So iſt es gut! So ſollt es ewig fein... 

Jetzt fällt das Wort mir plötzlich in den Sinn 
Der kleinen furchtſamen Sabinerin, 

Das Wort, das nimmer ich vergeſſen kann: 
Da ſitzt ein Pilgerim und Wandersmann! 


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Eine Dichtung 


2 


Tertreviſtion von Jonas Fränkel 


Franz Wille 
und 
Sia Pike 
zu eigen 


Da mirs zum erſten Mal das Herz bewegt, 
Hab ich das Buch auf euern Herd gelegt, 


Und nun, ſo oft es tritt ans Tageslicht, 
Vergißt es ſeine alten Wege nicht. 


. . Ich bin kein ausgeklügelt Buch, 
Ich bin ein Menſch mit feinem Widerſpruch ... 


Bir E FEN N 


I 


Die Landung 
Schiffer! Wie nennft du dort im Wellenblau 
Das Eiland? — „Herr, es iſt die Ufenau!“ 


Ein grüner Ort. Dank, Zwingli, für die Raſt, 
Die du, der Gute, mir bereitet haſt! 


In braunen Wölklein wirbelt auf ein Rauch, 
Bewohnt von Menſchen ſcheint das Eiland auch. 


Willkommen, mein gewünſchtes Ithaka! 
Ein irrender Odyſſeus bin ich ja. 


Viel kämpften, edler Dulder, beide wir; 
In andern Stücken gleich ich wenig dir 


Und nicht im Eignen werd ich wohnen dort, 
Ich bleibe Gaſt auf Erden immerfort. 


Dir, Vielgewandter, ward ein beſſer Los, 
Du warſt an Klugheit und im Lügen groß! 


Und ohne deine Göttin fahr ich hier ... 
Ein Kirchlein winkt herüber ſtill zu mir. 


Sieh dort! Ein Mann erwartet mich am Strand. 
Er grüßt. Den Prieſter kündet das Gewand. 


Es iſt der Arzt, den Zwingli mir verhieß... 
Hier waltet Friede, wie im Paradies! 


Die Wache hält ein Eichbaum düſterkühn 
Und färbt den kleinen Hafen dunkelgrün. 


Der Ferge mäßigt ſeinen Ruderſchwung 
In breiter Abendſchatten Dämmerung. 


Mein Wirt, der Pfarrer, hat ein mild Geſicht, 
Mit dieſem Antlitz disputier ich nicht ... 


— „Die Hand, Herr Hutten! Tretet aus dem Kahn! 
Ihr ſeids. Das Falkenauge zeigt es an.“ 


Wes iſt der Boden? — „Kloſtergut. Doch jetzt 
Schier herrenlos; hier wohnt Ihr unverletzt.“ 


Wie ſtark iſt, Pfarrer, die Beſatzung hier? | 
— „Der Schaffner drüben, ich und, Ritter, Ihr.“ 


Du gibſt mir Herberg unter deinem Dach? 
— „Ihr habt in meinem Haus das Gaſtgemach. 


Hierdurch! Jetzt, Ritter, bückt Euch, tretet ein! 
Die Tür iſt niedrig, das Gemach iſt klein; 


Doch ſteht der Bau nach allen Seiten frei, 
Ihr ſchlürfet Bergluft ein als Arzenei 


Und ſchauet auf den hellſten See der Schweiz, 
Das Auge ruht in dieſer Bläue Reiz. 


Dem einen Ufer fern, dem andern nah, 
Hauſt, Ritter, Ihr nicht allzu einſam da. 


Machts Euch bequem! Hier werdet Ihr geſund!“ 
Ich glaubs. So oder ſo! Wahr ſpricht dein Mund. 


II 


Die erſte Nacht 


Ich hörts im Traum und hör es noch erwacht: 
Glockengetöne wandert durch die Nacht. 


Nicht Domesglocken ſind es dumpf und ſchwer, 
Des Schaffners Herde weidet um mich her. 


Sie läutete vom nahen Wieſenrain 
In die Gefilde meines Traums herein. 


Mir träumte von der Ahnen Burg ſo ſchön, 
Die auch umklungen wird von Herdgetön. 


Vor zwanzig Jahren aus der Väter Haus 
Zog ich mit leichtem Wanderbündel aus. 


Das größte Stück der Arbeit iſt getan, 
Nun hebt das Herdeläuten wieder an. 


Der Reigen, der die Wiege mir umfing, 
Hallt wieder hell und ſchließt den Schickſalsring. 


III 


Huttens Hausrat 


Ich ſchau mich um in meinem Kämmerlein 
Und räume meine Siebenſachen ein. 


Ich gebe jedem ſeinen eignen Ort, 
Die Klinge lehn ich in den Winkel dort. 


Die Feder leg ich, meinen beſten Stolz, 
Auf dieſen Tiſch von rohem Tannenholz. 


253 


Mein ganzes knappes Hausgerät iſt hier, 
Mit Schwert und Feder half und riet ich mir. 


In einer ſchwertgewohnten Hand begehrt 
Die Feder ihre Fehde, wie das Schwert. 


Erſt flog ſie wie der Pfeil in Feindes Heer, 
Doch meine Feder wuchs und ward zum Speer! 


Frohlockend ſtieß ich ſie, ein tötend Erz, 
Der Prieſterlüge mitten durch das Herz. 


Und Schwert und Feder, wann mein Arm erſchlafft, 
Sind Huttens ganze Hinterlaſſenſchaft. 


Mein Schwert, das länger ich nicht führen kann, 
Ergreifen mags getroſt ein andrer Mann — 


Von keinem Finger werde ſie berührt, 
Die Feder, welche Huttens Hand geführt! 


Die ſtreitet fort. Sie ſtreitet doppelt kühn, 
Wann ich vermodert bin im Inſelgrün. 


IV 


‚Ritter: Tod und Teuf 


Weil etwas kahl mein Kämmerlein ich fand, 
Sprach ich zum Pfarrer: Ziere mir die Wand! 


— Da meine Brief und Helgen! Hutten, ſchaut, 
Was Euch beluſtigt oder auferbaut! 


Ergötzt Euch ‚Ritter, Tod und Teufel' !) hier? 
Nehmt hin das Blatt! Der Ritter, Herr, ſeid Ihr.“ 


1) Der berühmte Kupferſtich Albrecht Duͤrers 
254 


Das ſagſt du, Pfarrer, gut. Ich häng es auf 
Und nagl es an mit meines Schwertes Knauf. 


Dem garſt'gen Paar, davor den Memmen graut, 
Hab immerdar ich feſt ins Aug geſchaut. 


Mit dieſen beiden ſtarken Knappen reit 
Ich auf des Lebens Straßen allezeit, 


Bis ich den einen zwing mit tapferm Sinn 
Und von dem andern ſelbſt bezwungen bin. 


V 


Konſultation 
Gib deine Weisheit kund! Was iſt ihr Schluß, 
Mein Gaſtfreund, Seelenhirt und Medikus? 


Berichtet hab ich dir, was ich vermocht, 
Du haſt mir lauſchend an die Bruſt gepocht. 


Wie ſtehts? Sag an! — „Herr Hutten, Eure Kraft 
Erliegt dem Stoß der Herzensleidenſchaft. 


Und Euer Geiſt, das ſcharfe Schwert, zerſtört 
Den Leib, die Scheide, die zum Schwert gehört. 


Des Leibes ſtrengſtes Faſten tut es nicht, 
Solang die Seele noch die Faſten bricht. 


Beſchränket Euch auf dieſes Eiland hier! 
Horcht nicht hinaus, horcht nicht hinüber mir! 


Vergeſſet, Ritter, was die Welt bewegt 
Und Euch in jeder Fiber aufgeregt! 


In dieſer Bucht erſtirbt der Sturm der Zeit: 
Vergeſſet, Hutten, daß Ihr Hutten ſeid!“ 


Für deinen weiſen Ratſchlag habe Dank! 
Ich ſehe ſchon, ich bin zum Sterben krank. 


Wie? Wenn der Papſt die Chriſtenheit betrügt, 
So ruf ich nicht: Der arge Römer lügt? 


Wie 2 Wirft die Wahrheit auf ihr kühn Panier, 
So jubl ich nicht auf meiner Inſel hier? 


Wie? Stürzt ein deutſches Heer in heißen Kampf, 
So atm und ſchlürf ich nicht den Pulverdampf? 


Wie? Sinkt der Sickingen, bedeckt mit Blut, 
So brennt michs nicht, wie eigner Wunde Glut? 


Freund, was du mir verſchreibſt, iſt wundervoll: 
Nicht leben ſoll ich, wenn ich leben ſoll! 


DAS BUCH DER VERGANGENHEIT 


VI 


Das Geflüſter 


Erinnrung plaudert leiſe hinter mir 
Auf dieſen ſtillen Inſelpfaden hier. 


Sie rauſcht im Eichenlaub, im Buchenhag, 
Am Ufer plätſchert ſie im Wellenſchlag, 


Und mag ich ſchreiten oder ſtille ſtehn, 
So kann ich ihrem Flüſtern nicht entgehn. 


Da ſtreck ich lieber gleich mich aus ins Gras! 
Erinnrung, rede laut! Erzähl etwas! 


Hier lagre dich, zeig dein Geſchichtenbuch! 
Und wir ergötzen uns an Bild und Spruch. 


VII 
Gloriola 


Wir malten eine Sonnenuhr zum Spaß, 
Als ich in Fuldas Kloſterſchule ſaß. 


Ringsum ein Spruch gedankentief und fein 
Und ſchlagend mußte nun erſonnen ſein. 


Der Abbas ſprach: „Zwei Worte ſind gegönnt, 
Ihr Schüler, ſucht und eifert, ob ihrs könnt!“ 


17 Meyer. I. 


257 


Hell träumend ging ich um, mich mied der Schlaf, 
Bis mich wie Blitzesſtrahl das Rechte traf: 


„Ultima latet.“ Stund um Stunde zeigt 
Die Uhr, die doch die letzte dir verſchweigt. 


Der Abbas ſprach: „Das haſt du klug gemacht. 
Es iſt antik, und chriſtlich iſts gedacht.“ 


Manch Kränzlein hab ich ſpäter noch erjagt. 
Wie dieſes erſte hat mir keins behagt; 


Denn Süßres gibt es auf der Erde nicht 
Als erſten Ruhmes zartes Morgenlicht. 


VIII 


Der Stoff 


Als ich von hoher Schule Weisheit troff, 
Bat ich die Muſe: Jungfrau, gib mir Stoff. 


„Wohlan, Herr Ritter,“ ſagte ſie, „bedenkt, 
Ob etwa jemand Euch das Herz gekränkt?“ 


Ich ſprach: Die Lötze ſchenkten mir Gewand 
Und nahmens wieder mir mit Räuberhand. 


Zornmütiger Querelen zweimal zehn 
Ließ gegen Sohn und Vater ich ergehn. 


Was, Muſe, nun? Gib Stoff! Hilf ab der Not! 
Sie ſang: „In Schwaben rinnt ein Bächlein rot.“ 
Da rannt ich wütend Herzog Ulrich an, 
Der Vetter Hanſen ſchimpflich abgetan. 


* 


Und wieder ſprach ich zu der Muſe nun: 
Ich bin der ſtarke Knecht. Frau, gib zu tun! 


Sie lachte. „Ritter, mäßigt Euern Sturm! 
Sonſt ſingt Ihr ein den Steckelbergerturm.“ 


Gib, Muſe, Stoff! Erhöre mein Geſuch! 
Gib Stoff! Ein ſtarkes, dauerhaftes Tuch! 


„Ein ſächſiſch Mönchlein aus der Kutte ſchloff. 
Da, Ritter, habt Ihr einen guten Stoff!“ 


IX 


Epistolae obscurorum virorum 


Wir ſcharten uns zu luſt'gem Mummenſchanz, 
Kapuzen über vollem Lockenkranz! 


Wir trugen Pfaffenlarven heuchleriſch 
Und blitzten draus mit Augen jugendfriſch. 


Wir ſchlurften tappig mit Sandalentritt, 
Wir äfften nach bis auf der Kutte Schnitt. 


Gründlich ſtudierten wir beim Becherklang 
Der Mönchlein närriſchen Gedankengang. 


Die Dummheit haben wir mit Witz verziert, 
Die Torheit mit Sentenzen ausſtaffiert! 


Wir haben ſie zum Spott der Welt gemacht, 
Wir haben uns und ſie zu Tod gelacht! 


Zu Tode? Nein. Wir haben ſie geweiht 
Ariſtophaniſcher Unſterblichkeit. 


Schleiferius! Caprimulgius! Ochſenhorn! 
Schlaraff! Der ſaubre Täufling Pfefferkorn! 


259 


260 


Wir brachen keck in ihre Zellen ein 
Und hauſten ſchlimm in ihrem Bücherſchrein. 


Wir ſprachen ihr Latein — ergötzlich Spiel! — 
Und Briefe ſchrieben wir im Kloſterſtil: 


„Laetificor archiangelice 
Cum una speciosa virgine!“ 


Hellauf! Der Narrenglöcklein ſchriller Schall! 
Und heißa, huſſa, Jagd und Peitſchenknall! 


Die Pfaffen ſprangen über Stock und Stein, 
Der Eſel bockte, grunzend lief das Schwein. 


Du Feſt der jugendlichen Grauſamkeit, 
Verklungen biſt du längſt! Streng ward die Zeit. 


Als wir im loſen Mummenſchanz getobt, 
Da hat man unſres Witzes Salz gelobt; 


Doch als die Wahrheit wir im Ernſt geſagt, 
Da wurden wir, die Jäger, ſelbſt gejagt. 


Wir irren heimatlos, geächtet, arm 
Und eſſen fremdes Brot in Not und Harm. 


Die Pfäfflein, denen unſre Hetze galt, 
Sie tafeln alle noch geſund und alt. 


Die Mönchlein, die wir kniffen bis aufs Blut, 
Sie bechern alle wieder wohlgemut; 


Und ſchneidet eines apfelſchälend ſich 
Und quillt ein Tropfen Bluts beſcheidentlich, 


So ſtöhnt es: „Würd'ge Brüder, ſchauet hier! 
Das blut'ge Märtertum erleiden wir!“ 


X 
Der Vetter Hans 
Ein ſchöner Menſch, mit dem das Glück gedahlt, 
Hat dunklem Schickſal ſchweren Zoll gezahlt. 


Fortunens Liebling war der Vetter Hans, 
Der mich an Lebenskraft verdunkelt ganz. 


Oft dacht ich, dem die Wange früh gebleicht: 
In einem ſolchen Körper lebt ſichs leicht! 


Das Haupt mit dem gepflegten Bart, er trugs 
Siegreich und war von ſchlankem Edelwuchs. 


Er ritt und focht und tanzte meiſterhaft, 
War aller Fraun und Mädchen Leidenſchaft. 


Er freite flink. Das junge Weib gefiel 
Dem Herzog, und der Teufel trat ins Spiel. 


Der Herzog ſank vor Vetter Hans aufs Knie: 
„Dein Weib! Nicht leben kann ich ohne ſie!“ 


Das fand der Vetter Hans ein ſeltſam Wort 
Und er beſpottet's weidlich hier und dort: 


„Der Herzog wendet an den Rechten ſich! 
Den Mann ums Weib zu bitten! Lächerlich!“ 


Sein Trutzen ward dem Herzog hinterbracht 
Und Vetter Hans erwürgt, weil er gelacht. 


XI 


Der „Ritter ohne Furcht und Tadel“ 


Als in Pavia ich ſtudierte, ward 
Mir dort gezeigt der tapfre Held Bajard. 


261 


/ 


262 


Der „Ritter ohne Furcht”, der nie geflohn, 
Befehligte die welſche Garniſon. 


Nach längſt verſchollnen Moden trug er ſich, 
Er und ſein Knappe ſchritten feierlich. 


Die abgekommne Corteſie erhob 
Er hoch, bedeutend: „Dieſe Welt wird grob!“ 


Er hielt den Spiegel ritterlicher Zeit 
Vor unſrer jungen Ungebundenheit. 


Zu Grabe werde, gab er zu verſtehn, 
Mit ihm der Glanz der Paladine gehn. 


Lang, hager, würdevoll, galant mit Fraun, 
War rührend er und komiſch anzuſchaun. 


Entſchwundner Jahre rühmliche Geſtalt, 
Wann er den Zeigefinger hob und ſchalt. 


Man grüßte tief und raunte ſich ins Ohr, 
Der „Ritter ohne Tadel“ ſei ein Tor. 


Doch, daß ich ſein geſpottet, reut mich ſchwer; 
Denn, Hutten, biſt du nicht ein Tor wie er? 


Ins Abendgold hat er zurückgeſchaut — 
Dein Auge ſpäht, wo kaum der Morgen graut. 


Dein Ohr vernahm durch Nebel und durch Nacht 
Den Siegesjubel einer künft'gen Schlacht. 


Wie Mittagsglut haſt du den Strahl verſpürt, 
Der kaum der Berge Spitzen noch berührt. 


Bajard, den du mit manchem Witz verhöhnt, 
Bajard ſah die Vergangenheit gekrönt! 


Er frönte trügerifche Phantafie — 
Die Zukunft aber, Hutten, kennſt du die? 


Wer weiß, erlebſt du noch die neue Welt, 
Ob ſie dem fränk'ſchen Edelblut gefällt? 


Wer weiß, ob nicht das Ziel, drob du verſcherzt 
Der Erde Güter, iſts erreicht, dich ſchmerzt? 


Bajard, der ohne Furcht und Tadel war, 
Vergib! Reich mir die Hand! Wir ſind ein Paar. 


Wir ſind ein fahrend Ritterpaar, Bajard, 
Und taugen beide nicht zur Gegenwart. 


XII 
Romfahrt 


Erwerben wollt ich fremder Muſe Gunſt, 
Den edlen Kranz der alten Redekunſt. 


Latein gedrechſelt hab ich manches Jahr, 
Und ein Latein, das ſchlank und zierlich war. 


Nun blieb mir die Rotunde noch zu ſehn, 
Als Pilger auf das Kapitol zu gehn. 


Am Wege traf ich manchen Lorbeerſtrauch 
Und Myrtenbuſch und manchen Fladen auch. 


Gewölk und ſchneid'ger Wind und Tannenduft 
Bekommt mir beſſer als die welſche Luft. 


Die Trümmer ſah ich alter Römerpracht 
Zur Feſtung dienen einer Prieſtermacht. 


Entartet und verheuchelt ſah ich da 
Den Kopf des Claudiers und der Claudia. 


Ich ſah ein Weib, das mit fich handeln ließ, 
Die man die „allgemeine Kirche“ hieß. 


Ich fand von feiler Schreiberſchar entweiht 
Die ciceroniſche Beredſamkeit, 


Sah unſrer Väter Glauben in der Hand 
Ungläub'ger Prieſter als ein Gängelband. 


Sag ich es kurz und klaſſiſch, was ich ſah 
Am Tiberſtrom? Cloaca maxima! 


Mich freute Tempel nicht, noch Monument. 
Mein Volk verachtet ſehn! Das würgt und brennt! 


Mir den Geſchmack zu bilden hofft ich dort 
Und bitter war der Mund mir immerfort. 


Mir gor das Blut, die Galle regte ſich, 
Ich ſprach: Jetzt, Hutten, ſchilt! ſonſt tötets dich. 


Vor Petri neuem Tempel höhnt ich laut: 
Der Simon hats mit unſerm Geld gebaut! 


Was ſoll die übermüt'ge Pfarre da 
Mit Zinne, Porticus und Statua? 


Der Stier im Wappen ſagt: Hie hat gehauſt 
Der Borgia Luſt, davors dem Teufel grauſt! 


Der zehnte Leo nun verkauft den Geiſt, 
Der über ſeinem roten Käppchen kreiſt! 


Du maleſt, Raphael, zu ſeinem Glanz? 
Mal ihm zur Warnung einen Totentanz, 


Damit der Unfehlbare nicht vergißt, 
Daß er, wie wir, ein armer Sünder iſt! 


264 


Ich ging. Mit einem derben Kohlenſtrich 
Beſchrieb des Vatikanes Mauer ich: 


„In dieſen tauſend Kammern thront der Zeug! 
Ein Deutſcher kam nach Rom und wurde klug.“ 


XIII 


Die Ablaßbude 
Und, ſieh, da wälzte ſich das Rad der Zeit, 
Wir traten mit der welſchen Macht in Streit. 


Ich ſchrie: Ihr Männer, geht mir an die Hand: 
Des Papſtes Ablaßbude wird berannt! 


Erkaufen Gold und Silber Seelenheil, 
So ſteht es bald auf allen Märkten feil. 


Die Ware wird von jung und alt geſucht 
Und nur der arme Schlucker bleibt verflucht. 


Die Taſche wende jeder! Iſt ſie leer, 
So trete keck in unſer Lager er! 


Das rat ich dir, du heilsbedürft'ger Mann, 
Der keinen Ablaßzettel löſen kann! 


Wir greifen nach dem Himmel unverwehrt! 
Uns wird die Seligkeit umſonſt beſchert! 


Ich ſprach ein rauhes Deutſch in Haſt und Zorn, 
Es dröhnte wie vom Turm das Wächterhorn. 


Antwort erſcholl wie Sturm und Meergebraus: 
„Herr Hutten, faſſet an und räumet aus!“ 


265 


266 


XIV 


Sügengeifter 
Der Zaubrer Fauſt erſchien am Hof zu Mainz, 
Er liebt der Kardinäle Purpur, ſcheints. 


Verhangen ward ein Saal und blaß erhellt 
Für die Beſuche der Geſpenſterwelt. 


Der Kurfürſt ſetzte ſich. Ihm ſtand ich links. 
Der bleiche Magier harrte ſeines Winks. 


Natürlich ging die erſte Frage da 
Nach der erlauchten Bübin Helena. 


Er rief der Leda Kind. Es zeigte ſich 
Ein blanker Fuß und tanzte wunderlich. 


Das leere Gaukelſpiel, das mich verdroß, 
Entzückte den vernarrten Pfaffentroß. 


„Was ſchiert die Metze mich? Herr Nekromant, 
Seid Ihr mit edlern Toten nicht bekannt?“ 


— „Wen fordert Ihr?“ „Den Kaiſer Conſtantin!“ 
Er rief. Ein Purpurtragender erſchien. 


„Ich frage Majeſtät, ob Ihr gedenkt, 
Daß ſie dem Papſt die ew'ge Stadt geſchenkt?“ 


„Ja“, nickte das Geſpenſt. „Wie? Wo? Und Wann? 
Ein Märchen iſts, das Eigennutz erſann! 


Es iſt Betrug und das beweis ich ſtramm 
Mit ſcharfer Kunſt, die nennt man Criticam. 


Du biſt ein Pfaffengeiſt! Zur Hölle fort!“ 
Der Lügenkaiſer ſchwand vor meinem Wort. 


XV 


Das Hütlein 


Es war in Brüſſel vor dem Ständehaus. 
Die Sage ging: der Kaiſer reitet aus! 


Noch hatt ich nie das junge Haupt geſchaut, 
Dem wir des Reiches höchſtes Amt vertraut. 


Ein edles Roß iſt unſre Zeit. Es ſtampft. 
Es wiehert mutig. Seine Nüſter dampft. 


Ob er die Zügel klug und kühn ergreift? 
Ob ers bewältigt? Obs ihn wirft und ſchleift? ... 


Da wir Poeten abergläubiſch ſind, 
Erdacht ich ein Orakel mir geſchwind: 


Für dieſen Kaiſer gelte fort und fort 
Das erſte ſeinem Mund entfallne Wort! 


Er kam. Ein Hütlein trug er, meiner Treu, 
Mit Reiherfedern, funkelnagelneu! 


Der Himmel macht' ein mißvergnügt Geſicht, 
Sich ſelber fragend: Regn ich oder nicht? 


Jetzt klatſchten Tropfen auf das Pflaſter ſchwer, 
Die junge Stirne legt in Falten er. 


Und lugte ſorgend zu den Wolken auf. 
„Mein altes Hütlein!“ rief er, „Kämmrer, lauf!“ 


Ich aber ſprach zu mir: Das wird nicht gut! 
Sein erſter Ruf geht nach dem alten Hut. 


267 


268 


XVI 


Das Kindlein in Mainz 


O Mainz, du luſt'ger Sitz, du traute Stadt, 
Die Huttens Feder oft belobet hat! 


Der Mainzer Albrecht war mir redlich hold 
Und bot mir manchen Trunk in purem Gold. 


Er lauſchte meinen kühnen Scherzen gern, 
Ich nannt ihn meinen Freund und meinen Herrn. 


Ich ſpottete vor ſeinem Ohre dreiſt, 
Er zürnte nicht, er iſt ein freier Geiſt; 


Doch in der Stunde der Verſuchung, ach, 
Der Geiſt war willig und das Fleiſch war ſchwach! 


Ihm hielt ich Treue, bis er mich verſtieß. 
Wo lebt der Freund, den Hutten je verließ? 


Die Kanzellei von Rom ſchrieb Brief um Brief, 
Bis mich der Albrecht nicht mehr zu ſich rief. 


Geächtet wurde Luther und gebannt — 
Ich lebte von der Fauſt und ſtreift im Land. 


Ein treuer Rüde, ſtahl ich wieder hin 
Zum Mainzer mich und ſtill umſchlich ich ihn. 


Ich blickt ihm ins Gemach: er ſaß beim Mahl, 
Landfremden Pfaffen bot er den Pokal. 


Gemunkel ging: mit Luther ſeis vorbei, 
Der eingetan und aufgehoben ſei. 


Die langen welſchen Naſen nickten fein 
Und freuten ſich an ihren Schelmerein. 


Er lächelte! Mir gab es einen Stich — 
Mein Edelfalke, Gott behüte dich! 


Ade, mein Albrecht, mein verlorner Hort! ... 
Ich ſchlich betrübt mich in die Krone fort, 


Wo einſt bei Becherklang ich manche Nacht 
Mit witzigen Geſellen durchgelacht. 


Hier ſetzt ich mich zu einem Kruge Bier, 
Des Wirtes Kind geſellte ſich zu mir. 


Das Mägdlein, mein ich, ſtand im vierten Jahr, 
Ich fuhr ihm durch das blonde Ringelhaar: 


Sag mir dein Nachtgebetlein, wie dus weißt! 
Das Kind hub an: „Gott, Vater, Sohn und Geiſt, 


Dein Name ſei gelobt! Hüt uns vor drei: 
Vor Waſſersnot und Brand und Kriegsgeſchrei! 


Den Schiffern gnade du in Nacht und Sturm! 
Sei Bruder Martins Burg und feſter Turm! 


Umſchleicht ihn mit dem Dolch ein Mörder wild, 
So deck ihn, Herr, mit deinem ſtarken Schild! 


Und leidet dein Gerechter Hungersnot, 
So ſchick ihm du durch deine Raben Brot!“ 


Wer lehrte dich, mein Kindlein, dies Gebet? 
— „Die Mutter heißt michs beten früh und ſpät.“ 


Nun mein ich aber, daß kein Leid geſchicht 
Dem Mann, für den zu Gott ein Kindlein ſpricht. 


269 


270 


XVII 


Die Mainzerſpieße 


Sie machten mir ein Kämmerlein bereit, 
Doch mied der Schlaf mich drinnen lange Zeit. 


Ich hörte, wie das Pflaſter dumpf erklang: 
Die Mainzer Scharwach ſchritt mit ſchwerem Gang. 


Mich heimelts aus den alten Zeiten an, 
Denn oft mit dieſem Heer gedieh mir Span, 


Wann nächtlich ich, vom Humpen übermocht, 
Mit ihnen auf der Gaſſe klirrend focht. 


Verſuchte Männer ſinds von Schluck und Hand, 
Geworben rings in Hoch- und Niederland. 


Ich lauſcht im Finſtern heiter und mir ſchien: 
Die Spieße ſangen etwas vor ſich hin. 


Ein alter Brummbaß ſang gemütlich vor 
Und zehen Bäſſe ſummten nach im Chor: 


„Das reine Wort ſie ſollen laſſen ſtan 
Und dafür keinen Dank noch Löhnung han. 


Gerichtet iſt der Fürſte dieſer Welt, 
Uns tut er nichts, wie ſaur er auch ſich ſtellt —“ 


Ich, von den Mainzerſpießen auferbaut, 
Sang mit in meiner dunkeln Kammer laut: 


„Drum fürchten wir uns wahrlich nicht zu ſehr, 
Denn unſer Gott iſt eine ſtarke Wehr.“ 


XVIII 


Die Gebärde 


's war in der Krone, daß mich einer fand, 
Der mich in meinem erſten Flaum gekannt. 


Der Ott von Gemmingen. Er drückte ſich 
Durch das Gelag und rückte neben mich. 


„He da! Utz! Lieber Utz! Was ward aus dir! 
Biſt du am Hof von Mainz ein großes Tier? 


Biſt Doctor utriusque juris du? 
Des Kaiſers Schreiber oder Rat dazu? 


Nein? Nun, was biſt du denn? Des Hofgerichts?“ 
Ich aber ſagte trocken: Ich bin nichts. 


Jetzt muſtert' er mein ausgedient Gewand, 
Die hohlen Wangen auch, die magre Hand. 


„Eins biſt du: Siech! Das redet dein Geſicht!“ 
Ich glaubte mich geheilt und bin es nicht. 


Da ſtreckt' den Finger er und zog damit 
Sich ſauber um die Gurgel einen Schnitt. 


Du rätit... 2 Er nickte. Drob hab ich gelacht. 
Dann hab ich der Gebärde nachgedacht. 


Unleidlich ſcheint dem frohen Kind der Welt 
Dein Daſein, Hutten — drum verbrauchs als Held! 


Wovor des kühnſten Mannes Buſen zagt, 
Das ſei von dir in freier Luſt gewagt! 


271 


XIX 


Mißverſtändnis 


Der Vater ſprach zu mir mit leiſem Hohn: 
„Verſtehſt dus, bau mir eine Preſſe, Sohn!“ 


(Sie nennen Preſſe dort im Frankenland, 
Was andern Ortes Kelter wird benannt.) 


Sprachs und verritt. Ich ohne viel Geſchrei 
Berief die Meiſter ſchwarzer Kunſt herbei. 


Da ward geſetzt, gedruckt, gepreßt, gedreht, 
Viel tauſend Blätter flogen rings verweht. 


Auf einem ward dem Cajetan gedroht: 
„Schlagt, fromme Leute, den Legaten tot!“ 


Hier ſtand: „Und würd ich drüber Lands verjagt, 
Ich, Hutten, breche durch, ich habs gewagt!“ 


Und dort: „Die harſche Luft der Freiheit weht, 
Ich, Hutten, ſporn und ſtachle früh und ſpät.“ 


Das war ein heißer und ein zorn' ger Wein, 
Den ich gepreßt am Steckelbergerrain. 


XX 


Jaca est alea 


Nachdem ich meinen großen Wurf getan, 
Da hub der Vater mich zu ſchelten an: 


„Du trittſt mit Rom in Fehde? Biſt du toll? 
Mich wunderts, Ulrich, wie das enden ſoll! 


272 


Poet war ſchlimm und klingt erbärmlich ſchon, 
Doch Ketzer iſt noch weit ein ſchlimmrer Ton! 


Erlebt ichs nicht! Ein Sohn in Bann und Acht, 
Der meinen grauen Haaren Schande macht! 


So, Ulrich, mehrſt du deines Stammes Glanz? 
Jetzt gehſt du halb zerlumpt, bald biſt dus ganz! 


Was kümmert dich, ob unſer Haus zerfällt? 
Was kümmert irgend noch dich auf der Welt? 


Wenn nur in Holzſchnitt du und Kupferſtich 
Den Lorbeer trägſt — was anders kümmert dich? 


Du lächelſt? Du verziehſt den Mund zum Scherz? 
Ich wußt es nicht: du haſt ein böſes Herz.“ 


Der Vater ſprachs und blickte finſter drein, 
Mit Tränen bat das fromme Mütterlein: 


„Mein ſüßer Ulrich, laß das böſe Spiel!“ 
Ich gab zur Antwort: Nein! Der Würfel fiel. 


Mein Mütterlein, behalt mich lieb und gern! 
Bleib du mir milde, wie der Abendſtern! 


Du kränkſt mich, Vater, nicht, ſo hart du biſt! 
Hier ſchlägt ein Herz, das guter Meinung iſt. 


Beleidigt dich mein abgebraucht Gewand, 
So laß mich treten aus des Hauſes Band! 


Ich ſei ein Fremdling dir! Du bleibſt in Ruh; 
Mein Gut, du teilſt es meinen Brüdern zu. 


Und ärgre, Vater, dich am Lorbeer nicht, 
Der nur im Bildnis mir die Stirn umflicht! 


18 Meyer. II. 273 


Ich ſelber trage ſonder Prunk und Glanz 
Im Leben einen ſchlichten Dornenkranz. 


Wozu der Lorbeer? Das hat keinen Sinn. 
Ein jeder weiß, daß ich der Hutten bin, 


Den weder Zeit noch Tod, noch Acht noch Bann 
Vom Herzen ſeines Volkes ſcheiden kann! — 


Burg Steckelberg, die von der Höhe ſchaut, 
Von Frankens ſchönen Hügeln rings umblaut, 


Die Brücke nieder! Offne mir dein Tor! 
Ich reit aus dir zum letztenmal hervor. 


Blas, Türmer, blas mir noch ein tapfer Stück! 
Ich fahr in Kampf und kehre nicht zurück. 


XXI 


Der Edelſtein 


Als ich gen Zürich ritt im Abendſchein, 
Da rief ich aus: „Du ſchmucker Edelſtein!“ 


Bei Meiſter Zwingli lebte man nicht ſchlecht, 
Er deckte mir den Tiſch mit einem Hecht. 


Den hab ich auf der Brücke dann verdaut, 
Luſtwandelnd nahes Schneegebirg geſchaut — 


Da ſah ich einen unterm Volke gehn, 
Von deſſen Hute Geierfedern wehn. 


Dem bog ich fluchend aus dem Wege ſchnell, 
Denn Herzog Ulrich wars, der Mordgeſell! 


O blaue Flut, o freier Bergeshauch, 
Gibſt ein Aſyl du dem Tyrannen auch? 


274 


18* 


XXII 


Der Komtur 
Als ich entlang das helle Seegeſtad 
Nach Pfäffers ritt ins heiße Felſenbad, 


Wo man in Unterwelt und Wellenguß 
An ſchwankem Seile niederſchweben muß, 


Wo keck zur Hölle fahren Mann und Weib 
Und wiederkehren mit geheiltem Leib — 


Fand ich in Küsnach gaſtlich Nachtquartier 
Und ſcherzend ſagte der Komtur zu mir: 


„Braucht Ihr Moneten? Tuet nicht verſchämt! 
Der Pächter brachte zwanzig Gulden. Nehmt! 


Werft keinen nieder! Hier iſts unerlaubt. 
Nehmt! Und Ihr habet bloß den Staat beraubt! 


Mein teurer Ritter, nehmet ungeziert! 
Wir werden morgen ſäkulariſiert!“ 


Ich ſtrich es ein und ſchwang mich in den Sitz 
Und lachte: Herr Komtur, Ihr habet Witz. 


Und weiter oben, wo ſich biegt der See 
Und nah und näher tritt der ewge Schnee, 


Beſpiegelt in der Flut ein Eiland ſich, 
Daran ich leichten Sinns vorüberſtrich. 


Ich ließ es rechts im flücht'gen Wellenſpiel 
Und ahnte nicht mein letztes Wanderziel. 


275 


E IN . SC 


XXIII 


Die Flut 


In meine Kammer blickt das blaue Licht 
Der nahen Flut. Ich widerſtehe nicht. 


Die Mittagsſonne rüſtet mir das Bad, 
Ich ſchleiche mich verſtohlen ans Geſtad. 


Ich hab es eilig. Wär mein Pfleger hier, 
Mich hieß er Waghals und verwehrt es mir. 


Zum Strande nieder führt mich dieſe Schlucht 
Und krauſe Wellchen plätſchern in der Bucht. 


Hinein! Hinaus! Du abgrundkühle Flut, 
Wie tuſt du meinem heißen Herzen gut! 


Mit blauen Bannern ziehſt du weit heran 
Und immer neue Heere ſeh ich nahn. 


Die Reihen ſchlagen mit gelindem Prall 
Mir an die Bruſt und brechen ſich am Wall. 


Noch lob ich meiner Arme Schwung und Zug — 
Nur etwas ſachter — eben Kraft genug. 


Die Kunſt des Knaben hab ich nicht verlernt, 
Doch ſind die Ufer weiter hier entfernt. 


Ich ſchlug als Kind in übermüt'ger Luſt 
Den ſanften Main und trat ihn auf die Bruſt. 


Da hab ich unter mir zu ſehn geglaubt 
Ein ſchilfbekränztes, göttlich mildes Haupt. 


Es war mir immer nur zu nah das Land, 


Mich warf der Flußgott ſcherzend auf den Sand. 


Was einſt des Knaben Spiel und Freude war, 
Wird nun dem Mann zur Arbeit und Gefahr. 


Er weiß es, wenn er ringt und wenn er ſtrebt, 
Daß er auf einer Todestiefe ſchwebt! 


XXIV 


Was die Glocken ſagen 


Heut geht am See ein endlos Glockenſpiel, 
Mir ſcheint, die taufen und begraben viel. 


Wann Menſchenblut in neuen Adern kreiſt, 
Erneuert ſich der träge Menſchengeiſt. 


Das Glöcklein ſagt, das dort ſo kläglich ſchallt: 
Ein Päpſtler ſteigt ins Grab, vergilbt und alt. 


Das Glöcklein ſagt, das hier ſo luſtig ſchellt: 
Es kam ein kleiner Proteſtant zur Welt. 


XXV 
Aſtrologie 


Ihr lieben Sterne, tröſtlich allezeit, 
Wer dächte, daß ihr arge Zwingherrn ſeid! 


Ihr ſeids! Als ſich die Erde mir erhellt, 
Ward mir ein widrig Horoſkop geſtellt. 


278 


Weil, als ich kam, der Widder juſt geglüht, 
Bin ich von unverträglichem Gemüt. | 


Ein flackernd Himmelsirrlicht trägt die Schuld 
An meiner Wanderluſt und Ungeduld. 


Gewiſſen, laſſe fürder mich in Ruh! 
Den Sternen ſchreib ich meine Sünden zu. 


Doch überleg es, Hutten! Dreimal nein! 
Ein Sklave willſt du nie geweſen ſein. 


Du biſt ein Feind von jeder Tyrannei, 
Und deine Sünden auch begingſt du frei! 


* 


XXVI 


Homo sum 


Ich halte Leib und Geiſt in ſtrenger Zucht 
Und werde doch vom Teufel hart verſucht. 


Ich wünſche meiner Seele Seligkeit 

Und bin mit Petri Schlüſſelamt im Streit. 
Am Tiſch der Fugger ſpeiſt ich dort und hie 
Und ſchimpfte weidlich Pfefferſäcke ſie. 

Den Städterhochmut haßt ich allezeit 

Und hätte gern ein ſtädtiſch Kind gefreit. 


Auf ehrenfeſte Sitten geb ich viel 
Und fröne dem verdammten Würfelſpiel. 


Ich bin des Kaiſers treuſter Untertan 
Und riet dem Sickingen Empörung an. 


Das plumpe Recht der Fauſt iſt mir verhaßt 
Und ſelber hab ich wohl am Weg gepaßt. 


Ich bete chriftlich, daß es Friede ſei, 
Und mich ergötzen Krieg und Kriegsgeſchrei. 


Der Heiland weidet alle Völker gleich — 
Nur meinen Deutſchen gönn ich Ruhm und Reich! 


Das heißt: ich bin kein ausgeklügelt Buch. 
Ich bin ein Menſch mit ſeinem Widerſpruch. 


XXVII 


Arioſt 
Die Feder leg ich weg. Heut iſt ein Tag, 
Da keine Zeile mir geraten mag! 


Wie wend ich ab der langen Weile Fluch? 
Ein Buch, Herr Pfarrer! Ein ergötzlich Buch! 


— „Zu Dienſt, Herr Ritter! Wenn Ihr Welſch ver- 
ſteht?“ 
Ich konnt es einſt und meine noch, es geht. 


Woher das Buch? — „Ein welſcher Architekt 
Las drinnen hier und hats nicht eingeſteckt.“ 


Roland in Furie. Verſe, welſcher Gauch? 
Nun, Verſe machen kann der Hutten auch. 


Nur keinen Schwulſt, mein Dichter, keinen Froſt! 
Dein Name lautet? Ludwig Arioſt. 


Mir unbekannt. Dein Erſtling, junges Blut? 
Reſpekt! Ich bin ein Alter! Zieh den Hut! 


Du hoffſt, daß ich dich leſe? Wahn! mein Kind. 
Ich ſtöbre durch die Blätter wie der Wind. 


Verwunſchene Prinzeſſen — Drachenbrut — 
Das tolle Zeug iſt für die Kinder gut. 


Was ſoll uns noch die bunte Wunderzeit? 
Wir fußen jetzt in harter Wirklichkeit. 


Ein friſches Bild! Nun ja — ein feiner Spruch! 
Ei Zauber! Üppig Grün entſprießt dem Buch! 


Da ſetzen zwei Verliebte ſich hinein, 
Das Blatt gewendet und ſie ſind allein. 


Es kracht! Ein Ritterpaar, das Lanzen bricht! 
Die Splitter fliegen auf zum Sonnenlicht 


Und fallen nieder, ſchwärzlich angebrannt, 
Auf die Behelmten, die ſich umgerannt. 


Hanswurſt, gemach! Das lohn der Teufel dir! 
Verſpotteſt du das löbliche Turnier? 


Wes Geiſtes Kind? Laß ſehen! Blättre, Hand! 
Ein Feldgeſchütz erobert Held Roland 


Und flucht der Kugel und dem Pulverknall, 
Als wären ſie des Rittertums Verfall — 


Der Sickingen erfuhrs, den, ach, ein ſcharf 
Gezielter Schuß zum Sterben niederwarf! 


Gewiß, viel änderte der Pulverblitz! 
Und hier — das iſt ein kapitaler Witz — 


Hier läuft ein Kerl und ſchwingt die Halebard, 
Ders nicht bemerkt, daß er getötet ward! 


Bei meinem Bart! Das Bild der alten Zeit, 
Die noch die Waffen führt und ſchilt und ſchreit, 


Den jungen Tag bekämpft mit Trutz und Lift 
Und nicht bemerkt, daß ſie verſtorben iſt! 


Ich wittre, Welſcher, deinen Schlich und Brauch, 
Des Witzes ſcharfen Bolzen ſchoß ich auch: 


Aus wunderbaren Mären ſeh ich braun 
Und lachend eines Schalkes Augen ſchaun. 


Vor einer Fabelwelt verbeugſt du dich 
Und grüßeſt hübſch — und machſt ſie lächerlich. 


Was ich befehdet mit des Herzens Kraft, 
Zerſtörſt du mit des Scherzes Meiſterſchaft. 


Ich reich dir über das Gebirg die Hand, 
Mein Meiſter Ludowig im welſchen Land! 


In deines Maskenſcherzes Fröhlichkeit 
Biſt du, wie ich, ein echtes Kind der Zeit. 


XXVIII 


Bin ich ein Dichter? 


Das Lied des Welſchen wandelt voller Glanz, 
Es ſchwebt wie Muſenſchritt und Grazientanz. 


Der Reim des Welſchen hat ein hell Geläut — 
Ob ich ein Dichter bin? Das plagt mich heut. 


Du zweifelſt, Hutten? Hat dich eines Tags 
In Augsburg nicht gekrönt der Kaiſer Max? 


Das gilt! ... Auch neben dieſem welſchen Lied? 
Wär ich am Ende bloß ein Verſeſchmied? 


281 


Ich bin ein Verſeſchmied! So nenn ich mich! 
Am Feuer meines Zornes ſchmiedet ich 


Rüſtung und Waffen zu des Tags Bedarf, 
Und, wahrlich, meine Schwerter ſchneiden ſcharf! 
XXIX 
Der letzte Humpen 


Herr Konrad der Komtur vergaß mich nicht 
Und ſeine Sendung lacht wie Sonnenlicht. 


Sie iſt, ob auch in ſchlichtes Stroh gehüllt, 
Bis oben an den Rand mit Geiſt gefüllt. 


Statt eines Briefs hat der Bequeme mir 
Geſchickt den Krug voll Rüdesheimer hier. 


Dank! Einmal ſolche würz'ge Labe noch! 
Ihr Gutes hat die Pfaffengaſſe doch. 


Der Arzt verordnet mir den Waſſerſtrahl, 
Wohlan, ich zeche heut zum letztenmal! 


Nicht brauch ich dich zu ſchwenken, du biſt rein, 
Du kommſt vom Brunnen, hölzern Becherlein! 


Herr Rüdesheim, was gibts am Rhein? Wie gehts 
Der Kleriſei von Mainz? Sie durſtet ſtets? 


Erlaucht, auf Schweizerboden keinen Stolz! 
Bequemet Euch in dies Gefäß von Holz! 


Lab ich allein mich aus dem Zauberquell? 
Liegt nirgend hier im Gras ein Zechgeſell? 


Allein zu trinken iſt mir ſchwer verhaßt, 
Ein Mönchlein ſelber wär mir recht als Gaſt. 


Ein Mönchlein! Wäre nur der Luther hier, 
Mit Feuerzungen ſprächen beide wir! 


Ihn trat der Frundsberg auf der Dornenbahn 
Zu Worms mit einem vollen Humpen an 


Und ſprach ihm zu: „Mach dir die Kehle naß! 
Dann rede friſch! in vino veritas.“ 


Im Weine Wahrheit! Doch auch du biſt hie, 
Anmut'ge Lüge, Traum und Poeſie! 


Aus meinem Becher ſteigt ein Reigen klar 
Und lächelnd grüßt mich eine Geiſterſchar. 


Voraus die ewig junge Lebensluſt, 
Sie legt den Lockenkopf mir an die Bruſt 


Und ſchaut zu mir mit hellen Augen auf: 
„Du wirſt geneſen, Hutten! Zähle drauf!“ 


Und hier die Blaſſe mit dem ſüßen Schein 
Der trauten Blicke muß die Liebe ſein! 


Sie flüſtert das beſeligende Wort: 
„Noch hüte, Hutten, ich dir einen Hort!“ 


Mit beiden Armen winkt ſie Heil mir zu: 
„Es iſt die Schönſte, Hutten! Traue du!“ 


Und der Poet in meinem Herzen ſingt, 
Von holder Erdefreuden Chor umringt, 


283 


284 


In tauſend Melodieen ein Getön: 
„O Erde, du biſt wonnig, du biſt ſchön!“ ... 


Verbleiche, Reigen! Sinnentanz, erliſch! 
Herr Reformator Hutten, auf vom Tiſch! 


Des Weines Hälfte blieb, die heb ich auf 
Dem Freunde, kehrt er müd vom Arzteslauf. 


Drei Züge noch, das iſt die heil'ge Zahl! 
Drei Sprüche noch und ſonder lange Wahl! 


Den erſten Trunk dem heil'gen röm'ſchen Reich! 
Möcht es ein weltlich deutſches ſein zugleich! 


Den zweiten meinem Kaiſer! Möcht er ſein, 
Der fünfte Karl, ſo echt wie dieſer Wein! 


Den dritten bring ich jedem auf der Welt, 
Der ſich und ſeinen Becher wacker hält! 


XXX 


Der Uli 


Gelaſſen ſchreitet dort im Ackerfeld 
Ein rüſt'ger Mann, der ſpäte Saat beſtellt. 


Schön iſt ein jedes Werk das Jahr entlang, 
Am liebſten doch iſt mir des Säers Gang — 


Mein wackrer Albrecht Dürer, mal mir heut 
Den lieben Heiland, wie er Körner ſtreut, 


Mit einem deutſchen Himmel friſch und klar 
Und deutſcher Landſchaft — für den Fronaltar ... 


Als ich mit Zwingli jüngſt am Mahle ſaß, 
Erzählt er etwas, das ich nicht vergaß. 


Er ſprach: „Das wilde Tal, das mich gebar, 
Bringt weder Wein noch Frucht im wärmſten Jahr. 


So kams, daß ich gelebt der Jahre zehn, 
Bevor ich Egge, Pflug und Saat geſehn. 


Da nahm der Vater mich zu Tale mit, 
Die Säer drunten zählten Schritt um Schritt 


Und ſtreuten edeln Wurfs, geheimen Winks 
Die wunderſamen Körner rechts und links. 


Ich ſchaute die Gebärden alleſamt, 
Streng und gemeſſen, wie beim heil'gen Amt, 


Und endlich frug ich mit erſtauntem Wort: 
„Vater! Was tun die Männer Frommes dort?“ 


Er lachte. „Solches ſahſt du nie zu Haus! 
Sie ſtreun das Brot des lieben Gottes aus. 


Was iſt dir, Uli? Weinſt du? Schäme dich!“ 
„Ei, Vater, es iſt gar ſo feierlich.“ 
XXXI 


Die deutſche Bibel 
Ein frommer Tag, da ich, geſtreckt ins Gras, 
Die „Schrift, verdeutſcht durch Martin Luther“ las. 


Gern hör ich deiner Sprache, Luther, zu, 
Wer braucht das Wort gewaltiger als du? 


Auf einer grün umwachſnen Burg verſteckt, 
Haſt du die Bibel und das Deutſch entdeckt. 


286 


Ich las und alte Mär aus Morgenland, 
In Fleiſch und Blut verwandelt, vor mir ſtand. 


Den Heiland hör ich, der mich traulich lehrt, 
Aus einem Fiſcherboot mir zugekehrt. 


Und plaudert' hier am Brunn im Schattenraum 
Mit einem Weiblein er, mich wunderts kaum. 


Vielleicht dortüben wandelt am Geſtad 
Durchs hohe Korn er auf verdecktem Pfad... 


Der Rittersmann, der Knecht im Bauerkleid 
Vernimmt von ihm den Weg zur Seligkeit — 


Auch ſeine Henker tragen deutſche Tracht, 
Zu Köln wird er im Dornenkranz verlacht 


Und ſpottend geht an ſeinem Kreuz vorbei 
Ein Chorherr aus der Mainzerkleriſei ... 


Leer ſteht das Holz. Ein Zettel flattert dran 
Mit got'ſcher Schrift. Es hebt die Predigt an. 


Die Feuerzungen wehn. Feſt Pfingſten flammt. 
Martinus tritt in das Apoſtelamt. 


Der Sturm erbrauſt und jede Sprache tönt — 
Wie tief das Erz der deutſchen Zunge dröhnt! 


XXXII 


Luther 


Je ſchwerer ſich ein Erdenſohn befreit, 
Je mächt'ger rührt er unſre Menſchlichkeit. 


Der ſelber ich der Zelle früh entſprang, 
Mir graut, wie lang der Luther drinnen rang! 


Er trug in ſeiner Bruſt den Kampf verhüllt, 
Der jetzt der Erde halben Kreis erfüllt. 


Er brach in Todesnot den Kloſterbann — 
Das Größte tut nur, wer nicht anders kann! 


Er fühlt der Zeiten ungeheuern Bruch 
Und feſt umklammert er ſein Bibelbuch. 


In ſeiner Seele kämpft, was wird und war, 
Ein keuchend hart verſchlungen Ringerpaar. 


Sein Geiſt iſt zweier Zeiten Schlachtgebiet — 
Mich wunderts nicht, daß er Dämonen ſieht! 


XXXIII 


Die Vorrede 
Heut übermochte mich — ſeit langer Zeit 
Zum erſtenmal — ein Sturm von Luſtigkeit. 


Ich lag im Gras. Da blitzt' mir durch den Sinn, 
Wie mit dem Papſt ich umgeſprungen bin. 


Unbändig lacht ich in der grünen Saat 
Und freute mich der frechen Jugendtat. 


In einer Widmung und Praefatio 
Schrieb ich an unſern heil'gen Vater ſo: 


„Die dir im Amt vorangegangen ſind, 
Die taugten nichts. Das weiß ein jedes Kind. 


Sie fälſchten, ſtahlen, raubten allezeit, 
Ein beßrer Menſch iſt deine Heiligkeit. 


287 


Sie waren Schelme. Meinſt du nicht? Verglich 
Ich dich mit ihnen, es betrübte dich! 


Du billigſt meine Rede, weiß ich ſchon, 
Bezeug es, Vater, ſchriftlich deinem Sohn! 


Verkünd es aller Chriſtenheit und gib 
Ein Breve: Ulrich Hutten iſt mir lieb!“ 


Ich muß es mir bekennen dann und wann: 
Nicht völlig ungerecht bin ich im Bann. 


XXXIV 


Erasmus 
Frau Schwermut ſetzt ſich heute neben mich 
Und raunt mir zu: „Die Menſchen laſſen dich. 


Du biſt ein halbzertrümmert Kriegsgerät, 
An dem man achtungslos vorübergeht. 


Die Freunde wenden ſich von dir mit Scheu, 
Nur deine Feinde bleiben dir getreu. 


Du warſt zu kühn, und ſtreckſt du dich erbleicht, 
So wird es dir und wird den andern leicht“ ... 


Der Schiffer kommt. Freund! Was iſt dein Geſuch? 
— „Hier, Ritter, bring ich etwas wie ein Buch.“ 


Verſiegelt iſts. Von wem? Ich weiß es nicht. 
Die Rechte zaudert, die das Siegel bricht. 


Schickt, Büchlein, dich ein Freund, mich zu erfreun? 
Ein Feind, mir alte Wunden zu erneun? 


288 


Ich, ſonſt jo kampfgewöhnt und wetterhart, 
Auf dieſer ſtillen Inſel werd ich zart, 


Und deſſen Hand ſo raſch zum Schwerte fuhr, 
Friedſelig wird er hier wie die Natur. 


Wie? Hutten zagt? Enthieltſt du Gottes Spruch 
Und Urteil ſelbſt, ans Licht, verhülltes Buch! 


„Erasmus gegen Hutten. Offner Brief.“ 
Recht! Hutten und Erasmus wäre ſchief. 


Latein iſt gut! Latein verdient ein Lob! 
Glatt, elegant... Potz Blitz, da wird es grob! 


„Zerlumpter Ritter!“ redeſt du mich an, 
Betitelſt mich „verkommener Kumpan!“ 


„Zerlumpter Ritter!“ Ein erbaulich Bild! 
Mißgönnt der Bankert mir das Wappenſchild? 


Ich, Hutten, weiß, wieviel die Tinte tut, 
Doch mehr vermag ein dreiſter Reutersmut! 


Der Römling, der in unſern Landen hauſt, 
Erbleicht vor der geſchienten Edelfauſt! 


„Potator, aleator“ ... Geht's auf mich? 
Du munkelſt, deutelſt, heuchelſt — ſchäme dich! 


Und hier ... und hier — nicht möglich! Büchlein, 
ſchweig! 
Ein Muſenliebling! Und ſo ſchlecht und feig! 


Erasmus rät den Zürchern — niedrig Tun — 
Mir zu verbieten, hier mich auszuruhn. 


19 Meyer. II. 289 


290 


Mich aufzunehmen in des Gaſtes Recht, 
Gefährlich ſeis! Du kennſt die Zürcher ſchlecht! 


Das alles, weil ich, der du brav mir ſchienſt, 
Dich werben wollte für der Freiheit Dienſt. 


Mann, wären nicht gezählt die Tage mir, 
Zu Baſel auf die Bude ſtieg ich dir! 


Ich zöge dich mit dieſen Armen, glaub 
Es mir, hervor aus deinem Bücherſtaub. 


Doch zittre nicht! Dir ſollte nichts geſchehn, 
Ich würde nur dir Aug in Auge ſehn. 


Dein edles Wiſſen, ſpräch ich, liegt dir tot, 
Du bieteſt Gold und wir bedürfen Brot! 


Die Menge hungert, ahnteſt du es nie? 
Hervor mit deinen Horten! Speiſe ſie! 


Dein Denken, ſpräch ich, iſt ein eitler Traum, 
Wächſt drangvoll nicht daraus ein Lebensbaum ... 


Was willſt du? Weihrauch? Ehrerbietung? Gern. 
Du biſt ein ſchimmernd Licht, ein heller Stern! 


Vor deinem Ruhme beugt der Hutten ſich — 
Nun aber, als ein Mann, ermanne dich! 


Die Satyrmaske, lege ſie beiſeit — 
Ein offnes Antlitz will die große Zeit. 


Freund — alles iſt vergeben, rede frei! 
Ich ſchütze dich vor Papſt und Kleriſei! 


Du kennſt die Wahrheit, übe nicht Verrat, 
Gib Zeugnis! Wage eine Mannestat! 


19* 


Bekenn, Erasme, ob du ein Papiſt, 
Ein Römer oder evangeliſch biſt! 


Kein Drittes! Gib in klarem Stile dich! 


Du kneifſt die Lippen — Biſt du unſer? Sprich!. 
Dein ſchlaues Auge blickt mich ſpöttiſch an? ... 


Vale, Erasme! Tot und abgetan! 


XXXV 


Das Huttenlied 


Der Ufenau vorüber glitt ein Kahn 


Ganz nah. Faſt ſtieß er an das Ufer an. 


Von fahr'nden Schülern war der Nachen voll, 
Ein Lied aus zwanzig jungen Kehlen ſcholl. 


Im Buchenlaub verborgen, unſichtbar, 
Lag nahe zum Berühren ich der Schar. 


Das Ruder ſchlug den Takt der Melodie, 
Entlang das Inſelufer ſangen ſie: 


„Behüte, Chriſt, das edel fränkiſch Blut! 
Es ſchreibet uns viel köſtlich Bücher gut! 


Aus Treuen tuts der Ritter, ohne Lohn, 
Die Treu verſpürt die deutſche Nation! 


Der Römer ſchickt dir Mörder vor die Tür, 
Ach, edler Hut aus Franken, ſieh dich für!“ !) 


Sie brachen Zweiglein ab vom Buchenhag 
Und keiner ahnte, wer dahinter lag. 


1) Huttenlied 


++ 


291 


292 


XXXVI 


Deutſche Libertät 


Ein luſtig Trommeln zieht den Strand entlang 
Mit gellen Pfeifen und mit Kriegsgeſang. 


Sie löſen ihre Stücke. Rauch und Dampf. 
Er lichtet ſich. Standarten, Roßgeſtampf. 


Gewalt'ge Körper! Es iſt eine Luft, 
Wie ſie daher ſtolzieren ſelbſtbewußt. 


's iſt Schwyzerboden. ÜUppig fließt der Sold, 
Wild, immer wilder brennt der Durſt nach Gold. 


Die Alpler haben Lebensüberfluß 
Und ſtarkes Blut, daß man ſie ſchröpfen muß. 


Wem ziehn ſie bei? Die Lilien ſeh ich wehn, 
Zu König Franz wird dieſer Reislauf gehn. 


Nicht treibt der Schweizer ſeinen feilen Lauf 
Allein. Der Landsknecht nimmt mit ihm es auf. 


Der deutſche Ritter auch, er ficht und rauft 
Für jeden fremden König, der ihn kauft. 


Fürſt, Pfaffe, Bauer, Städte, Ritterſchaft, 
Ein jedes trotzt auf eigne Lebenskraft! 


Nichtsnutzig eine Freiheit, die vergißt, 
Was ſie der Reichesehre ſchuldig iſt! 


Nichtsnutzig eine deutſche Libertät, 
Die prahleriſch in Feindeslager ſteht! 


Geduld! Es kommt der Tag, da wird geſpannt 
Ein einig Zelt ob allem deutſchen Land! 


Geduld! Wir ſtehen einſt um ein Panier, 
Und wer uns ſcheiden will, den morden wir! 


Geduld! Ich kenne meines Volkes Mark! 


Was langſam wächſt, das wird gedoppelt ſtark. 


Geduld! Was langſam reift, das altert ſpat! 
Wann andre welken, werden wir ein Staat. 


XXXVII 


Der Schmied 


Am Ufer drüben ſeh aus einem Schlot 
Ich luſt'ge Funken wirbeln purpurrot, 


Und Schmied und Amboß kommt mir in den Sinn, 


Davor ich einſt erſtaunt geſtanden bin. 


Als ein vom Weg Verirrter macht ich halt: 
Es war um Mitternacht in ſchwarzem Wald. 


Ein rieſenhafter Schmied am Amboß ſtand 
Und hob den Hammer mit berußter Hand. 


Zum erſten ſchlug er nieder, daß es ſcholl 
Ringsum im nächt'gen Forſt geheimnisvoll, 


Und rief: „Mach, erſter Streich, den Teufel feſt, 
Daß ihn die Hölle nicht entfahren läßt!“ 


Den Hammer er zum andern Male hob, 
Den Amboß ſchlug er, daß es Funken ſtob, 


293 


294 


Und ſchrie: „Triff du den Reichsfeind, zweiter Schlag, 
Daß ihn der Fuß nicht fürder tragen mag!“ 


Den Hammer hob er noch zum drittenmal, 
Der niederfuhr wie blanker Wetterſtrahl, 


Und lachte: „Schmiede, dritter, du die Treu 


Und unſre alte Kaiſerkrone neu!“ 


NS s T 


XXXVIII 


Der Pilger 


Mich drückt der Föhn. Er atmet ſchwer und ſchwül, 
Dort im Kapellendunkel iſt es kühl. 


Zu einer Abendruhe kehr ich ein 
Und werde wohl der einz'ge Beter ſein. 


Grüß Gott, mein ſchwäb'ſcher Nachbar Adalrich! !) 
Du lächelſt blöd. Ein Stümper malte dich. 


Ein Kirchlein trägſt du ſittig in der Hand: 
Du ſchufſt ein Kloſter, merk ich, hiezuland! 


Du gingeſt im Geleite deiner Zeit 
Und haſts getan in Herzenslauterkeit. 


Mir ſinkt das Haupt... Wer da? Bin ich belauſcht? 
Am Fuß des Altars hat Gewand gerauſcht. 


Ein Pilger kniet, der ſtumm die Lippen regt 
Und betend ſeinen Roſenkranz bewegt. 


Ein kühner Wuchs, geduckt in Mönchsgewand! 
Und — mein ich — eine ſchwertgewohnte Hand — 


Was haucht mich an? Wie fällt mir plötzlich bei, 
Daß dieſer Mönch ein böſes Weſen ſei? ... 


1) Der Kirchenheilige der Ufenau 


296 


Was flüftert mir im Ohr, daß dieſer ſtill 
Verſunkne Menſch mir an das Leben will? ... 


Ein Mörder iſts, geſendet gegen mich! 
Nein. Ruhig kniet und edel hebt er ſich. 


Er wendet ſich der Uferbrandung zu — 
Du biſt ein Ritter! Warum pilgerſt du? 


XXXIX 


Die Mahlzeit 
Er ſteht am Strand und ſcheint hinauszuſehn, 
Als wollt er auf dem Kamm der Wogen gehn. 


Ein Blitz! Er ſtürzte praſſelnd in die Flut! 
Das Ufer glomm in bleicher Schwefelglut ... 


Das leidenvolle Schwärmerangeſicht 
Umgab ein Heil'genſchein von Höllenlicht ... 


Mein armer Hutten — du biſt leibesſchwach! 
Ruf du den Pilger lieber unter Dach! 


Ins Trockne, Pilger, eh der Regen wogt! 
Des Hauſes Herr iſt fort. Ich bin der Vogt. 


Was ſtehet Ihr verzückt? Ihr werdet naß! 
Gebt mir die Hand! Wir treten ins Gelaß. 


Seid hier willkommen! Machets Euch bequem! 
Wohin die Reiſe? — „Nach Jeruſalem.“ 


Das, rüſt'ger Pilgrim, liegt meerüber ſchon. 
Ich fragte nach der nächſten Station. 


„Dort hinterm Berg Einſiedelns Gnadenhaus.“ 
Leer iſt das Neſt. Die Vögel flogen aus. 


Ihr ſchlagt ein Kreuz, als wär der Böſe hier? 
Erlaubt! Mit einem Chriſten redet Ihr! 


(Die welſche Frömmelei behagt mir ſchlecht ... 
Sei freundlich, Hutten! Er hat Gaſtes Recht!) 


Ich wette, Herr, Ihr trugt Soldatentracht, 
Nennt mir den Feldzug, den Ihr mitgemacht! 


„Pamplonas Wälle, Herr, verteidigt ich.“ 
Das ehrt. Die Feſtung hielt ſich ritterlich. 


Und kämpftet Ihr in keinem neuern Krieg? 
„Ich kämpfe ſtets. Maria gibt den Sieg.“ 


Sein redlich Bündel trägt ein jeder Chriſt. 
„Maria rettet uns vor Satansliſt.“ 


(Raſch dunkelts. Lodre, Lämpchen! ... Ein Geſicht, 
Das meinem tiefſten Weſen widerſpricht! 


Weltfremde Augen voller Traum und Wahn — 
Und doch der Mund Entſchluß .. die Stirne Plan!) 


Pilger, ich hol Euch einen Becher Wein? 
Ihr weigert Euch? So ſchenkt Euch Waſſer ein. 


(Er murmelt, exorziert den lautern Quell 
In Ketzerland ... Unheimlicher Geſell!) 


— Hidalgo, Ihr beginget wilde Tat 
Und ſuchet jetzt an heil'gen Orten Rat? 


Ihr büßt? (Er kreuzt die Hände auf der Bruſt 
Und ſchweigt. Auch mir erſtirbt der Rede Luſt. 


297 


's iſt beſſer fo, uns dürfte Streit entſtehn, 
Am klügſten iſt es, wenn wir ſchlafen gehn.) 


Seht, Pilger, wie der nächt'ge Himmel loht! 
Heut abend fändet ſchwerlich Ihr ein Boot. 


Nehmt hier vorlieb, iſt auch der Raum beſchränkt! 
Wir ſuchen jetzt die Ruhe, wenn Ihr denkt. 


Ihr wollet lagern auf dem nackten Stein? 
Das duld ich nicht. Ihr werdet müde ſein. 


Da meine Decke! Hier den Mantel auch! 
Ihr bettet Euch nach ſchlichtem Feldgebrauch! 


Gut Nacht! Ihr ſeid ein Spanier? — „Ritter, ja.“ 
Und nennet Euch? — „Inigo Loyola.“ ) 


XL 


Das Gebet 


Ein grauſer Wetterſchlag! Der Donner kracht... 
Was ſah ich dort in blitzerhellter Nacht? 


Und wieder jetzt! Ein Rücken — ſchauerlich, 
Der Spanier geißelt mit dem Gürtel ſich! 


An ſeinen hagern Schultern rieſelt Blut! — 
Zu beten hebt er an in Andachtsglut. 


Gezwungen lauſchend, hör ich jedes Wort 
Auf jenen qualberauſchten Lippen dort: 


„Maria, makellos empfangne Magd, 
Zu deinen Knien hab ich der Welt entſagt. 


1) Die Pilgerfahrt Loyolas nach Jeruſalem faͤllt in dieſe Zeit. 
298 


Dem ird'ſchen Rittertum erſterb ich hier 
Und zeichne mich zum ew'gen Knechte dir. 


Wo darf ich bluten? Gib das Feldgeſchrei! 
Du deuteſt ſchmerzlich auf die Ketzerei — 


Sie haben dir die Krone von dem Haupt 
Und aus der Hand die Lilie dir geraubt. 


Du weineſt? Deine Tränen brennen mich — 
Ich führe deine Sache. Tröſte dich! 


Ein Wink von dir — ſo ſtürz ich in die Schlacht. 


Nicht kennſt du ſelbſt die Größe deiner Macht! 


Im Bibelbuche ſpricht der eigne Sohn 
Zu dir, du Hohe, nicht in würd'gem Ton. 


Die heil'gen Schriften ſind der Ketzer Hort — 
Du lächelſt und beſiegſt das Bibelwort. 


Der ein'ge Richter Chriſtus ſchreckt die Zeit, 
Gern folgt' ſie eines Weibes Lieblichkeit. 


Wenn ſich der Sohn zu Martin Luther kehrt, 
Dich krönen wir, die nicht der Wonne wehrt! 


Du bebſt in aller Abendglocken Erz, 
Du füllſt die Seele, du beglückſt das Herz. 


Wir decken dich mit duft'gen Roſen zu, 
Gen Himmel ſchwebeſt ungekreuzigt du! 


Die du dem gläub'gen Spanier oft erſchienſt, 
Ihm glüht der Buſen noch von deinem Dienſt. 


Dir, Fürſtin, werb ich eine Kompanie 
Und führe gegen deine Feinde ſie. 


299 


300 


Ein unbarmherzig Heer, das nie erſchlafft, 
Verſamml ich unter meiner Hauptmannſchaft. 


Die Ketzer tötend, doch den Sündern mild, 
Bekehren wir die Welt zu deinem Bild. 


Wo wir zerſtörte Tempel wieder weihn, 
Beſteige, Göttin, den Altar allein! 


Und wer zum Erdenweibe dich entweiht, 
Gerichtet ſei er und vermaledeit! ... 


Tauch unter, Schwan, und aus der Welle Schoß 
Erſtehe doppelt blank und makellos! .. 


Du lächelſt deinem Knecht belohnend zu, 
In goldne Himmelsglorie ſchwindeſt du...“ 


XLI 


Fiebernacht 
Der Morgen graut — des Pilgers Stätte leer? 
Beim Hahnenruf verſchwand geſpenſtiſch er! 


Was ich geſchaut, iſts Wahrheit? War es Traum? 
Schlief mit dem Teufel ich im gleichen Raum? 


Es war ein Spuk! Es war ein Fieberwahn! 
Die welſche Fratze hat mirs angetan! 


Nein, Wahrheit wars! Kein Morgenwind verweht 
Das andachtsvoll irrſinnige Gebet! ... 


Was quäl ich mich? Unfähig iſt der Tat 
Ein Frömmler! Doch ein Spanier? Ein Soldat? 


Kein Mönchlein iſts, in Müßiggang erſchlafft, 
Er hat des Kriegers Zucht und Willenskraft. 


Er iſt ein Schwärmer! Voller Selbſtbetrug! 
Daneben iſt er wie die Hölle klug! 


Ein Weib vergöttern — Aberwitz und Schmach — 
Von Even ſtammend, die den Apfel brach! 


Zutunlich naht die üpp'ge welſche Kunſt, 
Andacht verkuppelnd mit der Sinne Brunſt. 


Die Kirche ſteigt phantaſtiſch wieder auf 
Und gürtet ſich zu neuem Siegeslauf; 


Mit feiger Fürſtentyrannei gepaart, 
Steht ſie um ihre Götzen feſt geſchart; 


Der Drache Rom, getroffen bis ins Mark, 
Durch ſeine Wunde wird er wieder ſtark 


Und von der Wahrheit Schwert des Kopfs beraubt, 
Wächſt er empor mit einem gift’gern Haupt. 


O Menſchheit, qualenvoller Siſyphus, 
Der ſeinen Felſen ewig wälzen muß! 


Ein flüchtig Vorgefecht hat mich genarrt, 
Jetzt erſt erblick ich meinen Widerpart. 


Nun ich auf Erden meinen Tag vertan, 
Fängt ſich der grimmſte Feind zu zeigen an. 


Abſonderliche Laute: „Loyola“ — 
Blutstropfen röten dieſe Silben da. 


Das iſt ein Name, der die Wahrheit höhnt, 
Wie Flammen lodert, wie die Folter ſtöhnt! 


301 


Der Höllenſendling wird die Welt durchziehn! 
Was ſtieß ich nieder nicht im Beten ihn? 


Pfui, Hutten, Meucheltat! Das Fieber plagt 
Und rüttelt dich. Gottlob, der Morgen tagt... 


Vielleicht wars eine Ausgeburt der Nacht? 
Und doch! Hätt ich den Spanier umgebracht! 


302 


DEIN Sr Be N 


XLII 


Die Bilderſtürmer 


Ich ſprach: So, Hutten, kanns nicht länger gehn, 
Heut mußt du wieder einmal Menſchen ſehn! 


Und ſprang ins Boot und bahnte mir den Pfad 
Mit Ruderſchlag ans rechte Seegeſtad. 


Ein ſtattlich Dorf erzielt ich mit dem Boot — 
Da regte ſichs, als wäre Feuersnot. 


Wo ſich der Dorfbach in den See ergoß, 
Lärmt eine Männerſchar, ein Kindertroß. 


Aus ihrem Kirchlein ſchleppten mit Geſchrei 
Die Bilder ihrer Heil'gen ſie herbei 


Und warfen in die Flut der Väter Hort 
Mit manchem ſchnöden Witz und frechen Wort. 


Der Strudel führte weg den alten Graus 
Und wuſch der Märtrer blut'ge Wunden aus. 


Wachsherz, Votivgeſchenk, Reliquienſchrein 
Flog alles luſtig in den Bach hinein — 


Da werd ich eines Steingebilds gewahr, 
Mit ſchwiel'gen Händen hobs ein Männerpaar, 


303 


304 


Und ich erſchrak. Es war ein zart Gebild: 
Die Magd Maria lächelte ſo mild 


Und ſah das grobe Volk ſo rührend an, 
Als ſpräche ſie: „Was hab ich euch getan?“ 


Wie kam das Werk in dieſes Kirchleins Raum? 
In Nürnberg ſelber ſah ich Beßres kaum. 


Man fühlte, daß ein Meiſter ſpät und früh 
Daran gewendet lauter Lieb und Müh. 


Zerſtören, was ein gläubig Herz erſchuf, 
Gehorſam einem leiſen Engelruf, 


Vernichten eine fromme Schöpferluſt, 
Ein Frevel iſt's! Ich fühlt's in tiefer Bruſt ... 


Gebiet ich Halt? .. . Ich? Ulrich Hutten? Nein! 
Ihr Männer, ſtürzt das Götzenbild hinein! 


Ich trat hervor und riefs mit ſtrengem Mund. 
Sie warfen. Etwas Edles ging zugrund. 
XLIII 


Der Trunk 


Blaufarbne Krüge brachten her ſie dann, 
Sie ſchenkten ein und das Gelag begann. 


— „Dem fremden Herrn ein Glas! Tut uns Beſcheid, 
Wenn Ihr nicht einer von den Stolzen ſeid! 


Stoßt an, Herr Ritter! .. . Ihr verzieht den Mund? 
Trinkt! Unſer Wein iſt fürnehm und geſund! 


Potz Hagel! Iſt Euch unſer Wein zu ſchlecht? 
Seid Ihr ein Päpſtler oder Fürſtenknecht? 


Schmeckts?“ — Köſtlich. — „Noch ein Glas, und 
eines noch! 
Der deutſche Herr auf Ufnau lebe hoch!“ 


Ich trank und würgt — es war ein ſaurer Schluck — 
Und ſchied mit einem biedern Händedruck. 


Ich machte mich davon mit guter Art 
Und lachte ſtill ergötzt in meinen Bart: 


Der ich dem Kaiſer und dem Papſt gedreut, 
Dem Volke zu Gefallen log ich heut. 


XLIV 


Schaffner 


Im Paradieſe ſelber träfe man 
Wohl einen an, den man nicht leiden kann. 


Der Kloſterſchaffner macht mich nimmer froh 


Ich möchte höchſtens in der Leſe ſehn 
Gekrümmt ihn unter einer Bütte gehn. 


Ich Ketzer bin dem Kloſterknecht verhaßt 
Und ſeinen Geiz verdrießt der arme Gaſt. 


Er ſchielt. Er blinzelt gegen's Sonnenlicht 
Und meinen graden Blick verträgt er nicht. 


Er wünſcht mir: „Euch gedeih der Aufenthalt!“ 
Und betet: „Hole dich der Teufel bald!“ 


20 Meyer. II. 305 


306 


Ein Schurke, wer mir jo ins Angeſicht 
Und hinter meinem Rücken anders ſpricht! 


Nun hab ich ihn gelobt und damit gut! 
Sein wackrer Junge hat geſunder Blut. 


Hier wandeln die Geſchlechter ſich geſchwind 
Und anders als der Vater blickt das Kind. 


Natur iſt in den Hochgebirgen ſtark 
Und ihre Lüfte ſtählen Herz und Mark: 


Der Junge, der mit Hutten ſaß im Boot, 
Wird brav und treu und bleibts bis in den Tod! 
XLV 
Der kleine Ferge 


Laß, Ruodi, deinen Nachen ſachter gehn! 
In klare Gründe laß mich niederſehn! 


Hier im kriſtallnen Spiegel farbenmild 
Erſcheint ein Mann und eines Knaben Bild. 


Du ſchauſt empor, von lichter Wolkenzier 
Umrahmt. Vor zwanzig Sommern glich ich dir. 


Und noch ein ander Bildnis ſchaut empor, 
Das tiefgefurchte kommt bekannt mir vor! 


Nun, dieſe ſchwer beſchriebne Stirn iſt mein — 
Fürwahr, ich möchte nicht ein Andrer ſein! 


Die Fläche kräuſelt ſich im Abendwind, 
Zergangen beide Bilder. Rudre, Kind! 


20* 


XLVI 


Schweizer und Landsknechte 


Heut hat man mit Soldaten mir getiſcht. 
Ein ungebunden Volk. Mich hats erfriſcht. 


Päpſtler und Ketzer ſaßen im Verein 
Bei unſrer Lieben Frauen Kloſterwein. 


Sie kamen eben braun und beuteſchwer 
Bergüber aus der welſchen Sonne her. 


Gleich frug ich einen, der ein Pflaſter trug: 
Bekenn, daß dich ein frommer Landsknecht ſchlug! 


Unſinn, daß ihr euch täglich reizt und rauft, 
Landsknecht und Schweizer, beide deutſch getauft! 


— „Warum, Herr Ritter, ich vom Leder zog? 
Weil Heini Wolleb mein Gefühl betrog! 


Zum Imbiß ſaßen unſer zwanzig da 
In den „Drei Königen von Mantua. 


Rings Pfuhl und Wall. Das Fieber hauchte ſchwül. 
Am Seelisberge, dacht ich, weht es kühl. 


Da brüllts. Ein langgezogen ehrlich Muh. 
Mich denkts der braunen Lisli, unſrer Kuh. 


Und wieder brüllts. Nun kommt mir in den Sinn 
Die andre Lisli auch, die Melkerin. 


Zum Dritten muhts. Aufblinkt der Urnerſee, 
Scharf blitzt am Himmel ein Gezack von Schnee... 


Mir tropft das Aug. Da lacht der Jauch: ‚Du Stier, 
Ein Landsknecht brüllt. Kein Rindlein graſet hier. 


307 


Ich fuhr empor: ‚Bei meinem Eid und Schwur! 
Sp täuſchend muht der Heini Wolleb nur!‘ 


Ins Freie rannt ich. Um die Ecke ſtrich 
Der Heini grinſend und verhöhnte mich. 


„Steh, Heinz! Er ſtand und ehrlich fochten wir, 
Wie Zeugnis gibt das ſchwarze Pflaſter hier. 


In ſumpf'gem Mantovanerboden ruht 
Der Heini, der ſo trefflich hat gemuht. 


Ehrbarer Ritter, reichet mir die Hand, 
Und wäre ſie geächtet und gebannt! 


Hier hauſt Ihr ungekränkt im Firnelicht, 
Nur muhet, Herr, auf Eurer Inſel nicht!“ “) 


XLVII 


Vermächtnis 
Der Florentiner grollte vor ſich her: 
„Der Fremde Treppen, ach wie ſteil, wie ſchwer!“ 


Hier ſing ich außerm Reich und doch im Reich: 
Der Schweizerraſen tritt ſich leicht und weich! 


Deutſchland, vergiß nicht, wer dem Hutten bot 
Den letzten Boden und das letzte Brot! 


Zu arm bin ich zu einem Gaſtgeſchenk, 
So bleibe meiner Schuld du eingedenk! 


1) Das Muhen, womit der Landsknecht den Schweizer verſpottete, hat 
in jenen Tagen viel Blut gekoſtet. 


308 


XLVIII 


Abendſtimmung 
Des Morgens lacht wie eine junge Frau, 
Streng blickt am Abend meine Ufenau, 


Durch Flutendunkel geiſterhaft geſtreckt, 
Von nahen Bergesſchatten zugedeckt. 


Lang hat ſich das Soldatenſchiff ergetzt 
An einem Echo. Beide ſchweigen jetzt. 


Verklungen iſt der Veſperglocke Schall, 
Ein dunkler Friede waltet überall. 


Wär ich ein Jüngling voller Leidenſchaft, 
Beängſtigt von der eignen Lebenskraft, 


In Tränen löſte ſich, was bang und wild 
Ein junges Herz beſtürmt vor dieſem Bild. 


Nun hab ich handelnd meine Glut gedämpft, 
Den Veſperfrieden hab ich mir erkämpft 


Und ſchreite, wann du, Sonne, dich entfernſt, 
Getroſt durch dieſen tiefen Abendernſt. 


In den geſtrengen Zügen der Natur 


Empfind ich die verwandte Seele nur. 


XLIX 


Nachtgeſpräch 


Mit glühnden Spuren iſt der Tag entflohn, 
Am Himmel blitzen frühe Sterne ſchon. 


Der Alte ſitzt auf feiner Lieblingsbank: 
Du träumeſt, Pfarrer? Rück ein wenig! Dank. 


Was ſchauſt verzückt du auf zum Himmelszelt? 
Was ſiehſt du droben? — „Ritter, Welt an Welt! 


Erfahrt, daß unter uns, die wir bemüht 
Um die Natur ſind, ein Geheimnis glüht! 


Mir hats ein fahr' nder Schüler anvertraut. 
Neigt Euch zu mir! Man ſagts nicht gerne laut. 


Ein Chorherr lebt in Thorn, der hat gewacht, 
Bis er die Rätſel deutete der Nacht. 


Herr Köpernik beweiſt mit bünd'gem Schluß, 
Daß — ſtaunet — unſre Erde wandern muß! 


Wißt, um die Fürſtin Sonne kreiſen wir 
Und glaubten dienend uns umkreiſt von ihr! 


Ihr meint, wir ſitzen ruhig hier? Erlaubt — 
Wir ſchweben, wie von Adlerkraft geraubt! 


Nicht wandern, Ritter, wir allein! Erhebt 
Das Haupt! Der ganze Himmel zieht und lebt! 


Ein Kreis von Pilgern iſts, der uns umringt, 
Von denen jeder ſanft den andern zwingt, 


Und unſer Sternlein iſt in dieſer Schar 
Wohl einer der geringſten Pilger gar. 


Wir nahmen Welt und Himmel uns zum Raub, 
Wir wähnten uns das All und ſind ein Staub. 


Doch beſſer als ein König und allein 
Iſt eines großen Ganzen Glied zu ſein. 


310 


Mit höhern Welten bringt uns unſer Gang 
In einen leuchtenden Zuſammenhang! 


Ein neues Leben wird uns aufgetan 
Auf hellern Stufen nach durchlaufner Bahn. 


Ich lieb Euch, Hutten, und ich möchte gern 
Euch wiederſehn auf einem ſchönern Stern. 


Je näher dem Geſtirn, das ewig ruht, 
Um deſto reiner wird die Liebesglut. 


Die Leiter iſts, die Jakob einſt erblickt. 
Ihr lächelt, Ritter? Red ich ungeſchickt? 


Iſts zu begehrlich, was mir ahnen will? 
Ins Dunkle blicket Ihr und bleibet ſtill ...“ 


— Auf Ufnau, Pfarrer, iſt der Abend kühl. 
Ruhſame Nacht! Ich ſuche meinen Pfühl 


Und laß Euch mit den Sternen jetzt allein. 
Ich möchte morgen wieder wacker ſein. 


Erſt dien ich aus auf Erden meine Zeit, 
Und bin ich dannzumal nicht dienſtbefreit, 


Verteilt man auf den Sternen neues Lehn — 
Wohlan! ich denke meinen Mann zu ſtehn. 


L 


Mythos 


„Herr Ritter, habt Ihr, ſagt mirs im Vertraun, 
Jüngſt eines Mönchleins Ohren abgehaun? 


Iſts wahr, wo blieb der feine Humaniſt 
Bei der Zyklopentat? Wo blieb der Chriſt? 


311 


31 


Ihr ſeid ein prächt'ger Hausgeſelle zwar, 
Doch habt Ihr ein gefährlich Augenpaar: 


Im Zwiegeſpräche leuchtets heiter mild; 
Derweil Ihr ſinnt und brütet, droht es wild. 


Sagt, tapfrer Ritter, wiſpert mir ins Ohr, 
Ob jenes armes Pfäfflein ſeins verlor?“ 


— Pfarrer, Kritik! Bin ich ein Polyphem? 
Nie hab ein Glied gekappt ich irgendwem. 


Erwirbt ein Erdeſohn ſich Lob und Preis, 
Gleich bildet ſich um ihn ein Sagenkreis. 


Dem Pfaffen, merkt, hab ich das Haar gerupft, 
Den fetten Ohrenlappen auch gezupft — 


Das, Pfarrer, iſt geſchichtlich aufgehellt, 
Das andre ſpielt in ſchwanker Fabelwelt. 


LI 


Der Pfarrer 


Ein müdes Ruder rauſcht. Der Pfarrer kehrt 
Zurück, mit einem Pflanzenbund bewehrt. 


Dort hoch am Etzel wächſt ein kräftig Kraut, 
Davon er mir ein heilſam Tränklein braut. 


Noch weht die Abendluft nicht allzu friſch — 
Im Freien rüſt ich beiden uns den Tiſch. 


Hieher! Dir iſt gedeckt! Nimms nicht genau! 
Noch fehlt die Wirtin auf der Ufenau. 


Trotz deinem grauen Barte mußt du frein! 
So reihſt du dich der neuen Pfaffheit ein. 


Ob dieſe neue Pfaffenart gedeiht 
Und was ſie taugt, iſt ein Problem der Zeit... 


— „Der neuen Pfaffheit wünſch ich alles Heil, 
Mir ſelber doch kür ich ein ander Teil. 


Mich treibts aus meinem kirchlichen Beruf 
Hinaus zu dem, der mich ernährt und ſchuf, 


Der heute noch gelind auf Erden geht, 
Von ſeinem blauen Mantel weit umweht. 


Der Kirche ſchwere Fragen ſind verwirrt, 
Und ewiglich verdammt iſt, wer ſich irrt. 


Die laß ich ohne Harm auf ſich beruhn 
Und halte mich zu meinen Pflanzen nun. 


Die Körper heilen ſei mein künftig Amt, 
Zur Sühne, daß ich Seelen einſt verdammt! 


Ein großer Arzt, der hier im Land verkehrt, 
Hat mich der Kräuter ſtille Kraft gelehrt. 


Von Paracelſo habt Ihr, Ritter, ſchon 
Gehört, der Mutter Erde Lieblingsſohn, 


Dem ſie geſchäftig ihre Schätze zeigt, 
Dem plaudernd kein Geheimnis ſie verſchweigt? 


Unfern von hier, am Etzel hält er Haus. 
Ich ſandte neulich einen Boten aus 


Und lud nach Ufenau den Wundermann. 
Ich tröſte mich, daß er Euch helfen kann. 
Ihr zuckt die Achſeln ... Seine Kunſt iſt groß, 
Und, Ritter, Ihr ſeid gar zu glaubenslos!“ 


DAS TOD ESU RFT 


LH 


Paracelſus 


Gibts auf der Welt ein Herz ſo männlich feſt, 
Das ſich von Hoffnung nicht betören läßt? 


Was mir der Freund von Paracelſus ſprach, 
Das flog mir wie ein lichter Falter nach, 


Das ſenkte ſich, mir ſelber unbewußt, 
Ein treibend Keimlein, in die ſieche Bruſt. 


Ich ſehnte mich, bis der Gewünſchte kam, 
Wie Mägdlein blicken nach dem Bräutigam. 


Heut war er da. Ich lag erbärmlich krank 
Im Eichenſchatten auf der Raſenbank. 


Er tat, als würd er meiner nicht gewahr, 
Doch ſtreifte mich ſein ſcharfes Augenpaar. 


Er nahm den Pfarrer dort am Strand beiſeit 
Und ſprach zu ihm geheim mit Heftigkeit. 


Er hat ein abenteuerlich Geſicht, 
So denk ich mir den ernſten Forſcher nicht. 


Ich lauſchte hin. Ob er mir Rettung ſchafft? 
Und ich vernahm: „Es fehlt die Lebenskraft!“ ... 


Mein feines Ohr hat flüſtern ihn gehört: 
„Hier it ein edles Organon zerſtört“ ... 


314 


Indem verſtohlen er herüber ſah, 
Raunt' ſchnell er: „Facies hippocratica!“ .. 


Was ſpricht der Geck das liebe Deutſch nicht rein 
Und miſcht ſo garſt'ge fremde Brocken ein! 


Er trat heran, er bot die Rechte mir, 
Er ſprach mit Pomp: „Ich grüße Deutſchlands Zier!“ 


Er nannte mich der Freiheit Turm und Hort, 
Von meiner Krankheit redet er kein Wort. 


Mir deucht, daß ſich ein Seufzer ihm entwand, 
Als ſeinen Finger ich am Puls empfand. 


Drauf hat er meine Verſe mir gerühmt, 
Der Narr! Er hieß ſie „ſtolz“ und „reich beblümt“. 


„Die Ufnau“, ſprach er, „wird durch Euch bekannt 
Und noch von Kind und Kindeskind genannt. 


Nicht einſam lebt Ihr auf dem Eiland hier, 
Bevölkert mit Gedanken habt es Ihr!“ 


Ich dachte: Wie zu dir dein Name paßt! 
Bombaſtus nennſt du dich — und ſprichſt Bombaſt! 


Ihm gab ich das Geleit bis an den Kahn, 
Dann ſtieg den Hügel langſam ich hinan. 


Es war ein goldner Morgen im Auguſt, 
Das zweite Gras gedieh mit Kraft und Luſt! 


Die ganze dichte blühnde Wieſe klang 
Und wogt und ſchwirrt und flattert', zirpt und ſang. 


Ich ſchritt in Halm und Blumen, überflammt 
Von ſüßem Sonnenlicht — zum Tod verdammt! 


316 


Da warf ich in die duft'ge Wieſe mich, 
Verbarg das Haupt und weinte bitterlich. 


Und lange lag ich ſtill im grünen Tal, 
Mein eigen Bildnis oder Grabesmal. 


LIII 
Die Beichte 


Hier ſchreit ich über meinem Grabe nun — 
Hei Hutten, willſt du deine Beichte tun? 


's iſt Chriſtenbrauch. Ich ſchlage mir die Bruſt. 
Wer iſt ein Menſch und iſt nicht ſchuldbewußt? 


Mich reut mein allzuſpät erkanntes Amt! 
Mich reut, daß mir zu ſchwach das Herz geflammt! 


Mich reut, daß ich in meine Fehden trat — 
Mit ſchärfren Streichen nicht und kühnrer Tat! 


Mich reut die Stunde, die nicht Harniſch trug! 
Mich reut der Tag, der keine Wunde ſchlug! 


Mich reut — ich ſtreu mir Aſchen auf das Haupt — 
Daß nicht ich feſter noch an Sieg geglaubt! 


Mich reut, daß ich nur einmal bin gebannt! 
Mich reut, daß oft ich Menſchenfurcht gekannt! 


Mich reut — ich beicht es mit zerknirſchtem Sinn — 
Daß nicht ich Hutten ſtets geweſen bin! 


LIV 


Götter mord 


Heut aber tat ich, was die Frommen freut: 
Entgöttert meine Schriften hab ich heut. 


Wo „Zeus“ und „Herakles“ zu leſen ſtand, 
Schrieb „Jeſus Chriſtus“ ich mit feſter Hand. 


Statt „Nektarkrügen“ und ſtatt „Bacchanal“ 
Setzt flugs ich „Abrams Schoß“ und „Himmelsſaal“. 


Kein einz' ger Griechenſchwur noch Römerfluch 
Prangt mehr in meinem Dialogenbuch. 


Ich löge, ſagt ich, daß mir Bann und Acht 
Des Heidenhimmels großen Kummer macht. 


Das Wieſenbächlein flutet leicht und hell — 
Was brauchts, daß eine Nymphe bad im Quell? 


Brennt Herz und Stirn dem Zecher minder heiß, 
Der nichts vom Kranz des Dionyſos weiß? 


Schierts, ob man einen Sohn des Mars ihn tauft, 
Den deutſchen Knecht, der todesluſtig rauft? 


Was heißt: „ich weihe dich der Furienſchar“? 
„Der Teufel hole dich!“ iſt kurz und klar. 


So komm ich heim aus einer tapfern Schlacht: 
Ich habe Götz und Götzin umgebracht! 


LV 


Das fallende Laub 


Heut klang ein Beil den ganzen Morgen laut 
Und bis zum Abend fort. Der Schaffner baut. 


Ein Vordach nur. Doch mocht ichs gerne ſehn, 
Iſts doch ein Werden, iſts doch ein Entſtehn! 


Da war ein Zimmrer, der es wacker trieb 
Und ſeinen Balken ſäuberlich behieb. 


317 


318 


In guten Treuen mühte ſich der Mann, 
Daß ihm das Waſſer von der Stirne rann. 


Am Abend kam der Zimmermeiſter leis, 
Mit langgelocktem Bart ein güt'ger Greis, 


Und rührt' dem Knecht, der nimmer wollte ruhn, 
Die Schulter, mahnend: „Lieber, feire nun!“ 


Jetzt ward die Stätte leer; ich aber ſchlich 
Hinaus und auf den Balken ſetzt ich mich. 


Betrachtend das behaune Tannenſtück, 
Dacht ich ans eigne Tagewerk zurück ... 


Ich ſtarrte nieder, der Gedanken Raub, 
Da traf die Schulter mir ein fallend Laub. 


Mich ſchauderte, da ich das Blatt geſpürt, 
Als hätte mich des Meiſters Hand berührt 


Und mich gemahnt: Genug! Die Sonn iſt fern, 
Geh ein, du Knecht, zur Ruhe deines Herrn! 


LVI 


Reife 
Es wendet ſich das Jahr, die Welle raucht, 
Mein Eiland iſt in Morgenduft getaucht. 


Vor mir in herbſtlicher Verſchleierung 
Bewegt ſich einer Barke Ruderſchwung. 


Herüber glänzt durch ſchwankes Nebelſpiel 
Die hochgetürmte Burg von Rapperswyl. 


Zu Häupten mir durch hellre Schleier bricht 
Das ſüße Blau, das warme Sonnenlicht; 


Und ſchwerer hangt die Traube ſchon am Schaft, 
Sie ſchwillt und läutert ihren Purpurſaft, 


Sie fördert ihre Reife früh und ſpat — 
Was meinſt du, Hutten? Auch die deine naht! 


319 


DA rw 


LVII 


Der wilde Hutten 


Glückſelig ſchreit ich hier im Abendglanz, 
In klaren Lüften zittert Mückentanz. 


Das Heute war ſo ſonnig, wolkenrein, 
Das Morgen wird noch wolkenloſer ſein. 


Ein Zug von Tagen warm und wonniglich 
Geleitet zu den Todesſchatten mich. 


So heiter glaubt ich nicht davonzuziehn, 
Der wilde Hutten fährt in Friede hin. 


Nicht allzu köſtlich, reiche Erde, haſt 
Du mich bewirtet, deinen armen Gaſt! 


Nun nehm ich Urlaub und zur Scheidezeit 
Erweiſeſt du mir alle Lieblichkeit; 


Nun geh ich und du ſprichſt mit leichtem Sinn: 
Du wanderſt, Hutten? Sieh, wie ſchön ich bin! 


LVIII 


Herzog Ulrich 


Er wars! Mir pocht das Herz von Groll bewegt 
Und jede Fiber zittert aufgeregt. 


320 


Er wars! Er ftand auf meiner Friedensitatt, 
Der mir den Vetter Hans erſchlagen hat, 


Der ihm, zu ſeinem Weib entbrannt in Luſt, 
Den Degen meuchlings rannte durch die Bruſt, 


Der ihm, da bang er mit dem Tode rang, 
Ein Henker! um den Hals den Gürtel ſchlang, 


Den ich vertrieb von ſeiner Väter Herd, 
Mit meines Gurts und meiner Rede Schwert, 


Auf deſſen Spur ich wies den Furienchor, 
Auf deſſen Scheitel ich die Acht beſchwor ... 


Ich ſaß im Hauskleid ſtill am Hügelrand, 
Ein philoſophiſch Büchlein in der Hand, 


Da hört ich einen Fremden halb bezecht 
Den Schaffner loben, wie man lobt den Knecht. 


Ich kannte dieſer hohen Stimme Schrein! 
Er lachte widrig — er gewahrte mein. 


Der Trunkne trat mit vollem Humpen vor — 
Mir ſträubte ſich vor Graus das Haar empor; 


Mich ſtarr betrachtend, zweifelnd, ungewiß: 
„Trink,“ ſchrie er, „ſiecher Bettler, und vergiß!“ 


Ich bin der Hutten, rief ich, den du kennſt! 
Er lallte: „Grabentſtiegenes Geſpenſt!“ 


Ich ſtieß ihn weg, daß er den Wein vergoß, 
Der purpurn über ſeine Hände floß. 


Mit roten Händen, wie im Walde dort 
Von meines Vetters Leiche, ſtürzt' er fort. 


21 Meyer. II. 321 


Verſchollen bin ich auf der Erde ſchon! 
Er wußte nicht, daß ich hieher geflohn. 


Warum betrat er meine Friedensflur, 
Der Böſewicht, dem ich Verderben ſchwur? 


Der Schaffner wirbt! Schon lange weiß ich drum! 
Es treibt ſich öfter hier Geſindel um. 


Zum Lachen iſts! An meinem Sterbehaus 
Hangt Herzog Ulrichs Werbefähnlein aus! 


Um Blut gefeilſcht wird neben meiner Gruft 
Und Schweizerlanzen führen heim den Schuft. 


Es ſcheint, er iſt in Zürich angeſehn, 
Man ſieht ihn fleißig dort zur Predigt gehn. 


Doch Ulrich Zwinglis lautres Auge kennt 
Den Mann, in deſſen Blick die Hölle brennt. 


Er weiß, daß dieſer wohlbeſchaffne Chriſt 
Ein Mörder und ein Ehebrecher iſt. 


Ich tat Bekenntnis meinem Glück zu Trutz, 
Der ſchnöde Bube tuts aus Eigennutz! 


Was mir aus tiefſtem Herzen quoll empor, 
Hält dieſer Heuchler ſich als Larve vor! 


Mit Chriſti Jüngern ſitzt im Tiſchverband 
Wie Judas er, den Beutel in der Hand. 


Der Schurke nahm den reinen Glauben an — 
Potz Blut und Wunden, er hat wohl getan! 


Der Meuchler hat das reine Wort bekannt! 
Darüber jubiliert das Schwabenland! 


322 


Der Gleisner Ulrich zahlt — es ift bequem — 
Nicht für den Ulrich mehr von ehedem! 


„Rom oder Luther,“ ſpottet er beim Wein, 
„Schuh oder Stiefel — Herzog will ich ſein!“ 


Ich glaubs, daß er in Stuttgart Einzug hält — 
Wer thront im Himmel? Wer regiert die Welt? ... 
Wir ſtehn in gleichem Lebensalter ſchier, 

Um zehen Jahre ſchien er jünger mir! 


Er iſt in voller Manneskraft erblüht, 
Ich welke mit verbittertem Gemüt! 
Ich büße leichte Jugendſünde ſchwer, 
Den Fluch des Böſen überwindet er! 


Er atmet unbeklommen, altert heil, 
Und ich? Mir keucht die Bruſt — das Grab mein Teil! 


Er wird von einem guten Sohn geehrt, 
Wann längſt mich ekles Erdgewürm verzehrt ... 


Dort gleitet durch die Flut des Mörders Boot — 
Kein Wetter brütet, keine Wolke droht! 
Gerechtigkeit, biſt du nicht außer Amt, 

Wirf einen Blitz, der tötend niederflammt! 
Dort fährt ein Mörder! Hör, Gerechtigkeit, 
Was dir der Hutten in die Ohren ſchreit! 

Der Himmel lacht in unverwölktem Licht — 
He, haſt du Ferien, himmliſch Hofgericht? 

Die Wage falſch! Gefälſcht das Schuldenbuch! 
Wie Wetterlaunen walten Heil und Fluch — 
Halt! Frevle nicht! Die Läſtrung ſei verweht! 
Beleid'ge, Hutten, nicht die Majeſtät! 


199) 
1 
197) 


324 


LIX 


Sturm und Schilf 
Mit Gott zu hadern iſt nicht wohlgetan, 
Es lockt Geſellſchaft von Dämonen an. 


Durch meine Fenſterluke ſpäh ich vor, 
Der Wurf der Welle ſprüht zu mir empor. 


Den ſchwarzen Rieſenbaum am Inſelhorn 
Umlodert flammender Gewitterzorn. 


Aufrauſchts im Schilf, wild fährt der Sturm einher, 
An tiefſten Lebenswurzeln rüttelt er. 


Der Teufel ſauſt im Wind und pfeift und lacht 
Und meinen Namen ruft er durch die Nacht. 


„Hei Hutten, der, von Wellenſchaum umſpritzt, 
Auf einer öden Kloſterinſel ſitzt! 


Du gleichſt dem Helden deines Scherzgedichts, 
Du biſt der Niemand und zerrinnſt in Nichts! 


Der du gedurſtet und gehungert haſt, 
Hinweg! Mach Raum für einen klügern Gaſt! 


Dir ſchlag ich eine Grabesinſchrift vor: 
‚Er focht für Wolken und er war ein Tor.“ 


Fahr hin! Doch eh du ſtirbſt, der Welt ein Spott, 
Erleichtre dir das Herz und läſtre Gott!“ 


— Gebärde, Teufel, dich nicht allzu wild! 
Entgegen halt ich dir des Glaubens Schild! 


Den lichten Helm des Heils zerſpellſt du nicht 
Mit deinen Feuerpfeilen, Böſewicht! 


Ein Gutes gibts! Du biſt mir ärgerlich — 
Und eine Wahrheit! Teufel, hebe dich! 


Geſättigt wird das menſchliche Geſchlecht 
Mit Wahrheit werden und getränkt mit Recht! 


Der Sturm verſtummt. Der Hohn des Böſen ſchweigt ... 
Dort! Ein Gebilde, das dem Schilf entſteigt! 


Es ringt die Hände, wie ein Geiſt in Pein! 
Erblaßt und jammernd, wie mein Mütterlein! 


„Was wandelteſt den Frieden du in Streit? 
Warum zerſtörteſt du die alte Zeit? 


Wo dich die Kirche liebevoll umfing 
Mit ihrer ſieben Gaben heil'gem Ring! 


Wo dich die Kirche mütterlich begrub 
Und triumphierend in die Himmel hub! 


Der den erprobten Segenskreis zerriß, 
Biſt, Hutten, du des neuen Pfads gewiß?“ 


— Wer flüſtert mir ſo traute Worte zu? 
Verſchlagner Dämon, wieder biſt es du! 


Ich glaube nicht an alter Zeiten Glück! 
Ich breche durch und ſchaue nicht zurück! 


Hinüber retten wir in neue Zeit 
Und edle Form den Hort der Frömmigkeit. 


Wir ziehn! Die Trommel ſchlägt! Die Fahne weht! 
Nicht weiß ich, welchen Weg die Heerfahrt geht. 


Genug, daß ihn der Herr des Krieges weiß — 
Sein Plan und Loſung! Unſer Kampf und Schweiß! 


Geſiegt! Doch ſchwer! Mir keucht die Bruſt ſo bang, 
Wie einem Menſchen, der mit Rieſen rang. 


325 


3 


Ex 
Die Menfhhett 


Ich ſchaute — wunderſamer Morgentraum — 
In eines Kampfs geſtaltenvollen Raum. 


Ein mächtig Ringen wars der Geiſterwelt, 
Von wehnden Flammen wechſelvoll erhellt. 


In Welſchland, wenn ich mich beſinnen mag, 
Sah ſchier ich ſo gemalt den Jüngſten Tag: 
Wo, ſtreng gerichtet, was von Even ſtammt, 
Zur Hälfte ſteigt, zur Hälfte ſinkt, verdammt. 
Doch nein! Die letzte Scheidung war es nicht. 
Es war ein mut’ger Sturm empor ins Licht! 


Sie rangen alle mit vereinter Kraft, 
Beſeelt von Eines Kranzes Leidenſchaft. 


Wankt einer wie gelähmt von Pfeilgeſchoß — 
Den riß empor ein ſtärkrer Kampfgenoß, 

Und mancher Kühne ſtieg in ſchwerem Flug, 
Der einen Wunden auf der Schulter trug. 
Da hab ich eines Führers Ruf gehört: 

„Der Kerker,“ ſchrie er, „Geiſter, iſt zerſtört! 
Das Tor gebrochen! Offen iſt die Bahn! 
Befreit die Brüder! Auf! Empor! Hinan!“ 
Aus lichten Wolken ſcholl Poſaunenton, 

Doch wars ein Siegesjubel, nicht ein Drohn. 
Da plötzlich ſtund ich im Gewölke vorn 

Und ſtieß aus voller Bruſt ins Jägerhorn. 
Aufſchwebt' der ſel'ge Zug in mächt'gem Drang, 
Ich ſtieß ins Horn, daß mir das Herz zerſprang. 


TB RN EN 


LXI 


Feldmann 
Land, Waſſer, Himmel — rings dasſelbe Grau! 
Wer ahnte deine Anmut, Ufenau? 


Im Schilfe ſchwadert eine Entenſchar 
Und kündet frühen Winter dieſem Jahr. 


Des Schaffners „Feldmann“ ſtellt zur Jagd ſich dort. 
Noch eine Birſch, bei meinem Ritterwort! 


Mir hangt ein ländlich Armbruſt an der Wand... 
Hier iſts! Der Spanner fehlt — ich ſpann von Hand... 


Gehorche, Ding! Schon manches Seil geſtrafft 
Hat dieſe Fauſt ... Verdammt! Mir fehlt die Kraft! 


Wie? eine Träne? ... Nieder, täppiſch Tier! 
Der wackre Köter leckt die Wange mir. 


Gelt, wer die Armbruſt nicht mehr ſpannen kann, 
In deinen Augen iſts ein armer Mann! 


Die wilde Jagd des Lebens geht zu End... 
Komm! Sehn wir, ob im Herd ein Feuer brennt. 


328 


LXII 


Der „arme Heinrich“ 
Heut ſaß ich armer Ulrich ſtill daheim 
Und las den „armen Heinrich“, Reim an Reim. 


Des ſiechen Ritters Abenteuer las 
Ich gerne, der durch Wunderwerk genas. 


Ihr braven Heil'gen, könnet — frag ich nun — 
Am Hutten ihr ein ſchließlich Wunder tun? 


Am Hutten? Nein. Da fühlt er ſelber, wißt, 
Wie das von euch zu viel gefordert iſt. 


LXIII 


Anzeige 
Mein Ende ſteht bevor! Mir hat geahnt. 
Mich hat mein Franz der Sickingen gemahnt. 


Ich ſaß im abendſtillen Kämmerlein 
Juſt zwiſchen Tageslicht und Ampelſchein — 


Stracks ging ein Reutersmann durch mein Gelaß. 
Er trug ein rot Barett. Mir ſchien er blaß ... 


Ha, Sickingen, du biſts, mein Kampfgeſpan! 
An meine Bruſt, du redlicher Kumpan! 


Da log Frau Fama wieder einmal dreiſt! 
Sie rief ins Land, daß du getötet ſeiſt. 


Du lebſt, mein Vielgetreuer! Du entrannſt! 
Ich gönne dirs, daß du noch fechten kannſt ... 


Er ſchwieg. Ich ſah des Auges mindre Glut, 
Das ſonſt ſo trutzig drohte unterm Hut. 


Doch ſchaut' er ſelig, da die Schattenwelt 
Für einen Helden keine Schmach enthält. 


An mir vorüber ſchritt er ohne Wort 
Und wandte noch ſich an der Schwelle dort 


Und winkte mir gelaſſen mit der Hand, 
Als wollt er ſagen: Komm nun! — und verſchwand. 


LXIV 


Der letzte Brief 


Mein lieber und gewogner Prugner, merk 
Es dir und ſchick mir etwas Feuerwerk! 


Die Leſe naht. Da blitzt und pufft und knallt 
Es rings um meinen Inſelaufenthalt. 


Raketen kreuzen ſich. Der Völler kracht. 
Lodernde Räder rollen in der Nacht. 


Nicht was ſich dreht und ſchwingt und ſpritzt und ſprüht, 
Schick eine Leuchte mir, die ſtetig glüht! 


Schick eine Kugel mir, die ruhig ſteigt 
Und meiner Inſel ganzen Umriß zeigt! 


An meinem letzten Feſte koſt im Schein 
Der Geiſterfackel ich den neuen Wein. 


330 


LXV 


Die Traube 


Freund Holbein, fehlt im Totentanze dir 
Der Dichter noch, ſo komm und mal mich hier, 


In meinem Seſſel ſchlummernd ausgeſtreckt, 
Das Angeſicht mit ſtillem Blaß bedeckt! 


Daneben trete leis der Tod ins Haus, 
Doch laß mir lieber weg der Senſe Graus! 
Am Bogenfenſter ſiehſt die Traube du? 

Die male goldig angehaucht hinzu! 

Ein blitzend Winzermeſſer gibſt du dann 
In die verdorrte Hand dem Knochenmann! 


Und der Verſtänd'ge merkt des Bildes Sinn, 
Daß ich die Edeltraube ſelber bin, 


Die heut gekeltert wird und morgen kreiſt 
In Deutſchlands Adern als ein Feuergeiſt. 
LXVI 


Das Kreuz 
Heut iſt der erſte leidenvolle Tag, 
Da ich mich nicht vom Lager heben mag! 


Auf ſeiner Meeresinſel ſtöhnt und fleht 
Und wimmerte der wunde Philoktet; 


Mir geht das Jammern wider die Natur, 
Weit eher noch entführe mir ein Schwur. 


Doch beiß ich ſchweigend nur die Lippe mir; 
Denn als ein Chriſt und Ritter lieg ich hier. 


Fernab die Welt. Im Reiche meines Blicks 
An nackter Wand allein das Kruzifir. 


In heilen Tagen liebt in Hof und Saal 
Ich nicht das Bild des Schmerzes und der Qual; 


Doch Qual und Schmerz iſt auch ein irdiſch Teil, 
Das wußte Chriſt und ſchuf am Kreuz das Heil. 


Je länger ichs betrachte, wird die Laſt 
Mir abgenommen um die Hälfte faſt, 


Denn ſtatt des Einen leiden unſer Zwei: 
Mein dorngekrönter Bruder ſteht mir bei. 
LXVII 
Ein chriſtliches Sprüchlein 


In meinen Leidensnächten ohne Stern 
Erlab ich mich an guter Sprüche Kern. 


Sanct Paule, der du mir zu jeder Friſt 
Aus dem Apoſtelbund der liebſte biſt, 


Eins deiner Sprüchlein ſo von ungefähr 
In bittern Nöten bet ich vor mir her: 


„Es ängſtet ſich, es ſehnt ſich allezeit 
Die Kreatur in ihrer Endlichkeit!“ 


Oft wird der edle Leib, das ſchöne Sein 
Zum dumpfen Kerker ohne Licht und Schein. 


Dann iſt es nicht ein hergebracht Gebet, 
Es iſt der Geiſt, der in uns ſeufzt und fleht, 


Und wärſt du, Gott und Herr, nicht ewiglich, 
Ein ſolches Stoßgebet erſchüfe dich. 


331 


LXVIII 


Ein heidniſches Sprüchlein 
Heut fiel mir wieder ein — ich weiß nicht wie — 
Ein Spruch aus Sokrates' Apologie: 


„Was wartet unſer, wann des Erdeſeins 
Unruhig Licht erliſcht — von zweien eins: 


Für ſel'gen Wandel ein bequemer Raum? 
Ein ungekränkter Schlummer ohne Traum?“ 


Wir Chriſten haben ein gewiſſes Licht, 
Doch auch ein Heidenſprüchlein ſchadet nicht. 


LXIX 


Der Strom des Lebens 


Mir war: ich fuhr in halber Finſternis 
Auf einem Strom, der mich von dannen riß. 


Unwiderſtehlich, ohne Friſt und Halt 
Entführte mich die jähe Stromgewalt. 


Vorüber glitten dunkel Stadt und Schloß. 
Ein ferner Donner ſcholl. Der Nachen ſchoß. 


Und ich erriet, daß ich den Rhein befuhr 
Ein wenig über ſeinem Sturze nur. 


LXX 


Scheiden im Licht 


Verſchärfte Schmerzen foltern mein Gebein, 
Doch, ſoll ich ſterben, muß es Morgen ſein! 


332 


Doch, ſoll ich aus der Welt von binnen gehn, 
So muß ich erſt erhellte Pfade ſehn! 


In meine Todesſchauer ſei gemiſcht 
Der Frühe Schauer, der das All erfriſcht! 


Verſtöhnen laß mich hier im Dunkel nicht, 
Befreie deinen Kämpfer, ſtarkes Licht! 


Auf deinen goldnen Schwingen trägſt du Heil, 
Erlege mich mit deinem erſten Pfeil! 


LXXI 


Abfahrt 


Ich reiſe. Freund, ein Boot! Ich reiſe weit. 
Mein letztes Wort ... ein Wort der Dankbarkeit... 


Auch dir, du Inſel, dunkle grüne Haft! 
Den Hutten treibt es auf die Wanderſchaft. 


Gewoge rings! Kein Segel wallt heran! 
Die Welle drängt und rauſcht! Wo iſt der Kahn? 


Es ſtarrt der Firn mir blaß ins Angeſicht. .. 
Die ſteile Geiſterküſte ſchreckt mich nicht... 


Ein einzler hagrer Ferge rudert dort... 
Schiffer! Hieher! Es will ein Wandrer fort! 


Du hältſt mich, Freund, in deinen Arm gepreßt? 
Bin ich ein Sklave, der ſich binden läßt? 


Leb wohl! Gib frei! Leb wohl! Ich ſpring ins Boot... 
Fährmann, ich grüße dich! Du biſt — der Tod. 


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Zertreviftion Don Friede 


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Ein firnbeglänztes Alpental, 
Durchſtreift in meiner Jugendzeit, 
Stieg vor mir auf mit einemmal 
In ſeiner herben Lieblichkeit, 

Mit ſeinem Himmel tief und rein 
Um düſter ſchroffes Felsgeſtein, 
Mit ſeinen hellen Waſſerſtürzen — 
Ich atmete die Kräuterwürzen! 
Was ohne Kunſt ich dir erzähle, 
Hab ich, o Leſer, nicht erſonnen, 
Es iſt des Alpentales Seele, 

Die hier von ſelbſt Geſtalt gewonnen. 


Fruͤhjahr 1872. 


22 Meyer. II. 337 


I 


Einſam und dunkelzackig ftand 

Des Engelberges ſchroffe Wand, 

Ein wild zerriſſen Felsgeſtein, 

Am Morgenhimmel blaß und rein. 

Steil ſenkte manche Schlucht und Rinne 
Sich von des Gipfels öder Zinne 

Und ſtieg in breiten, ſchatt'gen Falten 
Hinunter in der Nebel Walten. 


Genüber thronte ſilberbleich 

Der Titlis in der Lüfte Reich. 

Leis ſchwebt ihn an ein Roſenglimmer, 
Ihn überfliegt ein Freudeſchimmer, 
Des Königs blaſſes Haupt erwacht, 
Zu Lebensröten angefacht, 

Auf ſeine Stirne tritt das Blut 

Und immer wärmer ſtrömt die Glut, 
Den Purpurmantel nimmt der Greis, 
Dann weckt er ſeiner Diener Kreis, 
Und um den hohen frühen Alten 
Beleben ſich die Berggeſtalten. 

Die dunkel nun zu glühn beginnen, 
Das ſind des Engelberges Zinnen. 


Jetzt aus der Nebel duft'gem Wallen 
Steigt feierliches Glockenhallen, 

Und in des heil'gen Tones Kreis 
Zerteilen ſich die Schleier leis. 


338 


22* 


Das Klofter in des Tales Grund 

Tut feines Abtes Hingang kund. 

Es iſt das alte Gotteshaus, 

Zu dem die Pilgerwege führen, 

Seit hier geſiegt im Todesgraus 

Der Märt'rer Kurd von Seldenbüren, 
Und über ihm die Engel ſangen 

Und immergrüne Palmen ſchwangen. 


Es ruft der Glocken ehrner Mund, 

Bis morgenhell der Wieſengrund, 

Wo ſtattlich ſich die Klöſter ſonnen, 
Eins heil'ger Mönche, eins der Nonnen. 


Aus Bergestannenſchatten tritt 

Ein Mann mit rüſt'gem Wanderſchritt, 
Das ſchwarze Mönchsgewand geſchürzt, 
Der querfeldein die Wege kürzt. 

Ein feſt entſchlummert Mägdlein liegt 
Blond ſeiner Schulter angeſchmiegt, 
Er hält die zarte Laſt geborgen 

Im Prieſterkleid mit frommen Sorgen. 
Raſch ſchreitet durch die feuchten Aun 
Er hin zum Kloſtertor der Fraun 

Und vor dem heil'gen Zufluchtsorte 
Pocht kräftig jetzt er an die Pforte. 


Da wird vom kleinen Gitter oben 

Gemach das Lädlein weggeſchoben, 

Und es beſcheint das Tageslicht 

Ein runzelvolles Angeſicht. 

Er grüßt: „Gelobt ſei Jeſus Chriſt!“ 

— „In Ewigkeit!“ ſpricht Schweſter Marthe, 
„Hilar, Ihr kommt zu guter Friſt, 

Schon ſeit der erſten Frühe harrte 

Ich ſehnlich, daß mir Nachricht werde, 

Wie unſer Gnäd'ger ließ die Erde. 


339 


340 


Wohl, dacht ich, wird ſich heut erwahren, 
Daß ſingend Engel niederfahren, 

Wie's frommen Abten oft geſchehn 
Vorzeiten beim Vonhinnengehn. 

So gab ich auf das Wunder acht 

Und lauſchte ſtill die ganze Nacht. 

Da hört ich um die Morgenhelle 

In meinem eifrigen Gebet 

Muſik der himmliſchen Kapelle, 

Vom Engelberge hergeweht.“ 

Jetzt wiegt gedankenvoll Hilar 

Das Haupt und ſpricht: „Du redeſt wahr! 
Was hier dein gläubig Ohr entzückt, 

Am Berg ward ichs zu ſchaun beglückt.“ 
— „um Gott, Ihr ſaht den Engelreigen?“ 
— „Demut gebietet mir zu ſchweigen.“ 
— „Zu ſolchem wart Ihr auserwählt? 
Geſegneter des Herrn, erzählt!“ 

— „So höre, kann es dich erbaun, 

Was ich gewürdigt ward zu ſchaun; 
Doch kümmerlich nur kann erreichen 
Mein armes Wort, was ohnegleichen. 
Kurz ehe Tag und Nacht ſich ſcheiden, 
Stieg auf ich zu des Rotſtocks Weiden, 
Allſommerlich muß dort nach alten 
Gebräuchen ich die Meſſe halten, 

Und eben klettert ich entlang 

Des Engelberges ſteilen Hang. 


Ein Wölklein ſchwebt' am Firmament, 
Als hätt es, eine weiße Locke, 

Vom Titlishaupt ſich losgetrennt, 

Doch immer ſchneller wuchs die Flocke, 
Sie flog im Morgenwind heran 

Und dehnte ſich zum Wolkenkahn. 
Beweglich ſchienen ſeine hellen 


Durchſichtgen Segel ſich zu ſchwellen, 
Es ließen ihn die dienſtbereiten 
Frühwinde raſch talüber gleiten, 
Und wenn ihm eine von den ſcharfen 
Berglüften nah vorüberſtrich, 
Erſchauert' es wie Geiſterharfen, 
Wie ſüße Saiten regt' es ſich. 


Es war die Barke oder Wolke 
Gefüllt mit feſtlich frohem Volke. 
Inmitten ſtand in wehndem Schleier 
Die hehre Königin der Feier, 
Cäcilia mit ſelgem Schall, 

Des Paradieſes Nachtigall, 

Umringt von edler Knaben Schar; 
Und aus dem Nachen hier und dort 
Sahn blonde Kinder morgenklar 
Mit frohen Augen über Bord. 


Jetzt hat der Nachen angelegt, 

Wo hoch der Berg die Zinne trägt. 
Den Felſengipfel wild gezackt 

Betritt die Meiſterin im Takt, 

Und mit den Flöten, mit den Geigen 
Umlagert ſie der helle Reigen, 
Bereit den Abbas zu begrüßen; 

Die Kleinſten ſaßen ihr zu Füßen, 
In ihres Mantels Schutz gehalten, 
Und ſpielten mit den Purpurfalten. 


Ich ſchlich mich klimmend in die Nähe, 
Ob ich vernehme, was geſchähe. 

Andächtig an verborgnem Orte 

Hört ich der Heilgen ſüße Worte. 

Sie ſprach: „Sein Stündlein iſt gekommen 
Dem greiſen Engelbergerabt, 


341 


Herr Heinrich war vor allen Frommen 
Mit Liebe zur Muſik begabt, 

Der Violine ſüße Geiſter 

Gehorchten ihm als ihrem Meiſter. 
Sankt Jürg, der flugs vom Leder zieht, 
Iſt tapfern Rittern ein Behüter, 

Ich hege, das iſt mein Gebiet, 
Melodiſch friedliche Gemüter. 

Herr Heinrich hat mir frommgemut 
Kapell und Altar aufgebaut, 

Da ſteht mein Bild in Roſenglut 

Und lächelt hold wie eine Braut. 

Sein Kloſtervolk erzog er ſich 

Mit Hunger nicht und Geißelſtreich, 
Er ſchufs mit ſanftem Bogenſtrich 
Zum heiligſten im deutſchen Reich. 

Doch nun iſt ihm das Blut verſiegt, 
Ich ſehe, daß er ſterbend liegt. 

Noch möcht er nach dem Bogen greifen, 
Doch iſt er ſeiner Hand zu ſchwer, 

Und mit der abgezehrten, ſteifen 
Pflückt auf der Decke Blumen er. 
Stimmt an! Daß ihm der Tod nicht bang, 
Tun wir ihm Beiſtand mit Geſang!“ 


Sie winkt! Ein heller Chor erſcholl, 
Ein Kinderjubel himmliſch klar, 
Der Heilgen mächtge Stimme quoll 
Aus Herzenstiefen wunderbar. 

Und, ſieh, da kam der Abt gezogen, 
Das Antlitz licht und das Gewand, 
Und Geige gaben gleich und Bogen 
Sie dem Verklärten in die Hand. 
Herr Heinrich muſizierte leis, 
Umgaukelt von dem hellen Kreis. 
Wie ſich ein Kranz in Eile flicht, 


Wie Blume ſich an Blume reiht, 
Schwebt' Angeſicht an Angeſicht 

In unſchuldsvoller Fröhlichkeit; 

Und mit verſtärkter Macht erſcholl 
Der Jubelſturm, der Freudechor, 
Der Zug bewegt' ſich wonnevoll, 
Und wiegte ſich, und ſchwand empor. 


Wie noch ich in Verzückung ſtand, 
Quoll Glockenton aus Talesgründen, 
Den Kloſterleuten rings im Land 

Des frommen Herren Tod zu künden.“ 


Jetzt faltet Marthe froh die Hände 

Und ſpricht: „Fürwahr, ein herrlich Ende!“ 
Fortfährt Hilar nach kurzem Sinnen: 
„Hei, dacht ich, das ging raſch von hinnen! 
Wenn ſie ſo keck gen Himmel fahren, 
Mich ſollt es wundern, ob nicht Eines 
Zurückblieb aus den hellen Scharen, 

Ob nicht verloren ging ein Kleines? 

Wo Englein rings an Englein lacht, 
Wie hätte man auf jedes acht? 

So denkend, ſchon gewandt zum Gehn, 
Fiel ein mir, rückwärts noch zu ſehn. 

O Wunder! An des Berges Zinnen 

Sah wehen ich ein blankes Linnen! 

Ich trat heran. Da ſaß ein Kind, 

Mit ſeinen Locken ſpielt' der Wind, 

Zum Hemdlein war die lichte Schwinge 
Gewandelt! Das find hohe Dinge! 

Ein Mägdlein ſchiens. Wie ging das her? 
Es iſt dem Menſchengeiſt zu ſchwer! 

Die Heil'ge war nicht zu errufen, 

So hob ichs in die Arme ſacht 

Und ſtieg hinab des Berges Stufen. 

Hier iſts! Ich hab es dir gebracht.“ 


343 


II 


Die Pförtnerin des Kloſters ſtand, 

Ein blondes Mägdlein an der Hand, 
Vor der Abtiſſin Angeſicht, 

Drin Strenge dämpft der Schönheit Licht. 
Demütig klingt das Wort der Alten: 
„Wohl kann ich noch der Pforte walten, 
Doch, wenns die ſtrenge Regel litte, 
Hätt ich, Frau Mutter, eine Bitte. 
Mein Ohr wird taub, mein Tritt wird ſchwer, 
Mein Blick hat keine Schärfe mehr. 
Dies Waislein, das heut hergekommen, 
Und das ſo fremd und ſchüchtern blickt, 
Zu Hilfe mir und ihm zu Frommen 
Hats uns der liebe Gott geſchickt. 

Mir wärs zu manchem Dienſte ſchicklich, 
Wenn erſt ichs unterwieſen habe, 

Und jetzt ſchon iſt es mir erquicklich 

Als Alterstroſt und Augenlabe. 

Erhöre, Herrin, mein Geſuch, 

Mit deiner Herde laß es weiden! 
Gewähr' ein Reſtchen Kloſtertuch, 

Das nackte Würmchen zu bekleiden!“ 
Dann raunt' zum Kinde ſie gewandt: 
„Arm Engelchen, küß ihr die Hand!“ 
Und nieder auf die fremde Kleine 
Blickt' flüchtgen Augs die ſtolze Reine 
Und winkte gnädig lächelnd: Ja. 


So blieb im Kloſter Angela. 


Im Gotteshaus. Doch fern den Zellen 
Und unbekannt den Himmelsbräuten, 
Reicht ſie mit Marthen vor den Schwellen 
Die Zehrung armen Pilgersleuten. 
Hilarius riet der gläubgen Alten, 


344 


Das Wunder ſtill für fich zu halten. 
Sie ſchwieg, doch ihre Luſt iſt groß, 
Daß ſie zu pflegen ward erleſen 

Ein Kind, das in Cäciliens Schoß 

Ein ſingend Englein ſchon geweſen. 
Die fromme Neugier, ungeſtillt, 

Ward täglich ſchwerer ihr zu tragen, 
Bis einſt der Mund ihr überquillt, 
Verblümt den Engel auszufragen: 
„Siehſt du die Herde, Kind, im Blau? 
Die Schäfchen auf der Himmelsau? 
Sie ziehn zum Engelberge dort — 
Beſinne dich! Du kennſt den Ort! 

Du warſt ja bei den Reinen droben, 
Die Gott mit feinen Harfen loben! 
Du ſchwebteſt durch den Himmelsglanz 
Auf Flüglein ſchon im Ringeltanz! 


Du ſchweigſt? Heut biſt du nicht gelaunt? 
Flögſt wieder lieber mir von hinnen?“ 
Das Kindlein ſieht ſie an erſtaunt 

Und ſinnt; es kann ſich nicht beſinnen. 
Sein Blondkopf ſinkt vom Denken ſchwer, 
Bis es entſchlummert in den Decken. 
Frühmorgens iſt ſein Lager leer 

Und Marthe außer ſich vor Schrecken! 


Im Hemdlein wandert durch das Tal 
Ein Kind im Morgenſonnenſtrahl 

Und ſieht die Schäfchen hocherfreut 
Lichtweiß am Engelberg zerſtreut, 
Vergnügt will nach den Silberſtreifen 
Es wie nach hellem Spielzeug greifen. 
Dann ſetzt es, klüger ſchon bedacht, 
Ein Füßchen vor das andre ſacht 

Und wandert nach des Berges Neige, 


345 


346 


Daß ungeſäumt es ihn erſteige. 

Es ſchreitet durch der Matten Grün, 
Blaufalter flattern, Blumen blühn, 

Und allwärts winken und verlocken 

Im Wieſengrunde Stern' und Glocken. 
Die Kühe liegen wiederkauend, 

Aus braunen großen Augen ſchauend, 
Und eine hebt ſich, ſchön gefleckt, 

Die feuchten Nüſtern vorgeſtreckt, 

Es ſagt ihr Blick mit Neubegier: 

Wer iſt das feine Mägdlein hier? 

Ihr lacht das Kind ins Angeſicht: 

Was du mich fragſt, das weiß ich nicht! 
Jetzt klimmt es ſchon an ſteilerm Hang 
Und kriecht ein rauh Geſtein entlang, 
Doch hüten ſich die ſcharfen Spitzen, 
Die zarten Sohlen ihm zu ritzen. 

Nun aber ſteht es ſtill und lauſcht: 
Was kommt ſo eifrig hergerauſcht? 

Ein Gießbach, der ſich ſilbern ſchwingt 
Und über träge Felſen ſpringt. 

Es ſpricht: „Ich ſehe, du haſt Eile, 
Drum laß ich dich vorübergehn!“ 

Und es ergötzt ſich eine Weile, 

Den krauſen Wellen nachzuſehn. 

Jetzt, meint es, hüpft ins Tal er nieder, 
Da kommt er von der Höhe wieder. 
Müd ſetzt es ſich auf einen Stein 

Und harrt und harrt und ſchlummert ein. 


Am Felſen klirrt ein ſichrer Tritt, 
Es rieſeln Sand und Kieſel mit, 
Und einer Senſe ſchneidend Licht 
Blitzt über dunkelm Angeſicht. 

Ein Heuer trägt die duftge Laſt 
Von Gras in grobes Tuch gefaßt; 


Und wie das Mägdlein goldgehaart 
Am Bache ſitzen er gewahrt, 

So ruft er: „Wen erblick ich da? 
Die kleine Kloſterangela! 

Was willſt du an der Felſenwand?“ 
— „Heim zu den Himmelsſchweſterlein!“ 
Hell lacht er: „Kleiner Unverſtand! 
Da mußt du erſt geſtorben fein. 
Das hat noch Weile. Komme jetzt!“ 
Auf einen braunen Arm geſetzt, 
Kehrt Engel heim von ſeiner Flucht 
Zu Marthen, die verzweifelnd ſucht. 


Seit ſolches Unheil ihm entſproſſen, 
Blieb Marthens kluger Mund geſchloſſen. 
Nie läßt das Kind ſie außer acht, 

Mit Fleiß es hütend Tag und Nacht; 
Man fand es ſicherlich um Marthen, 
Im Pförtnerſtübchen und im Garten, 
Und mit der Alten durch die Luken 

Sah man ein luſtig Englein gucken. 
Gern folgte durch die Turmesengen 

Der Glöcknerin ſie zu den Strängen 

Und in der Glocken ſchütternd Hallen 
Ließ ſie das kleinſte Glöcklein ſchallen. 
Auch lernte ſie die Spindel drehn 

An ſonnenloſen Wintertagen 

Und durfte bunte Bilder ſehn 

Und hörte ſchöne Heil'genſagen. 

So lernte ſie die Märt'rer kennen 

An Rad und Roſt, an Schwert und Pfeil 
Und auf den erſten Blick benennen 

Nach eines jeden Todesteil. 


Im Chore war ſie nicht zu finden, 
Wann dort die Schweſtern Mette ſangen, 


347 


348 


Doch durfte fie die Sträuße binden, 

Die rechts und links am Altar prangen. 
Im Garten ſuchte ſie das Beſte 

Zum Farbenſchmuck der Kirchenfeſte, 

Mit vollen duftgen Blumenketten 
Bekränzte ſie die heilgen Stätten 

Und flocht aus weichem Moos und Eppich 
Dem Fuß des Prieſters einen Teppich. 


Und wann die Kirche ſie betrat, 

Ob morgens früh, ob abends ſpat, 
Vor Gottes Mutter fromm das Knie 
Zu beugen, ſie verſäumt' es nie, 

Sie grüßte treugeſinnt die Milde, 
Die auf gen Himmel fährt im Bilde. 
An ihrem Wolkenſchemel hangen 
Die Engelknaben ohne Bangen. 

Und einer lacht ſie ſchelmiſch an: 
Da biſt du wieder, Herzgeſpan! 

Und einer neigt ſich aus dem Chor 
Und ſtreckt die Hand: Fahr mit empor! 


III 


Zwölfmal des Eiſes Decke ſchmolz, 
Zwölfmal ergrünte friſch das Holz; 
Doch Engel kümmert' nicht die Flucht 
Der Zeit, der eilgen Stunden Jagd, 
Sie wuchs in Fleiß und ſtrenger Zucht 
Empor zur ſchlanken, hohen Magd. 

Ihr Antlitz ſchimmert blaß und fein, 
Märzglocken gleich am feuchten Rain, 
Die halb noch blühn im Winterſchatten, 
Bevor die Sonne wärmt die Matten; 


Doch ihrer weißen Stirn entſproß 
Von blonden Haaren eine Macht, 
Die ſich verſchwenderiſch ergoß 

In ſchwerer Ringe goldner Pracht, 
Und unter dieſen ſtolzen Wogen 
Ging ſie, den Nacken ſtill gebogen. 


Vor wenig Tagen wars geſchehn, 

Daß Schweſter Marthe, wohl verſehn 
Mit Troſt, in friedlichem Erblaſſen 
Die Zeit geſegnet und verlaſſen. 

Im leeren Pförtnerkämmerlein 

Hauſt Engel nun am Tor allein. 


Sturm brauſte, Mitternacht war nah, 
Als an das Tor ein Schlag geſchah, 
Und durch das Fenſterlein, das enge, 
Schaut Engel in ein Roßgedränge. 

An Lanzen, Helm und Harniſch bricht 
Sich unſtet flackernd Fackellicht. 

Die Renner ſtampfen mit den Hufen, 
Von wilden Stimmen wird gerufen, 


Und wieder kracht aufs Tor ein Streich: 


„Wir ſind erwartet! Offne gleich!“ 


Da eilt ſie durch des Hofes Schweigen, 
Die Kloſtertreppen zu erſteigen, 

Es fallen auf die dunklen Steine 
Der Bogenfenſter helle Scheine, 
Noch brennt die Ampel im Gemach, 
Noch iſt die Abbatiſſin wach. 

Auf des gewölbten Ganges Wegen 
Tritt ihr die Herrin ſchon entgegen 
Und tut ihr mit geſtrengem Mund 
Des Kloſters ſpäte Gäſte kund: 
„Mein Bruder iſt, der Kyburg, da. 
Schließ auf die Pforten, Angela!“ 


350 


Raſch öffnet fie des Tores Flügel, 
Und Herr und Dame ritten ein, 

Die Fremde gleitet aus dem Bügel, 
Eh man zu Dienſt ihr konnte ſein, 
Und als an der Abtiſſin Hand 

Sie auf der Kloſterſchwelle ſtand, 
Wie war ſie ſtill, wie war ſie bleich, 
Als trete ſie ins Totenreich! 

Und die das weiße Bild gebracht, 
Verſchwanden wieder in die Nacht. 


Sobald der Wintermorgen wach, 
Ward in der Herrin Vorgemach, 

Das ſtets mit Demut ſie gemieden, 
Die blonde Angela beſchieden. 

Am Fenſter ſaß die fremde Maid, 

Die Stirn gefurcht und ſchwer von Leid, 
Verſunken in die Flocken ſtarrend, 
Auch ſie der Abbatiſſin harrend. 
Aufſchreckt die Träumende das Wort 
Der Mutter: „Friede ſei mit dir! 
Dich, Engel,“ fuhr die Herrin fort, 
„Geb ich dem edeln Fräulein hier 

Zu Dienſt und Pflicht in meinem Haus. 
Was ſie dich heißt, das richte aus. 

Sei willig ihr zu allem Guten, 

Was ihr beliebt, dir zuzumuten. 

Zeigſt du dich treu, wo du berufen, 
Heb ich dich wohl zu höhern Stufen, 
Denn, ob du auch von den Geringen, 
Zur Laienſchweſter kannſt dus bringen. 
Sei, Nichte, hier in deiner Stille 


Dir tröſtlich Engels guter Wille!“ 


Und Engel zeigte ſich getreu 
Und ließ ſich dienſtbar gern erfinden, 


Doch blieb ihr eine bange Scheu 

Vor ihrer Herrin zu verwinden, 

Und oft mit leiſer Furcht betrachtet 
Sie dieſes Antlitz ſchwer umnachtet. 
Die Brauen ſchließen ſich, die feinen, 
Auf friedeloſer Stirn zuſammen, 
Und unter ſeidnen Wimpern ſcheinen 


Bald trüb die Blicke, bald wie Flammen. 


Oft ſaß ſie da in trägem Staunen, 
Oft ſchritt ſie ſchnell und ohne Raſt, 
Heut iſt ſie herriſch, herb von Launen, 
Und morgen weich und kindlich faſt. 
Unnahbar jetzt in ſich verſchloſſen, 
Mit heißen Tränen dann begoſſen. 
Oft ſucht ſie eifrig in der Schrift 
Nach einem Spruch, der ſie betrifft, 
Dann läßt ſie wieder, leer an Glauben, 
Die heil'gen Rollen ſich beſtauben; 
Und nimmt die Laute ſie zur Hand, 
Läßt mitten in den ſüßen Tönen 

Sie wie an einer Felſenwand 

Ihr Lied zerſchmettern und verſtöhnen. 


So hauſten in derſelben Zelle 
Das dunkle Weſen und das helle. 


IV 


Noch lag der blanke Schnee im Tal, 
Doch ſchien der Märzenſonne Strahl. 
Zur Mittagſtunde rauſchte ſchon 

Des Schmelzens friſcher Rieſelton, 
Doch unterm Himmel licht und warm 
Lag kalt die Erde noch und arm. 

Am Gitterfenſter heiſchten Speiſe 


351 


352 


Der Sperling und die Spiegelmeiſe; 
Und Engel, ſaß die Herrin ſtumm, 
Vom Gram verdunkelt um und um, 
Begann die Vögel zu erfreuen, 
Brotkrumen auf den Sims zu ſtreuen, 
Und durch die Gitterſtäbe ſchritten 
Sperling und Fink mit freien Sitten, 
Das fromme Kloſter, wußten ſie, 
Ermangelt reichen Vorrats nie. 


Als einſt ſie durch das Gitter ſchlüpften 
Und luſtig auf dem Simſe hüpften, 
Fuhr auf im engen Zellenraum 

Schön Jutta wie aus böſem Traum, 
So daß erſchreckt von ihrem Feſte 
Entflohen die geſtörten Gäſte. 

Sie trat ans Fenſter, ſeufzte tief, 

Sie griff durchs Gitter und ſie rief: 
„Huſch! Dürft auch ich die Flügel regen! 
Fortbrauſen mit dem wilden Bach! 
Schon vor der Sonne auf den Wegen 
Und noch mit Mond und Sternen wach, 
Mein Brot erbettelnd ohne Scham, 
Statt zu verſchmachten hier im Gram!“ 


Da ſah ſie Engel an entſetzt, 

Sprach: „Rauh iſt noch der Winter jetzt! 
Und rauh iſt auch der Menſchen Art, 

Der Erdenweg bedornt und hart. 

Sind nicht wir in des Kloſters Hut 
Bewahrt vor Fehl und Fährde gut?“ 


Drauf Jutta: „Wie du kindiſch biſt! 
Du weißt nicht, was das Leben iſt! 
Was wärs, was dich von dannen triebe, 
Kennſt doch du weder Haß noch Liebe! 
Doch wer den ſtolzen Fluch verſucht, 


Der auf des Glückes Gipfel führt, 
Doch wer die ſüße Lebensfrucht 

Mit durſtgen Lippen ſchon berührt, 
Der lernt die Höhn und Tiefen kennen, 
Der weiß, wie Haß und Liebe brennen, 
Und ob er auch zerſchmettert wäre, 
Ihn ſchaudert vor der Kloſterleere. 


Hör an! Du wirſt mich nicht verraten! 
Ich ſeufze hier im Kerker, Kind! 
Gewalt an meiner Freiheit taten, 

Die mir zum Schirm verpflichtet ſind. 
Ich bin verwaiſt ſeit jungen Tagen, 
Man hat mich von der Eltern Gruft 
In meines Oheims Burg getragen, 
Kyburg, umweht von Waldesluft. 

Mit mütterlicher Treue minnte 

Die Muhme mich, die mildgeſinnte. 
Vom Ohm war wenig nur die Rede, 
Er lag am Hof und zog in Fehde. 

Zu Haus erſpeichert der Verhaßte 
Durch ſchnöden Druck das dort Verpraßte. 
Ihm lebt ein Sohn — er gleicht ihm nicht! 
Wir ſpielten an der Muhme Knie, 
Vom Morgenſchein zum Abendlicht 
Verließ er die Geſpielin nie. 

Er machte ſich mit mir zu ſchaffen, 
Daß ich die Armbruſt führen lerne. 

Im Winter ſaßen wir beim Pfaffen 
Vor einem Buch und lernten gerne; 
Und als wir wuchſen, ward der Jagd 
Von uns gepflegt im grünen Tann, 
Den Junker und die Edelmagd, 

Die kannt und grüßte jedermann. 
Wetteifernd blieben wir Genoſſen 

Mit gleichen Waffen, gleichen Roſſen. 


23 Meyer. II. 853 


Mich machte Feine Kluft erbleichen, 
Denn nicht an Mut wollt ich ihm weichen. 


Und einig erſt in Kindesmut, 

Bald wurden wirs in Liebesglut. 

Und tat es nicht der Muhme Mund, 
Ihr Auge ſegnet' unſern Bund. 

Sie ſtarb und ließ mich Herrin faſt, 
Mir huldigte Geſind und Gaſt. 

Doch eines Tags, weh unſerm Glück! 
Kehrt unverſehns der Ohm zurück. 

Er grüßt mich kaum, ſo rief er ſchon 
An ſeine Seite ſich den Sohn. 

Erſt leert' er jach den vollen Becher, 
Dann ſprach zurückgelehnt der Zecher: 
„Hug, eine Herrin muß aufs Schloß! 
Ich kürte dir ein Ehgenoß, 

Das Fräulein iſts von Rapperswyl. 
Der Handel eilt, wir reiten morgen, 
Denn drüben gibts ein Ritterſpiel; 
Das Weitre magſt du ſelbſt beſorgen. 
Das Goldkind iſt uns zugeſagt, 

Wir reiten morgen, eh es tagt.“ 


Ich ſtand dabei mit dumpfer Stirn, 
Er ſah mich an: „Du, bleiche Dirn, 
Du mußt, ich kann dirs nicht erſparen, 
Nach Engelberg ins Kloſter fahren. 
Schon ſandt ich deſſen Kunde geſtern, 
Dort waltet eine meiner Schweſtern. 
Du biſt von altem edlen Blut, 

Doch freit dich keiner ohne Gut. 

So magſt in Kirchendienſt du treten, 
Für unſrer Seelen Heil zu beten.“ 


Hug konnte keine Friſt erbitten, 
Und als ſie früh vor Tag verritten, 


354 


23* 


Stand ich am Tor im Morgentaue, 
Von Harm das Auge ſchwer befeuchtet, 
Er ſchwieg, doch hat ein: Harre, traue! 
In ſeinem Blicke hell geleuchtet. 


Ich hab ihn nimmermehr geſehn! 

Nach dreien Tagen iſts geſchehn, 

Da ſtieß der Türmer grell ins Horn, 
Einritt der Graf in wildem Zorn 

Und herrſcht' mich an: „Mach dich bereit! 
Nach Engelberg! 's iſt hohe Zeit!“ 

Jetzt kennſt du meines Unheils Lauf, 
Tatſt du ja ſelbſt das Grab mir auf!“ 


Stumm lauſchte Engel der Geſchichte 
Der Herrin ſtumm und atemlos, 
Dann rollten ihr vom Angeſichte 

Die hellen Zähren in den Schoß. 
„Wir wollen zu den Heilgen flehn,“ 
Sagt ſie, „ſo wird es beſſer gehn, 
Und Eines ſicher dir beſchieden, 

Ob Erdeglück, ob Himmelsfrieden. 


Komm, knien wir vor den Helfern!“ — „Nie,“ 


Schreit Jutta wild, „ich haſſe ſie! 
Lang lag ich auf den Knien betört, 

Es hat mich keiner je gehört! 

Nein, laß uns raten, laß uns ſinnen! 
Doch, ach, ich kann ja nichts beginnen! 
Wüßt ich, wo der Geliebte weilt, 

Ich wäre längſt zu ihm geeilt, 

Die Riegel hätt ich längſt zerbrochen, 
Gelaufen wär ich Tag und Nacht 

Und hätte mich mit Herzenspochen 

Im Jubel ihm zurückgebracht! 

Doch er, er kennt ja meine Ketten! 

Er muß mich ſuchen, muß mich retten! 


355 


356 


Wär er durchſtrömt von meinem Blut, 
Er ſteckt' in Flammen dies Gemäuer, 

Er trüg in Liebesfrevelmut 

Mich hoch im Arme durch das Feuer! 
Und kommen wird er — Engel, glaub 
Es mir — und holen ſeinen Raub! 

Ich bin umſtellt, ich bin bewacht, 

Auf dich, o Kind, hat keiner acht. 

Du kennſt den Turm, du weißt die Pforten, 
Laß Blicke ſchweifen allerorten! 

Steig auf die Höhe, nimm den Lauf 
Bis an des Kloſtertales Grenzen, 

Sieh, ob von Grafenort herauf 

Nicht Speere durch die Tannen glänzen! 
Geh täglich, ſtündlich! Hab Erbarmen, 
Bring Luſt und Leben einer Armen!“ 


Und Engel ging. Und klang ein Huf, 
Blitzt' ein Geſchirr, erſcholl ein Ruf, 
So pocht' ihr freudig ſelbſt das Herz, 
Sie fühlte ſelbſt Enttäuſchungsſchmerz, 
Wenns friedlich nur ein Säumer war 
Mit ſchwer beladner Mäuler Schar, 
Die langſam, eines nach dem andern, 
Auf rauh beſteinten Pfaden wandern. 


So zwiſchen Hoffen und Verzagen 
Spann eine Reihe ſich von Tagen. 


Jetzt drang der Lenz ins Tal mit Macht, 
Warm ward der Tag und lau die Nacht. 
Die Bäche rauſchten friſchen Klang, 
Das Grün aus Baum und Wieſe ſprang. 
Da ſprach einmal die gnädge Frau: 
„Such, Engel, Blumen auf der Au! 

Du mußt uns heut die Kirche ſchmücken, 
Wie deiner Hand wills keiner glücken.“ 


Und Engel tat, wie ihr befohlen, 

Sie ging und kehrt' mit flüchtgen Sohlen, 
Von ihrer Lieblingsarbeit helle, 

Kam ſie zurück in Juttas Zelle. 

Die ſitzt verſteint, ihr Auge brennt, 

Sie ſtarrt auf einen goldnen Reif, 
Daneben liegt von Pergament 

Ein ſchmaler, friſch beſchriebner Streif. 
Und Engels klares Auge trifft 

Den Spruch, der Juttas Blicke bannt: 
Weh! Jutta vale! ſagt die Schrift. 

Und Engel forſcht: Von weſſen Hand? 
— „Von ihm. Der Ring iſt wieder mein, 
Und morgen kleiden ſie mich ein.“ 


Des Tages lange Helle wich, 

Das Dunkel kam und ſenkte ſich, 

Und Engel lauſchte bang im Düſtern 
Und hörte nur ein ſtetes Flüſtern, 

Das lauter wurde manche Male, 

Dann tönt' es: Vale, Jutta, vale! 

Und drauf ein Schrei! Dann gleicherweiſe 
Beginnt das Flüſtern wieder leiſe. 


Als Engel auf den Laden ſchloß, 

Und Morgenglut durchs Fenſter floß, 
Erhebt ſich Jutta raſch und preßt 

Das Antlitz an das Gitter feſt. 

Der Garten ſendet auf zu ihr 

Der morgenfriſchen Erde Düfte, 

Sie ſchlürft den Balſam mit Begier, 
Sie trinkt und trinkt die würzgen Lüfte. 
„Ich wittre Freiheit!“ ruft ſie jetzt 
Und zittert leis im Morgenſchauer. 
„Sieh, Engel, ſchimmern taubenetzt 
Das Röslein an der Kloſtermauer! ... 


357 


358 


Wie iſt es friſch, wie iſt es rot, 

Das erſte, das der Frühling bot! 

Bringſt du mirs nicht?“ ... Und Engel blickt 
Und eilt der Herrin gleich zuliebe, 
Unmöglich daß, von ihr geſchickt, 

Im kleinſten Dienſt ſie läſſig bliebe. 
Schon fliegt ſie durch die grünen Gänge, 
Schon ſpäht ſie durch das Blattgedränge, 
Sie hat den Zweig herabgezogen, 

Sie hat die Roſe ſchon gepflückt, 

Dann winkt ſie nach dem Fenſterbogen 
Und zeigt das junge Rot beglückt 


Und wieder eilt ſie, wie auf Schwingen, 


Der Herrin Lenzesgruß zu bringen. 


Nun ſteht ſie in der Tür und graut 
Vor dem Verderben, das ſie ſchaut. 


Schön Jutta liegt lang hingeſtreckt, 
Die Stirn zerſchmettert, blutbedeckt. 
Berieſelt iſt mit dunkelm Blut 

Die Mauer, hell von Morgenglut, 
Und alles ſtill. Ein Vöglein nickt 
Am Fenſter nur, das Krumen pickt. 


Und Engel wirft in tiefſtem Jammer 
Sich nieder in der Unglückskammer, 
Der Herrin Haupt, noch iſt es warm, 
Sie hebts und faßts in ihren Arm. 
Aus Juttas Auge bricht ein Strahl, 
Flammt ein Triumph: Nun bin ich frei! 
Dann flackerts auf zum letztenmal, 
Erliſcht und ſtarrt. Es iſt vorbei. 
Streng wird der Toten Angeſicht 

Und furchtbar ... Engel kennt es nicht. 
Noch hält ſies ſtets im Arm entſetzt — 


Horch! ferne Tritte hallen jetzt, 

Sie kommen näher, und die Magd 
Springt auf, von jähem Schreck gejagt, 
Sie gleitet über Gänge, Stufen, 

Sie flieht, und hört ſich noch gerufen, 
Angſtvoll, mit furchtbetörten Sinnen 
Stürzt aus dem Kloſter ſie von hinnen. 


V 


Talauf, durch taubeträufte Matten! 
Sie achtet nicht auf Pfad und Gruß. 
In dämmerfeuchte Tannenſchatten 
Trägt ſie der angſtbeſchwingte Fuß, 
Jetzt über eines Stammes Brücke, 
Darunter Wellen wirbelnd jagen, 
Jetzt durch die Schlucht, wo Felſenſtücke 
Als ungeſtalte Pforte ragen, 

Jetzt über wirre Wurzelſchlangen, 
Davon die Erde weggewaſchen, 
Zuletzt, wo jäh die Wände hangen, 
Hemmt ratlos ſie den irren, raſchen. 
Noch drang der Morgenſonne Licht 
In dieſe tiefe Wildnis nicht. 


Sie lehnt ſich an die Felſenwand, 
Von der ein Bach herniederſchmettert, 
Das Antlitz birgt ſie mit der Hand, 
Die andre hält noch unentblättert 

Die Todesroſe. Durch das Moos 
Rinnt Waſſer, ſie iſt tränenlos. 


Die Tannenſchlucht iſt wohlbekannt 
Im ganzen Engelbergerland. 
In des Gebirges Wall geriſſen, 


359 


360 


Iſt fie von Felſen rings umſtellt 
Und da jedweden Weg wir miſſen, 
Heißt hier das Ende es der Welt. 


Die Roſe fällt aus Engels Hand. 

Die Maid erwacht aus ihrem Sinnen 
Und ſchaudert — blutig ihr Gewand! 
Da ſieht ſie helle Waſſer rinnen, 

Und klettert raſch von Stein zu Stein 
Zur Welle, wie Kriſtall ſo rein. 

Sie kniet und hält das Kleid entgegen 
Dem friſchen Guß, dem Silberregen; 
Und wie ſies taucht, und wie ſies reibt, 
Und tief am Bache knieen bleibt, 

So hat ſie nicht ihn kommen ſehn, 
Sieht nicht ihn gegenüber ſtehn, 

Der keck von Fels zu Fels ſich ſchwang, 
Wo dort die Kluft im Berge nachtet, 
Dann raſchen Fußes niederſprang 

Und nun ſie lange ſchon betrachtet. 


Der Köcher mit der Pfeile Bund, 

Die Armbruſt tut den Jäger kund. 

Er trägt ſich nicht nach Talesſitte, 

Sein Antlitz ernſt, von fremdem Schnitte, 
In dem ſich Kraft mit Huld verſöhnt, 

Iſt Sonn und Winde wohl gewöhnt. 

Des ſichern Auges ſcharfe Helle 

Ruht auf dem Mägdlein an der Welle. 


„Was ſchaffſt du?“ fragt er jetzt. Sie blickt 
Von ihrem Tun empor, erſchrickt 

Und ſchweigt. „Geſchah dir Leid? Sag an! 
Haſt ſelber Leides du getan? 

Steh Rede.“ — „Groß“, verſetzt die Maid, 
„Iſt meine Schuld und groß mein Leid.“ 


Und ihre Wimpern ſich beſchweren 
Sieht er mit jammervollen Zähren. 


Da ſpringt er auf den andern Rand 

Des Bachs und nimmt ſie bei der Hand: 
„Wie helf ich dir? Gib mir Bericht! 
An gutem Willen fehlt es nicht.“ 

Nun wagt ſies offen anzuſchaun 

Den Fremdling und ſie faßt Vertraun; 
Es ahnt ihr unverfälſcht Gemüte 

In ſeinem graden Wort die Güte. 


Da liegt ein moosgefleckter Stein, 
Der ladet ſie zum Sitzen ein, 

Und Engel ſagt, wie alles kam, 
Erzählt von Juttas dunkelm Leid, 
Von ihrem wilden Liebesgram, 
Von dem gehaßten Nonnenkleid, 
Wie Jutta ſtand in ſchwacher Hut, 
Wie Jutta liegt in ihrem Blut. 


Sie endet, und ein Weilchen ſinnt 

Der Mann und ſchweigt, eh er beginnt: 
„Maid, was geſchehn iſt, iſt geſchehn, 
Die Welle kann nicht rückwärts gehn. 
Mit Jutta wollen wir nicht rechten, 
Die übergab ſich fremden Mächten. 
Dein Fehl dagegen dünkt mich klein.“ 
Doch Engel ſchreit in Angſten: „Nein! 
Sie zu verlaſſen unbedacht, 

Hieß öffnen ihr des Grabes Pforte!“ 
— „In Irrung hat ſie dich gebracht 
Durch ihre trügeriſchen Worte. 

Am beſten drum zu deinem Glück 
Kehrſt du ins Kloſter ſtill zurück, 

Und wenn die Frauen hart dich ſchelten, 
So läſſeſt du es ruhig gelten.“ 


361 


Eh fein gelaſſen Wort verklingt, 

Die Magd empor vom Sitze ſpringt, 
Die Hände ſtreckt ſie wie zur Wehr 

Und ruft erſchaudernd: „Nimmermehr! 
Was Jutta in den Tod getrieben, 

Das kann ich fürder nicht mehr lieben!“ 


Des goldnen Haars empörte Flut, 

Der jungen Wange ſchnelle Glut, 

Der hellen Augen Zornesfeuer, 

Er ſchauts mit Luſt. Sie wird ihm teuer. 


„O Maid, ich riet es dir zum Heil 

Und wußte dir kein beſſer Teil. 

Wenn ſelbſt ich Hof und Heimat hätte, 
Böt ich dir wohl die Zufluchtsſtätte; 

Doch mich erwartet kein Geſind, 

Mich herzt kein Weib, mich koſt kein Kind; 
Ich hauſe hoch am Engſtlenſee, 

Mein Nachbar iſt der Titlisſchnee, 

Und mir gehorchen wohlgezogen 

Als meine Diener Pfeil und Bogen.“ 


„Herr,“ ſprach die blonde Maid in Harm, 
„Auch ich bin heimatlos und arm! 

Zur Hilfe biſt du mir erſchienen, 

O laß mich mit dir gehn und dienen! 

Nie hab ich hartes Werk geſcheut, 

Wenn mich ein gutes Wort erfreut; 

Ich habe zu dir mehr Vertrauen 

Als zu den bleichen Kloſterfrauen.“ 


Ein Lächeln in des Mundes Ecken 
Kann kaum der krauſe Bart verſtecken. 
Er blickt ſie an, als wollt er wägen 
Ihr Herzensgold ſtreng und genau, 


362 


Doch wie ein arglos Kind entgegen 

Kommt ihm das Auge treu und blau. 

Tief ſchaut er in den vollen Quell, 

Er iſt von lautrer Unſchuld hell. 

Jetzt ſinnt er ernſt, den Blick geſenkt, 

Die Arme auf der Bruſt verſchränkt, 

Und langſam ſpricht er: „Eins von beiden: 
Du wirſt mein Weib, ſonſt laß uns ſcheiden! 
Doch eh zur Heimkehr dir die Stege 
Verſchwinden, hör mich und erwäge! 


Die Hand, die ich dir hingeſtreckt, 

O Maid, ſie iſt mit Mord befleckt. 
Vernimm!“ Er deutet nach dem Lauf 

Der unverwölkten Sonnenflamme, 

Die durch die Tannen ſteigt herauf: 

„Dort liegt das Land, aus dem ich ſtamme. 
Wo wild der Rhein die Schlucht durchbrauſt, 
Hat lange mein Geſchlecht gehauſt. 

Ein Staufen hat es hingeſetzt, 

Sich einen Alpenweg zu wahren, 

Daß er nach Welſchland unverletzt 

Zur Kaiſerkrone möge fahren. 

Dort leuchtet ſaftig grüne Weide 

Wie ein ſmaragdenes Geſchmeide; 

Der Pfeil entſchwingt ſich dort den Klüften 
Und ſtürzt das Grattier aus den Lüften; 
Beinah wie hier! nur ſtehen grüner 

Die Wieſen und die Berge kühner. 

Mein Ahne war es, dem ein Zwiſt 

Mit ſeinem Nachbar worden iſt, 

Es war um eines Weibes willen, 

Um eines Weibs verbotner Glut, 

Und nimmer war fortan zu ſtillen 

Die ruheloſe Rachewut, 

Drin erſt das Schwert als Waffe galt, 


363 


364 


Dann Pfeil und Dolch und Hinterhalt. 
Bald griffen zu des Stammes Ehre 

Wir alle, jung und alt, zur Wehre. 
Manch ſtattlich Haus hat da gelodert, 
Drin fürder Neſſeln nur gedeihn, 

Und mancher junge Leib vermodert 
Vorzeitig unterm Leichenſtein. 

Der Bruder ward mir graus erſchlagen — 
Von mir gerächt in wenig Tagen. 


So hat der Haß die Glut getrieben, 
Bis unſer zwei nur überblieben, 
Verrauchten Blutes warme Reſte, 
Erſtorbner Stämme grün Geäſte, 

Von friſchem Wuchs und jung wir beide. 
Erſt taten wir uns nichts zuleide, 

Dann fing das Herz uns an zu grollen, 
Noch war der alte Fluch im Rollen. 
Schon traten wir auf Landeswegen 
Mit Mörderblicken uns entgegen; 

Da wies der Rätier einig Wort 

Ihn ſüdlich und mich nördlich fort. 

Und wie den Grat ich überſchritten 

Und mildre Tale ſah und Sitten, 

Wie ich Alt⸗Rätien geräumt, 

War mir, als hätt ich ſchwer geträumt. 
Ich ſtaunte vor den blutgen Taten, 

In die ich blindlings war geraten. 
Noch muß ich zählen in der Nacht, 

Wie manchen dort wir umgebracht, 

Die vielen, die man dort begraben, 
Durchflattern meinen Traum wie Raben; 
Doch wagen die Geſpenſter nicht 

Sich an das ſüße Sonnenlicht, 

Sie unter und ich auf der Erde, 

So bringen wir uns nicht Beſchwerde! 


Gehn fern der Heimat meine Schritte, 
Feſt tret ich in des Lebens Mitte; 

Und muß ich meiden auch die Lande 
Alt⸗Rätiens, frei bin ich von Schande. 


Jetzt ſprich! Gewährſt du deine Huld?“ 


Sie ſagt: „O Herr, ich bin dein eigen, 
Und deine Schuld iſt meine Schuld!“ 


— „So laß uns jetzt zu Berge ſteigen.“ 


VI 


Das Tal erfüllen mit Geläute 
Die Klöſter; Sonntag iſt es heute. 


Feſt Hand in Hand gelegt, durchſchreiten 
Die beiden jetzt des Tales Breiten. 

Sie kümmert nicht, daß Alpler ihnen 
Begegnen mit erſtaunten Mienen; 

Sie achtens nicht, ob ihnen Blicke 
Manch buntgeſchmücktes Mägdlein ſchicke, 
Das, ſchimmernd in der Landestracht, 
Den Pfeil im Haar, verſtohlen lacht. 


Er ſpricht: „Du trägſt kein feſtlich Kleid, 
Wir kaufens heute nicht in Eil, 

Doch geb ich dir als Brautgeſchmeid 

Aus meinem Köcher einen Pfeil! 

Sieh, noch iſt ſeine Spitze blank, 

Die nie das Blut der Gemſe trank; 

Kein Geier fiel ihm noch zum Raube — 
Ich ſchenk ihn meiner weißen Taube!“ 


365 


366 


Und lächelnd nimmt fie mit der Rechten 
Das bittre Eiſen, das er bot, 

Und ſticht durch ihre vollen Flechten 
Beherzt ſich den beſchwingten Tod. 


Behenden Fußes aufwärts ſteigen 

Sie durch das harzesduftgewürzte, 
Der Tannen morgenkühles Schweigen, 
Und zwiſchen hohen ruhn geſtürzte 
Bergrieſen, die der Blitz getroffen, 
Und eine ſchwarz, zerſchmettert, offen, 
Liegt überm Weg und iſt zu ſchaun 
Wie totes, hoffnungsvolles Graun. 
Als über ſie mit feſtem Fuß 
Zuſammen ſchreiten die Genoſſen, 
Sehn eines grünen Reiſes Gruß 

Aus dunkelm Moder ſie entſproſſen. 


Nun wandern ſie auf falben Mooſen, 
Und, horch, da hebt ſich mächtig Toſen, 
Die Wogen ſprudeln weiß bewegt, 
Darüber iſt ein Stamm gelegt, 

Der, ſtets von naſſem Staub umwittert, 
Auf ſeinen Felſenſtützen zittert. 


Der Mann geht freien Tritts voran 

Und mitten auf der ſchwanken Bahn 
Sieht er ſich fragend um und ſpricht: 
„Trauſt du dich nach?“ Sie zaudert nicht. 
Die Augen fröhlich aufgeſchlagen, 

Auf ihn geheftet unverwandt, 

Folgt ſeinen Tritten ſonder Zagen 

Sie ſchnell ſtegüber und ans Land. 

Er ſieht ſie ob der Tiefe ſchweben, 

Im Winde flattern ihre Locken, 


Da hebt das Herz ihm an zu beben 
Und ihm beginnt das Blut zu ſtocken. 
Die Arme breitet er mit Bangen, 
Die Wonnigliche zu empfangen, 
Und hält ſie, an die Bruſt gepreßt, 
Als eine Siegerbeute feſt; 

Und wie des Wogenſturzes Kraft 
Den Felſen, daß er zittert, ſchlägt, 
Erſchüttert ihn die Leidenſchaft 

Zu ihr, die er im Arme trägt. 

Er ſtürmt mit ihr den Berg hinauf 
Durch Schneegefild und Felſenſtrecke, 
Er trägt in unerſchöpftem Lauf 

Sie fort auf knirſchender Eiſesdecke, 
Bis er des Berges Joch erreicht, 


Wo ſcharf der Wind vom Gletſcher ſtreicht. 


Da tritt er an den Felſenrand 

Und ſchwingt im Arm ſie hoch empor, 
Als wollt er zeigen ſie dem Land, 
Das dieſe Zierde heut verlor, 

Als hielt er ſie der Welt zur Schau 
Hinaus ins tiefe Himmelblau. 

Hell jauchzt er, daß die Ode ſchallt, 
Sein Jubel dröhnend widerhallt, 

Und Antwort kommt von allen Enden 
Aus beider Tale Felſenwänden. 


Er läßt ſie aus den Armen gleiten, 

Und von der lichten Höhe ſchreiten 

Sie auf dem Pfad, der abwärts drängt 
Und zwiſchen Fels und See ſich engt. 
Da öffnet ſich mit einemmal 

In Lieblichkeit das Alpental, 

Wo hell ein Kirchlein iſt zu ſchaun 
Und Hütten ſteinbeſchwert und braun. 


367 


Er ſpricht: „Auf meinem Boden Gruß 
Und Segen dir von Haupt zu Fuß!“ 
Da ruft ſie: „O du ſchöne Welt! 
Doch, ſieh, der See iſt eisgefangen, 
Noch hat er nicht ſich aufgehellt, 

Mit Lenzesluſt mich zu empfangen. 
Ich wollt, auf meinen neuen Wegen 
Grüßt' lächelnd blau er mir entgegen!“ 
Sie ſprichts und ſie verläßt den Pfad 
Und wirft ſich nieder am Geſtad, 
Als klagte ſie den Tod der Welle. 
Und Primel glänzt und Soldanelle, 
Es prunkt das Blau der Genzianen, 
Der blühnden Halme leichte Fahnen, 
Sie neigen ſich im Wind und grüßen 
An ihren Knien, zu ihren Füßen. 


Indes hat Blumen er gepflückt, 

Die ſchönſten, die er rings gefunden, 
Und ſanft ihr auf die Stirn gedrückt 
Den Kranz, den rüſtig er gewunden. 
Wie er ſie krönt mit blauen Glocken, 
Entſinkt der Pfeil den blonden Locken, 
Ihr Haar, das ſtürzend ſich entrollt, 
Umflutet ſie wie flüſſig Gold. 


Er birgt den Pfeil im Köcher nicht, 
Er birgt im Buſen ihn und ſpricht: 
„Verrichtet hat ſein Amt er brav, 

Da er im Flug zwei Herzen traf.“ 


Und höher ſteigt der Sonnenball 

Und ſendet flammend Blitz auf Blitze, 
Es rauſcht und rieſelt überall 

Am See und aus der Felſenritze. 
Scharf trifft das feurige Geſchoß 


Der ungeduldgen Fluten Kerker, 

Und, die der Winter feſt verſchloß, 
Sie ſehnen ſich nach Freiheit ſtärker; 
Sie feilen, rütteln, und ſie lecken 

An ihren längſt verhaßten Decken. 

Da ſchießt zu der Gefangnen Heil 
Senkrecht die Sonne einen Pfeil — 
Das Eis zerreißt mit dumpfem Knall, 
Und weiter rings fährt Riß und Schall. 
Gemach verſinkt die Kerkerwand 
Eistafeln ziehn mit grünem Rand, 

Und Engel lachenden Auges ſchaut, 
Wie's quillt, wie's flutet und wie's blaut. 
Jetzt tut ſie einen Freudeſchrei, 

Als würde ſie von Feſſeln frei. 


Er hat indes ſie leis umfangen, 

Da ſie zur Tiefe ſchaut entzückt, 
Und ihr mit glühendem Verlangen 
Den Brautkuß auf den Mund gedrückt. 
Rings ſchwebt die ſtille Mittagshitze, 
Durch friſchen Bergeshauch gekühlt, 
Sie koſen auf dem Felſenſitze, 

Von neugeborner Flut umſpült. 

Ein lichter Falter kommt geflogen, 
Vom Duft des Kranzes angezogen, 
Und auf den jungen Nacken ſetzt 

Er ſich mit bebenden Schwingen jetzt. 


„Herr, laßt das züchtig unterwegen! 
Dazu bedarfs der Kirche Segen!“ 

So plötzlich hinter ihnen ſpricht 

Es barſch und einer Hand Gewicht 
Sinkt auf des Rätiers Schulter ſchwer; 
Das Haupt gelaſſen wendet er: 
„Willkomm, Hilar, zur guten Stunde! 


24 Meyer. II. 


Kein andrer Priefter in der Runde 

Als du, mein Vater, ſoll mich trauen 
Mit dieſer ſüßeſten der Frauen. 

Schau meine Braut! Dann zur Kapelle! 
Du ſegneſt uns an heilger Stelle.“ 


„'s iſt Engel!“ ruft erſtaunt der Pater. 
„Potz Kreuz! Wie habt ihr euch geſellt?“ 
Sie ſpricht errötend: „Frommer Vater, 
Wir fanden uns am End der Welt.“ 

„Am End der Welt?“ erſeufzt Hilar, 
„Mich dünkt, daß es ihr Anfang war.“ 


VII 


Wie raſch ein Jahr den Lauf vollbringt, 
Sind ſeine Tage glückbeſchwingt! 
Von Treue warm, von Liebe hell, 
Wie reihen ſich die Jahre ſchnell! 


Noch ſchreitet Engel jugendleicht, 

Die friſchen Wangen ungebleicht; 
Schlank geht einher ſie, von drei jungen 
Wildfängen ſonnenbraun umſprungen. 
Dazu ein zartes Blondchen trägt 

Sie noch im Mutterarm gehegt, 

Sein Lockengold dem ihren gleich! 

Wie glücklich iſt ſie und wie reich! 


Des fremden Gatten Landesacht 
Vergütet ſie mit Liebesmacht, 

Des Schickſals mächtge Widerpart 
Iſt ihre helle Gegenwart! 

Und will es ſchwarze Schatten werfen, 


So weicht ſie nicht, bis er geſundet, 


370 


Wie um zerrißne Felſenſchärfen 
Fließt blauer Himmel unverwundet. 


Doch ſchwamm ein Tropfen Bitterkeit 
Im Tranke dieſer Liebeszeit. 


Dem Mann, wie ſies dem Jüngling war, 
Blieb mächtge Lockung die Gefahr. 

Er iſt der Gemſenjagd ergeben, 
Vermeſſen ſpielt er um das Leben, 

Und treibt ſie Lieb, ihm zu verſagen 

Den Urlaub, Liebe darfs nicht wagen. 


Wenn ſpät am Berg das Rot verblaßt 
Und raſtlos er die Armbruſt faßt, 
Daß früh vor Tag den Fuß er ſetze 
Auf ſeines Wildes Weideplätze, 
Umſchlingt ſie ihn mit Luſt und Qual, 
Als küßten ſie zum letztenmal. 

Zum Schlummer ihrer Kinder tritt 
Sie dann mit leiſem Sorgeſchritt, 

Um bang und ſchlummerlos zu lauſchen 
Der Alpenwaſſer dunklem Rauſchen. 
Doch ſieht ſie kehren ihn mit Beute, 
So iſt verziehen alles Bangen, 
Entgegen eilt ihm die Erfreute, 

Den Neugeſchenkten zu empfangen, 
Auf ſcharfem Stein mit zarten Füßen 
Bergan, ihn früher zu begrüßen. 


Einſt ſah ſie trüb zur Morgenſtunde 

Den Mann und ſpricht mit friſchem Munde: 
„Du träumteſt ſchwer? Erzähl geſchwind, 
Was deine Stirne Nächtges ſinnt!“ 


„Daheim in Rätien war ich,“ ſpricht 
Er, „wo die Pfade ſüdwärts gehn. 


371 


Du kennſt den Berg des Unglücks nicht, 
Ich ſah ihn einſt von ferne ſtehn, 

Als ich in meinen jungen Jahren 

Bin nach Italia gefahren. 

Viel Silberhörner ragen dort, 

Er ſchweigt, gemieden von den andern, 
Tief im Gebirg am düſtern Ort, 

Nur Wen'ge ſchauen ihn, die wandern; 
Doch wen der Fuß vorüberträgt, 

Dem bleibt ſein Bildnis eingeprägt. 
Ihn ſah ich wieder heut im Traum. 
Ich drang in eines Tales Raum, 

Das dicht gefüllt bis an den Rand 
Von blühnden Alpenroſen ſtand. 

Das ganze Tal war rot wie Blut — 
Ich dachte dein in Liebesglut, 

Doch, länger ſchauend in das Rot, 
Gedacht' ich an den jähen Tod. 

Da hob den Blick ich und ich ſah 

Den Berg des Unglücks groß und nah. 
Wie hing er über mir ſo ſchaurig! 
Wie blickt' ins rote Tal er traurig!“ 


Und Engel ſchaudert und erbleicht. 
„Vergangne Zeiten!“ ſagt er leicht. 
„Du haſt mich von dem Bann befreit 
Des fernen Lands, der fernen Zeit.“ 


Als mit den Knaben waldwärts ging 
Er Holz zu fällen eines Tages, 

Erhob ſich aus des Tales Ring 

Das Brauſen eines Flügelſchlages. 
Hoch ſchwang ſich über feinem Haupt 
Ein Geier, der ein Lamm geraubt. 

Er wies auf ihn mit blankem Beil: 
„Hätt Bogen ich bei Hand und Pfeil, 


Der freche Räuber müßt es büßen, 

Er läge ſtracks zu meinen Füßen! 

Sieh, Kurd, er fliegt dem Horſte zu 
Dort an der Wand der Gadmenfluh! 

Zu ſeinem Neſte ſteig ich morgen! 

Ihr möget für die Herde ſorgen 

Die Alten wohl erleg ich beide 

Und ſchaffe Sicherheit der Weide; 

Ein Junges bring ich euch zum Zähmen, 
Wir wollen ihm die Flügel lähmen.“ 


In erſter Frühe brach er auf, 

Der Morgen war kriſtallenklar; 

Die Sonne fördert' ihren Lauf, 

Und als ſie hoch am Himmel war 

Und immer er nicht wiederkehrt, 

Wird Engels Herz von Angſt beſchwert. 
Den Jüngſten auf den Armen, eilt 

Sie fort zu ſehen, wo er weilt. 


Sie kennt die Wand, drin eingezwängt 
Der Geierhorſt am Felſen hängt. 

Sie eilt den See entlang zur Schlucht — 
Er iſt gefunden, den ſie ſucht! 

Er liegt, den Geier feſt umſchlungen, 
Mit dem er ſtürzt' im Kampfgedränge, 
Als miteinander ſie gerungen 

Den Streit des Meſſers und der Fänge. 
Die Geirin mit der toten Brut 

Liegt pfeildurchbohrt in ihrem Blut. 


Engel ſetzt ab im Felſenſchatten 

Das blonde Kind und eilt zum Gatten; 
Sie löſt des Geiers ſcharfe Klaun, 

In ſeine Schultern eingehaun. 

Noch atmet er — ſie kniet ſich nieder 


374 


Und bettet ihn in ihren Schoß, 
Gebrochen ſind die ſtarken Glieder, 
Die Arme hangen regungslos. 

Ihr Auge läßt das ſeine nicht, 

Das unter ihrem Blicke bricht. 

Sie küßt den Mund, der iſt ſo bleich! 
Er ſtirbt. Ihr Leben ſtirbt zugleich. 


Der Himmel blaut, der Titlis leuchtet, 
Die ſchroffe Todeswand befeuchtet 
Ein Silberfaden. Leiſe klopfen 

Auf hartem Grunde ſeine Tropfen 
Wie Blut aus Wunden. Weiter rinnt 
Im Moss er ſeine ſchmale Bahn. 

Den Toten blickt das ſtille Kind 

Mit unverwandten Augen an. 


VIII 


Die Roſen blühn im Nonnengarten, 
Doch Andre ſinds, die ihrer warten, 
Und Andre gehn mit ſachten Schritten, 
Wo Juttas trotzig Herz gelitten. 

Im Kreuzgang, in der Grüfte Reihn 
Beſchrieb ſich mancher Leichenſtein. 
Mit ſcharfen Rändern eingehaun 

Iſt auch der Abtin Schild zu ſchaun, 
Sie ſelber liegt, in Stein geſtaltet, 
Die Hände zum Gebet gefaltet, 

In eines mächt'gen Kreuzes Hut. 
Wer aber weiß, wo Jutta ruht? 
Wohl ward der frevlen Gottesmagd 
Geweihte Stätte hier verſagt. 

Wo bergen die begrünten Schollen 
Den Schlaf der einſt ſo Lebensvollen? 


Wo ward das Lager ihr gemacht? 

Und Engels auch wird nie gedacht, 
Seit aus dem Klofter fie entwichen, 
Auch ſie iſt aus dem Buch geſtrichen. 
Des flüchtgen Mägdleins Name ſcholl 
In Liebe niemals noch in Groll. 


Im Dorfe ward um jene Zeit 
Zuweilen eine Frau geſehn — 

Die trug um ihren Gatten Leid — 
Mit Kindern ernſt vorübergehn. 

Es war die Würde der Geſtalt, 

Der ſeltne Klang der kargen Worte, 
Der Augen ſchmerzliche Gewalt, 
Ein fremdes Bild den Gottesleuten, 
Die vormals bei der Kloſterpforte 
An Engels Antlitz ſich erfreuten. 
Sie ſei des Rätiers Witib, hieß 

Es, der am Berg ſein Leben ließ, 
Und der ein Meiſter war der Pfeile, 
Die ſtetig nun im Tale weile, 

Wo ſie ein Häuschen ſich erſtand 
Als Ruheſitz am Waldesrand, 

In treuer Bruſt den Toten minnend, 
Die Wolle ihrer Schafe ſpinnend 
Und ſorglich webend zu Gewanden, 
Wie man ſie trägt in dieſen Landen. 


Wenn abends ſchwimmt das Tal in Glut 
Und Licht im Kirchenfenſter blitzt 

Und Engel von der Arbeit ruht 

Und träumend vor der Hütte ſitzt, 

Zum ſchroffen Engelberge ſendet 

Den ſonnenmüden Blick ſie ſacht, 

Vom roten Titlis abgewendet 

Und ſeiner mörderiſchen Pracht; 


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376 


Und wenn verſinkt der Sonne Brand 
Und kalt ein Windſtoß fährt durchs Land, 
So fühlt ſies hauchen durch die Tannen, 
Wie eine Seele fährt von dannen. 


Einſt ſchritt den Wieſenpfad Hilar 
Entlang, der Engels Beichtger war, 
Obwohl ergraut, mit rüſtgem Fuß 

Und bietet Engel ſeinen Gruß: 

„Wo biſt du? Statt dich ſtets zu kränken, 
Mußt du an deine Kinder denken! 

Wie ſtreng die Buben wachſen, ſchau! 
Was ſoll aus ihnen werden, Frau? 

Ich ſah ſie ſpielen, Spiel enthüllt, 

Was eines Kindes Herz erfüllt. 

Komm, laß uns ſehn — ich darf nicht bleiben — 
Was drüben ſie ſo ernſtlich treiben!“ 


Sie gehn und an des Gärtchens Mauer 
Stehn beide jetzt ſie auf der Lauer. 


Und ſieh, da hebt auf grünem Plan 
Sich eben erſt die Handlung an. 

Mit Händen emſig und geſchickt 

Hat Engels Zweiter, Benedikt, 

Sich nette Säcklein zugerichtet, 

Mit Sand gefüllt und aufgeſchichtet, 
Er ſchreit: „Ihr Käufer nah und fern, 
Mein Mehl und Salz kommt von Luzern!“ 
Und Engels Dritt' und Vierter naht, 
Mit dicken Wangen der Beat, 

An ſeiner Hand das Brüderlein, 

Der blonde Werner zart und fein, 

Und pünktlich zahlen jetzt die Kleinen 
Ihr Mehl mit blanken Kieſelſteinen. 


„Beim heilgen Markus!“ raunt Hilar, 
Der wird ein Krämer offenbar.“ 


In einen Beutel hat die Laſt 

Der Kieſel Benedikt gefaßt 

Und ruft dem ältſten Bruder zu, 

Der vornehm auf der Seite ſitzt 

Und ſich ein langes Schwert in Ruh 

Aus einem Arvenaſte ſchnitzt: 

„Was kauft der Junker Habenichts?“ 
Und Kurd entflammten Angeſichts 
Bedroht ihn mit dem Schwert, und her 
Gibt wehrlos ſeinen Beutel er. 


An Engels Ohre lacht Hilar: 

„Nun iſt der Zweite offenbar! 

Er hat uns ſein Gemüt verraten: 

Der Kurd gedeiht dir zum Soldaten. 
Was andre ſpeichern und erraffen, 
Gewinnt er durch das Recht der Waffen.“ 


Doch ſieh, da tritt hervor Beat 

Und ſchreitet würdig im Ornat. 

Er hat ſich ſtatt der Stola Prangen 

Ein Halstuch Engels umgehangen, 

Ein Kreuzlein trägt er in den Händen 

Und ſpricht: „Gott mög euch Segen ſpenden! 
Gib mir den Beutel, arger Kurd, 

Der dir auf ſchlimmem Wege wurd! 

Um das Gewiſſen dir zu heilen, 

Mußt deine Beute du verteilen. 

Die Hälfte ſoll der Kirche ſein, 

So darf ſie dich von Schuld befrein, 

Ein Viertel dann — das bringt dir Glück — 
Stellſt du dem Benedikt zurück. 

Was jetzt noch bleibt, magſt du behalten 

Für Zeitverluſt und Mühewalten.“ 


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Und wunderlich! wie er entſchieden, 
So waren alle ſies zufrieden. 


Da winkt Hilar mit Siegsgebärden: 
„Beatchen, Frau, muß geiſtlich werden! 
Er kennt die menſchlichen Gewerbe, 
Und jedem gönnt er gern ſein Teil, 
Bemüht mit Eifer ohne Herbe 

Um aller Stände Seelenheil.“ 


Zur Hausbank ſchleichen ſie zurück, 
Ergötzt beginnt der Mönch zu plaudern: 
„Zu Pfaff und Krämer wünſch ich Glück, 
Die werden nicht am Wege zaudern! 

Der eine wird dich leiblich kleiden, 

Der andre wird dich geiſtlich weiden.“ 


Sie ſeufzt: „Des würd ich nimmer froh, 
Müßt ich um meinen Kurd mich kränken!“ 
— „Ei,“ mahnt Hilarius, „ſprich nicht ſo! 
Der Bube macht mir kein Bedenken. 

Nicht wird es ihn zur Hölle bringen, 
Braucht er Gewalt in rechten Dingen. 
Zum Guten beugen weislich wir 

Die angeborne Beutegier, 

Daß deines Vaters ſtrafend Ende 

Der Herr in Gnaden von ihm wende.“ 


— „Mein Vater?“ fährt ſie auf erblaßt. 

— „Nichts ſagt ich!“ wehrt der Mönch in Haſt. 
— „O redet, beim Erlöſer Chriſt, 

Wenn Ihr von meinen Eltern wißt! 


Ihr ſollt, Ihr dürft mirs nicht verhehlen! 
Ihr müßt das Schlimmſte mir erzählen!“ 


— „Das kommt vom Schwatzen!“ grollt Hilar 
Und greift ſich unmutsvoll ins Haar, 

„Du Graukopf, das war ungeſchickt! 

Lieb Engel, laß es mich bewahren!“ 


Und Engels pochend Herz erſchrickt 
Doch ſpricht ſie feſt: „Ich wills erfahren.“ 


— „Nicht öffn ich gern das düſtre Buch, 
Ein ſchwaches Herz würd es beladen! 
Doch ſeis! Iſt Segen ja aus Fluch 
Gewachſen ſtets auf deinen Pfaden. 
Vernimm! Dich hat ein luſtverloren, 
Ein frevelmütig Weib geboren, 

Das prächtig auf der Burg gelebt, 
Die überm Schächental geſchwebt. 
Zu eigen war ihr dieſes Tal 

Kraft ihres angeſtammten Rechtes, 
Ermordet hat ſie den Gemahl 

Und ward die Buhlin ihres Knechtes. 
Ihm gab ſie ſich und alles Gut 

Und ihre feſte Burg in Hut. 

Der Kaſtellan war allerende 
Verklagt um ſeine blutgen Hände, 
Des Landes Geißel und Entſetzen, 
Und ſie ſein ſündiges Ergetzen. 

Da hat das Volk die Burg gebrochen 
Und den verhaßten Vogt erſtochen. 
Sie aber floh mit nächtgem Schritt 
Und trug dich unterm Herzen mit. 
Nachdem den Berg ſie überklommen, 
Betrat ſie unſer Kloſterreich 

Und fand bei Hirten Unterkommen, 
Doch ſterbemüd und todesbleich. 

Sie legte ſich und ließ das Leben, 
Nachdem ſie, Engel, dirs gegeben. 


380 


Ich wurde noch zu ihr beſchieden, 
Daß nicht ſie ſtürbe ſonder Frieden. 
Der Reuigen mußt ich geloben, 

Dich ferne von der Welt Gefahren, 
In Chor und Zelle aufgehoben, 

Vor jeder Lockung zu bewahren, 

Daß deine klöſterliche Reine 

Sie ſühnend noch im Grab beſcheine. 


Die Hirten haben dich bewahrt 

Bis zu Herrn Heinrichs Himmelfahrt. 
Um Dunkles heiter einzukleiden 

Und jeglich Argernis zu meiden, 

Gab ſelben Tags der Geiſt mir ein 

Die Märe von dem Engelein; 


Als ſolches trug ich in der Frühe 


Zu Marthen dich mit leichter Mühe. 
So ward in heilger Morgenſtille 
Vollzogen deiner Mutter Wille! 


Als Juttas Tod dich trieb zur Flucht, 
Hab ich in Sorge dich geſucht 

Und fand den Engel liebewarm 

In eines ſchuldgen Mannes Arm, 

Der anders als dein Vater zwar, 

Doch auch ein Blutbefleckter war. 

In heilgem Zorn ſprach ich: „Wohlan! 
Hat mir der Teufel das getan, 

Bewehr ich mit der Kirche Segen 

Mich ſtracks, das Handwerk ihm zu legen. 
Verſchmäht ſie leichte Kloſtermuße, 
Hier ſchickt der Himmel ſchwere Buße, 
Und will ſie nicht zur Zelle kehren, 

Wird ſchlimmre Not ſie beten lehren!“ 


Und Engel ſenkt in Scham und Schmerz 
Die naſſen Augen niederwärts. 


Sie drückt der Menschheit dunkles Erbe, 
Der Loſe laſtende Verkettung, 

Und eine Träne, eine herbe, 

Weint ſie dem Siechtum ohne Rettung. 


Da wird ſie wieder hell. Es liegt 

Ein Blondkopf an ihr Knie geſchmiegt, 
Klein Werner, der der Mutter Gram 
Geſehn und ihr zu ſchmeicheln kam. 
Derweil ſie ſeine Locken koſt, 

Reicht er ſein Spielzeug ihr zum Troſt, 
Ein Viehlein, das aus Lehm er ſchuf, 
Bevor er folgt' des Bruders Ruf. 


Und wie der Mönch das Rindlein ſchaut, 


Entfährt ihm hell ein Freudelaut: 
„Die liebe, leibliche Natur! 

Wie bracht er das zuſtande nur! 
Es wittert einen friſchen Raſen! 


Es ſenkt und ſtreckt das Haupt zum Graſen! 


Bei Sankt Hilar, das iſt Genie! 

Und auch die Schelle fehlt nicht, ſieh! 
Wie ich von ſeinen Brüdern ſprach, 
Sann auch ich dieſem Kleinen nach 
Und war um ſein Geſchick verlegen 
Auf unſern rauhen Erdewegen, 

Weil ihm, als einem Schmerzenskind, 
Die Glieder dünn und ſchmächtig ſind; 
Haſt du ihm doch die Bruſt geboten, 
In deinem Herzen einen Toten 


Jetzt weiß ich es, wozu er tauge: 
Gott ſegnete ihm Hand und Auge. 


Ich werde deinen Knaben bringen 
Zu Bruder Lukas, der gewitzt 
Nicht eben iſt in andern Dingen, 


381 


Doch wunderfeine Stühle ſchnitzt, 

Der zeigt dem Knaben dann mit Fleiß 
Die Griff' und Künſte, die er weiß, 

Und wie, gelöſt durch zarten Schnitt, 
Aus Holz ein lebend Weſen tritt. 

Mit Ochs und Eſlein fängt er an, 

Dann kommt der heilge Joſeph dran, 
Zum Muſter will ich mich bequemen, 

Er mag mir Haupt und Bart entnehmen. 
Die Jungfrau ſieht er mannigfalt 

In deiner züchtigen Geſtalt; 

Nach unſres Kloſters würdgen Köpfen 
Kann er die Schar der Zwölfe ſchnitzen — 
Eins muß er aus der Seele ſchöpfen: 
Das Haupt gekrönt mit Dornenſpitzen. 


Der Knabe iſt von eigner Art 

Und für das Weltgedräng zu zart. 
Da ſetzt es grobe Stöße traun 

In jedem Amt, in jeder Gilde, 

Er mag ſich an der Kunſt erbaun 
Und ſich des Lebens freun im Bilde, 
In Stille tätig, unbeneidet!“ 


Hilar ergreift den Stab und ſcheidet. 
Und wie's zu ſchaun ihm war gegeben, 
So fiel der Knaben Los im Leben. 

IX. 
Die Sonne leuchtet heiß und ſchön, 
Im Tale ſchmettert Horngetön. 


Der Graf von Habsburg, hoch zu Roß, 
Zieht ein mit kriegeriſchem Troß, 


Im Beichtſtuhl jeden Sündenſchaden 
Zu heilen, daß er, frei von Fehle 

Und aller alten Schuld entladen, 

Dem Schutz der Heilgen ſich empfehle. 
Denn heiße Fehde ſteht bevor. 

Er iſt der Held, den ſich erkor 

Die edle Zürich, deren Mauern 

Die Herrn von Regensberg belauern, 
Aus Übermut und Beutegier 

Bedrohend ihres Kränzleins Zier. 


Derweil den Gaſt das Kloſter hegt 

Und eifrig er der Andacht pflegt, 

Zecht draußen in der Mauer Schatten 
Hellauf ſein reiſiges Geſind, 

Ringsum erfüllt die Kloſtermatten 

Der Alpler Schar mit Weib und Kind, 
Rudolf von Angeſicht zu ſchauen, 

Der als der Hort des Landes gilt, 

Auf deſſen Schirm und Schwert ſie trauen 
In Zeiten kaiſerlos und wild. 


Die Söhne Benedikti ſpenden 

Heut Speiſ' und Trank mit offnen Händen. 
Da wird gezecht, da wird gelacht, 
Dem Herrn manch Lebehoch gebracht. 
Die Waffenknechte rühmen ihn, 

Den Feuerwein von Valtellin, 

Und wacker wird ihm zugeſprochen; 
Die Augen glühn, die Pulſe pochen. 
Jetzt kommen auch des Dorfes Fiedeln, 
Sich auf der Mauer anzuſiedeln. 

Es wird ein Tanz, erſt halb verzagt, 
Und dann ein wilderer gewagt. 


Wohl keiner aus der Alplerſchaft 
Springt höher, jauchzt und jubelt toller, 


384 


Als dort in voller Jugendkraft 

Der ſchlanke Burſch im Lederkoller! 
Sein kurzes Meſſer fliegt am Gurt, 
Es iſt der Gemſenjäger Kurd 

Und, die er wirbelt durch die Reihn, 
Das iſt des Dorfwirts Töchterlein. 
Sie wiegt ſich ſchmeidig in den Hüften, 
Er wirft ſie auf, ſie ſchwebt in Lüften 
Die ſchwarzen Haare flattern ihr, 
Sie läßt die dunkeln Blicke ſchweifen 
Und eitel durch die Menge ſtreifen, 
Sie weiß: ſie iſt die Schönſte hier! 


Und wie vom heißen Reigen nun 
Aufatmen ſie und ſchreitend ruhn, 

Tritt zornrot ein Geſell heran, 

Schier wie ein Ritter angetan, 

Und höhnt mit frechem Angeſicht: 

„Dir, Kurd, gebührt die Dirne nicht! 
Auf meinem Boden treibſt du Jagd, 

Sie hat den Tanz an mich verſagt. 

Gib Raum, ſonſt wird es dich verdrießen, 
Ich bin der Herr zu Wolfenſchießen!“ 
Kurd lacht. Die Beute feſter faßt 

Er nur und ruft: „Genug der Raſt! 
Komm! Weſſen Lieb du biſt, zu zeigen 
Dem Junker, ſchwing mit mir den Reigen!“ 
Jäh reißt der andre aus der Scheide 

Das Schwert und ſchon bedrohn ſich beide. 
Die Bahn des Tanzes iſt verengt, 

Die Fiedel ſchweigt, die Menge drängt. 


Mit bangen Augen hat geſehn 

Ein Kind den ſchlimmen Streit entſtehn, 
Und da gefährlich wird der Strauß, 
Bricht es in helle Tränen aus. 


Es läuft davon, auf ſchnellen Sohlen 
Will Engel es zu Hilfe holen, 

Die ferne dem verwirrten Kreiſe 
Beſcheiden ſtand nach ihrer Weiſe. 


Kurd hat den Gegner angerannt 

Und dreht das Schwert ihm aus der Hand, 
Er ſtößt es in den Boden feſt, 

Brichts mit dem Fuß, den Schwertesreſt 
Wirft hoch er über das Gedränge, 

Und ſeinen Sieg bejauchzt die Menge. 
Umſonſt beſchwichtigend umgeben 

Von Habsburgs Waffenleuten, ſchreit 
Der Wolfenſchieß: „Dir gehts ans Leben!“ 
Und zückt den Dolch zu neuem Streit. 
Kurd ſtürzt ſich gegen ihn und hält 

Ihn feſtgepreßt, die Waffe fällt. 

Der Junker knirſcht und ſie umſchlingen 
Sich eiſern, Leib an Leib zu ringen, 

Sie keuchen voller Grimm und Wut, 

Sie fühlen ihres Atems Glut. 

Kurd wirft den böſen Gegner nieder 
Und kommt auf ſeine Bruſt zu knien. 
Der ſucht die Waffe taſtend wieder 

Und zückt ſie meuchlings gegen ihn. 
Kurd zieht das Meſſer gleicherweiſe, 

Die Klingen drehen ſich im Kreiſe — 
Da langt hinein mit einemmal 

Ein weißer Arm nach ſeinem Stahl. 

Er ſieht den weißen Arm entſetzt 

Von einem Tropfen Blut genetzt, 
Gelöſcht ſind ſeines Zornes Gluten, 
Denn ſeine Mutter ſieht er bluten! 


Und Engels lichtes Auge ruht 
Auf ihm mit Ernſt und treuer Hut. 


25 Meyer. II. 385 


Sie find allein und ohne Worte — 
Denn alles ſtürzt ſich nach der Pforte, 
— „Hoch Habsburg!“ brauſts im Sturmeschor. 


Mit hellem Antlitz tritt hervor, 

Den Abt und Mönche fromm geleiten, 
Der Graf, und grüßt nach allen Seiten. 
Ob auch aus adligem Geblüte, 

Leutſelig iſt er von Gemüte. 

Er ruft: „Geſattelt! Aufgeſeſſen!“ 
Und wendet ſich zum Abt: „Vergeſſen 
Will nicht ich, mein Gelübd zu löſen, 
Bleib ich bewahrt vor allem Böſen!“ 


Schon hat er faſt das Roß erreicht, 
Als Engel, bittend und erbleicht, 
Herführend an der blut'gen Hand 
Den trotz'gen Jüngling, vor ihm ſtand. 


Der Graf erſtaunt: „Bei Gottes Leib! 
Was iſt das für ein ſchönes Weib!“ 
Sie aber beugt ſich tief und ſagt: 
„Graf Habsburg, höre deine Magd! 
Du ziehſt in Fehde morgen ſchon, 
Des Rechts Panier haſt du erhoben. 
Wohlan, ich ſchenk dir meinen Sohn! 
Als Tapfern wirſt du ihn erproben. 
Bevor in frevelhaftem Spiele 

Der Jugend Feuer ihm verraucht, 
Herr, gib ihm Arbeit, gib ihm Ziele, 
Danach er ring in Schweiß getaucht! 
Den Knaben mache du zum Mann, 
Der ſeine Bruſt bezähmen kann!“ 


Schnell mißt der Graf mit ſcharfen Augen 
Des Jünglings tannenſchlanken Bau, 


Dann Spricht er froh: „Er kann mir taugen. 
Ich tu es dir zu Ehren, Frau! 

In Kriegszucht will ich den Geſellen 
Und unter edles Banner ſtellen, 

Ich ſtell ihn zu des Reiches Aar, 

Den nehm er ſtolzen Auges wahr! 

Ein Roß für ihn! Herr Abt, Valet!“ 
Und rückwärts winkt er nach dem Tor, 
Wo blank die Mauer war zuvor 

Und jetzt ein Bild gezeichnet ſteht. 

Ein blondes Kind beſchäftigt ſich 
Daran mit fleiß' gem Kohlenſtrich, 
Klein Werner, der daheim entwichen 
Und ſtill der Mutter nachgeſchlichen. 


„Potz Velten!“ ruft der Graf und lacht, 
Haſt du dies Konterfei gemacht? 

Sprich, Semmelköpfchen, wem gehört 
Die Naſ und Krone ungeheuer?“ 

Drauf meint das Knäblein ungeſtört 

Und ernſt am Werk: „Die Naſ iſt Euer. 
Die Kron iſt Kaiſer Karle's Krone, 

Wie er im Buch ſitzt auf dem Throne, 
Ich habe ſie für Euch gekürt, 

Weil Eurer Naſe ſie gebührt.“ 

„Mir ſcheint, du haſt mich nicht verſchönt,“ 
Spricht Habsburg, „doch ich wills vergeſſen, 
Nur daß du, Kleiner, mich gekrönt, 

Den ſchlichten Mann, das iſt vermeſſen!“ 


Der Abbas ſchmunzelt: „Kindermund, 
Herr Graf, tat oft die Wahrheit kund! 
Euch liebt das Land. Ich ſag es frei: 

Es liebt Euch auch die Kleriſei, 

Dem Reich, ſo lang des Schirms beraubt, 
Ihr wäret ihm ein chriſtlich Haupt!“ 


388 


Der fromme Graf verſetzt beſcheiden: 
„Solch Trachten wird mich übel kleiden! 
Kein Kurfürſt wird ja mein gedenken, 
Gott müßt es durch ein Wunder lenken.“ 


Er ſprichts und grüßt und ſteigt zu Roß, 
Von dannen ſprengen Herr und Troß, 
Und in des Habsburgs Heergeleite 
Brauſt Engels Sohn in alle Weite. 


X. 


Ein reicher Händler von Luzern 
Verkehrte mit den Kloſterherrn, 
Eintauſchend ihre kräftgen Käſe 

Für welſchen Weines Edelleſe. 

Zu zählen galt es mit Verſtand, 
Dazu war Benedikt bei Hand. 

Von raſchen Sinnen, klug und ehrlich, 
Ward er dem Kaufherrn unentbehrlich, 
Der führt' ihn unverſehns davon 

Und hielt ihn wie den eignen Sohn. 


Schon ſieben Jahre war er fern, 

Da kam ein Schriftſtück von Luzern, 
Das Engel, die allein nicht klug 

Draus wurde, zu Hilarius trug. 
„Der Herr hat mir Gedeihn geſchickt,“ 
Schreibt ſeiner Mutter Benedikt, 

„So darf ich, ohne mich zu ſchämen, 
Ein ſtädtiſch feines Weib mir nehmen, 
Des Wechſlers Thomas Töchterlein. 
Ich lad Euch nicht zur Hochzeit ein, 
Lieb Mutter; in des Schwiegers Haus 
Geht ſtolzer Adel ein und aus, 


Da würdet leichtlich Ihr verlegen 

Der fürnehm edeln Gäſte wegen. 

Doch daß Ihr möget mein gedenken, 
Send ich ein Saumtier mit Geſchenken 


Von weichem Stoff und ſchweren Spangen. 


Berichtet, daß Ihr es empfangen!“ 


In tiefer Kloſterweisheit tat 
Indeſſen manchen Schritt Beat. 
In ſchwierigen Gewiſſensfragen 
War er bewandert und beſchlagen. 
Mit Eifer probt' er früh und ſpät 
Der Kirche ſtarkes Kriegsgerät. 
Erboſt entwich vor ſeinem Spruch 
Der böſe Geiſt mit Mißgeruch. 
Frühzeitig nahm er alle Weihn, 
Schloß dreifach ins Gelübd ſich ein, 
Und fürder leuchtete ſein Licht 

Nur ſelten außerhalb der Pforte. 
Der Sohn der Kirche hatte nicht 
Mehr Sinn für Engels ſchlichte Worte. 
Sie ſahn ſich kaum. Doch eines bot 
Der Mutter er, das heilge Brot, 
Das ſie beſeligt und gering, 
Demütig auf den Knien empfing. 


Ein Fremdling wandelt' dazumal 

In welſcher Tracht im Alpental. 

Ob auch kein Freund von Ruh und Raſt, 
War er des Abts geehrter Gaſt, 

Der aus dem Süden ihn gebracht, 

Als eine Romfahrt er gemacht. 

Auf eine prächtge Kirche dachte 

Der Abbas, wenn er ſchlief und wachte. 
Mit ſchwerem Gold und vieler Bitte 
Verlockt' er in die Alpenmitte 


389 


390 


Aus Welſchlands blühendem Gefild 
Die Meiſterhand im Steingebild. 


Doch als ſie machten ihren Plan, 

Da hub der beiden Unluſt an. 

Der Abbas hatte ſich gedacht 

Ein Werk von feierlicher Pracht; 

Der welſche Meiſter widerſpricht: 
„Ich baue Eure Kirche ſchlicht! 

Ein Turmgewimmel würde klein, 
Gezierte Spitzen abgeſchmackt, 

Wo ſchwebt zerriſſen Felsgeſtein 

In freier Wildheit aufgezackt; 

Die Kuppel gar, der Ebne Preis, 

Von weiten Himmeln warm umblaut, 
Verzwergt, wo ein Gewölb aus Eis 
Mit breiten Schultern niederſchaut. 
Das Schneegebirg, Herr Abt, mit Gunſt, 
Iſt keine Stätte für die Kunſt!“ 


Als prüfend einſt von einem Ende 

Der Kirche ſie zum andern ſchritten, 
Gewahrt der Gaſt in einer Blende 

Ein Joſephhaupt aus Holz geſchnitten: 
Der Schädel breit, die Runzeln hart, 
Struppig die Brauen und der Bart, 
Ein Haupt in jedem Zuge wahr, 

Kurz, der leibhaftige Hilar. 

Er hemmt den raſchen Schritt und lacht, 
Dann fragt er kurz: „Wer hats gemacht?“ 


„Ein Kind des Tales. Herr, verzeiht, 
Daß wirs den Heilgen eingereiht, 

Die hier auf goldnem Grunde prangen, 
Von edeln Stiftern aufgehangen!“ 


— „Herr Abt, erlaubt mir, das iſt Plunder! 
Der alte Joſeph iſt ein Wunder! 

Gebt mir den Kopf zum Gaſtgeſchenk 

Und Euer bleib ich eingedenk. 

Erſt aber ſagt mir, wo er ſitzt, 

Der dieſes derbe Haupt geſchnitzt.“ 

— „Im Dorf. Doch ſei Euch nicht verhehlt: 
Des Jünglings Tage ſind gezählt. 

Er ſchwindet. Was der Knabe ſchafft, 

Er tuts mit ſeiner letzten Kraft. 

Wenn Ihr es wünſcht, laß ich ihn holen.“ 
— „Nein,“ meint der Gaſt mit Grußgebärde, 
„Ich mache ſelbſt mich auf die Sohlen, 

Ich wandle gern auf dieſer Erde!“ 


Vor Engels Hütte ſitzt der Knabe 
Und lenkt das Meſſer liebevoll, 
Das heut ein Werk vollenden ſoll, 
Das letzte noch vor ſeinem Grabe. 
Ein Bild, das er als Kind geſehn, 
Er läßt es wiederum entſtehn: 
Den Toten in der Mutter Arm, 

Die ganz verſunken iſt in Harm. 
Im Schoße hält die Schmerzenreiche 
Das wunde Haupt der teuren Leiche. 


Da ſchallt ein Gruß und ſtreckt ihm dar 
Die Hand ein krausgelockter Mann 

Mit einem mächtgen Augenpaar, 

Aus dem er Feuer blicken kann. 

„Von deinem Tun hab ich geſehn“, 

So ſpricht er, „bei den Mönchen dort! 
Ich wollte nicht von hinnen gehn, 

Eh wir gewechſelt Gruß und Wort, 
Und kannſt du dich zur Fahrt bequemen, 
Beglückt es mich, dich mitzunehmen. 


391 


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Vollkommnes ſchaun, wetteifernd ringen, 
Das trägt ans Ziel auf Feuerſchwingen! 


Mein Sohn, du biſt zur Kunſt geboren, 
Doch geht im kalten Bergesſchatten 
Dir deine junge Kraft verloren 

Und deine Schwinge wird ermatten! 
Hinweg aus dieſen kühlen Grüften! 
Komm, heile dich in warmen Lüften! 
Du haſt dem Tod Geſtalt gegeben — 
Komm nach Italia, koſte Leben! 


Dort rauſcht es in den Lorbeerhainen, 
Dort liſpelt des Olbaums Silberblatt, 
Dort ragt, aus ruhmberedten Steinen 
Gefügt, manch marmorhelle Stadt. 
Dort wogt der Markt von lautem Volke, 
Dort wird der Himmel ohne Wolke, 
Wo Zinne ſchwebt und Kuppel thront, 
Von Götterbildern ſtill bewohnt. 

Dort ſpielt das Licht durch alle Räume, 
Reift Frucht an Frucht der Sonne Glut 
Und Segel ziehn wie helle Träume 
Durch purpurdunkle Meeresflut. 


Dort überſtrömt ſo voll das Leben, 
Daß noch dem Tod iſt Reiz gegeben. 
Ihr möget in die Erde fallen, 

Wenn, ungelebt, ihr hier verſtöhnt, 
Wir ruhn in lichten Säulenhallen, 
Von einer heitern Kunſt verſchönt. 
Dort lehnt der Held an ſeinem Schilde 
Und lächelt ſtolz im Marmorbilde, 
Die Lichtgeſtalten holder Sage 
Umſchlingen unſre Sarkophage.“ 


Der Alpler aber redet jchlicht: 

„So ſehn den bittern Tod wir nicht. 

Er iſt der König aller Schrecken, 

Kommt er die Stirn mit Schweiß zu decken! 
Erſt wenn der Stachel ihm genommen, 
Beginnt die Freudezeit der Frommen ...“ 


Unmutig fällt der Fremdling ein: 

„Noch iſt der volle Becher mein! 

Gehör' ich minder zu den Frommen, 

Weil ich verherrliche das Leben? 

Sagt nicht der Heiland: Seid vollkommen! 
Vollkommnes will auch ich erſtreben — 
Ich ſelbſt kann nicht vollkommen heißen, 
Drum will ichs keck dem Stein entreißen. 
Noch iſt mein eigen Erd und Sonne, 

Noch fühlt mein friſcher Leib die Wonne 
Der Kraft, mein Geiſt die Luſt der Tat, 
Noch bin ich rüſtig früh und ſpat, 

Noch drängen ſich vor meinen Schritten 
Gebilde, die um Leben bitten! 

Da ſteh ich, und nicht weich' ich, eh 

Mein leuchtend Werk ich ganz vollbracht — 
Dann mag, wie eine Flocke Schnee, 

Die Seele ſinken in die Nacht. 


Komm mit! Du darfſt mir nicht verkümmern, 
Ich will die Felſenwand zertrümmern, 

Daß du den Garten ſiehſt der Erde 

Und deine Seele freudig werde!“ 


Er reißt das Kind zu ſich empor, 
Umſchlingts mit feuriger Gewalt — 
Da fühlt er, daß ihr Blut verlor 
Des Knaben leidende Geſtalt, 

Da ſieht er, was ihm ſeine Haſt, 


393 


394 


Sein raſend Ungeſtüm verhehlt, 
Daß er ein Leben grauſam faßt, 
Dem ſchon das Mark der Erde fehlt. 


Erſchrocken auf den Starken ſchauen 
Die Augen jetzt, die flehend blauen: 
„Hör auf zu ziehen in die Ferne! 
Hier leb ich und hier ſterb ich gerne. 
Du ſelber, Fremdling, ſprachſt es aus: 
Es dient die Kunſt dem Vaterhaus, 
Ein Werk, das nicht die trauten Züge 
Der Heimat trägt, mir dünkt es Lüge, 
Und unſer armes Hirtenleben 

Iſt täglich von Gefahr umgeben, 

Wohl elend wärs, wenn nicht uns bliebe 
Der Troſt des Glaubens und der Liebe.“ 


Und wieder ſchnitzt er ohne Wort 
An den geliebten Zügen fort. 


Den Tod, in Mutterarm gehegt, 
Beſchaut der Welſche lange Zeit, 

Er fühlt die ſtarke Bruſt bewegt 

Von einem Hauch der Innigkeit, 

Er fühlt, daß auch die bittern Schmerzen 
Beſchieden ſind dem Menſchenherzen — 
Ihm rinnt wie einer Träne Schein 
Verſtohlen in den Bart hinein. 


„Ich ſehe, Jüngling,“ ſpricht der Fremde, 
„Du bleibſt in deinem Hirtenhemde! 
Wir haben beide gut geloſt: 

Ich gebe Ruhm, du bieteſt Troſt. 


Leb wohl.“ Er wendet ſich zum Gehn, 
Da ſieht er Engel vor ſich ſtehn 


Und ſchnellen Augs erkennt er fie, 
Die dieſe Schmerzenszüge lieh, 
Er ſieht die unverwandten Blicke 
Behüten ihres Sohns Geſchicke, 
Sie faltet die ergebnen Hände 
Zu ihres Kindes frühem Ende. 


Denn heute wars zum letztenmal, 
Daß Werner ſaß im Sonnenſtrahl. 


XI 


So füllte ſich der Jahre Zahl 

Und wieder ſtieg der Lenz ins Tal, 
Doch diesmal bracht er ſeine Roſen 
Mit Sturmgebraus und Waſſertoſen. 
Den heißen Atem mit Geſtöhn 
Haucht auf den Alpenſchnee der Föhn, 
Unruhig fliehn vor ihm die vollen 
Gießbäche, die zu Tale rollen. 


Die Tannenſpitzen waren grün, 

Da zog talan ein Krieger kühn 

Zu Roß, gebräunt von Sonnengluten, 
Und ließ ein fremdes Banner fluten. 

Mit einem Saumtier, ſchwer beladen, 
Folgt' ihm ein Knecht auf Waldespfaden. 


Der Tapfre kehrt aus blutger Schlacht 
Und hat ans Kloſter eine Sendung 
Von Rudolf, dem die Kaiſermacht 
Geworden iſt durch Schickſalswendung. 
Der Habsburg ſchirmt' die edle Stadt, 
Die Weiß und Blau im Wappen hat, 


396 


Entriß fie niedern Raubgewalten 

Und half ihr, frei zum Reich zu halten. 
Das bracht ihm Heil, und wen bedenkt 
Das Glück, bald ſteht er reich beſchenkt. 
Dem Kloſter hatte werte Gabe 

Der Graf gelobt aus ſeiner Habe. 
Zwar das Gelübd ward unterdeſſen 

In größrer Taten Drang vergeſſen, 
Doch da er mit dem Böhmen rang, 
Des Kampfes Wage drohend ſchwankte, 
Da ſeine Heermacht wich und wankte, 
Und er gen Himmel ſchaute bang, 
Ward des er wieder eingedenk. 

Nun ſendet er das Weihgeſchenk. 

Er anvertraut es einem Treuen, 

Erprobt in manchem Dienſte ſchon, 
Talſchaft und Kloſter zu erfreuen, 

Hat er geordnet Engels Sohn. 


Jetzt hebt der Reiter an zu lauſchen: 
Hört nicht er ſeinen Wildbach rauſchen 
Hier unten, wo die Waſſer drängen 
Sich, ſchäumend zwiſchen Felſenengen? 
Da ſteht die Kloſterſägemühle, 

Wo er als Knabe zugeſehn, 

Wie ſich im ſpritzenden Gewühle 

Die großen Räder luſtig drehn! 

Was iſt denn aus dem Müllerskind, 
Was iſt aus Lisbeth wohl geworden, 
Die lief zur Mutter treugeſinnt, 

Da er den Junker wollte morden? 


Nun öffnet ſich des Tales Rund, 
Er reitet über Wieſengrund, 

Gradaus zum Kloſter zu gelangen, 
Wo ſie mit Ehren ihn empfangen. 


„Herr Abt, von Kaiſer Rudolfs Macht 
Wird Euch durch mich ein Gruß gebracht. 
Er ſchickt Euch, ſein Gelübd zu zahlen, 
Dies Böhmenbanner. Ohne Prahlen, 

Ich habs aus Feindesreihn gehaun. 
Beliebt, das Beuteſtück zu ſchaun!“ 


Der Abt empfängt es ernſt und ſpricht: 

„Der Böhme zwingt den Deutſchen nicht. 
Wir hängens zu des Reiches Ehre 

An heilgen Ort. Daß Gott ſie mehre!“ 


Er ſprichts und überlegt dabei, 
Ob dies die ganze Gabe ſei. 


Aus einer Truhe zieht der Reiter — 

Und fährt in ſeiner Rede weiter — 

Vier große, goldne Leuchter, fein 
Verziert mit manchem Edelſtein: 
„Nehmt ſie zu Eurer Kirche Frommen 
Und fragt nicht, wo ſie wir genommen!“ 


Und Herz und Mund und Auge lacht 
Dem Abt ob ſolcher ſchweren Pracht. 
„Die ſtrahlen“, rühmt er, „hell und weit 
Wie Kaiſer Rudolfs Frömmigkeit! 
Euch, Ritter Kurd, kann nicht entgehn 
Das nächſte fette Kloſterlehn, 

Damit ein Mann von Eurem Schlag 
Uns Friedensleute ſchirmen mag.“ 


Schwül brütet Mittag auf den Matten, 
In ihrer Hütte ſchmalem Schatten 
Sitzt Engel mit dem Mällerskind, 
Das plaudert, wie ein Brünnlein rinnt. 


Schon ſagte Lebewohl die Maid, 

Und blieb, ihr tut das Gehen leid. 

Es iſt, als ob noch eine Frage 

Ihr ſchüchtern auf den Lippen zage. 

Am Berge zuckt ein Wetterſchein 

Und langſam grollt es durch die Schwüle. 
„Ich will talnieder nach der Mühle“, 

Sagt ſie. „Die Kinder ſind allein! 

Der Vater iſt mit Holz gefahren 

Nach Stanz. Ich muß das Haus bewahren. 
Wie zieht es dunkel um die Wände 

Des Titlis! ... Wißt von Kurd ihr nichts?“ 


Sie fragts und wendet ſich behende 

Und ſteht erglühnden Angeſichts 

Vor einem Mann im Reiterhut, 

Der lächelnd ſagt: „Es geht ihm gut.“ 


Und Engel hängt am Halſe ſchon 
Dem wilden und dem liebſten Sohn. 


Sie treten friedlich Hand in Hand 

In Engels niedre Täfelſtube: 

„Wars Lisbeth nicht, die hier verſchwand, 
Die huckepack ich trug als Bube? 

Wie lieblich hat ſie ſich entfaltet! 

Wie hat ſie bräutlich ſich geſtaltet! 

Und dieſe Augen, braun und licht, 

In einem blaſſen Angeſicht!“ 


— „Ja, Kurd, ſie iſt ein lieblich Kind, 
Die Mutter ſtarb, zwei Jahre ſind 
Dahin, nun übt ſie brav und treu 

An vier Geſchwiſtern Mutterpflicht, 
Doch iſt ſie wie die Gemſe ſcheu 

Und einem Kriegsmann taugt ſie nicht.“ 


398 


Und Kurd: „Ich muß doch nach ihr ſehn, 
Will morgen in die Mühle gehn, 

Juſt dieſe, Mutter, will ich frein 

Und raſch wie dieſes Blitzes Schein!“ 


Die Wolken ſtoßen ſchwarz zuſammen, 
Der Himmel loht, die Blitze flammen, 
Die beiden treten unter Dach 

Und plaudern weiter im Gemach, 
Vernehmen in den liebevollen 
Geſprächen nicht der Donner Rollen 
Und hören nicht die Regen rauſchen, 
Derweil ſie trauten Worten lauſchen. 


Da hört er einen Schreckenston, 

Im Dorf ein geller Ruf erſchallt: 
„Die wilden Waſſer kommen ſchon! 
Ihr Männer! Wehrt der Stromgewalt! 
Die Mühle ſinkt! Die Not iſt groß!“ 
Kurd macht ſich von der Mutter los. 
Der beiden Klöſter Glocken ſtürmen 
Und jammern kläglich von den Türmen, 
Mit Windlicht und mit Hacken laufen 
Talabwärts aus dem Dorf die Haufen. 


Die Mühle ſchwankt im Sturmgebraus, 
Jetzt zugedeckt von Finſterniſſen, 

Jetzt zündet auf den Waſſergraus 

Ein jähes Licht aus Wolkenriſſen. 

Der Wogenſchwall hat, wild empört, 

Das Rad zermalmt, den Steg zerſtört. 
Das Haus, vom Ufer abgelöſt, 

Schwebt auf den letzten morſchen Stützen, 
Woran die Welle grimmig ſtößt. 

Nichts kann es vor Verderben ſchützen. 


399 


400 


Auf einem ſchmalen Brette ſteht, 

Die Füße bloß, das Haar verweht, 
Lisbeth mit der Geſchwiſterſchar 

Und hält das Jüngſte bittend dar, 

Sie hebts empor mit flehndem Arme, 
Ob ſeiner niemand ſich erbarme. 

Nicht Einer, der ſie nicht beklage! 
Nicht Einer, der die Rettung wage! 


Umringt von bangem Volke ſtand 

Beat am hohen Uferrand 

Und zeigt der Flut im Fackelſchein 
Beſchwörend den Reliquienſchrein; 
Jedoch die trotzgen Waſſergeiſter 
Erkennen heute keinen Meiſter. 

Da ringt er im Gebet die Hände 

Und ruft: „Herr, mach der Not ein Ende! 
Schick einen gegen die Dämonen 

Von denen, die im Himmel wohnen! 
Hilf, Herr! Es iſt die letzte Friſt!“ 
Und hell erſchallts: „Da bin ich ſchon! 
Und wenn es nicht ein Engel iſt, 

So iſt es eines Engels Sohn!“ 


Es iſt der tapfre Kurd. Er gleitet 
Vom Ufer nieder in die Flut 

Und zu der wanken Mühle ſchreitet 
Er, kämpfend mit des Strudels Wut. 
„Lieb Lisbeth! Bücke dich und reich' 
Das Kindlein mir in ſeinen Laken, 
Dann ſetze noch den Buben gleich 
Mir heilgem Chriſtoph auf den Nacken!“ 
Er ſtrebt zurück, mit ſtarker Hand 
Reicht er die Doppellaſt ans Land. 
Und wieder ringt er mit den Wellen, 
Die hoch und immer höher ſchwellen. 


„Lieb Lisbeth! Springe!“ Feucht er. — „Nein! 
Die müſſen erſt gerettet ſein! 

Bis ich ſie kann am Ufer ſehn 

Sie alle viere, bleib ich ſtehn!“ 

Und noch die beiden letzten ſchafft 

Ans Ufer er mit Rieſenkraft 

Und ſtürzt zurück und er erreicht 

Die Mühle noch. Ein Stoß! Ein Prall! 
Des Hauſes letzte Stütze weicht 

Und untergehts im Wogenſchwall. 

Er ſieht ſie neben ſich verſinken, 

Hält und umſchlingt ſie mit der Linken, 
Sie ſchweben, ſeine freie Rechte 

Scheint mit dem Stromgeiſt im Gefechte, 
Sie tauchen in die Tiefe nieder 

Und kommen in die Höhe wieder, 

Von jauchzenden Waſſern fortgetragen, 
Die über ihn zuſammenſchlagen. 


Da jetzt der Strom den Widerſtand 
Gebrochen, und die Freiheit fand, 
Wälzt er gelaſſener und breiter 

Die Wogen der Zerſtörung weiter, 
Er legt die beiden jungen Leben, 
Das Liebespaar, das er geraubt, 

Im Morgenlicht ans Ufer neben 
Einander, bettend Haupt an Haupt. 


XII 


Es war ein ſchöner Leichenzug 

Da man den Kurd zu Grabe trug. 
Von jungen Bräuten ſechs im Land, 
Den blanken Silberpfeil im Haare, 
Im faltenreichen Feſtgewand, 

Die führten Lisbeth auf der Bahre. 


26 Meyer. II. 401 


402 


Sie lag auf einem Bett von Moofen, 
Im braungewellten Haare Roſen, 
Und trug geheimer Wonne Licht 

Auf ihrem ſtillen Angeſicht. 

Jetzt nahte hoch der Starke, Blaſſe, 
Dahingeſtreckt in Todesſchlaf. 
Murmeln durchlief des Volkes Gaſſe, 
Und: „Brav!“ erſcholls und wieder: „Brav!“ 
Das grüngeſchmückte Lager halten 
Empor auf Schultern breit und ſtark 
Sechs edle herrliche Geſtalten, 

Sechs Jünglinge, des Landes Mark. 
Die Stirne ziert ein Eichenkranz, 
Sein gutes Schwert gibt ihm Geleit, 
Das tapfre Haupt verklärt ein Glanz 
Von feierlicher Fröhlichkeit. 

Der hohen Bahre ſchreitet nah 

In tiefem Sinnen Angela, 

Und ob ihr auch das Mutterherz 
Zerreißt ein ungeheurer Schmerz, 
So iſt er doch gemiſcht mit Luſt, 
Hebt Freude doch ihr ſtolz die Bruſt, 
Daß ihrer Sorge liebſter Sohn 

In hellem Ruhme zieht davon. 

Jetzt kommen an des Vaters Hand, 
Was Kurd dem wilden Strom entwandt: 
Lisbeths Geſchwiſter, erſt die kleinen, 
Die größern folgen nach und weinen, 
Und dann in brauſendem Gedränge, 
Des Alpenvolkes bunte Menge, 

Das unter dröhnendem Geläute 

Dem Sieger folgt und ſeiner Beute. 


Seit Engel wohnt in leerem Raum, 
Nicht weiß ſie ſelbſt wie lange Zeit, 
Verklärt ſich in der Einſamkeit 


26* 


Das Leben ihr und wird zum Traum. 
Des Auges und der Seele Sinnen 
Hangt an des Engelberges Zinnen. 
Wann purpurn brennt das Felsgeſtein 
Auf Himmelsgründen tief und rein, 
Fühlt ſie Verlangen nach der Einheit 
Mit dieſer Glut und dieſer Reinheit. 
Noch weiß ſie, wie ſie unverzagt 

Den erſten Felſenhang erklommen, 
Und was ihr Marthe hat geſagt, 

Daß ſie vom Himmel hergekommen 
In einer ſelgen Engelſchar, 

Sie glaubt es und es wird ihr wahr. 
Und fährt im Blau ein lichter Reigen, 
So ſieht ſie heilge Mächte walten 

Und ſieht ſich Arme ſegnend neigen 
Und grüßt hinauf zu den Geſtalten. 


In einer Sommermitternacht 

Iſt Engel jählings aufgewacht: 

Es hat ans Fenſter ihr gepocht, 

Trüb ſchimmert einer Leuchte Docht. 
„Mach auf!“ Ihr dünkts der Ruf Hilars, 
Sie öffnet und der Alte wars. 

Er meldet, keuchend noch vom Gehn: 
„Ein Unglück, Engel, iſt geſchehn. 
Dem Baptiſt bracht in letzter Not 

Ich Beiſtand eben. Er iſt tot. 

Das Wildheu hat er heut geſchnitten 
Am Engelberg und iſt geglitten. 

Ich ſah das Weib in Schmerz verſteinen, 
Es tät ihr wohl, ſich auszuweinen. 

Ich weiß, du fürchteſt keine Mühe: 
Geh zu ihr morgen in der Frühe! 

Es iſt in deinen jungen Jahren 

Dir gleiches Unglück widerfahren, 


403 


404 


Und Gram wird nur von Troſt geſtillt, 
Der ſelbſt aus wundem Herzen quillt. 
Du kennſt den Weg. Leb wohl!“ 


Sie ſchaut 
Hinaus ins Freie. Rings kein Laut, 
Am Himmel wenig Sterngefunkel, 
Lau iſt die Nacht und wolkendunkel. 
Sie denkt des armen Weibs. Es leidet 
Sie nicht zu Haus und, raſch gekleidet, 
Eilt ſie auf wohlbekannten Wegen 
Dem Hang des Engelbergs entgegen. 
Die arme Hütte, die ſie ſucht, 
Liegt fern in einer Bergesſchlucht, 
Wohin den Pfad ſie oft gegangen, 
Und ob er wild ſei und zerriſſen, 
Sie ſchreitet raſch und ohne Bangen 
Und kann des Mondes Leuchte miſſen. 
Sie wandert, Stunden wandert ſie, 
Doch kommt ſie zu der Hütte nie. 
Schon auf den nackten Felſen tritt 
Ihr Fuß, ſie fördert ſtets den Schritt. 
Sie iſt den Steg vorbeigeeilt, 
Der ſeitwärts nach der Hütte leitet, 
Und immer ſteigt ſie unverweilt, 
Die hoch ſchon überm Tale ſchreitet. 
Sie ſteigt, als ob empor ſie triebe, 
Was ſie gelitten und empfunden, 
All ihre Wonnen, ihre Wunden, 
All ihre Kraft, all ihre Liebe! 
Sie ſchreitet ohne Raſt und Ruh 
Dem offnen Tor des Himmels zu — 
Und iſt am Gipfel angekommen, 
Sie hat den ſteilen Berg erklommen. 
Frei oben ſteht mit einem Mal 
Sie jetzt und rings verſank das Tal. 


Die Firne fangen an zu glimmen, 

Zu leuchten und im Licht zu ſchwimmen, 
Und von den hundert weißen Spitzen 
Herüber kommts wie Flügelbligen, 

Die Tiefe tönt, die Höhen klingen, 

Die Erde ſchwindet ihrem Fuß, 

Sie fühlt gehoben ſich von Schwingen, 
Und ſie vernimmt den Engelgruß: 


„Es ging ein Himmelskind verloren 
Und blieb dem Himmel doch getreu, 
Es ward von einem Weib geboren 
Und wußte doch, woher es ſei. 

Es dachte heim in bangen Stunden, 
Es hat geweint und uns geſucht. 

Wir haben wieder es gefunden 

Und retten es in ſchneller Flucht.“ 


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INHALT UND REGISTER DER „GEDICHTE“ 


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INHALT DER GEDICHTE 


Seite 
Zur neuen Auflage 9 
I. Vorſaal 
P 11 
Das heilige Feuer 11 
Schillers Beftattung ......-- 12 
Liederſeelenn 12 
Schwarzſchattende Kaſtanie . 13 
Nachtgeraͤuſ che 13 
Die toten Freunde 14 
Der ſchoͤne TagaLaLaa· 14 
über einem Grabtc 15 
Der Marmorknabe ......... 16 
Liebes flͤmmchee n 17 
geleitet 17 
Hochzeitsliddd . 18 
Die Jung frauWu 19 
. eniesanesnae 20 
—WAWP 21 
Ein Lied Chaſtelardds ... 23 
Die kleine Blanchhbee 23 
Die geloͤſchten Kerzen 24 
Fingerhuͤtceeeerns⸗ 25 
Traumbeſit zz. 29 
Die gefeſſelten Muſen 30 
II. Stunde 
Morgenlieed 32 
c 33 
Das tote Kind 33 
Lenz Wanderer, Moͤrder, 
Triumphato r 33 
——AAPAw . 2 35 
Was treibft du, Wind 35 
Lenz fahrt 36 


Seite 
Lenz, wer kann dir widerſtehn? 37 
Der Lieblings baun 38 
Der verwundete Baum ..... 38 
Das bittere Truͤnklein 39 
Abendrot im Walde 39 
Jetzt rede dung 40 
Die Lautenſtimme nnn 40 
Sonntags e anaeny 41 
Schwule 42 
In Harmesnaͤchten 43 
Votiotaſel 43 
Eingelegte Rudern 44 
Ein bißchen Freude ........ 44 
Im Spaͤtboohů» 45 
Vor der Ernte 45 
Erntegewitteeerrr! 46 
Schnitte rlied9dͤs“ 46 
Auf Goldgrundd 46 
Requem 8 47 
lee 47 
Mein Sten - 48 
Mein Ja hee 49 
Wanderfuͤß e 49 
Die VeltlinertraubtWCcX. 50 
Weinſege n 50 
Saͤerſpruc h 52 
Einem Tageloͤhnee 52 
Ewig jung iſt nur die Sonne. 53 
Novemberſonnen 53 
Aus der Hohe 54 
Die Schlittſchughgh e 54 
Begegnung 56 
Neujahrsglockee n 56 
Das Heute 57 
Unter den Sternen 57 


Seite 
III. In den Bergen 


7 naeh 58 
Der eifebecher 59 
Nach der erſten Bergfahrt... 60 
Das weiße Spitzchen 60 
0 ee 61 
e 61 
C 62 
F 63 
Seich e 63 
Zus Olsdlem nee 64 
r ee 65 
Ich würd es hören ......... 65 
Die Bank des Alten 66 
De ne e 8 67 
Der Kaiſer und das Fraͤulein 68 
Neiſephantaſitie 69 
r a nen 70 
S oe et 70 
Söhe Clütien na. 71 
TJJVTTVV 71 
Fc 72 
Die zwei Reigen 74 
Bacchus in Bünden ........ 76 
CCC 77 
n! try 79 
Burg „Fragmirnichtnach“ ... 79 
CVVT 80 
if 80 
nabe 81 
JJ. SE IE Re 84 
burg 86 


IV. Reiſe 
„Tag, ſchein herein! und Leben, 


ieh us!!!! 88 
o 89 
Die Schlacht der Bäume ... 90 
Der Triumphbogen 90 
Venedigs erſter Tag -....... 91 
WM d ö 94 
410 


Seite 
Auf dem Canal grande. 95 
Die Narde 96 
Nach einem Niederländer ... 96 
JI 97 


Die Kapelle der unſchuldigen 
Kindlein 


„»...............es 


Die Rartäujer 98 
Der römifche Brunnen 99 
Darpeiaa : ofen 99 
Die gegeißelte Pſyche . 101 
Der tote Achill! 101 
Der Muſenſaa 03 103 
Alte Schweizee 104 
Abſchied von Korfifa ....... 105 
Napoleon im Kreml ........ 106 
Die Solin: a 107 
Der Geſang des Meeres .... 108 
Das Strandflofter .......... 108 
Nicola Desce .... ir 110 
Zwiegelprärh sul 110 
Flut und Ebbe 111 
Memenflug ...- - else 112 
Das Ende des Feftes ....... 113 
V. Liebe 
Alles war ein Spiel. 114 
Zwei Segel. 114 
Heſperosz . 115 
Das begrabene Herz ......... 116 
Ohne. Daemm 3 116 
Die Ampel] 117 
Unruhige Nacht 118 
Der Kamerad 118 
Spielzeng 119 
Weihgeſ chern.. 120 
Der Blutstropfer n 122 
Stapſen Da 123 
Wetterleuchten 124 
Sethe 124 
Einer Toten 125 
Ihr Heim 2 Je 126 
Liebesjahr „„ 127 


Weihnacht in Ajaccio 127 
Schneewittchee'trn 128 
v 129 
Laß ſcharren deiner Roſſe Huf! 129 
eng 130 
ccc 130 


Mit einem Jugendbildnis.... 131 


VI. Goͤtter 
Die Schule des Sile n 132 
u 133 
Vor einer Büfte............ 134 
Die ſterbende Medufe....... 134 
Naͤchtliche Fahr 136 
eit. 136 
5 138 
Der trunkene Gott 139 
ahh 141 
Der Geſang der Parze ..... 142 
Der Ritt in den Tod 143 
Das Joch am Leman 144 
rr 146 
Das verlorene Schwert.... 148 
rem 149 
Die wunderbare Rede. 150 
In einer Sturmnacht N 152 
r 153 


VII. Frech und Fromm 


Friede auf Erden 155 
König Etzels Schwert ....... 156 
r euasee 157 
Beitlerballnde .-........-...- 158 


Die Söhne Haruns 
Der Berg der Seligkeiten .. . 161 
TW SE 163 
Thibaut von Champagne .... 164 
Der Pilger und die Sarazenin 166 
Am Himmelstor n 170 
Mit zwei Worten 170 
Das kaiſerliche Schreiben .. . . 171 


Seite 
Kaiſer Friedrich der Zweite .. 173 
Konradins Knappe 174 
Die gezeichnete Stirne. 175 


Der Tod und Frau Laura... 176 
Die Gedanken des Königs René 177 


Der Mars von Florenz ..... 178 
o 180 
Der Moͤnch von Bonifazio .. . 182 
JS ..2.22..0 u e 184 
La Blanche Nef 186 
Der ſchwarze Prin 189 
Der gleitende Purpur....... 190 


Das Galdtuc ß 192 
Frau Agnes und ihre Nonnen 193 


Kaiſer Sigmunds Ende ..... 194 
Die drei gemalten Ritter ... . 195 
Sell... 196 
Das Mimſ ter 198 
Die Keyp te 202 


VIII. Genie 


Cms ee 203 
Michelangelo und ſeine Statuen 204 


JI Penis 204 
Conquiſtadores 205 
Don Fadriune 209 
Die Schweizer des Herrn von 
Tremenill! 210 
Die Seiten wunde 212 
Caͤſar Borjas Ohnmacht .. . . 213 
PC 215 
CCC 217 
Der Schreckliche 217 
Pergoleſes Staͤndchen ...... 218 
Auf e 22.2.2... 219 
C 220 
IX. Männer 
c 221 
ai 223 


Der Lande Er 224 
Der Rappe des Komturs.... 226 
Die ſpaniſchen Brüder ...... 227 
Das Auge des Blinden ..... 229 
Die verſtummte Laute ...... 230 
Das Weib des Admirals .... 232 
Hugenotten lied 233 


Die Karyatide 233 


Seite 
Mourir ou parvenir .. 234 
Das Reiterlein :::. 235 
Die Füße im Feuer 237 
Die Roſe von Newport 239 
Der ſterbende Cromwell ..... 240 
Miltons Rache 241 
Der Daxelh ofen 243 
Ein Pilgemm 244 


BKESSISTER ZU SGEDICHTE" 


335 
1. 
III. In den Bergen 
W 
120. ² 


Abendrot im Walde 


Abendwolke 
Abſchied von Korſika 


il 
— EEE 
3564 
Alles war ein Spiel. 
66 
Alte Schweizer 
Am Himmelstorõr»rrnr 
1 
Auf dem Canal grande ... 
Auf Goldgrundddv 
Auf Ponte Siſt o 
Das Auge des Blinden ... 
Dee 
Bachus in Bünden ...... 
Die Bank des Alten 
Der verwundete Baum ... 
4 
Der Berg der Seligkeiten ... 


Bettlerballade 


Neri 
Die kleine Blanche 
Der Blutstropfen 
Der Botenlauf ........... 
r 
Brücke 
Die ſpaniſchen Brüder .... 
Der roͤmiſche Brunnen ... 
Burg „Fragmirnichtnach“ .... 


„„ „„ „„ „„ „„ „46 


—— Am 


Seite 

M. Osten 132 
VII. Frech und Fromm ... 155 
WII Senieñ 203 
I Mönn er 221 
Genn. 8 203 
Caͤſar Borjas Ohnmacht .... 213 
Chor der Toten 220 
Conquiſtado res 205 
Der ſterbende Cromwell... 240 
Daͤmmergang 130 
Der Daxelhofen 243 
Don Fadriuunee 209 
Die Dryass 21 
Eingelegte Ruder .......... 44 
Einſie del 196 
Das Ende des Feſtes ...... 113 
Eppich khh 33 
Erntegewitter Il 46 
Ewig jung iſt nur die Sonne .. 53 
Die Fei 3 20 
Die Felswand 70 
Das heilige Feuern 11 
Fieber nacht: 77 
Fingerhüt chen 25 
Firnel icht 61 
Flut und Eben 111 
Frau Agnes und ihre Nonnen 193 
Ein bißchen Freunde 44 
Die toten Freunde 14 
Friede auf Erden 155 
S ͤ 11 
Die Füße im Feuer 237 
Saen 157 
ee. 163 


Die Gedanken des Könige René 177 


413 


Das Geifterroß............. 146 
Das ieee 81 
Der Geſang des Meeres .... 108 
Der Geſang der Parze .... 142 
Gefen 80 
Das Gloͤckleinnn . 64 
Das Goldtuc . 192 
Der trunkene Östt ......... 139 
Biehl! 63 
Dis Heiligtum 149 
Deer enn 72 
Das begrabene Herz 116 
Heper os 115 
Das Heute fi dual: 57 
Himmelönähe .............. 61 
Pittenfener... 2... RE 129 
Döchzeitslied east Auen. 18 
Siehe Statinn 1 
Hugenottenlied ............. 233 
Hüſſens Kerler 223 
Ich würd es hoͤre n 65 
r Heim IRA eat 126 
n Spabeeseee 45 
In Harmesnädten.........- 43 
u der Ghiima ;-2:2:...:0% 217 
In einer Sturmnadit ....... 152 
BR. N HÄUEH E } 97 
etzt rede dul 40 
Das Joch am Leman 144 
Die Jungfrau 19 
Jung Tire! 4 184 


Der Kaiſer und das Fraͤulein 68 
Kaiſer Friedrich der Zweite.. 173 


Kaiſer Sigmunds Ende...... 194 
Mer Kaum rad Ana 118 
Die Kapelle der unſchuldigen 
ein.. 98 
Die Kartduſer 98 
Me Korhat ide 233 
Die geloͤſchten Kerzen....... 24 
Jö 180 
r 33 
König Etzels Schwert ....... 156 


414 


Seite 
Konradins Knappe ......... 174 
Die Kom 107 
Die Krypfte 202 
Der Tand graf 224 
Laß ſcharren deiner Roſſe Huf! 129 
Die verſtummte Laute 230 
Die Lautenftimmer ......... 40 
Lenz Wanderer, Mörder, 
Triumphatoe 33 


Lenz, wer kann dir widerſtehn? 37 
Lenz fahrt. 36 


Lethe 124 
Die tote Liebe 130 
Liebesflämmden ........... 17 
Siehesjaht . - 2.17 ee 127 
Der Lieblingsbaum ......... 38 
Ein Lied Chaſtelards ..... ... 23 
Liederſeelen 12 
Lüther lied 221 
Maientasag 35 
Der Marmorfnabe.......... 16 
Der Mars von Florenz 178 
Die fterbende Medufe....... 134 
Mein Jahn: . 49 
Mein Stern 48 
Michelangelo und ſeine Sta— 
tuen 204 
Miltons Rache. 241 
Mit einem Jugendbildnis .. . 131 
Mit zwei Worten 170 
Der Moͤnch von Bonifazio. . . 182 
Morgen lied 32 
Mourir ou pamenir!........ 234 
MoöwenfluaunW g 2sibeume 112 
Das Münster 198 
Die gefeſſelten Mufen....... 30 
Der Muſenſaall 103 


Nach der erſten Bergfahrt. ... 60 
Nach einem Niederländer.... 96 


Nachtgeraͤuſ che mE 13 
Naͤchtliche Fahr 136 
Napoleon im Kreml ........ 106 
Die Narde 96 


Teujahrsgloden...eur....... 56 
W PN 110 
c 79 
Novemberſonn 53 
„„ 116 
%% 215 
„ 204 
— 133 
Pergoleſes Ständchen ...... 218 
Der Pilger und die Sarazenin 166 
JJC 244 
Der ſchwarze Prinz 189 
Die gegeißelte Pſyche 101 
Der gleitende Purpur....... 190 
Der Rappe des Komturs ... 226 
Die wunderbare Rede 150 
. 84 
Die zwei Reigen 74 
ie becher 59 
Reiſephantaſi e 69 
Das Reiterlein 235 
FAA. ͤ 47 
K 70 
Der Ritt in den Tod 143 
Die drei gemalten Ritter 195 
Die Roſe von Newport 239 
T 89 
„ nenne 52 
Schillers Beftattung ........ 12 
Die Schlacht der Bäume ... 90 
Die Schlittſchu hee 54 
Schneewittchees 128 
„„ 46 
Der Schreckliche 217 
Das kaiſerliche Schreiben . .. . 171 
Die Schule des Silen .. 132 
Sr 58 


Schwarzſchattende Kaſtanie .. 13 
Die Schweizer des Herrn von 


CV a nee. 210 
Das verlorene Schwert .... 148 
r 42 
Seelchen 63 


Seite 
Die Seitenwunde ....... 2e 212 
Die Söhne Haruns 159 
Sonniag a elek 41 
Spie! EISEN 65 
Spielzeug “ 119 
Das weiße Spitzchen 60 
Stapffe n 123 
Die gezeichnete Stirne 175 
Das Strandflofter .......... 108 
Der.Stromgstt:\. „1 TEE 136 


„Tag, ſchein herein! und Leben, 


flieh hinaus! . 88 
Der ſchoͤne ag 14 
Einem Tagelöhner.......... 52 
Tarpea TEE: 99 
Theſpeſ ius & 138 


Thibaut von Champagne .... 164 
Der Tod und Frau Laura... 176 


Einer Toten 125 
Das bittere Truͤn klein 39 
Draumbeſit z 29 
Der Triumphbogen 90 
Über einem Grabt e 15 
Unruhige Nacht 118 
Unter den Sternen 57 
Die Veltlinertraubw: “ Ue 50 
Venedig 8 94 
Venedigs erſter Tag 91 
Viſion ... 
Por einer Buͤſte 134 
Vor der Ernte 45 
Votistafel d Ja il: 43 
Wanderfüiß ee ee 49 
Was treibſt du, Wind 35 
Das Weib des Admirals .. . . 232 
Weihgeſ chen 120 
Weihnacht in Ajaccio. 127 
Wemſe gen dd. 50 
Wetterleuchten 124 
Zur neuen Auflage. 9 
Seel Ye 114 
wiegesſprüh 25 110 
Die Zwing burg 86 


NACH DEN GEDICHT: ANFAN GE 


Seite 

Als der Bernina Felſentor. .. 89 
Als der Herr mit maͤcht'ger 

Schwinge 

Als das Muͤtterlein erkrankt.. 107 
Als ich juͤngſt vom Pfad ver: 


iert waer 7¹ 
Am Brunnen überflutet..... 99 
Am Geſtade Palaͤſtinas ..... 170 
Am Grab der Republik iſt er 
geſtandennn ee ee: 241 
Am Himmel waͤchſt der Sonne 
Arr.. ICH REBuR .% 36 
Am Horizonte glomm des 
Abends Feuer 80 
Am Strande des gelobten 
L/ ee 163 


An dem Bauernhaus voruͤber 62 
An dem kleinen Hofe von Na⸗ 


varranagaga 23 
An des Jahres Wende ſprach 
ich ., erde 117 


An wolkenreinem Himmel geht 45 
Auf das Feuer mit dem goldnen 


Stralle ; 11 
Auf dem Canal grande 95 
Auf der Appierſtraße zieht ein 

ERC 150 
Auf dieſem kurzen Bergesraſen 

PP ee 174 
Auf mondenhellem Lager ... 232 
Auffteigt der Strahl ........ 99 
Aus der Eltern Macht und 

— men 18 
Aus der Schiffsbank mach ich 

oe. 45 


Aus Henkerfaͤuſten flogen ... 98 
416 


. Seite 
Baut, junge Meiſter, bauet hell 202 
Bei der Abendſonne Wandern 47 
Benvenuto, ſprich, was ſchmie⸗ 


deſt. 217 
Bemeßt den Schritt 52 
Berggeiſt, ich hoͤre deine Stroͤme 

rauſcheen 77 


Bit du die traͤumende Bacche 134 
Blicke gen Himmel gewandt. . 141 
Bluͤten ſchweben uͤber deinem 

Grabe 
Bollwerk und Mauer trutzen 108 
Bruͤtend liegt ein heißes 

Schweigen. 
Camoöns, der Muſen Liebling 203 
Da die Hirten ihre Herde ließen 155 
Da find ich dich! In Winter⸗ 


gr aus. 227 
Da mit Sokrates die Freunde 
tran rden. 113 
Das Baͤchlein nimmt nach der 
Loire den Gang 235 
Das Boot ſtoͤßt ab von den 
Leuchten des Geſtads ..... 14 
Das Heut iſt einem jungen 
Weibe gleicht. 57 


Dein Bogen, grauer Zeit ent— 
ſtammt 
Den Hauptmann Daxelhofen 243 
Den ich pflanzte, junger Baum 38 
Denkſt, Freund, des wilden 


Knabenſpiels 65 
Der fromme Lautenſchlaͤger 

Herr Rens RN 177 
Der Gallier letzte Burg und 

Stadt erl agg 148 


Seite 
Der Kaiſer fpricht zu Ritter 
Hung 156 
Der Meiſter malt ein kleines 
zartes Billd rn... 96 
Des Meiſters hohle Wange 
r 198 
Die brave Marthe tat, was ſie 
vermocht' 
Die Einen liegen tot mit ihren 
en deinen 144 
Die Mutter mahnt mich abends 17 
Die Rechte ſtreckt ich ſchmerz⸗ 


„„ EEE 
Die Türme von Florenz .... 178 


Don Fadrique bringt ein 
S 209 
Du lebſt meerüber ......... 130 
Du oͤffneſt, Sklave, deinen 
PAP 204 
Du ſcherzeſt, daß ein Datum 
ich verga n 116 
Du wareſt mir ein täglich 
Wanderziel 40 


Durch das Marktgedraͤng von 
Co 229 

Durch den dreigeteilten Bogen 146 

Eia Weihnacht! Eia Weih⸗ 


N PR 6 190 
Ein aͤrmlich düfter brennend 
„„ 12 


Ein Bergesruͤcken ſtillbeſonnt 161 

Ein betrogen Maͤgdlein irrt im 
c 39 

Ein blendendes Spitzchen blickt 
über den Wald 60 

Ein Cherub ſchritt das Tal 
FWW 74 

Ein gewalt' ger Herd mit glühn: 
den Kohlen 

Ein halbes Jaͤhrchen hab a 
nun gefhwommen .......-- 

Ein jaͤher Blitz. Der Ernte: 
wagen ſchwanktt 46 


27 Meyer. II. 


Seite 
Ein Juͤngling irrt in Waldes— 
iim ee 21 
Ein Kloſterhof, ein Lenzestag 193 
Ein Knabe wandert uͤber Land 221 
Ein kurzes Schwert gezuͤckt in 
nerv'ger Rechten 134 
Ein leuchtend blauer Tag... 90 
Ein Schiff befuhr das Meer.. 136 
Eine gluͤckgefuͤllte Gondel... . 91 
Englein ſingen aus dem blauen 
Tag. Il. 35 
Entgegen wandeln wir dem 
Dorf, x. 130 
Eppich, mein alter Hausgeſell 33 
Er nickt mit ſeinem großen 


Haut 106 
Er ſteht an ihrem Pfuͤhl .... 64 
Es faͤhrt der Wind gewaltig 

durch die Nacht 152 


Es geht mit mir zu Ende.. . . 223 
Es hat den Garten ſich zum 


Freund gemachte 33 
Es herrſcht' ein König irgend: 

WW 
Es ſprach der Geiſt: Sieh 

auff ee 153 
Es war in Avignon am Karne⸗ 

val 8 176 
Feindſelig, wildzerriſſen ſteigt 

die Felswand 70 
Fern von dem fuͤrſtlichen keu⸗ 

ſchen Gemahl 84 
Fra Dolein, der Ketzer. 180 
Frau Berte, hoͤ rt 195 
Fremdling, unter dieſem 

Schu tte 29 
Frühling, der die Welt um: 

blau ul N LEN 35 


Gebrochen ift der alte Twing 86 
Geh nicht, die Gott für mich er— 
ſchu f EEE 129 
Genug iſt nicht genug.. 11 
Geſtern fand ich, raͤumend. .. 59 


Seite 
Greif aus, du mein junges, 


mein feuriges Tien 143 
Halb vom Hades ſchon be: 

c San, 215 
Harun ſprach zu feinen Kin⸗ 

Ren + Bo ee 159 


Hat fich die Kelter gedreht... 127 
Heim bin ich aus dem Morgen: 


ED 164 
Herr Heinrich Guiſe ſchrieb. . . 234 
Herr Karl war verdroſſen . . .. 210 


Herr Koͤnig, ich bin Steffens 


N N Er ti 186 
Herr Konrad Schmid legt’ um 

die e SE 226 
Heut atm ich mit den Sommer⸗ 

ten, 50 
Heut ward mir bis zum jungen 

Nag a 118 


Heute deiner zu gedenken ... 120 
Heute fanden meine Schritte 53 


Hier am Sarazenenturme.... 90 
Hier — doch keinem darfſt dus 
V 131 


Hoch am Septimer, dem Kaiſer⸗ 


P 68 
Hoch an der Windung des 
o 71 
Hör, Ohm! In deiner Troͤdel⸗ 
lamm 2, uhublaer. 54 
Ich bedacht es oft in dieſ 
Enden; - -- e u 49 
Ich bin den Rhein hinauf ge: 
enn 70 
Ich bin einmal in einem Tal 
a 66 
Ich lag an einem Raine 33 
Ich lag im Gras auf einer 
n 63 
Ich liebe, Nymphe, deine 
. 41 
Ich ſehe dich, den Kranz im 
( ie es = 17 


418 


Seite 
Ich ſehe ſie auf Sacchis 
ſuͤßem Bilde 
Ihr Maͤgde, ſchaut, was ihr im 
Schreine habttetet 192 
Im Garten ſchritt ich durch die 
Lenzes nacht. 124 
Im Hof des Louvre 233 


Im Saale jubelt Hochzeit. .. . 157 
Im Vatikan vor dem vergilbten 
Marmorſarg 101 
In den aͤchzenden Gewinden. 53 
In den Armen ſeines Juͤngſten 173 
In den Luͤften ſchwellendes 
Gedroͤhne 
In den Wald bin ich gefluͤchtet 39 
In der Capuletti Vigna 16 
In der Nacht, die die Baͤume 
mit Bluͤten deckt 12 
In der ſchattendunkeln Laube 132 
In der Siſtine daͤmmerhohem 
Raum 217 
In der Wiege ſchlummert .. . 142 
In die Schule bin ich gangen 233 
In dieſen Liedern ſuche du. . 114 
In einem fernen, umbrandeten 


Land. 111 
In einem Winkel ſeiner Werk 
ſtatt .. 204 


In jungen Jahren wars .... 123 

In kuͤhler Tiefe ſpiegelt fih.. 14 

In meiner Firne feierlichem 
Kreis 61 


Stunde 
Jedem, außer an die Toten.. 37 


Jung Tirel, fuhreſt uͤber 
184 


See 
Juͤngſt am Libanon in einem 

Kloſter . 166 
Juͤngſt im Traume ſah ich. . . . 124 
Juͤngſt trug ein Traum. 103 
Juͤngſt verlockt es mich ...... 80 


Korſen, loͤſt des Portes Ketten 182 


Seite 
Läg dort ich unterm Firne⸗ 


WAA 65 
Lang vorüber ging ich den Ge: 

A K 126 
Lange Jahre ſah ich dich ... 52 
Licht und lauter Bläue ..... 194 


Liebchen fand ich ſpielend ... 119 
Liebe Kinder, wißt ihr, wo... 25 
Liebes Kind, du biſt gemagert 60 
Ließeſt unter uns dich nieder 129 
Meine eingelegten Ruder trie— 


r 44 
Meine Strahlen ſind geknickte 
n 110 
Melde mir die Nachtgeraͤuſche, 
I 13 
Mich denkt es eines alten 
o 116 


Mich führte durch den Tannen: 
wald 

Hauſe 224 

Mir traͤumt', ich komm ans 


T 170 
Mit dem Stifte les ich...... 9 
Mit dem Tode ſchloß ich Kame: 

e 118 
Mit edeln Purpurroͤten 32 
Mit kuͤmmernden Gedanken 

C 43 
Mittagsruhe haltend auf den 

. 69 
Mondnacht und Flut 20 
Morgengraun. Die Karawane 

TA 136 
Moͤwen ſah um einen Felſen 

o use 112 


Nahe wieder ſah ich glänzen.. 58 
Nicht vom letzten Schlitten: 


o 49 
Nieder trägt der warme 

r 34 
Nina, laß den Schlummer fah— 

ccc 218 
27* 


Seite 
Noch einmal ein fluͤchtiger 
Wandergefell............. 
Oft in meinem Abendwandel 48 
Olbaumſilber, Myrte, Lorbeer, 


Pinie MERAN RP 105 
Petrus, ſchreiñb 171 
Prinz Bertarit bewirtet Vero— 

nas Bettlerſchaf w 158 
Reife Goldorangen fallen ſahn 

wir heute ͤ 127 


Schlummernd juͤngſt in Wal: 


destenuu m FEN, 40 
Schneewittchen haſt im Scherz 
du dich genannt ........- 128 


Schreitend meinen Hoͤhenpfad 54 
Schwarzer Prinz und Koͤnig 


Hans RN. 189 
Schwarzſchattende Kaſtanie . 13 
Sehnſucht ift Qual ......... 23 
Sie haben mit dem Beile dich 

zerſchnitten 38 
Sie kommen mit droͤhnenden 

S ˙»o 104 
Sie mochte gern an ſeiner 

Schulter lehnen 230 
Sie ſchreitet in baechiſch bevoͤl⸗ 

kertem Raum 133 
's iſt im Sabinerland ein Kir⸗ 

henne 8 244 
So ſtille ruht im Hafen 47 


Sprengende Reiter und flat- 


ternde Blüten 239 
Süß iſt das Dunkel ....... 219 
Tag, ſchein herein 88 
Truͤb brennt der Schenke Ker: 

Fi ae 81 
Truͤb verglomm der ſchwuͤle 

Sommertasss 42 


Über ihre Tore ſtatt der Muſe 212 
Über ſchwarzem Tannenhange 115 


Vater Lucas fprah ......-- 72 
Venedig, einen Winter lebt ich 
C n eee 94 


Seite 

Vor der Koͤnigsburg in naͤcht'⸗ 
ger Stunde 
Waldnacht. Urmaͤcht'ge Eichen 149 
Was pocht mir an das Fenſter 196 
Was treibſt du, Wind 55 
Weib, verrate mir 175 
Weiße Marmorſtufen ſteigen . 139 

Wer bin ich? Einer, welcher 
untering 8 213 
Wer in der Sonne fämpft.... 57 
Wie fuͤhl ich heute deine Macht 125 


er aaa bh, 61 

Wild zuckt der Blitz. In fahlem 
SCC o Ä 237 
Wir ſchnitten die Saaten .. 46 


Wir Toten, wir Toten 220 
Wo die Tannen finſtre Schat⸗ 
ten werfen 
Wo ſah ich, Maͤdchen, deine 
Züge. art ar ea 19 


ten Sa 


mern 101 
Wo weiß die Landquart 79 
Wolken, meine Kinder ...... 108 
Zur Zeit der Leſe wars 122 
Zwei edle Spanier halten 

Wacht: a 205 
Zwei Greiſe ruhten unter einer 

Pinie Eee 138 


Zwei Segel erhellend 


BFHALTI ZU „HUTTENS LETZTE TAGE" 


* 
3 
75 N 


Die Ufenau 


Seite 
PPP! ĩ˙ al ale Varta. m 251 
Nah ra 253 
EIE Huttens Haustät Sunn.niiue Haren 253 
IV. „Ritter, Tod und Teufel. 254 
Z 1m a een aaa en e 255 
Das Buch der Vergangenheit 
L110 rn ER TE a 257 
—: , ET ̃ . RE IE. Val aı = 257 
Tf N TE Nena se 258 
IX. Epistolae obscurorum virorum . gg 259 
f 8 261 
XI. Der „Ritter ohne Furcht und Tadel 261 
. P ar en N RS ET A ne 263 
de Awlaßbude ne 265 
FTT 2.2.0 = 12 = 0 See een ae 266 
Bear Aklein 2. 2.220202 . nr ae aa 267 
XVI. Das Kindlein in Mainz 268 
WMWamnzerſpie ee eu nn 270 
D Senn a 271 
BR Dipverfländnid '. ss? 8 272 
:: n a ae 272 
eien ee 274 
00 ʒ;Hrc . nes 275 
Einſamkeit 
ä— . ] 276 
XXIV. Was die Glocken ſageennnneee n 277 
iieelsg ie 8 277 
re ll » wu a den». ee 278 
TTC a 00 an am nm 0 ale Tanz 279 
XXVIII. Bin ich ein Dichtern 281 
XXIX. Der letzte Hum penn 282 
/ ꝙð / ĩ²·—···˙ V ae a 284 
“DUDDie deutihe Bibel ne ah 285 
BE ie" ᷣ ᷣͤůͥrLö̃ e 7 ˙ . ie a 286 
Verde ee ge 287 
1 886 we are, Sana 288 
das Huttenlied . - ee ana a nenn eg 291 
XXXVI. Deutſche Liberta ee. 292 
der Schmee d 293 


Seite 
XXXVIII. Der Pilger 2. 20 Do 295 
XIXIX. Die Mahlzeit 7.2 296 
X. Das Gebekekeuuůͥͤ à]1! 298 
XL1. Fiebernac tt. 300 
Menſchen 
XLII. Die Bilderſtür mer 303 
XLIII. Der Tann oe SR 304 
XLIV. Der Schäfer! LER. DU 305 
XLV. Der Heine Ferne 306 
XLVI. Schweizer und Lands knechnhnhn e 307 
XLVII. Vermächtnis 308 
XLVIII. Abendſtimmunng᷑ 309 
XIIX. Nachtgeſprüäc - - - - - 2» Seren re 309 
L. Mythos Te ee ee 311 
LI. Der Dfateer ®. .- - 2 - ä 2 * 312 
Das Todesurteil 
, ( ͤ „„ 314 
LI. Sue Beiyie A ne 316 
LIV. Gsttermoeed : 316 
LV. Das fallende aul 317 
LVI. Reiffe so 2 318 
Dämonen 
LVII. Der wilde Hutten. 320 
LVIII. Herzog richt. 320 
LIX. Sturm und Schillkkl. er 324 
LX. Die Menſchh eite a ser 326 
Das Sterben 
LXI. Feldmansnsns Sr 327 
LXII. Der „arme Hein richtet.. 328 
LXIIL Anzeige 0 328 
LXIV. Der letzte Brief 2» Po 329 
LXV. Die Traube. . . . - nenn 0 330 
LXVI. Das Kreununzz]C 88 330 
LXVII. Ein chriſtliches Spruͤchleinnnn 2.0 331 
LXVIII. Ein heidniſches Spruͤch lein 332 
LXIX. Der Strom des Lebens 332 
LXX. Scheiden im Lichte oa 332 
LXXI. Abfahrt u nn 333 


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PT f Meyer, Conrad Ferdinand 
2432 Gedichte 

417 | 

1900 


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